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Friedhof und Szenetreff von Wörtern und Redewendungen

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18.04.2002
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Friedhof und Szenetreff von Wörtern und Redewendungen

Lange habe ich hin und her überlegt, ob ich diesen Thread als Ergänzung zu den anderen Wortsammlungen im Forum aufmachen soll. Aber ich denke der Thread passt in unser Forum und bei der Interessenvielfalt der Forumsmitglieder sind interessante Beiträge zu erwarten, ganz gleich ob aus Historik, Naturwissenschaft, Literatur oder der Szenesprache.

Mir geht es vor allem um Wörter und Redewendungen die gerade am Verschwinden sind und die, die diese ersetzen oder gar ganz neu auftauchen.

Wer hätte gedacht, dass das Gnu im Falle eines biologischen Aussterbens als Begriff überleben wird, der Avatar ganz modern daherkommt, obwohl es sich um ein Sanskritwort handelt, einen Gott beschreibend, der dem Menschen auch in Tiergestalt gegenüber tritt (ist da nicht das Augenzwinkern der Begriffseinführer zu spüren?).
Ganz und gar kein Avatar war für den Liebenden die ‚holde Maid’, schon gar nicht eine, die ihm ‚hold’ war – davon ist nichts geblieben, nur der ‚Unhold’ ist (noch) nicht als Ausdruck ausgestorben, als Person wäre das wohl kein Un…
Benannte man in den 70igern manche Person mit ‚du Hemd’ oder man ‚fühlte sich wie ein nasses Handtuch’, dann wusste jeder, was gemeint war, so uninformativ die Aussagen bei näherem Hinsehen auch sein mögen.
Zum Glück bleibt die Erkenntnis ‚alles wird gut’ (wirklich?) auch wenn schon lange nicht mehr die Regel gilt ‚Morgenstund’ hat Gold im Mund’, noch nicht einmal für den Zahnarzt beim frühmorgendlichen Arbeiten am Patientenkiefer.


Auf den Friedhof kommen z.B.:

- Raufhändel
- Buhle (Liebste)
- Da brat mir einer ‘nen Storch! (Unglaublich!)
- Unziemlich (ungehörig)


Den Szenetreff besuchen:

- Poporutscher
- Geilo
- Ich weiß, wo dein Haus wohnt!

 

Gute Idee, Woltochinon, allerdings sollten die fast ausgestorbenen Begriffe schon erklärt werden, sonst bringt das nichts – durch Nennung allein werden die Wörter nicht wieder verstanden bzw. wieder lebendig (siehe Raufhandel = Schlägerei).

Meine Beiträge für heute:

Bonbon – Parteiabzeichen (NSDAP, SED)
Federfuchser – Schreiberling, gilt nicht für auf kurzgeschichten.de schreibende Autoren
Kindsmagd – Au-pair-Madchen oder Babysitter

 

Vom Aussterben bedroht:

die Busenfreundin (besonders gute Freundin)

Busengrapscher (naja, das muss ich wohl nicht erklären)

und gleich dazu passend:

Schmierlappen (eine unappetitlliche Person oder schmieriger Mensch)

 

Hallo Dion,

du hast natürlich recht, dass man sich mit durchgängigen Erläuterungen auf der sicheren Seite bewegt.

Bedroht/ausgestorben:

Strick - Lausbub

Born - Brunnen

Geselle - Meist abwertend (übler G.) oder im Handwerk. Ursprünglich
„Liebster“.


Schnur - Schwiegertochter

Grille - übermütiger Gedanke

 
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Wie lustig! (oder manchmal auch traurig) ;)

gelackmeiert > heute wohl 'angeschissen'
geckenhaft > eingebildet, sich zur Schau stellen (meist für Männer)
Junker > eigentl. junger Adeliger, später auch Junggeselle
Keckheit heute nur noch als 'keck'
feilhalten / feilbieten > anbieten (zum Kauf)
pokulieren > sich betrinken, zusaufen
neuwaschen > frisch gewaschen

Und ein alter Zombie, der über die Mittelalterfeste torkelt, eines meiner absoluten Lieblingswörter:
Purgelin > eine hübsche mittelhochdeutsche Bezeichung für das weibliche Geschlecht (z.B. in "Ich was ein Chint so wohlgetan": er rannte mir das purgelin ...)

 

In Verwandtschaftsbeziehungen finden sich schöne alte Friedhofswörter wie etwa:

Oheim (Onkel, aber nur der Bruder der Mutter)
Muhme (das Äquivalent für die Tante)
Eidam (Schwiegersohn, genaugenommen also keine Verwandtschaft sondern Schwägerschaft)
Vetter (Cousin)
Base (Cousine)

 

Auf dem Redewendungen-Friedhof:

Ich lach mir einen Ast = (Ast bedeutet hier Buckel.) Heftiges Lachen, bei dem man sich nach vorne beugt, einen Buckel macht.

Ab nach Kassel = Verschwinden, sich verdrücken.
Der Herzog von Kassel bot jedem Straferlass (falls nötig) und kostenlose Überfahrt nach Amerika, der sich für einige Jahre dort den englischen Truppen verdingte. (Nordamerikanischer Unabhängigkeitskrieg 17hundertkeineahnung)
Es gibt auch andere Erklärungen, die aber mit der geläufigen Bedeutung der Redewendung nicht harmonieren.


Über den Deister gegangen = Wenn jemand verschwunden, gestorben oder für immer weggegangen ist.
Deister ist eine hüglige Waldlandschaft in Norddeutschland, darin oder dahinter befand sich eine heidnische Begräbnisstätte. Die Wendung könnte also speziell im Raum Braunschweig/Hannover/Hameln Bedeutung gehabt haben.


Auf dem Wörterfriedhof:

toff = toll / super
dufte = gut.

 
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Beerdigt wird:


verkohlen: betrügen, verar ...

erkennen: schwängern

wohlan: auf geht‘s

speien: spucken (heute noch bei „Wasserspeier“)

Heckmeck: unschöne Situation - Streit, Anspannung, gepaart mit Durcheinander.

Sei auf der Hut!: Sei vorsichtig!, gib auf dich acht!


Dass jemand ‚schlechte Karten hat, ist nichts Neues. Die ‚Arschkarte‘, ist, wenn auch (angeblich) aus Schwarz-Weiß-Fernsehzeiten stammend, eine relativ junge Wortschöpfung. (Arschkarte ziehen: Pech haben; der Dumme sein).

 
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Arschkarte ziehen lässt sich vom Schiri herleiten, der die roten und gelben Karte in den hinteren Hosentaschen aufbewahrt

bedrohte Wörter:

Rennpappe - Trabant
Subbotnik - "freiwilliger" Arbeitseinsatz
meschugge - verrückt

Schade eigentlich, meschugge klingt schon so schön durch und Rennpappe istn witziger Name für das hochheilige Auto.

neu gehört und gelesen (in nem Artikel über Jugendsprache):

episch - großartig, beeindruckend, besonders

 

Wenn bekannt / recherchierbar und aus anderen Sprachen entlehnt, würde mich auch die etymologische Herkunft einer Redewendung interessieren. Aus Kubus’ Beitrag eben kenne ich zufällig: subbotnik russ.>DDR-dt., meschugge rotwelsch<wjidd.*, episch m.W. urspr. engl. (z.B. epic fail, Ausdruck von Schadenfreude). Rennpappe dürfte auf westdeutschen Autobahnen das erste Mal geflucht sein, das ist aber nur spekuliert.

*) n. Kluge, 24. Aufl.

</angeberei>,
-- floritiv.

 

Episch kenn ich nur als weitschweifig, breitgetreten.

 
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@floritiv: ne, Rennpappe ist/ war Ossi-Slang:) Es gab noch viele andere Namen für den Trabant, z.B. Zwickauer Hangziege, überdachte Zündkerze, Asphaltblase usw, wie mich das Lexikon der bedrohten Wörter aufklärt. Rennpappe kenn ich aber noch vom Hören.

und meschugge ist jiddisch, ja. Rotwelsch ist ein Soziolekt, in den andere Sprachen eingeflossen sind, der aber auch viele Wortneuschöpfungen hervorgebracht hat.
Ich hab mir vor kurzem Günter Puchners "Kundenschall, das Gekasper der Kirschenpflücker im Winter" antiquarisch gekauft, wo er sich mit dem faszinierenden Sprachphänomen des Rotwelsch ausgiebig beschäftigt. Auch Wiki gibt einen kleinen Einblick.

@pardus: wir hatten einen Lehrer, der das Wort auch so negativ konnotiert verwendete. Aber bei mir im Viertel hör ich episch ab und zu mal als positives Adjektiv. Mein Eindruck ist, dass es ähnlich willkürlich auf alles angewendet wird wie bspw krass oder geil.

Gibts eigentlich "der hat schon nen Zettel am Zeh" noch?
ist wahrscheinlich auch vom Aussterben bedroht oder hat es noch jemand gesichtet/ gehört?

 

Gibts eigentlich "der hat schon nen Zettel am Zeh" noch?
ist wahrscheinlich auch vom Aussterben bedroht oder hat es noch jemand gesichtet/ gehört?
Ich habe das noch nie gehört, konnte für mich also gar nicht aussterben, da es noch gar nicht gelebt hat. Bei uns sagte man dann eher "Der riecht schon nach Erde", was wahrscheinlich auch selbst mittlerweile schon nach Erde riecht.

 

Zitat Kubus:
„und meschugge ist jiddisch“

… genauso wie ‚Massel‘ haben, vom jiddischen ‚masel tov‘ (viel Glück!) – den Ausdruck hört man eigentlich nicht mehr, erhalten blieb er in ‚vermasseln‘, ‚Schlamassel‘).

Dass man ‚epische‘ Ausführungen weniger gut bewertet, kenne ich auch noch aus dem Deutschunterricht, da hieß die Vorgabe ‚Fasse dich kurz‘ oder ‚Kurz und bündig‘.

Zitat Kubus:
„Aber bei mir im Viertel hör ich episch ab und zu mal als positives Adjektiv. Mein Eindruck ist, dass es ähnlich willkürlich auf alles angewendet wird wie bspw krass oder geil.“

Interessant, gar nicht so weit hergeholt: Vor noch nicht all zu langer Zeit galt ein Epos mit seinen weitschweifigen Ausführungen durchaus als angesagt, also war letztlich einfach nur ‚geil!‘.

Im Szenetreff findet man
- (Le) Parkour (urbaner Hindernissport)
- Hoodie (Kapuzenjacke)
- das ‚Arschgeweih‘ macht ‚langsam den Abgang‘ Richtung Friedhof (wie auch der genannte Ausdruck, womit wir in der Kategorie ‚Zettel am Zeh‘ wären, in die auch ‚der macht die Flatter‘ gehört).

Auf dem Friedhof versammeln sich
- billig: Recht, richtig sein
- da ist Schmalhans Küchenmeister: dort herrscht Hunger, Not.
- Hochzeitskammer: Ort für die Hochzeitsnacht, der während der Hochzeitsfeier besucht wurde.
- Steiler Zahn: Tolle Tussi.

 

Ja, ja – der Fußball:

Früher wußte noch jeder, dass ein Abstauber dem Goali nicht hilft, den Kasten sauber zu halten. Ein Vorstopper oder Libero schon eher, es sei denn, der Schiedsrichter war eine Pfeife und gab einen unberechtigten Elfer – da rief man dann empört ‚Schiedsrichter Telephon!‘, was doch etwas harmloser klingt als das heutige ‚Schiri, wir wissen wo dein Auto steht!‘ Neuerdings ‚untermalt‘ durch das Tröten einer trötenden Tröte mit dem Namen ‚Vuvuzela‘.


Nicht mehr im Sprachgebrauch:

Maulschelle: Ohrfeige

Maulaffen – feilhalten: Dumm rumgucken, gaffen

Frauenzimmer: ein Zimmer für Frauen, später Bezeichnung für vornehme Frauen, dann mit tadelnder Konnotation (welch‘ Frauenzimmer!)

Gehrende: Fahrende Sänger, Gaukler – ‚Begehrende‘; mittelhochdeutsch

Metze: Hure (interessant auch ‚Dirne‘ für Hure. Dirn, Dirne, bezeichnete ursprünglich ein Mädchen, eine Magd. Heute noch bei ‚Dirndl‘, Deern (nordd.).

Und gar nicht mehr zeitgemäß erscheint:
‚Ein Mann, ein Wort‘: Ehrlichkeit, Verlässlichkeit

 

Weil ich gerade nicht schlafen kann, hier eine Eselsbrücke aus meiner Schulzeit:

War das Mädchen brav, bleibt der Bauch konkav.
Hat das Mädchen Sex, wird der Bauch konvex.

 

Hallo Dion,

es kommt mir so vor, dass solche Merksätze heutzutage aussterben, die folgenden kenne ich alle durch Erzählung von Leuten, die während des Krieges zur Schule gingen – da wurde viel gepaukt, die Merksätze waren oft das einzige pädagogische Element:


X = 10, L=50, C=100, D=500, M=1000: Xaver - Lass Caesar Das Machen.


Die Klammer sagt: „Zuerst komm ich!“
Denk auch daran: „Stets Punkt vor Strich“

Aus Differenzen und Summen kürzen alle Dummen.


Drei, drei, drei –
bei Issos Keilerei


Volt mal Ampere ergibt in Watt,
was der Strom geleistet hat.


Und so lernt man die ersten Stellen von Pi:

May I have a large container of coffee…

(Kennt jemand einen deutschen Merksatz dazu?)


Und wenn in der Klasse ein Störenfried auftrat, fand man diese Unanständigkeit unziemlich – ziemlich ziemlicher ist es natürlich, kein Friedensstörer zu sein.


Störenfried - Friedensstörer

ziemlicher ist es - anständiger

unziemlich – unanständig

(ob ‚ziemlich‘ von ‚zahm‘ kommt?)

 
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unziemlich – unanständig

(ob ‚ziemlich‘ von ‚zahm‘ kommt?)


Das Adjektiv ziemlich ist eng verwandt mit dem Verb ziemen und bedeutete ursprünglich "was sich ziemt"; die weiteren Bedeutungen wie "annähernd; fast" oder auch "beträchtlich" kamen im 15. und 16. Jh. dazu.
Quelle: korrekturen.de

Nachtrag:
Äh – merke gerade, das ist nicht besonders erhellend. Werde den Fall noch (morgen) im Duden nachspüren und meine Antwort ergänzen.
Pardus war schneller.

 
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Interessant ist auch die Wandlung von Schimpfwörtern. Zu meiner Zeit "Spasti", "Arsch", "Fettsack", "du bist behindert" und "Alter" despektierlich für die Eltern, ist "Alter" heute eine normale Anrede unter Gleichaltrigen. Neu als Schimpfwort: "Jude" und "Opfer".

@Asterix:
Mein ethymologischer Duden sagt zu ziemen (gekürzt): mhd. zemen, ahd. zeman, zur indogermanischen Wurzel *dem-: "zusammenfügen, bauen", eng verwandt mit "zähmen" und "Zimmer". Ziemen bedeutet demnach eigentlich "sich fügen, passen".
Ich vermute mal, die Eigenschaften, die sich bei einem Menschen nach common sense "ziemen", sind auch die, durch die die Gesellschaft "zusammengefügt, gebaut" ist, im Sinne einer identitätsstiftenden und das Zusammenleben ermöglichenden Norm.

 

"Opfer" und vor allen "Jude" als moderne Schimpfwörter sind schon ganz schon grausam und welche "Überlegenheits"- oder "Leitkultur" dahinter steht, mag ich mir gar nicht vorstellen.

Zu meiner Schulzeit gab es durchaus noch Sinnsprüche, um sich Lerninhalte einzuprägen:

"Gar nicht wird gar nicht zusammengeschrieben".
"Wer nämlich schreibt mit h, ist dämlich ganz und gar".

 

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