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Göttliche (Aus)Lese
„Es ist vollbracht!“ Mit diesen Worten präsentierte Doktor Preußenstein sein Werk der Öffentlichkeit, vertreten durch eine schlagzeilengeile Pressemeute. Blitzlichtgewitter ließ die Konturen des Forscherteams in grellem Weiß verschwinden, als Epem mit selbstbewussten Schritten den Saal betrat, durchquerte und sich neben dem Rednerpult seines Schöpfers aufbaute. Ein gemeinsames, verliebtes Seufzen aller anwesendenden Reporterinnen und einiger ihrer männlichen Kollegen und das anerkennende Nicken der restlichen löste kurz das Gemurmel ab, nur um es Sekunden später umso heftiger anschwellen zu lassen. Alle waren sich einig: Epem war der erste perfekte Mensch.
Sofort wurde der Doktor mit Hunderten von Fragen bestürmt, aber die zur Mäßigung mahnende Hand des Gelehrten brachte schließlich etwas Ruhe in den Saal.
„Meine Damen und Herren. Ich verstehe ihre Neugier. Aber bitte jeder einzeln. Ich bin leider nicht so perfekt wie unser Epem hier. Hähä.“
Ein Hüsteln strich durch die hinteren Reihen. Irgendwo knarrte ein Stuhl.
„Äh, ja... nun...“
„Was kann er denn?“, wollte der erste vom Doktor wissen.
„Alles.“
„Und welche Schwächen hat er?“
„Keine.“
„Aber warum sagt er dann die ganze Zeit nichts und steht nur dumm herum?“
„Weil er bescheiden ist und nicht gern über sich und seine Fähigkeiten plaudert. Ganz einfach.“
Ein in diesen Reihen seltenes Ooh!en der Bewunderung wurde laut. Die Reporter waren hin und weg und Doktor Preußenstein mit Sicherheit bald Wissenschaftler des Jahres.
„Die Antworten auf die meisten Ihrer Fragen finden Sie in den Infobroschüren über unser Projekt, die ich vorhin habe austeilen lassen.“
Einige Reporter blätterten interessiert in den schweren Folianten, der Rest jedoch hing wie gebannt mit den Augen an Epem und den Ohren an den Lippen des Doktors.
„Ich kann Ihnen versichern, das dieser Mann hier der perfekte Mensch ist. So stark, gut und rein, dass nicht einmal Gott persönlich...« Erlegte eine kleine Pause ein und nahm ein Schlug Cola. »... einen besseren schaffen könnte!“
„Mein Stichwort!“, dröhnte es plötzlich von allen Seiten des Raumes.
Die Menschen sahen sich verwundert um und fragten sich, woher diese Stimme gekommen war. Und wem sie wohl gehörte ?
„Na, mir natürlich!“, antwortete ein winziger Mund.
Ihm gehörte zusätzlich auch noch ein Köpflein und der etwas größerer Körper eines ansonsten nach menschlichen Maßstäben eher lütten Männchens. Es stand mit einem Mal auf dem Rednerpult des Doktors und grinste freundlich in die Menschenmenge. Neben seiner allerliebst anzuschauenden Winzigkeit zeichnete das Männlein vor allen Dingen ein rosa Kaftan aus, der perfekt mit dem pinken Teint seiner Haut harmonierte. Nur die afrikanischen Elefantenohren passten irgendwie nicht so recht ins Bild.
„Und wer sind Sie?“, fragte ein ganz Mutiger.
„Gott. Wer denn sonst?“
„Sie können unmöglich Gott sein!“ Ein Fingerzeig Gottes und ein kurzer aber kräftiger Regenschauer genau über dem Stuhl des Reporters wuschen dessen Zweifel davon.
„Ich glaub’s trotzdem nicht!“, rief ein anderer, weiterhin eisern überzeugter Atheist. „Gott hat nie existier-“
Ein leises „Fupp!“ – das von der reporterauflösenden Art – beendete den Satz für ihn.
„Noch jemand etwas Religionsunterricht nötig?“, fragte Gott gelassen.
Ängstliches aber enthusiastisches Kopfschütteln allerseits war die Antwort.
„Ja, ich bin der Gott eurer Väter, Vorväter, Vorvorväter und so weiter. Ich war schon Gott, als es noch überhaupt keine Väter gab, egal welcher Art. Bevor ich hier eintraf, war dieser Planet nur eine verdammte Dreckskugel ohne einen Funken Leben – aber mit einigen sehr beeindruckenden Vulkanen.
Und dann pflanzte ich den ersten Samen in seinen Schoß und siehe da: plötzlich war überall Urschleim - das Leben breitete sich wie eine Seuche auf diesem nackten Felsen aus. Ich hatte die Saat gebracht, das Feld bestellt und konnte jetzt erstmal gemütlich eine rauchen gehen. Von nun an musste ich nichts weiter machen, als von Zeit zu Zeit vorbeizuschauen, um zu gucken, wie sich alles entwickelt, und um hier oder dort kleinen Blitz zu schleudern oder einen Apfel fallen zu lassen, damit die ganze Chose auch vorankam.“
„Und was soll das jetzt alles?“, fragte ein besonders Vorlauter aus den hinteren Reihen.
„Die Zeit ist reif. Ihr habt euch bis auf ein paar Kleinigkeiten super entwickelt.“
„Ich meinte damit Ihren Aufzug: die großen Ohren, das viele Pink und den ganzen Rest. Wir hatten Sie uns... naja... anders vorgestellt.“
Gott schwenkte bedrohlich seinen Finger.
„Äh Gott, Sir!... wenn Sie mir die Frage gestatten, Sir“, setzte der Reporter schuldbewusst hinterher.
„Wie soll ich denn aussehen eurer Meinung nach? Ich bin Gott und kann mich manifestieren, wie ich will! Außerdem find ich’s so viel witziger, ihr nicht?“
Umfassende Stille trommelte lautstark in den Ohren und überdeckte fast das metaphorische Grillenzirpen der Angst.
„IHR NICHT?“
Gequältes Lachen ließ den Saal erbeben.
„WER LACHT HIER ÜBER MICH?“
Totenstille.
„War nur ein Scherz. Hähä.“
Entspannte Totenstille.
„Jetzt seit doch mal etwas lockerer. Bin schließlich nicht alle Tage auf der Erde. Da kann ich mir doch mal anlässlich dieses bedeutenden Ereignisses den ein oder anderen Witz erlauben.“
Durch vorsichtiges Nicken stimmten die Anwesenden ihrem Gott zu.
„Seht ihr, es geht doch.“ Er lächelte auf eine sehr gewinnende Art, sprach dann aber gleich wieder mit geschäftlichem Tonfall: „Und jetzt wollen wir uns mal diesen angeblich perfekten Menschen etwas genauer anschauen. Immerhin habe ich nur seinetwegen den weiten Weg aus meiner Sphäre hierher auf mich genommen. Mal sehen, ob er wirklich so toll ist, wie ihr behauptet.“
Die Menschen hielten den Atem an. Gott beugte sich zu Epem hinüber und roch ausgiebig an seinem Haar, dann an seiner Stirn und den Ohren, knuffte mal hier hin und mal da hin, bis schließlich ein breites Lächeln sein Wohlgefallen preisgab.
„Ja, ich sehe, ihr habt euch gut entwickelt. Gefällt mir.“
Ein befreiendes Stöhnen ging durch den Saal.
„Und dieser hier hat den schlauesten und reifsten Kopf unter euch allen.“
Die Menschen johlten und klatschten begeistert Applaus, während Gott mit seinen kleinen Händen auf der dauergewellten Lockenpracht Epems herumtätschelte.
„Schnuppert echt toll.“ Ein letztes Mal zog Gott genießerisch den Duft durch seine Nase ein, kramte dann aus einer Tasche einen kleinen Strohhalm hervor und stach ihn in Epems Ohr.
Erneut wurde der Saal von absoluter Stille verschluckt – fast zumindest.
Einige überlaute Sauggeräusche und der mehr als abstrakte, schon beinah picassotisch wirkende Gesichtsausdruck Epems ließen selbst den fantasielosesten Beobachter erahnen, was Gott da gerade mit ihm und seinem Gehirn trieb. Alle waren starr vor Schreck – alle bis auf Gott, der genüsslich schmatzend am Strohhalm sog.
Ein befreiendes Bäuerchen beendeten seine Mahlzeit, die visuelle Schreckensfolter der Zuschauer und Epems kurzes Leben.
„Ein fantastisches Bukett“, pries Gott den Geschmack und gab dem immer noch völlig entgeistert dreinschauenden Doktor Preußenstein ein lobendes Daumenhoch. „Rund, leicht und blumig im Abgang. Aber das nächste Mal vielleicht etwas weniger erdig, bitte.“
Er sprang vom Tisch und die Reporter in den vorderen Reihe panisch über die Köpfe ihrer Kollegen hinweg.
„Gut ich will Euch nicht länger stören. Ihr hab doch sicher noch irgendwas Wichtiges zu tun. Kirchen bauen oder so ähnlich. Also, bis denn dann.“
Ein weiteres „Fupp!“- ein durchschnittliches Gottverschwindefuppen der Klasse B - zeugte von der erneut eingekehrten Gottlosigkeit des Saales.