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Freiheit
„Entschuldigung, haben Sie zufällig mein Handy gefunden?? – Mann Junge, du bist aber naiv.“ Der warme Herbstwind trägt seine Bierfahne unter meine Nase. „Kommt er zu mir an und fragt mich, ob ich denn vielleicht sein Handy gefunden habe“ ,spricht er kopfschüttelnd mit dem Wind. „Da hast du ja Glück gehabt, dass ich wirklich dein Handy gefunden habe“,
er dreht seinen Kopf zu mir. „Entschuldigung, haben Sie zufällig mein Handy gefunden??“ ,ruft er aus, lacht und rülpst. Sein Blick ist jetzt noch stärker getrübt vom Alkohol. Neben ihm auf der kargen Steinmauer steht ein Sechserpack „Kronenbourg“, sowie zwei Flaschen Heinecken.
„Ein anderer würde dir jetzt sagen: "ne, Junge, habe ich nicht". Aber, ich mag dich. Du hast so was naives, unschuldiges, das hatte ich auch mal. Behalt es. Pass gut darauf auf. Sonst macht die Welt mit dir...“ , Er kramt in seiner Carrefour Plastiktasche „Früher war ich auch mal so wie du“.
Ich schweige. Er kramt weiter in seiner Tasche. Ein vorbeikommender Passant spricht mich an : „Excusez- moi, Monsieur, vous avez du feu?“ „Non, il n’en a pas. Il ne fume pas” ,belehrt mein Nachbar mit zermürbter Stimme und deutschem Akzent sofort den Neuling, „Stimmt doch, Klener, oder?“ ,fügt er zwinkernd hinzu. Der Passant wirft ihm einen verächtlichen, angewiderten Blick zu und eilt Richtung Bahnhof.
Wieder wandern seine zerfurchten, dreckigen Hände in die Plastiktüte. „Da nimm es“ ,er gibt mir mein Handy zurück. „Ist mir da reingefallen.... ehrlich“ ,lügt er.
„Entschuldigung, haben Sie zufällig mein Handy gefunden??“ ,hustet er erneut lachend aus. „Mein Gott, bist du naiv. Ich sag dir noch mal was: Wer anders hätte dein Handy genommen und es beim nächsten Hehler verscherbelt, oder gleich bei Ebay..." er lacht erneut „und ehrlich gesagt hätte ich das auch gemacht, wenn wir uns nicht wiedergetroffen hätten. So läuft das halt. Merk dir das.“
Ich schaue auf die Uhr. Es ist zwei Stunden her, dass ich mit dem TER aus Nizza angekommen bin.
Schon während der Fahrt ist er mir aufgefallen.
Während ihn der Schaffner kontrollierte und ihn wegen seines fehlenden Tickets zur Rede stellte, fluchte er unentwegt auf Deutsch. Selbst nachdem er die 30 Euro Strafe gezahlt hatte und der Schaffner schon lange weitergegangen war, brummelte er noch lautstark: „So ein Scheiß. Wieso passiert das mir? So´n Scheißdreck.“
Währenddessen hielt sein Schweiß- und Biergeruch die anderen Fahrgäste auf Distanz, so dass er es sich mit seinem Gepäck bequem machen konnte. Als er einen lautstarken, provozierenden Rülpser vernehmen ließ, stand das alte italienische Ehepaar zu meiner linken auf und verließ das Abteil. Sie mit Nerzmantel und Stöckelschuhen, er im schwarzem Sakko. „Snobs“ urteilte mein deutscher Mitbürger und folgte dem Ehepaar mit einem höhnischen Grinsen. Desinteressiert lies er anschließend den Blick durch den Wagen gleiten. „Il est votre fils?“ sprach er meine Sitznachbarin zur rechten an, während er auf mich zeigte. „Sorry?“ „He´s your son?“ fragte er laut, beinahe brüllend, während sich seine bissiger Geruch zu uns herüber wälzte. „No“ ,antworte sie, während sie sich plötzlich sehr für das Kleingedruckte auf der Rückseite ihrer Fahrkarte zu interessieren schien. Peinlich berührt vertiefte ich mich in mein Buch. Mein Gegenüber verstummte, während sein Duft weiterhin das Abteil markierte. Der Zug fuhr in den leuchtenden, wie immer klinisch rein geputzten Tunnelbahnhof von Monaco/Monte Carlo ein. Die Frau zu meiner rechten erhob sich, warf mir ein mitfühlendes Lächeln zu, und verließ den Zug. Wir waren allein im Abteil. „Where do you come from?“ ertönte seine Stimme nachdem der Zug wieder angefahren war. Ich las stur weiter. Er lies mich in Ruhe.
Nachdem wir in Ventimiglia angekommen waren verlies ich schnell den Bahnsteig und trat in die Bahnhofshalle. Ein italienisch-französischer Wortschwall umhüllte mich. Benebelt trat ich heraus auf den Parkplatz und schlenderte durch die kleine Altstadt. Ich hatte noch drei Stunden Zeit bevor meine Freunde aus Rom eintrafen. Ich bummelte lustlos durch die kleinen Souvenirläden, kaufte mir eine überteuerte deutsche Zeitschrift, und machte mich auf die Suche nach einem . Ich bog um die Ecke eines großen, alten Wohnhauses und stieß auf ein kleines gemütliches Straßencafé, das sogar echte Holzstühle anstelle der üblichen Plastikstühle vorweisen konnte. Er erblickte mich sofort und rief mir zu „Hey you overthere, tu veux unée cafä?“ Ich weis immer noch nicht wieso, vielleicht aus Langeweile, vielleicht aus Überraschung, aber ich sagte schlicht „Ja“, und setzte mich zu ihm.
„Du bist Deutscher?“ fragte er mich verwundert.
„Ja“ gab ich wiederum zur Antwort.
„Aha.“
„Hey Giovanni, Mâitre, un café en plus!” rief er dem Kellner zu. „Der Kaffee ist hier viel billiger als in Frankreich. Alles ist hier viel billiger als bei den Scheiß- Franzosen“.
„Hmm“ ,antwortete ich.
„Ja, nur 80 Cent pro Tasse. Das gibt’s da drüben nicht. Die mit ihren Scheiß Steuern....wie heißt du?“
„Michael.“
„Hallo, ich bin Frank. Also, in Frankreich zu leben ist echt zu teuer. Die ziehen einem echt das Geld aus dem Arsch. Deshalb fahre ich so oft wie möglich nach Italien.“
„Sie wohnen in Frankreich?“ ,fragte ich.
„Ja, in Cannes. Wegen der Stütze - in Italien geben die dir einen Scheiß. Scheiß Mafiosi. Hier läuft das alles auf Familienebene, verstehst`e? Der Staat gibt nicht viel.“ Er zwinkert mir allwissend zu. „So läuft das.“
Sein Schweißgeruch schwelgte durch das Straßencafé. Warum bin ich sitzen geblieben? Giovanni servierte den Kaffee. Ich schwieg und trank. Er redete. Wie schön es wäre, endlich mal wieder Deutsch zu reden. Das würde ihm schon mal fehlen. Er fragte, wie alt ich wäre, was ich so machen würde. Er hätte auch einen Sohn in meinem Alter. In Berlin. Der würde jetzt seine Lehre machen. Würde ihm schon mal fehlen, sein Sohn. Bis vor ein paar Jahren hätte er in Deutschland gewohnt. Er wäre Heizungstechniker. Er hätte Haus, Auto und Frau gehabt. Aber das wäre ihm etwas zu eng geworden mit der Zeit. Schlafen, Arbeit, Fernsehen, Schlafen. Da musste er raus. Das wäre ihm zuviel geworden. Und die Alte wäre auch nicht mehr, was sie mal gewesen war. Immer nur vor der Glotze - Günther Jauch. Und die Scheiß-Steuern. Und die Scheiß-Stimmung. Sie würden sich alle nur beschweren die Deutschen, beschwerte er sich mit großen trüben Augen. Mein Kaffee schmeckte schlecht.
Jetzt wäre er frei. Sonne, Strand, Palmen, Côte d’Azur. Er lächelte. Die Farbe seiner vereinzelt im Mund stehenden Zähne glich verblüffend der meines Kaffee. Freiheit. Er habe die richtige Wahl getroffen. Raus wäre er aus dem Scheiß. Seine trüben Augen näherten sich den meinen. Sein Atem stank. Er wäre fertig mit dem Scheiß. Freiheit. Wenn ich den Scheiß in Deutschland mal ein paar Jahre mitgemacht haben würde...ich würde noch an ihn denken.
Keine Verpflichtungen, Sonne, Strand, Palmen, keine festen Arbeitszeiten, hier würde er jetzt richtig leben. Seine gelben Augäpfel, geziert von einem filigranen Netz roter Äderchen, hüpften lebhaft auf und ab, während er um meine Anerkennung warb.
Er redete auf mich ein, fuchtelte mit seinen Händen, klopfte mir auf die Schulter und stank weiterhin nach Bier. Die Leute an den Nachbartischen schauten peinlich berührt weg. Giovanni kam mit der Rechnung. Er zahlte und verabschiedete sich. „Pass auf dich auf Junge, dann wird aus dir noch was! Du wirst noch an mich denken.“
Ich blieb sitzen. Der Herbstwind fegte energisch die Duftreste meines ehemaligen Tischnachbarn zur Seite. Am Nachbartisch unterhielt sich ein Ehepaar empört über meinen ehemaligen Tischnachbarn. Man säße hier ja jeden Sonntag, seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, so etwas habe es aber noch nie gegeben.
Irgendwann schien der Wind jedoch auch die Empörung weggeblasen zu haben, so dass sie wieder in gut geübtes Schweigen verfielen. Ich ging.
An der nächsten Straßenecke fiel mir auf, dass mein Handy fehlte. Ich ging zurück, schaute unter den Tisch, unter die Stühle. Ich fragte den Kellner, der mir statt einer Antwort nur - halb schadenfroh, halb mitleidig - zulächelte und dabei wissend den Kopf schüttelte. Später, als ich zum Bahnhof zurückging, sah ich ihn mit einer Supermarkttasche vom Carrefour auf einer kleinen Mauer am Bahnhof sitzen.
Ich ging lächelnd auf ihn zu und fragte:
„Entschuldigen Sie, haben Sie zufällig mein Handy gefunden?"