Auf das Thema bin ich heute durch eine Leserin aufmerksam gemacht worden, weil es, wie im Forum allgemein bekannt sein dürfte, eines meiner Lieblingsthemen ist.
Wie einer über die Sexualität und Pornographie denkt, dafür ist in erster Linie die Erziehung verantwortlich, dann das Umfeld, in dem man lebt, und natürlich der Grad der Ehrlichkeit gegenüber eigenem Ich, d.h. wie er zu seiner eigenen realen Sexualität steht bzw. zu dem, was er sich insgeheim wünscht – diesen letzten Punkt halte ich für ausschlaggebend, zumindest was erwachsene Menschen betrifft.
Es ist eine Tatsache, daß die Sexualität und alles, was damit zusammenhängt, nach wie vor tabuisiert wird, der sexuellen Revolution der 68er und, in deren Folge, der sexualen Aufklärung in den Schulen zum Trotz. Sie ist nach wie vor ein Druckmittel, sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich – sie war das schon immer, denn einem der stärksten Triebe im Menschen kann sich keiner entziehen, Gebote und Verbote sind naturgemäß hier am wirksamsten, treffen den Menschen am härtesten.
Das fängt schon in der frühesten Kindheit an, d.h. bevor ein Kind sprechen kann, wird ihm durch Gesten bedeutet, sich z.B. nicht an die eigenen Genitalien zu fassen, und das setzt sich fort mit dem Geheimniskrämerei um die Nacktheit und den Koitus der Eltern. Das alles geschieht allein durch Gesten und Beispiele, das Warum wird nicht erklärt, auch dann nicht, wenn das Kind sprechen gelernt hat – es ist so, basta.
Es sind diese ersten 3 Jahre, die einen Menschen prägen, und es ist kein Zufall, daß er an diese Zeit in der Regel keine Erinnerung hat – er hat die Prägung verinnerlicht, man könnte auch sagen, er ist selbst Prägung geworden.
Und so wie geschlagene Kinder später oft ihre eigenen Kinder schlagen, so ahmen sie auch in allen anderen Dingen oft das nach, was sie als Kinder erlebt bzw. gelernt haben. Aus diesem Teufelskreis auszubrechen gelingt nur wenigen, die Mehrheit jedenfalls schafft es nie. Das Fatale an der Mehrheit ist aber, daß sie sich im Recht wähnt – eine Wahrheit ist ja um so wahrer, je mehr Menschen an sie glauben, selbst wenn sie keine Wahrheit, sondern eine Lüge ist.
Am sichersten fühlt sich der Mensch in einer Herde, aber das natürlich nur, wenn er selbst auch weißes Schaf ist und nicht etwa schwarzes. Und wenn in der Herde Kurzhaarschnitt angesagt ist, dann trägt er auch kurz, wenn die anderen blöken, blökt auch er, und selbstverständlich bespringt er seine Frau, wenn die anderen es auch tun, d.h. nachts und bei geschlossenen Türen. Okay, vielleicht hat er in seinen jungen Jahren es einmal gewagt, sie auf dem Küchentisch flachzulegen, aber nun sind Kinder da, und die könnten vorzeitig aus der Schule kommen, nicht auszudenken, wenn sie sie so erwischten.
Natürlich wäre das peinlich, doch sich zu fragen, warum dem so ist, das schafft er nicht. Er weiß es einfach nicht, ja er kann es gar nicht wissen, denn dieses Verhalten wurde in ihm vergraben als er noch ohne Worte war, als er nur auf Nahrungs- und/oder Liebesentzug reagierte bzw. reagieren konnte, also auf 2 Dinge, die für Kinder jedes Alters lebensbedrohlich sind und immer schon waren.
Wir sind alle Gefangene unserer Prägung, sich daraus zu befreien erfordert erstens Erkenntnis und zweitens den Mut. Aber vor Selbsterkenntnis haben die Menschen Angst, schon die Träume machen ihnen Angst, bringen diese manchmal Dinge zum Vorschein, die tief in einem schlummern und im Wachzustand tunlichst unterdrückt werden.
So ein Mensch will nicht daran erinnert werden, daß er möglicherweise ein ganz anderer ist als er meint zu sein, sich gibt bzw. von anderen wahrgenommen wird. Er gestattet sich die Ausflüge ins Reich der Fantasie vor Angst selbst nicht, so ist es kein Wunder, daß er sie auch in seiner Umgebung nicht haben will, seien sie geschrieben oder in Bilder umgesetzt. Und selbst wenn er ehrlich ist und erkennt, er ist ein anderer, so kann es sein, daß seine Moral stärker ist als sein Trieb.
Er verzichtet dann freiwillig, aber für diesen Verzicht will er belohnt werden. Hier sind wir ganz nah an dem Mechanismus, der greift, wenn ein Gesetzesbrecher verurteilt werden soll: für einen, der sich gesetzeskonform verhält, gibt es nichts Schlimmeres, als das einer, der das nicht tut, ungeschoren davon kommt.
Ich, sagt sich möglicherweise der Gerechte, ich hätte auch Lust und die Gelegenheit gehabt, das zu tun, aber ich habe es nicht getan, habe freiwillig verzichtet, weil ich mich im Griff habe. Aber der Verzicht erzeugt auch Frust, und der frustrierte Mensch kann nur im Gleichgewicht leben, wenn er entweder auf eigene Faust die sittliche Ordnung gefährdet oder gar Gewaltakte verübt, oder in dem er sich deutlich als jener Teil des Volkes empfindet, in dessen Namen die Gerichte bestrafen.
Das heißt, der „Anständige“ kann es auf dem Boden der herrschenden Sitte mit seinen Verdrängungen nur aushalten, wenn er die Genugtuung hat, daß andere, die sich weniger Hemmungen auferlegen, dafür mit Strafe bedroht und gequält werden.
Wenn hier jemand einen Text der Pornographie bezichtigt und nach dem Schutz der Jugend ruft, dann will zuerst sich selbst davor schützen – weil er Angst vor seiner eigenen Triebhaftigkeit hat -, und dann natürlich die Jugend indoktrinieren, damit sie gleich ihm wird. Sie werden nicht müde, über die „heutige“ Zeiten zu klagen, und daß die Jugend durch Medien verdorben werde, aber sie merken nicht, daß ihre Klagen bis aufs Haar derjenigen gleichen, die vor 20, 50 oder 100 Jahren gelebt haben, nur klagte man früher über die Schundromane und schlechte Filme, dann über Comics und Fernsehen und heute über die Videospiele und das Internet.
In unseren Augen sind die einst geführten Schlachten um Sitte und Moral nur lächerlich, und seien wir versichert, auch die, die nach uns kommen, werden verständnislos die Köpfe schütteln und sagen: Was haben die bloß mit Pornographie gehabt, damals, am Anfang des 21. Jahrhunderts?
Dion