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Fuchs, du hast die Gans gestohlen
Der große Saal der Dorfkneipe war bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf der kleinen Bühne stand ein Rednerpult mit Mikrofon. Die Stimmung war ausgelassen, man schwätzte, prostete sich zu und trank. Inmitten des Saals saßen Franz Meyer, Willibald Berberich und Alfred Streun.
Nach geraumer Zeit trat ein in Tracht gekleideter Mann, der Bürgermeister des 500-Seelen-Dorfes, ans Mikrofon.
„Sehr geehrter Herr Thanscheidt, sehr geehrter Herr Jagdvorsteher Huber, werte Bürgerinnen und Bürger, ich begrüße Sie alle zur außerordentlichen Bürgerversammlung. Wir haben uns heute hier versammelt ...
„Des is doch kei Hochzeit net“, murmelte Franz zu Willibald.
„Ne, des is wirklich ka Hochzeit net. Der sollt’ sich scho anerscht ausdrücke. So geht des ja net.“
„... um über ein schwerwiegendes und ernstes Thema zu sprechen ...“
„Jawoll“, brüllte Alfred, der schon einen kleinen Bierrausch hatte.
„In letzter Zeit wurden rund ums Gemeindegebiet mehrfach Füchse gesehen. Die Anzahl bestätigter Sichtungen beläuft sich derzeit auf vier. Genaueres wird Ihnen Jagdvorsteher Huber berichten. Herr Huber, bitte.“
Huber trank noch schnell einen kräftigen Schluck von seinem Bier, stand auf und ging selbstbewusst zum Rednerpult. In der Zwischenzeit wurde über des Bürgermeisters uneheliche Tochter getuschelt. Huber räusperte sich und begann seine Rede:
„Wie der Herr Bürgermeister schon sagte, kam es in letzter Zeit immer häufiger zu Fuchssichtungen rund ums Gemeindegebiet ...“
„Des wisse ma doch scho“, sagte Alfred.
„Ja, jetzt wart halt e mol ab. Der werd schon no mehr saache“, erwiderte Franz.
„... Bisweilen konnte noch nicht endgültig geklärt werden, ob die Füchse tollwütig sind oder nicht.“
„A no Tollwut! Abgschosse ghörn sie! Nix anneres“, schrie Alfred und erntete dafür schallenden Beifall.
„Na, na, na. Net so schnell, Alfred. Prinzipell gebe ich dir da schon Recht, aber Herr Thanscheidt von der unterfränkischen Umweltschutzgruppe möchte auch noch was zu diesem Thema sagen. Diese Chance sollten wir ihm geben. Doch zuerst möchte ich meinen Bericht beenden. Die Füchse weisen derzeit keine Anzeichen von Tollwut auf, dennoch haben sie sich bis an die Stallungen und das Wohnhaus von Bauer Wahle herangewagt. Es ist untypisch, dass sie sich in der Nähe von Menschen niederlassen ...“
„Na, ja, ob der Wahle’s Thorsten werklich en Mensch is“, lachte Franz
„Ja, do hascht Recht“, sagte Willibald und beide tranken.
„... Obwohl sie fast bei Wahles auf dem Hof wohnen, haben sie bisher noch keine aggressiven Verhaltensweisen gezeigt, geschweige denn, sich in die Nähe von Vieh gewagt ...“
„Abgschossen ghörn sie“, schrie Alfred erneut.
„... Aber, wie Sie alle wissen, ist der Fuchs ein Raubtier, ein hinterlistiges noch dazu, deswegen muss mit solchen Übergriffen jederzeit gerechnet werden. Das Vieh, nicht nur das von Bauer Wahle, ist bedroht. Gerade im Sommer, wenn die jungen Kälber weiden ...“
„Der Wahle’s Thorsten is doch en Schweinebauer“, raunte Franz
„Freilich, aber es geht ja net nur um den!“, antwortete Willibald.
„Ah so.“
„... Daher plädiere ich dafür, die Bauten auszuräuchern und die Füchse zu erschießen.“
„Bravo, schießt se ab“, schrie Alfred.
Jagdvorsteher Huber verließ daraufhin unter tosendem Beifall die Bühne. Die Mordlust stand den meisten Anwesenden ins Gesicht geschrieben und man schmiedete schon erste Pläne, wie man die Ausräucherung am besten anstelle.
Der Bürgermeister trat wieder auf die Bühne und rief Herrn Thanscheidt ans Mikrofon. Man kann nicht behaupten, dass diesem eine Welle von Sympathie entgegen schwappte, aber zumindest flogen keine Gläser oder verdorbene Früchte. Das war das Maximale, was er erwarten konnte. Herr Thanscheidt begann seine Rede, nachdem er das Publikum zig Mal zur Ruhe aufgerufen hatte.
„Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, ich darf mich kurz vorstellen. Mein Name ist Michael Thanscheidt, ich bin Bezirksvorsitzender der Grünen und engagiert bei der Umweltschutzgruppe 'Green Planet' ..."
„Was fürn Ding?“, fragte Franz.
„Des is en Grüne“, antwortete Willibald und Franz schüttelte nur verächtlich den Kopf.
„... Wir setzen uns für den Artenschutz ein, sind gegen die Massenaufzucht von Legehennen, gegen die Abholzung des Regenwaldes, wir versuchen dem Klimawandel entgegenzuwirken, indem wir gegen Firmen mit hohem CO2-Ausstoß demonstrieren. Des Weiteren sind wir ...“
„Bla blablab bla“, schrie Alfred. „Komm zur Sache, du Öko.“
„Entschuldigen Sie, aber ich wollte Ihnen lediglich einen kurzen Überblick über unser breites Tätigkeitsfeld geben.“
„Ja, des ham Sie ja jetzt gmacht. Werd’s jetzt bald.“
„Wie Sie sich sicherlich denken können, möchte ich Sie dahin gehend animieren, nicht für die Fuchsjagd zu stimmen. Bedenken Sie, die Füchse sind keine reale Bedrohung für die Viehzucht, geschweige denn für Sie. Gerade in den letzten Jahrzehnten ist der Bestand an Füchsen sehr stark zurückgegangen. Jetzt, da sich dieser gerade erholt, sollten wir nicht dieselben Fehler wie damals machen und die Füchse schießen. Füchse sind auch Lebewesen ...“
„Des wär ja no schönner!“, schrie Alfred und der Saal klatschte abermals.
Doch Thanscheidt ließt sich davon nicht beirren und fuhr mit seiner flammenden Rede fort.
„Lebewesen, wie wir, wie Sie und ich! Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie gegen die Jagd! Setzten Sie ein Zeichen für mehr Menschlichkeit und Umweltschutz!“
Nach seinen Worten verließ Herr Thanscheidt sichtlich erregt und unter zahlreichen Pfui-Rufen die Bühne. Ein paar Hartgesottene skandierten „Scheiß Grüne“, „Es lebe die CSU“ oder „Edmund, Edmund“.
Jedem unabhängigen Beobachter wäre danach schon der Ausgang der Wahl klar gewesen, dennoch ließ der Bürgermeister abstimmen. Das Ergebnis war selbst für bayerische Verhältnis überdeutlich. Der ganze Saal, ausgenommen Herr Thanscheidt, war für die Jagd.
Am kommenden Samstag sollte die Treibjagd stattfinden, jeder der ein Gewehr hatte, oder zumindest irgendetwas, mit dem man schießen konnte, durfte teilnehmen. Eine Debatte entbrannte, ob „jeder“ auch Kinder und Jugendliche, oder gar Frauen einschloss. Es musste erneut abgestimmt werden. Frauen wurden zugelassen. Bei Kindern wurden Einschränkungen getroffen. So mussten diese mindestens zehn Jahre alt sein.
Alfred erklärte sich bereit, da er ohnehin noch seine Gasmaske aus dem Zweiten Weltkrieg habe, den Fuchsbau auszuräuchern. Dafür erntete er anerkennendes Schulterklopfen.
Am Tag der Treibjagd war der gesamte Kirchenplatz voll mit Menschen. Sogar von außerhalb waren passionierte Hobbyjäger angereist. Auf der Straße, die zur Kirche hin abfiel, hatten sich fünf Gegendemonstranten versammelt. Unter ihnen selbstverständlich Herr Thanscheidt.
Die Jagd begann. Nach ein paar Stunden endete sie auch wieder, ohne dass jemand einen Schuss abgegeben hatte. Von dem einen, den Alfred beim Gewehrladen aus Versehen gelöst hatte, abgesehen.
Dasselbe Schauspiel wiederholte sich an den nächsten zwei Samstagen, bis der Bürgermeister zufällig das Gespräch zweier Buben mitbekam.
„Du, was mache mir denn jetzt? Du hast gmeint der Trubel würd sich schnell wieder lege, aber die wolle gar net mehr mit der Jagerei aufhörn.“
„Ja, un alles nur, weil ich em Baba gsagt hab, das die Gans, die de Hund totgebisse hat, von nem Fuchs umgebracht worn is. Ma muss werklich überlege, was ma saacht.“