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Freiheit

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08.05.2006
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Freiheit

Sie hatte sich ihr Leben zu ihrer Zufriedenheit eingerichtet. Alles war da, wo sie es haben wollte.
Eine große Stütze im täglichen Einerlei waren ihre zwei Paar Handschuhe, die sie sorgfältig in der obersten Schublade einer Kommode gleich neben der Wohnungstür verwahrte. So hatte sie immer, bevor sie das Haus verließ, das richtige Paar griffbereit.

Das eine Paar Handschuhe war aus robustem, braunem Leder gearbeitet, innen gefüttert mit weichem Kaninchenfell. Diese Handschuhe trug sie, wenn der Sommer vorbei war und die Herbststürme anfingen das Leben unerträglicher zu machen.
Den ganzen rauen Winter hindurch wärmten sie nicht nur ihre Hände, sondern vermittelten ihr ein erhabenes Gefühl der Sicherheit. Sie fühlte sich darin stark wie eine Löwin, die bereit ist gegen alles Unvorhergesehene zu kämpfen, was ihren Lebensrhythmus außer Takt hätte bringen können.
Das zweite Paar war von sehr filigraner Beschaffenheit, denn schließlich diente dieses zu einer anderen Zeit und zu einem anderen Lebenszweck. Sie waren aus beigefarbener Naturseide, gold changierend und am Rand mit feinster Spitzenklöppelei versehen.
Sobald das Frühjahr die Last des Winters nahm, schlüpfte sie hinein. Sie verliehen ihrer Hand eine zarte feminine Ausstrahlung und ihre Haltung nahm die einer Dame von Welt ein, fast hochmütig.
So wanderte sie durch die Jahreszeiten ihres Lebens bis eines Tages das Unfassbare geschah.
Wie jeden morgen öffnete sie die Kommode. Doch statt des sicheren Griffs nach den richtigen
Handschuhen, starrte sie verwirrt in die Lade. Sie sah einfach nur Handschuhe: Ein braunes und ein beiges Paar. Aber was hatte es damit auf sich? In ihrem Kopf fing es an zu klopfen. Blut raste durch ihren Körper und um ihr Herz wurde es eng. Zitternd schob sie die Lade wieder zu und verließ fluchtartig das Haus.
Draußen angekommen versuchte sie tief durchzuatmen, doch der Schock hatte ihre Lungen gelähmt. Was war das, was war das, hämmerten ihre Gedanken. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, um fort zu kommen, weg, weit weg. Ihre Hände verharrten in toter, nackter Steifigkeit. Sie schämte sich ob ihrer Nacktheit und vergrub sie eilig in ihren Manteltaschen, an diesen ungewohnten Ort.

Tage, Wochen, Monate voll lähmender Angst und Verzweiflung vergingen. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die Handschuhe, aber sie fand keine Antwort, keine Erklärung. Sie wusste nur, sie würde nie wieder zu ihrem alten, sicheren Leben zurückfinden und diese Gewissheit brachte sie schier um.

Unbemerkt verging der Frühling, der Sommer und der Herbst. Sie war so einsam. Dann kam der Winter mit seiner guten Eigenschaft. Er legt die Natur schlafen und das bewirkte, dass auch ihr Herz sich beruhigte.
Eines Abends ging sie langsam zu der Kommode, die sie lange nicht mehr geöffnet hatte. Sie zog an der Lade und betrachtete die Handschuhe. Nachdem sie so einige Minuten gestanden hatte, nahm sie das lederne Paar heraus, streifte es über ihre Hände, zog es wieder aus um mit dem andern Paar das Gleiche zu tun. Das tat sie von nun an jeden Abend bis sie auf die Idee kam, an die rechte Hand einen Ledernen und an die linke einen Seidenen zu ziehen. Dann umgekehrt. Oder nur einen Ledernen oder nur einen Seidenen oder die Seidenen unter die Ledernen oder die Seidenen in den Händen der Ledernen oder die Ledernen in den Händen der Seidenen oder in der nackten rechten Hand die Ledernen und in der nackten linken Hand die Seidenen. Oder ganz ohne Handschuhe.
Sie lachte, endlich, endlich hatte sie begriffen. Ihr Leben explodierte, es war schöner als jemals zuvor. Endlich, endlich war sie befreit.

 

hallo katinka

öhm ja, irgendwie gefällt mir diese geschichte.

und ich weiß nicht einmal warum. man weiß nicht, was mit den handschuhen passiert ist, und auf die Idee, zwei verschiedene paar anzuziehen, hätte sie auch kommen können, auch finde ich im sommer handschuhe tragen komisch, und das ende, also die loslösung von diesem zwang, ist nach einigen sätzen klar, auch erfährt man keine gründe für ihre Angst, kein erlebnis von früher, keine hintergründe, usw.

aber mir hats gefallen.

gruß

 

Hallo Katinka!

Geht mir ähnlich wie Aris. Finde Deine Geschichte gut, ohne genau zu wissen, weshalb. Beim zweiten Lesen bin ich dann etwas schlauer geworden.

Sprache, Stil und Textfluss: Ich finde, Du hast eine gute Sprache und verfügst über ein sicheres Sprachgefühl. Die Geschichte liest sich zudem wie aus einem Guss. Gut gemacht! :thumbsup:

Das tat sie von nun an jeden Abend bis sie auf die Idee kam, an die rechte Hand einen Ledernen und an die linke einen Seidenen zu ziehen. Dann umgekehrt. Oder nur einen Ledernen oder nur einen Seidenen oder die Seidenen unter die Ledernen oder die Seidenen in den Händen der Ledernen oder die Ledernen in den Händen der Seidenen oder in der nackten rechten Hand die Ledernen und in der nackten linken Hand die Seidenen.

finde ich die stärkste Passage Deiner Geschichte, wenn man sich auch ziemlich konzentrieren muss, um nicht verwirrt zu werden ;)

zur Thematik: Wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, geht es um zwanghaftes Verhalten (Handschuhe), dass sich zu einer Zwangsstörung entwickelt, die sich am Ende wieder auflöst. Während ich den Anfang gelungen finde, habe ich auch etwas Mühe mit dem Ende der Geschichte und finde, es wäre nötig zu beschreiben, was der eigentliche Grund bei der Protagonistin für das Ende der Zwangsstörung ist, denn eine solche hört ja nicht auf einmal von selbst auf. Bin mir aber bewusst, dass dies wahrscheinlich am schwierigsten zu beschreiben ist...

was mir soeben noch aufgefallen ist:

Sie schämte sich ob ihrer Nacktheit und vergrub sie eilig in ihren Manteltaschen, an diesen ungewohnten Ort.
so liest es sich, wie wenn sie ihre Nacktheit vergräbt.

Ansonsten gelungene Geschichte, well done! ;)

MfG
palerider

 

lieber Aris, lieber palerider,

danke für eure Kritik. Ich habe lange mit der Antwort gewartet, da ich mir nicht sicher war, ob ich die Geschichte erklären soll.
Die Handschuhe stehen sinnbildlich für übernommene Gedankenmuster und Rollenverhalten, an denen die Prot festhält und glaubt, damit Sicherheit zu haben. Dann kommt eine Krise, welche ist völlig egal, da Krisen, die uns erschüttern, individuell verschieden sind. Sie stellt fest, alles an was sie vorher geglaubt hat, woran sie sich festgehalten hat ist nicht mehr brauchbar bzw. hilft ihr nicht weiter. Sie ist gezwungen ihr Leben neu zu definieren und das löst erst einmal Panik und Angst bei ihr aus. Dann beginnt sie langsam sich mit ihren Denkmustern/Handschuhen zu befassen und stellt fest Denken und Handeln muß flexibel, tolerant und neu sein bzw. muß sich entwickeln.
Wenn wir erkennen, das wirklich ausser dem Tod, nichts aber auch gar nichts, nada, nothing, rien in unserem Leben sicher ist und schon gar nicht unserer Gedankenmuster "Oder ganz ohne Handschuhe" können wir loslassen und ein befreites glückliches Leben führen.

LG
Katinka

 

hallo katinkaH

eine schöne kleine geschichte hast du geschrieben. auch mir hat sie gefallen. nach deiner erklärung hat sie mir ein wenig mehr gefallen. da ich das gefühl gut kenne.
auch wenn deine handschue nur metaphorisch für das gedankenmuster stehen, kann man auch den satz: 'kleider machen leute' hier anwenden.

Sie verliehen ihrer Hand eine zarte feminine Ausstrahlung und ihre Haltung nahm die einer Dame von Welt ein, fast hochmütig.
speziell diese stelle bestätigt nochmal meine aussage.

cu J:baddevil:

 

Hi JoBlack,

danke fürs Lesen und Kommentieren.

eine schöne kleine geschichte hast du geschrieben. auch mir hat sie gefallen. nach deiner erklärung hat sie mir ein wenig mehr gefallen. da ich das gefühl gut kenne.
das freut mich ganz besonders!

LG
Katinka

 

Hallo Katinka,

Mmmh, erstmal ein paar Gedanken von mir:

Sie hat ihr Leben so weit in Ordnung gebracht, dass sie immer mit einem Blick beurteilen und einschätzen konnte.
Das Problem würde ich jetzt sehen, dass sie versucht hat, alle möglichen Arten von wetter in zwei Kategorien zu teilen (vielleicht auch da das Bild der Schubladen --> Schubladendenken)

Dabei war bei tiefergehender Betrachtung ein Problem, dass die Handschuhe gleich mehrere Zwecke erfüllten und man das so nicht auf das Wetter übertragen konnte.

Doch irgendwann kommt ein Blackout, es ist nicht mehr alles so eindeutig und sie braucht neue "Lösungswege" für ihre Probleme und das macht sie mit der gesunden Mischung.
Und diese Mischung bezeichnest du irgendwie als Freiheit.

So, nun mal ne Beurteilung. Ich finde, dass diese Lösung fast noch einengender ist, als das was sie vorher hatte. Ist irgendwie nichts ganzes und nichts halbes.
Dementsprechend finde ich die Moral an der Geschichte auch nicht gut.
Außerdem denke ich, dass die Geschichte jetzt nicht wirklich etwas Veränderndes an sich hat. Ist nur so ein Gefühl.

Ich habe mir die Geschichte einmal durchgelesen vor der Eigeninterpretation und danach. Für mich ist sie gleich geblieben: Wahrscheinlich habe ich es so ähnlich aufgefasst.

Mich regt die Geschichte nicht zum Nachdenken an, mich lässt sie kalt...

noch Kleinigkeiten

Alles war da wo sie es haben wollte

Komma fehlt

Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen um fort zu kommen, weg, weit weg

da glaub ich auch, wenn ich nicht jetzt n Blackout habe

Gruß, der Literaturignorant

 

Ja, also zu erst:
Ich hatte so den gleichen Ansatz und Ausführung der Interpretation wie du KatinkaH (musste ich bei deinem Kommentar feststellen).

Allerdings bewegt mich die Geschichte keineswegs; oder, wie LI meint:

mich lässt sie kalt...

Ansonsten: Ähnliche Gedankengänge wie LI. Keine Veränderung, also Befreiung, zumal es im Winter kalt ist und Handschuhe notwendig sind (vll reichen auch stinknormale Billighandschuhe, die sie sich jetzt kaufen kann, um nicht mehr so auf diesen Wert der Handschuhe zu gehen, würdest du jetzt bestimmt meinen). Ich denke aber, die Metaphorik verliert an Wert.

Du hast einen guten Schreibstil, aber der Inhalt überzeugt mich nicht, schade.

 

Hallo Katinka,

also, mir hat die Geschichte gefallen, und ich finde, wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, kommt man auch darauf, was Du damit sagen willst.
Was Deinen Schreibstil angeht: find ich spitzenmäßig.:thumbsup:

Gruß, Stefan

 

Hallo Katinka,

ich finde diese Geschichte sehr gelungen. Dein Schreibstil wurde ja schon mehrfach gelobt, ich tue es auch nochmal: einfach schön! Ich finde, dass man in Texten nicht immer alles erklären muss, dann lieber Klärung in der Diskussion danach. Ich finde das Ganze sehr jedenfalls sehr deutlich, und die Geschichte läuft klar auf die von Palerider schon erwähnte, auch meiner Meinung nach, beste Stelle hin.

Hat jedenfalls Spaß gemacht...

lightdark

 

Hallo LI

Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Die Kommafehler hast du richtig erkannt und ich habe sie korrigiert.
Ich glaube, dass du meine Geschichte etwas anders interpretierst als ich es tue, jedenfalls verstehe ich es so aus deinem Kommentar.
Die Lösung ihres Problems ist die "Loslösung" von Gedanken- und Verhaltensmustern, die uns oft genug einschränken. Wenn man diese Loslösung schafft, dann ist man bereit Dinge von anderen Standpunkten bzw. aus einer anderen Sichtweise zu betrachten (hier symbolisch dargestellt durch die unetrschiedlichen Arten, die Handschuhe zu tragen). Andere Sichtweisen einnehmen heißt, dass Leben nicht mehr linear betrachten, dafür ist Leben zu vielschichtig, es lösen sich Probleme und Konflikte und das ist die Freiheit, die ich meine und für die jeder selbst verantwortlich ist.

Mich regt die Geschichte nicht zum Nachdenken an, mich lässt sie kalt...
das ist schade, aber es ist so.

@Nachtregen,

auch dir vielen Dank fürs Lesen und den Kommentar.

Allerdings bewegt mich die Geschichte keineswegs; oder, wie LI meint:


Zitat:
mich lässt sie kalt...


wie LI schon gesagt: schade, aber ist so.

Keine Veränderung, also Befreiung, zumal es im Winter kalt ist und Handschuhe notwendig sind (vll reichen auch stinknormale Billighandschuhe, die sie sich jetzt kaufen kann, um nicht mehr so auf diesen Wert der Handschuhe zu gehen, würdest du jetzt bestimmt meinen).

nein, das würde ich nicht sagen, da meine beabsichtigte Aussage eine andere war.
Schön, dass dir mein Schreibstil gefällt.

@Stefan S

freue mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt und du die Intention nachvollziehen konntest.
Danke für das dicke Lob bzgl. meines Schreibstils.

@lightdark,

einfach schön, dass auch dir die Geschichte rundum gefällt und das Lob, was ich von dir einheimsen darf.
Danke fürs Lesen und Kommentieren.

Liebe Grüße @all

Katinka

 

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