Was ist neu

Gaffertainment

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29.09.2004
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Gaffertainment

„Guten Abend, meine Damen und Herren, liebes Publikum zu Hause und hier im Saal."
Der Moderator hat sich redlich Mühe gegeben, so auszusehen, als hätte man ihn eben einem heißen Stelldichein in seiner Garderobe entrissen. Das Hemd hängt über die Hose, blonde Haare sind ekstatisch zerwühlt, das Grinsen gehört einem Honigkuchenpferd. Ein ausschweifendes, rotes Sofa harrt der illustren Schar der Gäste, während das Publikum brav das erwünschte Pensum des eben eingeübten spontan-frenetischen Jubels absolviert.

Zu Hause hat sich die Familie vor dem Fernseher versammelt. Beste Sendezeit. Ein Programm, das Jung und Alt anspricht. Mutter genehmigt sich ein Gläschen Eierlikör, um besser zu verdrängen, dass der Tisch vom Abendbrot noch nicht abgeräumt ist. Tochter Julia schlägt - freiwillig jeglicher fernmündlichen Kommunikation entsagend - in der Sofaecke die Fohlenbeine unter und umschlingt schutzsuchend eins der bestickten Zierkissen. Vater nimmt die Lesebrille vom Regal und legt sie zusammen mit einem schmalen Hefter auf dem Wohnzimmertisch bereit, dann schlüpft er aus den Pantoffeln und lässt sich vom elektrischen Fernsehsessel sanft in Schräglage bringen. Die Show kann beginnen.

„Wir begrüßen Sie herzlich aus der ausverkauften Auerbachhalle zur ultimativen Chartshow der bewegendsten Katastrophen des neuen Jahrtausends!"

Applaus brandet die Sitzreihen hinunter, flutet über die Kulissen hinweg und bricht sich an den übergroßen Leinwänden für die Einspieler und Computerpräsentationen. Der Moderator versucht seinem kosmetisch fixierten Lächeln einen anteilnehmenden Zug zu verleihen, während er die einführenden Worte über die Erdbeben, Flutkatastrophen, Hungersnöte, Terror und Seuchen gekonnt vom Prompter abliest. Er ruft den ersten Gast des Abends zu sich aufs Sofa. Ein ebenso mittelmäßig bekannt- wie begabter Popstar mit Häkelmützchen und braunen Kuschelaugen verursacht bei Julia eine plötzliche Hormonausschüttung, die mit einem deutlichen Pulsanstieg und heftigem Begehren einhergeht. Ohne hinzuschauen tasten ihre Finger ein „Isser nich süüüüß?" per SMS an Freundin Saskia während Mr. Häkelmütze erzählt, wie er durch die bewegenden Bilder des aktuellen Vulkanausbruchs in Ecuador inspiriert seinen neuesten Song an mehreren Stellen umgeschrieben hat. Dass drei Marketingstrategen der Plattenfirma mit diesem Schachzug sein endgültiges Verschwinden in die Versenkung in einen TopTen-Hit umgemünzt haben, verschweigt er galant.

Über die Einspieler der Plätze 20 bis 10 der gefühlsintensivsten Spots medienwirksam aufbereiteter Massenschicksale nimmt die Show und der Grad der Rührung ihren Lauf. Ein Querschnitt durch die deutsche Halbprominenz kommentiert die Bilder mit sentimentalen Einblicken in ihr Empfinden und Erleben zum jeweiligen Event. Das rote Sofa füllt sich nach und nach mit Menschen, die das Ihre dazu beigetragen haben, die Rolle der Medienwelt in Katastrophengebieten nachhaltig zu unterstützen. Ein Ortsvereins-Hilfsgruppenmitglied schildert anschaulich die ernährungstechnische Unterversorgung, die er bei seinem Einsatz am eigenen nach wie vor übergewichtigen Leib erfahren musste. Eine Mutter erzählt von der Kettenbrief-Kampagne im Internet, die dazu beigetragen hat, ihre Tochter wiederzufinden. Das Fehlen der Information, wie viele PC‘s hierbei mit Viren und Trojanern verseucht wurden, geht im allgemeinen Aufschluchzen unbemerkt unter. Ein Mitarbeiter des THW beschreibt uns seine Hoffnungen, bei Aufräumarbeiten letztendlich doch noch verschüttete Deutsche zu bergen und ein Hobby-Filmer nimmt einen Sonderpreis für seinen weltumspannend ausgestrahlten Spot mit der eigenen sterbenden Familie entgegen.

Einzelschicksale werden ausgebreitet, Tod, Zerstörung und Verderben in Grafiken veranschaulicht, Tränen fließen reichlich. Mutter greift zu Taschentuch und Likör. Bei den Bildern eines mageren, schmutzigen, tränenüberströmten Kindes schiebt sie ein vom Abendessen übriggebliebenes Käsebrötchen unauffällig zu ihrer kaum weniger schlanken Tochter hinüber. Die jedoch befindet sich längst außer Reichweite der Realität an der Stelle eines weichgespülten Tagtraums, wo Mr. Häkelmütze sie samtäugig aus irgendwelchen Trümmern befreit und auf seinen starken Armen in eine gemeinsame blitzlichtumwetterte Zukunft trägt.

Dann ist der Höhepunkt des Abends erreicht. Vater bewaffnet sich mit der Lesebrille, blättert hektisch in der Mappe mit den Spendenquittungen, vergleicht Zahlen und Daten. Doch der vom Busenwunder optisch ansprechend aus der Lostrommel gezogene Überweisungsbeleg ist der eines anderen hilfsbereiten Menschen und die kurze Hoffnung auf den Gewinn einer Weltreise mit Besichtigung aller Krisenschauplätze schwindet so schnell wie sie gekommen ist. Eine Weile räkelt man sich noch im wohligen Gefühl einer Spitzenposition im Ranking der geberfreudigen Länder. Ein kurzer Schub der Dankbarkeit macht sich breit für eine saubere Toilette, trockene Füße und ein scheinbar funktionierendes Abfallsystem. Mutter erscheint die wartende Arbeit in der Küche plötzlich leicht und unbedeutend. Julia drückt blind die Kurzwahl der Freundin, um die Gefühle der vergangenen Stunde nochmal ausgiebig mit der Freundin aufzukochen. Vater begibt sich ermüdet zu Bett.

„Gute Nacht, Schatz. Morgen wird sicher ein langer Tag. Ich hab schon mal ein Dutzend Policen blanko vorbereitet, um den Ansturm auch bewältigen zu können. Rechne zum Abendessen lieber nicht mit mir."

 

Hmm...

Also, ich weiß nicht - wirklich begeistert hat mich der Text leider nicht. Das ist alles sehr oberflächlich und deskriptiv und stellenweise ohne jede Subtilität mit dem Holzhammer auf den Leser eingeprügelt - eher schon eine öde und stark zusammenfassende Moralpredigt denn eine satirische Geschichte. Denn erzählerisch ist das Ödland - ein dünner Plot, der sich in der Aneinanderreihung ach so kritischer Momentaufnahmen und exposéartiger Beschreibungen ergeht, und blasse, klischeehafte Charaktere. Da hätte man mehr draus machen können - sehr viel mehr!

 

Autsch,
so flink kommentiert und doch so herb verworfen. :( Nun hatte ich mir solche Hoffnungen gemacht, ein Thema gefunden zu haben, das mir am Herzen liegt und wo auch meiner Meinung nach ein wirklicher Mißstand in der Gesellschaft vorliegt - UND das nicht schon 27 andere vor mir behandelt haben.

Keine Anregung zu verbessern? Keine Chance für den Text? Kein Tipp WIE man hätte mehr draus machen können?

Gruß,

Kira.

 

Nich verzweifeln - ich nörgel halt immer. ;)

Was könnte man tun?

- Das Thema ist ja wohl eine Art Lotterie - das ist Deine Geschichte, die solltest Du erzählen. Im Moment geht das so ein bisschen unter. Lass dafür die ganzen Allgemeinplätze und Holzhammer-Kritisierungen weg.

- Konzentriert Dich mehr auf die Charaktere - derzeit sind sie bloß Folien und wirken extrem leblos und klischeehaft. Insgesamt brauchst Du mehr Geschichte und weniger dick aufgetragene Medienkritik - stellenweise liest sich das schon fast wie eine Kolumne...

Vielleicht schieb ich bei Gelegenheit noch ein paar Details nach - bin nur grad auf Arbeit. ;)

 

hello kira,

flott erzählt, aber für eine Satire schmecke ich zu sehr Deine Abscheu durch, zu sehr, dass Dir diese Art der gebotenen Unterhaltung nicht gefällt.

Satire würde ja überzeichnen und den Leser höchstselbst die Lächerlichkeit erkennen lassen. Du aber haust mit superlativierenden Adjektiven um Dich und kaust Essenzen schon vor. Beispiele: '...sein Kontostand ist ihm wichtiger als jede Moral...' oder '...ohne sich im Lebensstil auch nur um einen Chipskrümel eingeschränkt zu haben...'
Danke für den Zaunpfahl! ;-)

Ich möchte beim Lesen moralische Zweifelhaftigkeit selber 'sehen' und entdecken, aber nicht berichtet bekommen.

Beispiel:
Bericht wäre: 'Die Mutter ist böse, was nur verachtet werden kann.'
Damit ich das selbst bemerken kann, solltest Du schreiben: 'Gern betrog die Mutter ihren Mann mit allen Kerlen der Nachbarschaft, stahl ihren Kindern das Taschengeld und liess sie hungern und dursten.'

Viele Grüsse vom gox

 

@Horni:
Hm, also die Verlosung der Reise ist eigentlich nur ein weiteres Detail in der Geschichte. Auch wenn sie in der Fernsehshow der Höhepunkt ist, wollte ich sie nicht über die anderen Punkte hinausheben. Mein Thema IST ja gerade die Kritik an den Medien, die mittlerweile jede Katastrophe mit einem Song von Enya unterlegen, mit echten Tränen garnieren und zum Werbespot degradieren. Und zweitens die Menschen, die ihre Sensationslust mit halbseidigen Info-Sendungen verbrämen und nur deshalb spenden, weil es gerade schick ist und alle es tun. (So, nun hab ich auch noch den ganzen Zaun geliefert, zu all den Pfählen. Hmpf.)

Wenn man dann natürlich versucht, die in diesem Zusammenhang auffälligen Komponenten deutlich darzustellen und auch zu überzeichnen, läuft man ja schon irgendwie zwangsläufig Gefahr, klischeehafte Personen (die will ich ja satirieren) und hammermäßiges Geschehen zu generieren.

Dass der Text schon fast mehr nach Kolumne riecht, ist ein altes Leiden von mir. Bemüh mich sehr, mehr in die Richtung Geschichte zu gehen. Gelingt mir aber noch nicht ganz.

Danke auf jeden Fall, dass du es noch ein wenig präszisiert hast. Mit deiner und gox' Aussage kann ich dann schon mal Pläne für ein paar Umbauarbeiten zeichnen. :dozey:

@gox:
Hi! Schön, dass du es wenigstens flott erzählt fandest (gibt es doch auch was positives). Ich muss also noch mehr von meinem eigenen Empfinden rausnehmen und noch mehr darauf vertrauen, dass der Leser trotzdem schnallt, was ich sagen wollte! Danke für die Hilfe. Ist mir eine wichtige Anmerkung, da ich (höchst unweiblich ;) ) immer zu sehr dazu neige, die Dinge möglichst verständlich zu machen. Werd daran arbeiten.

Gruß,

Kira.

 

hi kira,


hm, eine Satire ist es tatsächlich nicht. Abgesehen von dem annehmbaren Erzählstil und der Abwesenheit von Rechtschreibfehlern sagt die Geschichte genau dasselbe aus, was 30% der Zuschauer bei dem Medienschrott um die jüngste Katastrophe, der Tsunami in Indien, gedacht haben werden.
Als du die Geschichte schriebst, hast du wirklich gedacht, du würdest dem Leser Neues(!) bieten? Denn dies sollte eine notwendige Motivation sein - fehlt sie, braucht man mit einer Geschichte gar nicht erst beginnen. Seit meiner letzten Geschichte habe ich aufgrunddessen diverse Entwürfe wieder verworfen.

Außerdem achte bei der Überarbeitung bzw. Neuschreibung der Geschichte (s. Tipp von Horni!) auch darauf, dass du das was du sagen willst, verdichtest, kennzeichnest und kontrastierst. Ich habe das andernorts erläutert.


FLoH.

 

Hi FLoH,

was bin ich in solchen Momenten froh um meine doch recht ordentliche Rechtschreibung. ;)

Wir sollen also nur noch Neues schreiben dürfen? Was ist dann mit den ganzen Geschichten, die beim Lesen ein wohliges "Meine Rede", "Genau so denke ich auch!" oder "Endlich jemand, der es auf den Punkt bringt!" erzeugen? Ich für meinen Teil lese solche Sachen gerne, besonders bei Themen, wo ich anders denke als die breite Masse. Wenn nach deinen Schätzungen 30 % in der Woche nach Weihnachten ähnlich empfunden haben wie ich, dann sind doch vielleicht bei den übrigen 60 % ein oder zwei dabei, bei denen die Überzeichnung meiner Story ein wenig Nachdenklichkeit hervorruft. Hatte ich jedenfalls gehofft. Gut, klar, vielleicht tummeln die sich dann wieder nicht bei den Grübelspezialisten auf kg.de. Auch wieder wahr. :hmm:
Mit "neu" meinte ich aber in erster Linie, dass der zugrundeliegende Stoff hier vielleicht mal noch nicht hundertfach durchgenudelt worden ist, bevor ich dazukomm meinen Senf auch noch zu schreiben. Wie könnte ich mir anmaßen, so gänzlich neue Gedanken zu ersinnen, wenn schon ein Mann wie Salomo anno wasweißichwann schrieb "... es geschieht nichts Neues unter der Sonne." (Prediger 1,9). ;) Klar versucht man dem eigenen Geschreibsel eine Berechtigung durch neue oder persönliche Aspekte/Gedanken zu verleihen - aber alles verwerfen, was dem Leser nicht wirklich gänzlich Neues bietet? ... dann kann ich es gleich lassen und die gewonnene Zeit einem Puzzle mit 150.000 Teilen zugute kommen lassen. ;)

Ok, so viel zur Rechtfertigung. :dozey: Deine Tipps waren andererseits sehr hilfreich und ich hab mir aus deinem Link so einiges ausgedruckt, weil ich mir das für die Zukunft wirklich aneignen möchte. Wieder einmal wirft mich das in meiner spontanen Schreiberei um Längen zurück und zwingt mich dazu, alles neu zu überdenken. Schwer! :( Aber dazu sind wir ja hier. Danke.

Gruß,

Kira.

 
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Mit "neu" meinte
... ich, FLoH ...
dem eigenen Geschreibsel eine Berechtigung durch neue oder persönliche Aspekte/Gedanken zu verleihen
(dieses Neue kommt in deiner Geschichte eben leider zu kurz, meiner Meinung nach)..., wenn man sich nicht...
anmaßen [will], so gänzlich neue Gedanken zu ersinnen[...]

Klar? Hab mich gewiss falsch ausgedrückt. ;)


FLoH.

 

kira schrieb:
...Wieder einmal wirft mich das in meiner spontanen Schreiberei um Längen zurück und zwingt mich dazu, alles neu zu überdenken. Schwer! :( Aber dazu sind wir ja hier...

ach kira,

das ist doch eigentlich immer so. ich habe festgestellt, dass 80 - 90% der Arbeit und Zeit an einem Text nicht für die Erstfassung, sondern für die Überarbeitungen benötigt werden.
Warum sollte es Dir da besser gehen als mir? :D

Viele Grüsse vom gox

 

Das ist nicht immer so, das kommt eher auf den Typ an. Ich bspw. habe eine Geschichte hier zu stehen, die ich in ca. 30min runterschrieb und trotzdem wurde sie im Großen und Ganzen so akzeptiert, würde ich meinen. Sie ist nun beileibe nicht perfekt, und es gibt Dutzende kg.de'ler, die sowas besser können. Deshalb will ich mich zwar nicht zu den Spontanschreibern zählen, zumal meine anderen eine viel längere Ausarbeitungszeit bedurften, aber es ist eben durchaus möglich.

FLoH.


PS: Momentan bin ich seit annähernd einem Jahr schreibblockiert, was ist das erst ätzend :(.

 

@ FLoH und gox
Ich weiß nicht, in welche Richtung sich das bei mir entwickelt und wie ich das werten soll. Vor kg.de hab ich ausschließlich spontan geschrieben und nur relativ wenig überarbeitet (weil ich ja auch niemanden hatte, der mir gesagt hätte "Hey, das könntest du aber noch besser, kürzer, spitzer, wasauchimmer schreiben.") Seit ich hier bin, fange ich an, jeden Satz dreimal zu drehen, zu wenden und wieder und wieder umzuformulieren. Manchmal schleicht sich aber dann wieder ein Anfall dazwischen, wo eine Geschichte in einem Rutsch rausmuß und dann nur noch ein wenig geglättet wird. Meist bin ich von diesen Spontangeburten gefühlsmäßig wesentlich überzeugter, was aber nicht unbedingt mit der Meinung der Kritiker hier übereinstimmt (siehe diese Geschichte hier --> spontan und meine vorige --> mehr als vier Wochen dran gebastelt). Interessanterweise kommen außerhalb kg meine Spontansachen eher besser an. Wenn ich von der früheren bauchgesteuerten Spontanschreiberei ausgehe, fühlen sich die endlosen Bastelsachen (oder wenn man weiß, man sollte etwas umarbeiten und im Kopf ist nur Leere und Entmutigung) für mich auch wie Schreibblockade an. Aber vielleicht ist das alles einfach die notwendige Wachstumsphase, um zu einer größeren Reife zu gelangen? So hoffe ich jedenfalls. ;)

Also: Kopf hoch an euch beide (und vor allem an mich! ;)) und nicht den Mut verlieren. Jawoll!

Gruß,

Kira.

 

kira schrieb:
Seit ich hier bin, fange ich an, jeden Satz dreimal zu drehen, zu wenden und wieder und wieder umzuformulieren.
Keine Sorge - das ist völlig normal. Es bedeutet erstmal nur, dass man anfängt, sich auch auf technischer und stilistischer Ebene bewusst und intensiv mit Texten auseinander zu setzen. In der Praxis bedeutet das: Man wird schlicht und einfach sehr viel kritischer und nörgeliger - sowohl den eigenen als auch anderen Texten gegenüber. Am Ende ist man in der Lage, selbst in Nobelpreisbüchern noch rumzukritteln - "Lieber Günther Grass, willkommen auf KG.de! Also mir hat "Die Rückkehr der Blechtrommel" nur teilweise gefallen..." :D

 

Allerdings kostet die häufige Überarbeitung zuweilen tatsächlich den Charme einer Geschichte. Die Gefahr ist gross, dass sie zu glatt, steril und distanziert wirkt.

Das erinnert mich an eine Bemerkung auf einer Phil-Collins-CD. Von jedem Lied werden ja viele Takes gemacht, und Phil Collins schrieb, er hätte von jedem Stück die erste Version genommen - sie hätte am meisten Herz gehabt.
Kann man so sehen, irgendwie muss man einen gesunden Mittelweg finden. Als ich im letzten Jahr ein Buch fertigstellte, habe ich nicht die letzte Version 9 genommen, denn die war quasi 'überkorrigiert'. Ich habe mich, ganz im Sinne des Popsängers, für die sechste Version entschieden. War aber nicht leicht.

 

Da ich mich eben auch kurz beherrschen musste, um nicht sofort was zum Thema Überarbeiten zurückzuposten... bevor wir endgültig und hoffnungslos ins Offtopic schlingern: Es gibt hier schon einen eigenen Thread zum Thema Überarbeitung! Weiteres zum diesem Thema vielleicht besser da. ;)

 

Hallo kira,

Was ich an Deinem Text bemerkenswert fand, war die Schilderung des Verhaltens der Familie.

Z.B.

Mutter genehmigt sich ein Gläschen Eierlikör, um besser zu verdrängen, dass der Tisch vom Abendbrot noch nicht abgeräumt ist und niemand außer ihr sich dazu verpflichtet fühlt.

oder das Verhalten der Tochter, als sie den Häkelmützentyp sieht. Das finde ich sehr gut beobachtet, es erscheint mir lebensnah.

Es ist schon so, dass in Deinem Text sehr offensichtlich rüberkommt, was Du dem Leser sagen willst.

Diesen Abschnitt:

Einzelschicksale werden ausgebreitet, Tod, Zerstörung und Verderben in Grafiken veranschaulicht, Tränen fließen reichlich. Mutter greift zu Taschentuch und Likör. Bei den Bildern eines mageren, schmutzigen, tränenüberströmten Kindes schiebt sie ein vom Abendessen übriggebliebenes Käsebrötchen unauffällig zu ihrer kaum weniger schlanken Tochter hinüber. Die jedoch befindet sich längst außer Reichweite der Realität an der Stelle eines weichgespülten Tagtraums, wo Mr. Häkelmütze sie samtäugig aus irgendwelchen Trümmern befreit und auf seinen starken Armen in eine gemeinsame blitzlichtumwetterte Zukunft trägt.

fand ich wieder gut. Die Sprache ist zwar wieder „anklagend“. Wenn Du z.B. die Schlankheit der Tochter weggelassen hättest oder dezenter formuliert, wäre meiner Ansicht nach der Satz nicht so mit dem „Zeigefinger“, das klingt alles sehr so, dass man als Leser den Kopf in die „richtige Richtung“ gedreht kriegt. Das haben ja die anderen Kritiker schon geschrieben, habe ich gesehen.
Wenn sich der Text nur auf die Handlung konzentrieren würde, fände ich das besser. Also, dass das Brötchen rübergeschoben wird, dass die Tochter nicht reagiert, weil sie gerade diesem Traum nachhängt ... ohne die Worte von Schlankheit oder Weichgespültheit, auch das „Mr.Häkelmütze“ klingt wieder so, als wärst Du sauer beim schreiben. Ich meine, dass der Leser einfach erfährt, was passiert und sich seinen Teil denken kann und die Absicht, die Du beim Schreiben hattest, sich von selbst darstellt in seinem Kopf. (Ich meine die schwierige Sache, nicht die eigenen Emotionen offensichtlich hinzuschreiben, sondern den Text so zu formulieren, dass der Leser dasselbe empfinden muss wie der Autor.) Der Vater erscheint mir übertrieben und leblos, die Handlungen von Mutter und Tochter aber finde ich wirklich gut dazu geeignet.

vio

 

@Horni und gox:
Danke nochmal für die aufmunternden Worte zum Thema "Überarbeiten". Dachte mir schon, dass das langsam besser in einen eigenständigen Thread passt. Muss ich mir alles mal durchlesen und sehen, wo ich meinen Weg dabei finde.

@vio:
Schön, dass du auch manches gut gefunden hast.

das „Mr.Häkelmütze“ klingt wieder so, als wärst Du sauer beim schreiben.
Leider passiert es mir immer wieder, dass jemand der mich nicht kennt, meinen Tonfall in solchen "satirischen" (jaaa, ich weiß ...) Texten gründlich anders interpretiert. Diese Dinge sind bei mir eigentlich immer mit einem zwinkernden Grinsen geschrieben, das aber wohl nicht genügend rüberkommt. (Wahrscheinlich werden auch gerade deshalb solche Stories bei mir im Bekanntenkreis - wo man meinen ironischen Tonfall kennt - ganz anders angenommen.) "Mr. Häkelmütze" war nur als Platzhalter für einen nicht näher zu bestimmenden Sänger dieses Typus gedacht, den der Leser mit einem beliebigen Bild aus seinem Einzugsbereich füllen kann. Irgendwie muss ich den Mann ja nennen. Ist echt nicht so, dass Mitglieder dieser Spezies unbedingt meine persönlichen Haßobjekte sind. ;)

Danke für die weiteren Änderungsvorschläge. Ich muss noch ein wenig Abstand gewinnen und werde dann den Text wahrscheinlich komplett neu schreiben.

Gruß,

Kira.

 

Tach kira!

Oh Shit, jetzt hatte ich dir gerade so eine schöne Kritik geschrieben, ein falscher Klick, alles weg....

Naja, dann halt nochmal. deine Satire (die auch wirklich eine Satire ist) hat mir gut gefallen. Hier paar Sachen:

das Lächeln gehört einem Honigkuchenpferd.
irritierende Formulierung. "Das lächeln eines honigkuchenpferds" oder so...grinsen fänd ich noch besser... ist künstlicher.

Ein ausschweifendes (...) Sofa
Wassn das?
Mutter genehmigt sich ein Gläschen Eierlikör, um besser zu verdrängen, dass der Tisch vom Abendbrot noch nicht abgeräumt ist und niemand außer ihr sich dazu verpflichtet fühlt.
Sehr schönes Bild. Würde aber nach abgeräumt ist aufhören.

„Wir begrüßen Sie herzlich aus der ausverkauften Auerbachhalle zur ultimativen Chartshow der bewegendsten Katastrophen des neuen Jahrtausends!"
Gute Thematik! Tut Not!

verursacht bei Julia eine plötzliche Hormonausschüttung, die mit einem deutlichen Pulsanstieg und heftigem Begehren einhergeht. Ohne hinzuschauen tasten ihre Finger ein „Isser nich süüüüß?" per SMS an Freundin Saskia
Gute Stelle! Würd das mim Handy weglassen, zu klischeehaft. Die Gude kann ja auch einfach so isser nich süüüß rausposaunen.

sein Kontostand ist ihm wichtiger als jede Moral.
Würd ich dringend weglassen. Das tscheckt man auch so..
Bei den Bildern eines mageren, schmutzigen, tränenüberströmten Kindes schiebt sie ein vom Abendessen übriggebliebenes Käsebrötchen unauffällig zu ihrer kaum weniger schlanken Tochter hinüber.
Ich hab dir n Vorschlag zu machen: "Bei den Bildern eines mageren, schmutzigen, tränenüberströmten Kindes schiebt sie sich unauffällig ein vom Abendessen übriggebliebenes Käsebrötchen in den Mund." Dann ist zwar der Witz mit der schlanken Tochter futsch, aber der Kontrast wird mE eindeutiger.

Insgesamt schön böse, gut gemacht, mag ich leiden. Gute Thematik. Besonders die Familiensituation schilderst du bildhaft.

Schönen Gruß. Kaktus.

 

Hey Kaktus,

danke für deine beiden Kritiken und die Verbesserungsvorschläge. Ich werde sie mal noch in diese Version einarbeiten, weil ich noch nicht sagen kann, wie und ob sich das mit einer Komplettneufassung entwickelt. Schön zu hören, dass sie immerhin schon mal gefallen hat.

Ein "ausschweifendes Sofa" ist bei mir eben so ein üppiges Riesending, wie es üblicherweise in diesen Fernsehshows verwendet wird. Ich benutze gerne mal Worte, die eigentlich in einen anderen Zusammenhang gehören. ;) Unsprünglich stand da sogar noch "... harrt, mit einladend geöffnetem Rachen, ...". Aber das hat den Satz zu schwerfällig gemacht. Deshalb musste es weichen, obwohl ich die Formulierung immer noch mag. :(

"Isser nich süüüß?" per SMS bleibt. Meine Teenagerjahre sind zwar ne Weile vorbei, aber ich erinnere mich nur zu gut, dass man solche Emotionalität ungern im Beisein der Eltern preisgibt und deshalb den Drang tunlichst in andere Kanäle lenkt. ;)

Wegen dem Käsebrötchen überleg ich noch. Eigentlich tendiere ich mehr zum intuitiven mütterlichen Fürsorgeverhalten: Hungriges Kind --> ich muss mein eigenes besser füttern. Schließlich steht bei einer "richtigen Mutter" die Selbstlosigkeit weit, weit im Vordergrund. ;) Andererseits hört sich deine Formulierung auch nicht schlecht an.

Gruß,

Kira.

 

Hungriges Kind --> ich muss mein eigenes besser füttern. Schließlich steht bei einer "richtigen Mutter" die Selbstlosigkeit weit, weit im Vordergrund. Andererseits hört sich deine Formulierung auch nicht schlecht an.
Das ist gut, wenn du die Mutter, nachdem sie ihrer Tochter das Brötchen rüberschiebt, auch noch omahaft ihre Wange tätscheln lässt, ist das schon ziemlich satirisch.


FLoH.

PS: An manchen Geschichten hänge ich einfach, kann ich mir auch nicht erklären. Sorry, wenn ich nerve ;).

 

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