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Gallardía

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09.04.2006
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Gallardía

Gallardía​


„Und auch wenn das bittre Urteil fällt
Und die Klinge saust hernieder
Kein Schrei ists, der von meinen Lippen gellt
Nur die Melodien meiner Lieder“

Durch die kalten Krallenhände der Gitterstäbe streute das Mondlicht seinen stillen Glanz auf die kleine, harte Pritsche. Er warf sich unruhig hin und her, nicht schlaflos, nicht träumend; in einem Zustand fiebrigen Irrsinns. Seine Lippen bebten und die Lider zuckten unentwegt, als ob die Bilder, die er sah, mit Gewalt an ihnen zerren würden, um sich den Weg aus dem Gefängnis seiner Gedanken zu bahnen.

Er wacht auf mit Geschmack von Blut auf den Lippen; es läuft aus einer Platzwunde am Kopf. Er kann sich vage an den Soldaten erinnern und an den herniedersausenden Gewehrkolben. Er fragt sich, wer verdammt noch mal ihn verraten hat. Er läuft die käfiggroße Zelle auf und nieder und brüllt vor Wut. Er verflucht die Bastarde, die ihn hierher gebracht haben, er schwört Rache. Was er erntet, ist das höhnische Gelächter der Wachen. Er rüttelt wie besessen an den Gitterstäben, die sich wie Zähne in einem bösartig grinsenden Maul vor ihm erheben. Der Gewehrkolben wird erneut durch die Tür gestoßen. Neues Blut tropft auf den Boden.

Ein Tritt in die Rippen holt ihn wieder in die Welt, wie eine perverse Geburt in ein Leben hinein, das er nie wollte. Die Brocken der Sprache sind ihm fremd, doch sie lassen keine Zweifel offen. Brutal wird er gepackt, nach oben gerissen und aus der Zelle gezerrt. Seine Gedanken kennen nur ein Ziel, Freiheit, doch fünf gegen einen sind zuviel. Dennoch…er versucht sich loszureißen, ein Arm entwindet sich dem klammerartigen Griff des Soldaten, er zuckt zu dem Messer in dessen Gürtel…wie Schraubstöcke packen Hände seinen Körper. Die kühle Spitze eines Bajonetts drückt gegen seine Halsschlagader. Keine Chance. Vor seinen Augen schwebt ein zahnloses Grinsen.
Er wird in einen hohen weißen Raum gestoßen, in dem eine Liege mit einer eigenartig aussehenden Apparatur steht. Er weiß genau, was das zu bedeuten hat. Auf kleinen Stühlen sitzen alte, schwarz gekleidete Männer mit Bärten, schon ergraut, doch nicht in Ehren, sondern durch das Leid, das sie brachten, denkt er sich. Der Raum ist so weiß. Einer der Männer zeigt mit einem langen, knochigen Finger auf ihn. Er spricht seine Sprache, wenn nicht akzentlos, so doch zumindest verständlich. Das Spiel sei aus, meint er sanft. Er wolle alles wissen, alles über die geheimen Pläne, alles über den Untergrund. Der weiße Raum blendet. Der Mann mit dem Bart wiederholt seine Worte in härterem Tonfall und deutet drohend auf die Liege.
Er schließt die Augen und denkt an die Wiese daheim, denkt an sie, wie sie auf der Wiese tanzt und denkt an die Sonne, die Wolken, den Schnee daheim, der fast so blendet wie der Raum.
Er wird auf die Bank geschleudert und festgebunden. Ein Soldat betätigt mehrere Knöpfe und Hebel. Der Schmerz in seiner Brust explodiert so plötzlich, dass ihm die Luft zum Schreien wegbleibt. Einer der bärtigen Männer lächelt milde und winkt ab. Er beugt sich zu ihm, sein Gesicht ist so nahe, dass die Barthaare seinen Hals kitzeln. Die Pläne, der Untergrund. Er spuckt dem Mann voller Verachtung ins Gesicht. Auf die neue Schmerzwoge ist er vorbereitet, nicht aber auf ihre Intensität. Diesmal schreit er, so laut, dass der Soldat ihm ins Gesicht schlägt, um ihn zum Verstummen zu bringen. Die bärtigen Männer verlassen den Raum. Die Wiese. Die Wolken. Sie. Und wieder der Schmerz.

Er schreckte von der Holzpritsche hoch, mit weit aufgerissenen, fiebrigen Augen. Sie. Sie! Sein Blick sträubte sich davor, durch die Zelle zu wandern, in den Winkel, in den er schon so oft gestarrt hatte, stundenlang. Der Mond tauchte die Zelle gnadenlos in sein Licht und dort, in der gegenüberliegenden Ecke, lag sie. Nackt, in einer bizarren Stellung, als ob die Hälfte ihrer Knochen gebrochen wäre. Das getrocknete Blut verbreitete einen fauligen, süßen Geruch, der sich wie ein Schleier über den kleinen Raum legte.
Seine Tränen waren längst versiegt. Er war sich sicher, nie wieder weinen zu können nach den letzten Wochen. Oder waren es Monate gewesen? Jahre? Er wusste es nicht. Er wünschte sich nur, es würde bald zu Ende gehen. Obwohl seine Lippen nie ein Gebet geformt hatten, sank er auf die Knie und rief Gott an, er flehte ihn an, der Morgen möge endlich heranbrechen.

Die blutigen Striemen auf dem Rücken und auf der Brust verheilen nicht. Sie haben sich entzündet und eitern. Die Kleidung ist zerrissen und schmutzig, knochig ragen die Rippen darunter hervor. Zu Essen gibt es eine Mischung aus Brei und Abfällen. Das Wasser überträgt seine Krankheiten schnell.

Wieder der hohe weiße Raum. So muss es in der Hölle aussehen. Einen Himmel kann es sowieso nicht geben.
Die bärtigen Männer sind geduldig. Er wird an einen Stuhl gebunden. Die Tür gegenüber öffnet sich. Ein Blitzschlag durchfährt seine ausgemergelten Glieder. Sie wird hereingestoßen. Wie kann das sein? Woher wussten sie? Einer der bärtigen Männer erklärt ihm lächelnd, was mit ihr passieren wird, wenn er schweigt. Wenn er redet, rettet er ihr das Leben. Er kann ihr tränenüberschwemmtes Gesicht nicht anschauen, es ist aufgequollen, so hässlich, so abstoßend für ihn. Er wendet seinen Blick ab. Als sie auf die Liege gebunden wird, bricht er zusammen. Er bittet die bärtigen Männer um Gnade, umarmt ihre Beine. Er erzählt alles. In seiner Zelle erbricht er sich aus Ekel über sich selbst.

Die Zellentür öffnet sich. Ihr nackter Körper wird achtlos in die Ecke geworfen. Sie haben ihn betrogen. Rasend schlägt er seinen Kopf gegen die Wand, immer und immer wieder. Der Tod erlöst ihn nicht.

Während die Sonnenstrahlen durch das Fenster tanzten und die Vögel ihr Lied anstimmten, betraten die Soldaten die Zelle. Sie mussten ihn tragen, denn er war nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Er hatte mit einem Lächeln auf den Lippen sterben wollen, erhobenen Kopfes auf den Platz schreitend. Er hatte ihnen in die Augen sehen und sie und ihre Gewehre verlachen wollen, diese Tiere in menschlichen Körpern. Er hatte der Sieger sein wollen.
Doch als er an die Mauer gelehnt wurde und die Gewehrläufe sah, lief eine Träne über seine Wange. Als ihm die Augenbinde gereicht wurde, nahm er sie zitternd an. Und als er mit dem Gesicht in den Staub fiel, an diesem sonnigen Sommermorgen, da wusste er, dass alles umsonst gewesen war.

 

hi Kynos

kalten Krallenhände der Gitterstäbe
ich bin ein großer Fan von weit hergeholten Metaphern, aber hier kann auch ich mir nicht vorstellen, wie Gitterstäbe krallenhände haben können.

Dennoch…er versucht
Leerzeichen vor und nach den Punkten. 2 mal.

Ansonsten hab ich nichts zu bemängeln, und möchte dich ersteinmal hier willkommen heißen, und, noch viel mehr: Dir den roten Teppich ausrollen.
Denn ich muss sagen, dass mir deine GEschichte hier eine Empfehlung wert ist. Einen besseren Start kann man nicht haben.
Diese KG ist sowohl grammatikalisch (nur wenige setzen ein Semmikolon richtig ein) als sprchlich eine Wonne. Die Metaphern und Bilder, die du hier gefunden hast, haben mir sehr gefallen.
Der Inhalt ist sicherlich nicht neu, in tausenden von Filmen zu sehen, aber hier lebendiger als so mancher Film in Szene gesetzt.

Zudem freu ich mich sehr, einen Twen begrüsen zu dürfen.

besten Gruß

 

Hallo kynos (Hund?),

kann mich dem nur anschließen. Starke Geschichte.
Ein paar Kleinigkeiten:

nicht schlaflos, nicht träumend; in einem Zustand fiebrigen Irrsinns.
Das lässt das ansonsten flüssige Lesen etwas ins Stocken geraten. Vielleicht statt dem Semikolon ein "sondern".

Das Wasser überträgt seine Krankheiten schnell.
Wessen Krankheiten?

an diesem sonnigen Sommermorgen
"sonnigen" ist irgendwie überflüssig.

Bye, Rodion.

 

Hallo kynos!

Willkommen auf kg.de.

Gib deinen Protagonist unbedingt Namen. Es ist wirklich nervend, immer nur er, er, er zu lesen. Außerdem identifiziert sich der Leser nicht mit Namenlosen.

Hat es einen bestimmten Sinn, daß der erste Absatz in der Vergangenheit geschrieben ist, du dann aber in die Gegenwart wechselst?

"die kalten Krallenhände der Gitterstäbe"
"an den Gitterstäben, die sich wie Zähne in einem bösartig grinsenden Maul vor ihm erheben" - Bildsprache ist immer Geschmackssache, aber hier solltest du dich für eine Variante entscheiden. Sind die Gitterstäbe nun Hände oder Zähne?

"Dennoch…er versucht" - Leerzeichen vor und nach der Ellipse (das sind die drei Pünktchen). Oder mach stattdessen einen Gedankenstrich - das würde hier besser passen.

"Vor seinen Augen schwebt ein zahnloses Grinsen." - Wie gesagt, Geschmackssache. Aber hierunter kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen.

"Der Mann mit dem Bart wiederholt seine Worte in härterem Tonfall und deutet drohend auf die Liege.
Er schließt die Augen" - Dein Protagonist braucht einen Namen, denn der Logik folgend bezieht sich das "er" auf den Mann mit dem Bart.

"Er schreckte von der Holzpritsche hoch" - Wieder ein Wechsel der Erzählzeit. Okay, diesmal erinnert er sich an die Vergangenheit, oder? (Aber wenn ich weiterlese, finde ich das auch unlogisch.)

"Das Wasser überträgt seine Krankheiten schnell." - Die Krankheiten des Wassers, oder was meinst du?

"tränenüberschwemmtes Gesicht" - Tränenüberströmt fände ich besser, denn überschwemmt heißt für mich soviel wie überflutet, also, daß das Wasser noch darauf steht - das wäre wegen der Schwerkraft unmöglich.

"Er kann ihr tränenüberschwemmtes Gesicht nicht anschauen, es ist aufgequollen, so hässlich, so abstoßend für ihn." - Liebe ist das nicht, oder? Ich würde das ein wenig anders formulieren.

"und ihre Gewehre verlachen wollen, diese Tiere in menschlichen Körpern." - Die Gewehre sind Tiere in menschlichen Körpern?

"da wusste er, dass alles umsonst gewesen war." - Mich als Leser würde interessieren, was da umsonst gewesen war. Worum geht es eigentlich? Außer, daß ein Mann gefoltert und getötet wird, kann ich leider keinen Inhalt in dem Text entdecken. Das finde ich schade. Denn der Text ist ja nicht schlecht geschrieben und hat auch erfreulich wenig Fehler.
Naja, vielleicht erklärst du mir das ja.

ps. Was hat der Titel zu bedeuten? Wahrscheinlich hat er ja einen Bezug zum Inhalt, aber ich kann mit dem Wort nichts anfangen. (Meine einzige Mutmaßung geht in Richtung spanischer Inquisition.)

Grüße
Chris

 

Als erstes ein herzliches Dankeschön für die Begrüßung, ich freue mich von nun an ein Teil eures Forums zu sein. Und ebenso Danke für die fundierte Kritik, auf die ich nun ein bisschen näher eingehen möchte:

@Aris Rosentrehter:
1. Die Gitterstäbe-Metapher mutet mir inzwischen auch etwas seltsam an; ich werde sie überarbeiten.

2. Deine Bemerkung mit dem Film freut mich, ich studiere nämlich Theater-/Medienwissenshaft und bin dort filmpraktisch tätig (möchte auch auf eine Filmhochschule wechseln). Insofern entspringen die Bilder und deren Anordnung als plot wohl dieser Art von Denken; meiner Ansicht nach ließe sich aus der Geschichte auch ein stimmungsvoller Kurzfilm drehen.

3.Gibt es hier wohl so wenige Twens?

4. Ich bin ein großer Anhänger des inzwischen leider aussterbenden Semikolons ;)

5. Die Ellipse-Regel kannte ich nicht, danke für den Hinweis!


@Rodion:
1. Das Wasser überträgt seine, also die Krankheiten des Wassers schnell. In der Passage wird aus den Augen des Protagonisten erzählt, es könnte quasi ein Tagebucheintrag sein. Die Formulierung mit den Krankheiten habe ich gewählt, um klarzumachen, dass der Protagonist selbst das im Prinzip lebensspendende Element "Wasser" als etwas Negatives erachtet, etwas, das ihm, wie alles andere den Untergang bringen will.

2. Beim sonnigen Sommermorgen kommt eben mein Faible für Alliterationen durch ;) Außerdem finde ich mit dem Adjektiv die Kontrastierung zum Schluss der Geschichte stärker.


@Chris Stone:
1. Ich habe den Protagonisten deswegen namenlos gelassen, um die Geschichte nicht in einen bestimmten geographischen oder historischen Rahmen zu rücken. Außerdem wollte ich bewusst eine zu starke Identifikation vermeiden, vielmehr durch verfremdende Elemente wie die Zeitsprünge und die Offenheit der Geschichte ein interpretierendes Moment erzeugen, eventuell auch beeinflusst durch mein filmisches Denken.

2. Die Zeitsprünge finden nach einem bestimmten Muster statt:
Absatz 1, 4 und der letzte Abschnitt sind quasi das Grundgerüst der Geschichte: Es ist die Nacht vor der Hinrichtung des Protagonisten, die eher von einer beobachtenden Erzählerfigur erzählt wird.
Die übrigen Absätze sind Flashbacks auf Ereignisse, die vor dieser Nacht stattgefunden haben, eher aus der SIcht des Protagonisten erzählt (wenngleich beuwsst in einer Mischerzählform und nicht im Ich-Modus) und, um größere Unmittelbarkeit zu erreichen, im Präsens geschrieben. Das Ganze stammt wohl wieder vom Film her - Rückblendeneinsatz wäre hier das Stichwort.

3. Er schließt die Augen und die Tiere in menschlichen Körpern: Ich weiß, dass die grammatikalischen Anschlüsse hier nicht ganz sauber sind und sich rückwirkend auf die falschen Satzglieder beziehen; ich werds überarbeiten.

4. Tränenüberschwemmtes Gesicht deswegen, da der Protagonist es in diesem Moment als mehr als nur überströmt, was ja eine neutrale bis mitleiderregende Vokabel ist,empfindet. Der Passus soll durchaus Ekel vor seiner Liebe (?) ausdrücken, denn in diesem Moment findet im Protagonisten der Kampf zwischen geistigem Idealismus (Verrat bzw. Hüten seiner geheimnisse) und Materialismus/der realen Welt statt. Da der Protagonist am Ende doch "redet", war die Liebe zu der Frau stärker als diejenige zu seinen Idealen, insofern würde ich schon von einer sehr starken Bindung sprechen.

5.Worum es geht, das verrät jeder Autor wohl ungern, aber ich denke, dass es eine relativ offene Geschichte ist, die aber kleine Hinweise auf bestimmte Interpretationsmöglichkeiten liefert.

6.Der Titel kommt aus dem spanischen und bedeutet soviel wie "Stolz", "Würde"; er ist im Hinblick auf den Kampf zwischen den Idealen/dem eigenen Stolz und der Niederlage (Er verrät die Geheimnisse, er stirbt nicht erhobenen Kopfes) gewählt. Darüber hinaus mochte ich der Geschichte zwar historisch-geographische Rahmenbedingungen absprechen, seltsamerweise jedoch sah ich in meinem Kopf die Szenerie stets in einem südamerikanischen Gefängnis sich abspielen, deswegen die Wahl des Spanischen.

Ich hoffe, ich konnte etwas Aufklärung schaffen, achja, kynos wirklich vom Hund, da hat jemand in Griechisch gut aufgepasst ;), aber auch von den alten Kynikern und meiner Begeisterung für die wundervolle Charaktereigenschaft des Zynismus,

in diesem Sinne,


viele Grüße,
Peter

 

Dann gibts jetzt eben Gesellschaft von einem jungen, verbitterten Sack :D

 

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