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Fremde Welt

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30.08.2007
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Er duckte sich noch einmal. Niemand durfte ihn sehen. Dann tat er es. Plötzlich ohrenbetäubender Lärm auf der anderen Straßenseite, doch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann mindestens genauso ohrenbetäubende Stille, ebenfalls nur für einen kurzen grausamen Augenblick. Dann Schreie. Wenig später Sirenen. Leblose Körper auf der Straße. Rund herum Menschen in Panik. Nur einer war ruhig, und mittlerweile in sicherer Entfernung.
In den nächsten Tagen bekam man nichts anderes zu hören oder zu sehen. Fernsehen, Radio, Internet und sämtliche Zeitungen waren nur mehr hinter dieser einen Geschichte her. Fünf Tote bei einem Bombenanschlag mitten in der Hauptstadt. Und vom Täter fehlte jede Spur. Wie konnte so etwas passieren? Die weinende Mutter eines 14jährigen Schülers, der ums Leben gekommen war, wurde schnell zum allgegenwärtigen Gesicht der Tragödie. Der Sprengsatz hatte fünf unschuldige Menschen in den Tod gerissen. Es war das schlimmste Verbrechen im Land seit mehr als zehn Jahren. Vom Täter fehlte jede Spur.

Mehrere Monate später war alles vergessen. Doch dann, urplötzlich fand die Polizei einen Hinweis und wenig später einen Schuldigen. Ein Jahr nach dem Anschlag war der Prozess in allen Medien und noch einmal wurde die weinende Mutter zum markantesten Gesicht des öffentlichen Geschehens. Der Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und damit war die Sache endgültig vom Tisch.

Er duckte sich noch einmal. Niemand durfte ihn sehen. Dann tat er es. Plötzlich ohrenbetäubender Lärm auf der anderen Straßenseite, doch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann mindestens genauso ohrenbetäubende Stille, ebenfalls nur für einen kurzen grausamen Augenblick. Dann Schreie. Wenig später Sirenen. Leblose Körper auf der Straße. Rund herum Menschen in Panik. Nur einer war ruhig, und mittlerweile in sicherer Entfernung.
Das Ereignis war irgendwo mehrere tausend Kilometer weit entfernt ein paar Zeitungen eine kleine Nebenmeldung wert. Darunter ein kleines Bild einer dunkelhäutigen Frau, die weinend den Tod ihres 14jährigen Sohnes beklagte. Bei dem Unglück waren fünf Menschen ums Leben gekommen. Vom Täter fehlte jede Spur.

Mehrere Monate später war alles vergessen.

 
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Hallo mweiss,

und herzlich willkommen hier.
Technisch lässt sich sagen, dass du manipulativ effektiv aufgebaut hast, aber der Text stärker werden könnte, wenn du auf "Dann" verzichtet hättest. Die Reihenfolge des Geschehens ergibt sich aus den Sätzen und muss nicht durch "Dann" als solche unterstützt werden.

Inhaltlich habe ich etwas gegen solche schlechtes Gewissen manipulierenden Totenaufrechnungstexte, denn sie stellen die Wertigkeit der Opfer, die sie zu kritisieren vorgeben erst her und unterschlagen, dass die Nachrichtendichte in der "Fremden Welt" genau andersherum war. Dass mir der Tod oder das Unglück eines Menschen näher geht, als der oder das des anderen, macht diesen nicht wertvoller, sondern drückt nur etwas von meiner Nähe aus.
Es kommen weitere Faktoren hinzu, für Ground Zero oder Beslan zum Beispiel die neue Qualität des Terrorismus und auch der Reaktion darauf, unabhängig davon, wer ihn ausgeübt hat.
Wären wir tatsächlich so abgebrüht und abgestumpft, wie es solche aufrechnenden Manipulationen uns unterstellen, würde über die Selbstmordattentate im Irak oder in Israel in unseren Zeitungen gar nicht mehr berichtet werden. Der Terror gehört dort zur Alltagsnormalität, aber wir haben uns zum Glück auch nach Jahren immer noch nicht daran gewöhnt, obwohl es sich um fremde Welten handelt und obwohl hier eventuelle deutsche Opfer eine besondere Erwähnung finden.
Was bezweckt also eine solche Aufrechnung der Toten?
Was bezwecken wirkungsvolle Adjektive wie "unschuldig", die absolut gebraucht werden, obwohl doch nur "am Anschlag auslösenden Konflikt unbeteiligt" gemeint ist?
Und was bezweckt ein Text, bei dem ich mir als Leser nur denken kann: Ja, schlimm, dass so etwas geschieht, aber keine weitere Handlungsgrundlage habe?

Kurz, die meinetwegen hehre moralische Absicht ist mE schlicht für die Katz.

Lieben Gruß, sim

 

hm...
tote aufrechnen war eigentlich nicht der sinn der sache

ich glaube, dass wir uns eben schon daran gewöhnt haben
dass es niemanden mehr interessiert, wenn jeden tag menschen sterben, im sudan, im irak, in gaza, wo auch immer

mir wird schlecht, wenn ich mir die "westliche" standardfamilie beim abendessen vorstelle, und hinter der bierflasche schlagen die bomben ein (ich habs bisher leider noch nicht geschafft, dieses bild in eine geschichte einzubauen...)

mit totenaufrechnungen hat das meiner meinung nach nicht wirklich was zu tun... es geht mehr um das generelle desinteresse der menschen, über den tellerrand ihrer eigenen vier wände zu blicken...

 

Hallo mweiss,

ich kann ja nur nach dem Text gehen, der mir vorliegt und bei dem es sich um einen Vergleich handelt. Nach deiner genannten Intention wären die Toten hierzulande für den Text nicht nötig, da wären die Bomben die ins Bier fallen ganz sicher das stärkere Bild.
Die Frage wäre natürlich, warum gewöhnen wir uns daran und wenn es niemanden zu interessieren scheint, woran könnte dies liegen?
Eine weitere Frage wäre, ob das Blut eines in dem Land, in dem man lebt ermordeten Kindes im Bier anders schmeckt, als das Blut eines in einem anderen Land ermordeten Kindes.
Oder ist die Teilnahmslosigkeit dieselbe?
Ergänzend wären noch Zynismen der Teilnahme möglich, etwa das Benefiz-Gala-Dinner zugunsten der Welthungerhilfe oder Silvesterknaller, bei deren Kauf man jeweils einen Euro an Räumkommandos für Streuminen spendet.
Es wäre natürlich trotzdem zu überlegen, ob es hilfreich ist, es sich schlecht gehen zu lassen. Der Standardfamilie ins Bier zu spucken verhindert ja eventuell auch deren Tatendrang. Und selbst, wenn man beklagen könnte, dass es ebenso zum Standard gehört, sich jedes Jahr zu Weihnachten durch Spenden ein reines Gewissen zu erkaufen, helfen diese Spenden doch ungemein.
Wohl gemerkt, ich kann gut verstehen, wenn dir dabei schlecht wird, ich glaube nur nicht, dass es etwas bringt, ein schlechtes Gewissen zu erzeugen, denn dadurch baut man Widerstände auf.

Lieben Gruß, sim

 
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Hallo mweiss,

Deine Geschichte war zwar etwas kurz, aber die Aussage ist klar. Ständig passieren irgendwo auf der Welt Anschläge; der Terrorismus ist überall und allgegenwärtig. Tote werden beklagt.
Aber: Sie geraten nicht in Vergessenheit, so wie Du es ausdrückst. Man kann sich an solche schrecklichen Attentate, an die Schicksale nicht gewöhnen.
Ich kann sagen, dass mir bei den Nachrichten abends auch "schlecht" wird, wenn ich all die Grausamkeiten sehe, all die Ungerechtigkeit, die Menschen widerfährt. Ob das jetzt im Irak ist, oder in Afghanistan, oder sonst wo. Menschen leiden überall gleich; egal welcher Nationalität sie angehören, oder an welchen Gott sie glauben. Und leider sind es immer die Zivilisten; die Frauen und Kinder, die am wenigsten dafür können und all das Elend bestimmt nicht wollen.
Mein Mitleid haben sie gewiss und mein Interesse lässt nicht nach, egal, wie oft etwas passiert. Spenden helfen, gewiss, aber sonst ist es schwer zu helfen. So traurig das auch ist.
Ich denke aber, dass es schon ein einfacher Schritt ist, in der Nachbarschaft, im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz auf "Andere" zuzugehen. Tolerant zu sein, Andersartigkeit anzuerkennen, kulturelle Unterschiede zu überbrücken versuchen. Wenn das alle machen, ändert sich vielleicht die allgemeine Grundstimmung, kann vielleicht ein gewisser Frieden entstehen. (Okay, den Fanatismus kann man so nicht bekämpfen, aber ein kleiner Schritt ist besser als stehenbleiben!

Lieben Gruß,
hörnchen

Ach so, es heißt: "den Bruchteil"...

 

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