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Friedrike, nimm dich in acht
Wir befinden uns auf einem Filmset, das gerammelt voll ist mit Weihnachtsdekoration. Ein Mann kommt auf den Regisseur zugestürmt, ein Filmskript in der einen Hand, die andere ballt er zur Faust. Dabei stürzt einiges an Tannenbäumen um.
“Sie sind gefeuert.”, schreit er ihn an.
Was war geschehen? Herr Augustus, so hieß der Produktionsleiter, hatte sich die Szenen, die sie die Tage davor gedreht hatte, angesehen, und war in Wut geraten. “Was haben sie gemacht. Ich hatte ihnen doch gesagt...”
“Das hast du nun davon Lukas”, sagt seine Produktionsassistentin zum Regisseur, die gleichzeitig seine Freundin ist, und außerdem, um Kosten zu sparen, auch noch eine Weihnachtselfe spielt.
“Ich konnte nicht anders handeln”, rechtfertigt sich der Regisseur. “Ich habe von einem Experiment gehört, bei dem zwanzig Studenten, die sich freiwillig dafür gemeldet hatten, einen Monat lang jeden Tag zwei Weihnachtsfilmen ausgesetzt wurden. Nach einer Weile entwickelten neunzehn davon schwere psychische Probleme und mussten eingewiesen werden. Ich habe gehört, dass nach einem halben Jahr fünf von ihnen noch immer auf der Geschlossenen sind.
Und stellen sie sich vor. Der eine, der keine Auffälligkeiten zeigte, ist ein gesuchter Serienkiller, dessen DNS schon bei achtundzwanzig Opfern nachgewiesen wurde. Er steigt zu Weihnachten in die Fenster der Häuser ein, und massakriert ganze Familien vom Großvater bis zur Katze. Er ist immer noch auf der Flucht.
Aber auch von den als geheilt Entlassenen hört man Beunruhigendes.
Einer der vierzehn hat sein Studium aufgegeben und sein Leben dem Zen-Buddhismus verschrieben. Er lebt jetzt in einem Tempel in Indien, wo er wegen seiner strikten Auslegung der Schriften, und der Härte gegen sich selbst von den andern Mönchen sehr geachtet wird. Er isst oft wochenlang nichts, sondern schiebt nur einen Kieselstein mit der Zunge von einem Mundwinkel in den anderen.
Die Strenge, die er gegen sich selbst richtet, fordert er auch von andern ein. Er steht in dem Ruf, Wunder zu bewirken. Die Kunde von ihm hat sich weitverbreitet, und von überall her kommen die Menschen, um sich Rat zu suchen und Heilung zu finden.
Einer hält sich jetzt selbst für den Heiland, und wandert, in einer sehr wortgetreuen Auslegung der Bergpredigt, barfuß, ohne Hemd durch die Lande. Nachdem er sein gesamtes Eigentum verschenkt hatte, versammelt er eine immer größer werdende Jüngerschaft um sich. Handwerker lassen den Bohrer fallen, um sich ihm anzuschließen, Verkäuferinnen stehen einfach von ihrem Stuhl an der Kasse auf, und folgen ihm. Liebesdienerinnen vertauschen Netzstrumpfhose und Ledermini mit einem handgewebtem Hippiekleid, und gehen hinter ihm her.
Ein anderer dagegen aus der Gruppe der angeblich Geheilten, ist selbst im Rotlichtviertel als Zuhälter unterwegs. Die Frauen, die für ihn laufen, nennen ihn den Professor, denn er ist studierter Altphilologe.”
Seine Freundin stellte sich auf die Zehenspitzen, denn er war ein großer Mann, und strich dem Regisseur das Lametta aus dem Bart.
“Ich wollte mich nicht mitschuldig machen. Mein Bruder und ein Onkel sind ebenfalls in der Psychiatrie”, sagt Lukas, der Regisseur, zu Herrn Augustus, der die Produktion leitete.
“Das erklärt manches”, dachte dieser. Aber auch er wurde etwas nachdenklich, und sagt: “Das mit der Kündigung überlege ich mir noch mal.” Und fügt versöhnlich hinzu: “Vielleicht kriegen wir den Film ja noch in den Independentkinos unter.”
Was war geschehen? Statt dem Geforderten, war eine Art Weihnachtspersiflage zustande gekommen.
“Es war doch geplant gewesen, dass man Schülern zusieht, die dabei sind, ein Weihnachtsstück einzustudieren, und dass dabei die Deutschlehrerin und der Mathelehrer und außerdem noch das hübscheste Mädchen der Schule und der Computernerd zusammenkommen”, sagt der Produktionsleiter, Herr Augustus, zu seinem Regisseur.
“Gehen wir der Reihe nach”, sagt er und blättert im Skript. “Die Szene, als alle um den Weihnachtsbaum herumstehen, und der Kinderchor Stille Nacht singt, haben sie als Orgie gedreht.
Ein oder zwei Sexszenen zwischen dem Freak und der Platinblonden hätte ich ja noch durchgehen lassen, aber das hier schlägt dem Fass den Boden aus.
Das ist ja ein Bacchanal, bei dem man nicht mehr weiß, welche Gliedmaßen zu wem gehören. Ich selbst sehe mir so was ja auch mal ganz gerne an, aber das kriegen wir nicht durch die Freiwillige Filmkontrolle durch. Wo haben sie eigentlich während der ganzen Zeit die Kinder gelassen? Die müssen das ja nun wirklich nicht mitkriegen, was sie da verzapft haben.”
“Die waren natürlich dabei”, erwidert Regisseur Lukas.
“Ich bin der Meinung, dass man mit Aufklärung nicht früh genug anfangen kann.” Als er bemerkte, wie Herr Augustus, der Produktionsleiter, blass wurde, und sich schon wegen Gefährdung Schutzbefohlener in Handschellen vor Gericht sah, lachte er, und fügte hinzu:
“Natürlich nicht ernst gemeint. Sie sind in dieser Zeit mit meiner Freundin auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs gewesen. So war es doch Mandy?” Sie nickt zustimmend.
Herr Augustus fährt fort: “Und was ist mit dem Obdachlosen, der vor einem Hut im Schnee sitzt, seinen Hund neben sich. Das Pärchen sollte an ihm vorbeigehen, und das Mädchen ihm ein Geldstück geben. Plötzlich dreht sie sich nochmal um, und leert ihr gesamtes Portemonnaie in seinen Hut aus. Der Mann sagt: “Danke Mädchen.” und streichelt ihr das Haar. Das ist die Stelle, wo dem Computernerd klar wird, dass sie doch nicht so eine oberflächliche Tussi ist, wie er immer gedacht hat, und er sich in sie verliebt.
Und was haben sie daraus gemacht? Bei ihnen wirft er dem Pärchen eine leere Schnapsflasche hinterher und ruft Obzönitäten.
Und dann die Werwolfgeschichte, die sie als Nebenhandlung eingebaut haben, auch wenn sie gar nicht im Roman steht? Ich rolle ihren Handlungsstrang mal kurz auseinander.
Drei Transvestiten, Barbara, Melanie und Carola, der eine davon der Bruder des Deutschlehrers oder war er Mathelehrer, der sich mit ihm unter dem Weihnachtsbaum in einer Berghütte versöhnen möchte, was der letzte Wunsch ihres alten Vaters war, fahren mit dem Auto in den verschneiten Pyrenäen umher.
Der Sprit geht ihnen aus, und sie stöckeln in ihrem glitzernden Ornat von dannen, auf der Suche nach einer Tanke.
An ihnen zieht eine Prozession vorbei, die von einem schönen jungen Mädchen, dem die langen, schwarzen Locken bis zur Hüfte wallen, angeführt wird. Sie läuft barfuß in Sandalen durch den Schnee, trägt, trotz der Kälte, nur ein weißes, einem Nachthemd ähnlichem Gewand und hat ihre langen Haare mit einem Spitzenschleier bedeckt. In dem Blick ihrer schönen brauen Augen, denen sie den dreien zuwirft, liegt Würde, Einsamkeit und Traurigkeit.
Da kommt ihnen ein Mann entgegen, der einen langen Kapuzenmantel trägt, und unhöflich ihre Fragen nach dem Weg einfach ignoriert.
Sie erblicken ein altes Kastell, und wollen anklopfen, um nach dem Weg zu fragen.
“Sollten wir das nicht lieber sein lassen?”, fragt Barbara die anderen. “Das hier erinnert mich irgendwie an Blending Castle aus “Der unheimliche Pfeiffer” von Edgar Wallace.”
“Ach was, du siehst nur die falschen Filme”, erwidern die anderen, und sollen Recht behalten. Ein freundlicher junger Mann öffnet. “Felice Navidad. Bienvenido. Yo soy Jesus”.
Carola, deren Vater aus Lateinamerika stammt, sieht die verblüfften Blicke der anderen. “Jesus ist hier ein sehr gebräuchlicher Vorname.” Sie übersetzt: “Die Familie lädt uns zum Weihnachtsessen ein”. Langsam spüren sie, dass sie hungrig sind. Als sie Platz nehmen, packt der Hausherr, jedem eine große Portion Paella con carne de conejo auf den Teller.
Mit am Tisch sitzen seine vier Schwestern, die alle auf den Namen Maria hören und sein Bruder Angel. Eine der Frauen reicht eine Platte mit Muslos de pollo con habas y champioñes rum. Nehmt euch auch von den Condornices con uvas, die habe ich selbst gemacht.
Ihre Schwester will auch nicht zurückstehen. “Von mir sind die Albondigas con guisantes.” Nachdem sie auch noch von dem Cordero asado con ajo y romero probiert haben, sind unser drei Divas pudelsatt. “Aber unsere berühmten Albaricoques al horno con miel haben noch Platz?, sagt Jesus, ihr Gastgeber. Er, dem man die nur mühsam verhehlte Enttäuschung ansieht, als sie von seinen Salchichas merguez con lentejas nur noch winzige Häppchen essen, sie sind einfach schon zu satt, lässt endlich die Schüsseln abräumen.
Ihr Deutschen kennt wohl nichts anderes als Kartoffelsuppe, sagt er mit brüskierter Stimme.
Zum Abschluss des Weihnachtsmahls sitzen alle da, trinken Café con leche und knabbern dazu Galletas de almendras. “Packe unseren Gästen noch ein paar Dátiles rellenos de melindres ein”, bedeutet der Gastgeber Jesus derjenigen der Marias, die den Beinamen Consuelo, was die Tröstende heißt, trägt.
Melanie deutet auf einen verblichenen Wandfries, der sich an der Wand des Kastells befindet. “Der eine darauf kommt mir bekannt vor.” Es ist ein spitzbärtiger Mann mit einer Halskrause. Jesus erwidert ihr: “Das ist Don Gonzalo Ruiz de Toledo, genannt der Gottlosentöter, der Erbauer und erste Besitzer dieses Kastells. Man sagt ihm, der 1327 starb, nach, das er jedes Jahrhundert einmal aufersteht. Nun wird auch Carola aufmerksam. “Ist das nicht der Mann mit der Kapuze, den wir nach dem Weg fragen wollten, und der uns keine Antwort gegeben hat. Wisst ihr noch, wie er nach Moder gerochen hat?” Auch Barbara kann sich noch gut in den Mann mit dem hageren, asketischen Gesicht erinnern, und auch an seinen strengen Geruch.
“Wer war das?,”fragt Carola ihre Gastgeber, und erzählt von der Prozession und dem schönen jungen Mädchen, das an ihnen vorbeigelaufen ist. “Bei uns wird Jesus in Gestalt einer Frau verehrt”, antwortet eine der vier Marias. Einer aus unserem Dorf, ein Professor der Geschichte, hat bei der Bergung der Qumranrollen mitgewirkt. Unter den Fragmenten einer Rolle, die er eigenhändig am Toten Meer, wo die Sekte der Essener lebte, ausgebudelt hat, will er ein fünftes Evangelium entdeckt haben, in dem mitgeteilt wird, dass Jesus eine Frau war. Ich glaube da aber nicht dran. Wenn ihr mich fragt, ich halte ihn für einen Spinner.”
“Das hätte ich Onkel Paul in Altenessen ja gar nicht zugetraut, dass er heimlich Papyrusrollen im Garten vergräbt”, scherzt Barbara.
“Was ist mit ihm?”, fragt Melanie, beißt genüsslich in ein saftiges Stück Conejo rein, und zeigt auf einen merkwürdigen Mann unbestimmbares Alters mit einem schwarzem Oberlippenbärtchen. Vor ihm, auf dem Teller, liegen nur ein Kanten Graubrot und ein paar Möhren. “Er isst kein Kaninchen, da er Vegetarier ist und trinkt auch keinen Alkohol.” antwortet ihr spanischer Gastgeber. “An wen bloß erinnert er mich?”, fragt sich Melanie.
Eine andere der vier Marias, Maria Pilar, was die Fromme heißt, wie Carola übersetzt, erzählt: “Wir wissen gar nicht, wer er ist. Wir haben ihn schon von unsrem Großvater mit übernommen, dem er zugelaufen ist. Unser Großvater war ein Heiliger, der jeden bei sich aufnahm.
Der Mann ist Deutscher. Auf alle Fragen antwortet er nur mit: “Ab fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschossen.” Mehr ist aus ihm nicht rauszukriegen. Er wohnt in der Gruft unter unserem Haus. Er ist den Leuten unheimlich. Jetzt traut sich keiner mehr, bei uns einzusteigen, wenn wir nicht da sind.”
Unsere drei Freundinnen sehen sich bedeutsam an. Alle haben denselben Gedanken. Als sie wieder vor der Tür stehen, und der Spanier ihnen den Weg zur Tankstelle gewiesen hat, und es sich nicht nehmen lässt, ihnen nach dem Abschiedsgruß: “Hasta la vista” noch ein paar Mantecados y Polvorones El Santo mitzugeben, und sie sich Sorgen machen, ob sie ihn nicht verletzt haben, weil sie seine Pimientos del piquillo rellenos de ensalada de cangrejo nicht mehr essen konnten, platzt es aus Carola raus: “Er ist wieder da.”
Melanie darauf: “Sagt mal, seid ihr sicher, dass die Russen damals an der Neuen Reichskanzlei in der Wilhelmstraße wirklich die richtigen Gebeine ausgegraben haben? Man munkelt ja so einiges.”
Barbara erwidert: “Macht euch keine Sorgen. Ich habe sogar erst vor kurzem gehört, dass man nach neuesten wissenschaftlichen Methoden daraus Erbsubstanz extrahiert haben soll, die mit der seiner Angehörigen übereinstimmt.”
“Dann bin ich ja beruhigt”, meint Carola, aber völlig sind ihre Zweifel immer noch nicht ausgeräumt, und sie setzen ihren Weg fort.
“Wohin sind wir hier geraten? Wiedergänger von “Ihm”, weibliche Messiasse, ein fünftes Evangelium. Seid ihr euch sicher, dass auf dem Ortsschild nicht Golgatha stand?”, fragt Carola die anderen.
Aber ihnen sollten noch weitere Abenteuer bevorstehen.
Hier unterbricht Lukas, der Regisseur, die Ausführungen von Herrn Augustus, seinem Produktionsleiter. “Sie müssen mir aber zugute halten, dass ich meine ursprüngliche Idee verworfen habe, nach der in dem unterirdischen Gang unter dem Kastell unsere drei Freundinnen, das schöne Mädchen, das die Prozession angeführt hat, und den weiblichen Jesus darstellt, der Mann mit dem Schnauzbart, und Don Gonzalo aufeinandertreffen, wobei die letzteren beiden sich gegen die anderen verbünden. Gerettet werden sie in letzter Minute von den vier Marias und Jesus, ich meine natürlich nicht den aus der Bibel, sondern den, dem das Schloss gehört.”
Herr Augustus schnauzt ihn an: “Aber gerade das hätte uns doch die Zuschauer gebracht. So einen genialen Einfall schmeißen sie in die Tonne. Sex und Crime zieht immer. Ich könnte mir die Haare raufen, wenn ich daran denke. Was sollte übrigens dieser spanische Hidalgo, mir ist der Name entfallen, war es nicht Don Carlos oder so ähnlich, den sie einfach erfunden haben. Lukas erwidert darauf: “Der sollte für General Franco stehen.
Hier hat er bei Herrn Augustus eine Grenze überschritten. Der tobt: “Politik in Weihnachtsfilmen. So weit kommt es noch. Sie bringen mich an den Bettelstab. Nächstes Weihnachten sitze ich vor einem Hut und warte auf Spenden.” Ich hätte gewarnt sein müssen, als mir zugetragen wurde, dass sie an der “Konrad Wolf” in Babelsberg in der AstA gesessen haben sollen. Aber schon etwas ruhiger: “Lassen sie uns jetzt weiter der Filmhandlung folgen.
Ein merkwürdiges Heulen erklingt. Alle Dorfbewohner, die sie danach fragen, sehen bleich und in sich gekehrt aus, und statt einer Antwort kommt nur: “Hobre Lobo.”
Die drei, von denen nur Carola spanisch spricht, die durch ihren südamerikanischen Vater auch eine dunklere Hauffarbe hat, finden endlich die Tankstelle. Der Mann dort redet mit besorgtem Gesicht auf sie ein.
“Was wollte er?”, fragen die anderen Carola.
“Hütet euch vor dem Werwolf. In Nächten wie dieser geht er immer um, hat der Tankwart gesagt.”
Sie machen sich auf den Rückweg zum Auto. Vor einer einsamen Hütte bricht Melanie plötzlich der Absatz im Schnee ab, und sie klopfen an die Tür. In diesem Haus lebt ein Eremit zusammen mit seinem Esel und einer Kuh, der mit der Welt über eins ist, und der von den Dorfbewohnern verdächtigt wird, ein Werwolf zu sein.
Die alte Tür öffnet sich knarrend vor ihnen, und ein bitterböse Stimme fragt sie von innen in lupenreinem Deutsch mit Thüringer Einschlag: “Was wollen sie von mir?”
Es passiert, was sich jeder ausmalen kann. Sie werfen die drei lustigen Mädels, von denen nur noch ein lila Pumps im Schnee bleibt, einfach den Hobre Lobos zum Fraß vor. Das wird uns die quere Community, unter der viele Fans von Weihnachtsromanzen sind, die uns unseren Lebensunterhalt sichern, schwer ankreiden.
Und außerdem hat mir die Geschichte viel zu wenig Biss.
Friedrike von Schnack, die Verfasserin vieler Romanvorlagen für Weihnachtsfilme, wird ja in manchen Kreisen regelrecht als Schwulenikone verehrt.”
“Marlene Dietrich kann ich mir ja noch vorstellen, aber Friedrike?”, antwortet ihm Lukas, der Regisseur.
Darauf Herr Augustus, sein Produktionsleiter.“Täuschen sie sich nicht in der Schnacken. Das war früher ein ganz schön scharfes Gerät. Mir sind da Sachen zu Ohren gekommen. Früher, wenn wir Vertragsabschlüsse gefeiert haben, hat sie mich öfter unter den Tisch getrunken.”
Darauf Regisseur Lukas: “Mir hat man auch schon davon erzählt, dass besonders ihr “Heiße Frostnächte” sehr auf eigenem Erleben beruhen soll.”
Herr Augustus fragt ihn:
“Hätten es nicht wenigstens so drehen können, dass die drei mit ihren spitzen Absätzen den Werwolf gegen seine Nase treten, was ja bekanntlich der empfindlichste Teil des Hundes ist, einem Nachfahren des Wolfes
- ich erinnere mich noch gut daran, wie unserem armen Hund mal eine Katze ihre Krallen in die Nüstern geschlagen hat -
und das Untier in die Flucht jagen, worauf sie, zugegebenermaßen etwas derangiert, zu Fuß die verschneite Serpentinenstraße zur Bergbaude des Mathelehrers hochlaufen?
Nach dem Originalskript sollten sie eigentlich zusammen mit dem Einsiedler, der sich Männern gegenüber als nicht abgeneigt entpuppt, im Gegenteil, sein trauriger Blick hellt sich erheblich auf, als er sieht, wer vor ihm steht, nach Sirtakiklängen im Schnee tanzen, wobei sie ihre Beine so hochwerfen, dass man sogar ihre Strapse sieht. Anthony Quinn und Alan Bates würden vor Neid erblassen.
Auf die Idee des Drehbuchautors, eine Regenbogenfahne im Schnee einzupflanzen, habe ich dann doch verzichtet. Das sah dann nun doch zu sehr nach Einkratzen aus.”
Regisseur Lukas wunderte sich. Er hätte Produktionsleiter Augustus gar nicht zugetraut, dass er den alten Schwarzweißfilmklassiker “Zorbas the Greek” kannte. “So kann man sich in einem Menschen täuschen.” denkt er. “Mit solchen Filmen kann man unsterblich werden.” geht ihm durch den Kopf. Zum Produktionsleiter gewandt sagt er:
“Apropos Beinehochwerfen. Verwechseln sie da nicht etwas mit John Houstons Meisterwerk*, das er in den Fünfzigern gedreht hat, wo ein Tanz drin vorkam, den man Can-Can nennt?”
Aber dieses Mal hatte er seinen Chef, Herrn Augustus, bei einer cineastischen Bildungslücke ertappt, denn unwirsch, weil er schon wieder unterbrochen wurde, erwiderte der: “Was ist das? Tanzen den nicht die Massai, wenn sie die bösen Geister austreiben wollen? Und wer ist eigentlich John Houston?”, und fährt weiter damit fort, ihm seine Wünsche, was die Handlung des Films betrifft, auseinanderzusetzen.
“Wo bin ich hier gelandet?, denkt Regisseur Lukas frustriert. “Ja, Tarantino müsste man heißen, dann könnte einem keiner vorschreiben, wie man einen Film zu drehen hat”, und hört zähneknirschend weiter den Ausführungen seines Bosses zu.
“Carola und Barbara halten den Einsiedler fest und kitzeln ihn ab. Melanie stopft ihm Schneebälle unters Hemd und in die Hose, worüber er sich vor Lachen kringeln will. Aber mehr passiert eigentlich nicht, denn just als es in der Hütte gemütlich wird, die drei Grazien den Einsiedler erfolgreich davon abbringen konnten, sein berühmtes Atún asada con naranja y anchoas für sie zuzubereiten, und alle vor einem Grog sitzen, pocht es an die Tür. “Das geht ja heute zu hier wie auf dem Bahnhof.”, murmelt der Einsiedler.
Ein Pärchen klopft an die Tür der Hütte an, das sich auf einer Gebirgswanderung verlaufen hatte.
Natürlich versteht es sich von selbst, dass die Frau hochschwanger ist. In diesem Zustand bieten sich Gebirgswanderungen im Schnee ja geradezu an. Der Eremit, der schon jahrelang oder noch nie eine Frau ohne Kleidung zu Gesicht bekommen hat, entpuppt sich als fähiger Geburtshelfer. Man sieht zum Schluss, das Baby in der Krippe liegen.
Carola will sich nicht lumpen lassen, und angelt aus ihrer Tasche ein Fläschchen Chanel No. 5. Melanie legt großzügig einen Geldschein daneben. Und Barbara nimmt aus einer Pappschachtel mir der Aufschrift Weihrauch eine Kerze, und zündet sie an, worauf stinkender Qualm durch die Hütte zieht.” beendet Herr Augustus, der Produktionsleiter, seine Ausführungen.
Aber dann bricht es noch zornig aus ihm: “Was mache ich jetzt eigentlich mit dem Sirtaki? Wenn sie wüssten, was es mich gekostet hat, die Rechte dafür zu besorgen. Eigentlich hat es nur deshalb geklappt, weil Fräulein von Schnack, unsere Autorin, früher, als sie noch jung und schön war, ein Verhältnis mit dem Komponisten hatte.”
Regisseur Lukas erwidert schüchtern: “Sollte es nicht eigentlich ein Flamenco sein? Wir befinden uns doch in Spanien und nicht in Griechenland.”
“Papperlapapp”, sagt darauf sein Produzent, Herr Augustus. “Denken sie denn, die, die unsere Filme sehen, können Flamencomusik von Rembetika unterscheiden?”
Regisseur Lukas schüttelt zweifelnd das Haupt, und ist erstaunt, ob seiner niedrigen Meinung über ihre Zuschauer.
Sein Chef fährt fort mit seinen Vorwürfen: “Und dann die Schlussszene, die sie auch verhunzt haben. Die beiden Paare, bestehend aus Mathelehrerin und Deutschlehrer auf der einen Seite und Klassenschönste und Computergenie auf der anderen, stehen vor einer Bergbaude im Schnee und beobachten, wie am Himmel der Stern von Bethlehem aufleuchtet.
Und was ist bei ihnen daraus geworden? Der Mathelehrer und der Bill Gates in spe stehen zitternd im Schnee, und in der Bergbaude treiben es die Deutschlehrerin und die blonde Schönheit mit zwei gutaussehenden muskulösen Skifahrern.”
Lukas darauf: “Ich musste das tun, denn genau bei dieser Stelle, wo der Stern von Bethlehem vor den Liebenden aufleuchtet, sollen bei dem einen Studenten aus der Testgruppe der Studie zum ersten Mal Symptome aufgetreten sein, die der paranoiden Schizophrenie ähneln.
Vor den Probanden lief die fünfte Neuverfilmung von “Liebe und Leidenschaft im Schnee” nach dem Buch der Autorin Friedrike von Schnack, dasselbe, das auch die Vorlage für unseren Film ist. Sie soll übrigens auch auf der Mordliste des Psychokillers stehen, und hält sich deshalb versteckt. Nur wenige Leute wissen, dass sie jetzt Goethestraße 8 wohnt. Das Weihnachtsromanschreiben soll ihr inzwischen vergangen sein.”
Sein Produktionsleiter, Herr Augustus, erwidert: “Aber wir haben uns doch schon die Filmrechte an ihrem neuesten Buch, “Kalter Schnee und heiße Küsse”, gesichert, in dem es darum geht, dass in das Nachbarhaus vom kleinen Petja und seiner alleinerziehenden Mutter ein gutaussehender junger Mann zieht. Den Rest kann man sich denken. “
“Ich habe gehört, Frau von Schnack soll den Plot von dem Roman jetzt dahingehend geändert haben, dass den jungen Mann ein dunkles Geheimnis umwabert”, sagte Regisseur Lukas.
“Langsam wird die alte Dame wunderlich. Sie müsste doch schon neunzig sein.”
“Das könnte hinkommen.” meinte sein Chef, Herr Augustus.
“Ihr Erstling “Winterglück und Schneeballschlacht” ist wohl noch von der Ufa verfilmt worden und die große Elisabeth Flickenschildt spielte darin die wahnsinnig gewordene Frau des Stollenbäckers, die sich zum Schluss wieder einklinkt, als sie ihr Enkelkind im Arm hält.”
Lukas, der Regisseur, wusste gar nicht, dass er durch sein Querulantentum gerade dem ganzen Team das Leben gerettet hatte. Die ganze Zeit über hatte dem Gespräch unbemerkt ein junger Mann zugehört, ein Komparse, der als Obdachloser verkleidet, derjenige war, der die Flasche geworfen hatte. Jeder, der schon mal den einen oder anderen Thriller gelesen hat, kann sich denken, um wen es sich handelt.
Als er gehört hatte, dass hier “Liebe und Leidenschaft im Schnee” zum siebten Mal wiederverfilmt wurde, hatte er sich um einen Job als Kleindarsteller beworben und wurde auch genommen, weil er keine finanziellen Ansprüche stellte.
Eigentlich hatte er vor, am Ende des Drehs das ganze Filmset auszulöschen, überlegte es sich jetzt aber anders, nachdem er das Gespräch mit angehört hatte. Irgendwie war seine Wut verraucht.
“Euer Glück, dass ihr euch das Krippenspiel verkniffen habt, sonst hätte ich rot gesehen, und mich nicht mehr zurückhalten können. Niemand wäre entkommen”, dachte er bei sich. Wenigstens wusste er nun die Adresse von Friedrike von Schnack. “Noch einen Weihnachtsroman lässt du nicht auf die Menschheit los.”dachte er.
*Ich meine “Moulin Rouge” aus dem Jahre 1952 / Regie John Houston.