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Ganz im Vertrauen

Seniors
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02.01.2002
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2.436

Ganz im Vertrauen

Vor unserem Haus liegt ein Spielplatz. An sonnigen Tagen sitze ich oft am Fenster und sehe den Kindern zu. Vieles kommt mir dabei in den Sinn. Manchmal wäre ich gerne wie sie. Manchmal denke ich, dass es zu irgendetwas gut ist, dass ich anders bin. Und manchmal denke ich an Jonas.

Wir lernten uns im Chat kennen. Ganze Nächte sprachen wir über Gott und die Welt und vertrauten uns all unsere Geheimnisse an. Fast alle.

»Sie haben eine neue Nachricht« wurde zu meinem Lieblingssatz. Täglich kamen E-Mails von Jonas, zum Geburtstag eine Grußkarte. Ein Teddybär mit einem Herz im Arm. Mein eigenes klopfte bis zum Hals.

»Wenn du nur halb so süß bist, wie du schreibst ...« Der Satz ging nicht weiter. Brauchte er auch nicht. Ich las ihn immer wieder.

»Ich möchte dich gerne kennenlernen ...« Ich dich auch, Jonas. Ich wollte es wirklich.

Jonas wohnte nicht weit weg. Er schlug ein Treffen im Stadtpark vor. » ... wo die Pärchen über die Wiese schlendern.« Eine schöne Vorstellung.

Kurz vorher sagte ich ab. Kein Treffen, kein Jonas. Und keine Begründung. »Ich kann nicht.« Das war alles. »Es tut mir so Leid.«

Ein paar Mal meldete er sich noch. Kurze, unverbindliche Mails. Dann lange Zeit nichts mehr. Fünf Wochen später kam eine E-Mail. Ich öffnete sie mit zitternder Hand. Jonas ging es gut. Viel Stress hatte es gegeben. Schule, Führerschein, Familie. Und seine neue Freundin natürlich. Sophie. Seit drei Wochen waren sie zusammen. In einem Chat kennengelernt. Mir gehe es hoffentlich ebenfalls gut. »Vielleicht sehen wir uns trotz allem irgendwann mal ...«

Ja, vielleicht, dachte ich. Dann rollte ich wieder ans Fenster.

 
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Hi Ginny-Rose!
Respekt! Ich bin eigentlich jemand, er recht wenig von einem abschließenden "Hammersatz" hält. Meistens geht das voll in die Hose, weil man die ach so überraschende Pointe schon Meter gegen den Wind riecht!
Aber mit diesem Schluss hast du mich voll erwischt. Ich dachte, die ganze Zeit, schön geschrieben, sprachlich gut, aber schade – wie belanglos. Zumal ich von diesem ganzen Chat-Geflirte eh nicht viel halte. Also, bis zum letzten Satz dachte ich... man, man, was für ein (zumindest in diesem Fall) vergeudetesTalent.
Und dann das! Ein Wörtchen nur – und plötzlich wird aus Belanglosem Tragisches!
Tja, der Rest ist gesagt, ich wiederhole es aber gene noch mal, du hast mich voll erwischt. Und das passiert mir eigentlich nicht all zu oft.
Fazit: Tolle Geschichte.
Schätze, bei mir hast du dein Ziel erreicht

Liebe Grüße Sebastian

P.S.: Habe nochmal über die Geschichte nachgedacht. Sie funktioniert bei mir vor allem dann, wenn das Mädchen so um die 14 bis 16 ist. Alles ab 20 erscheint mir igrendwie schon zu alt. Komisch, oder? Mich würde interessieren, ob du an ein bestimmtes Alter gedacht hast?
Tut der guten Geschichte aber keine Abbruch. ;)

 

Hej Ginny!

Ich erwarte bei dir ja nie Belangloses - und ich hatte auch höchstens das Gefühl "da muss noch was kommen", habe aber nicht mit dem Ende gerechnet, dass Du uns da vorsetzt. Gut gemacht, sprachlich wie immer hervorragend und vor allem mal wieder der Beweis, dass man mit wenigen Worten viel aussagen kann, wenn man mit ihnen umzugehen weiß! :thumbsup:

LG
chaosqueen

 

Hallo Ginny-Rose!

Kann mich eigentlich größtenteils nur anschließen. Angenehmer Schreibstil, der mich leicht durch diese kleine Geschichte trug. „Klein“ hier absolut nicht abwertend, sondern nur deshalb, weil ich persönlich ein derartiges Thema wohl (wie ich nun erkenne - völlig unnötig) noch ausgeweitet hätte...

Was das Ende betrifft: Ich bin wohl irgendwie „vorbelastet“. Das es so ausgehen könnte (musste...) kam mir nach den ersten 2 Absätzen schon in den Sinn. Hab aber trotzdem – und das wirklich gerne – weitergelesen. :)

Das einzige, was mich etwas stolpern ließ – und die Wirkung des letzten Satzes durch ein Stirnrunzeln störte – ist die Tatsache, dass ich irgendwie davon ausging, sie würde am Fenster stehen und zurückdenken. Auch an die letzte Mail – nur zurückdenken, während sie nach draußen sieht. Also brachte es mich etwas durcheinander, dass sie am Schluß wieder zum Fenster zurück musste – wo sie in meinen Gedanken doch genau dort stand.

Und der Titel erschließt sich mir nicht so ganz, aber merkwürdigerweise ist mir das nicht wirklich wichtig. Nur der Vollständigkeit halber. ;)

Nochmals: schöne Geschichte, gerne gelesen. :)

LG

Jones

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin, Ginny!

Kurzer Text, kurzer Kommentar. :D

Der letzte Satz ist in der Tat als Pointe eine sehr gute. Sie kommt sehr überraschend und kippt die komplette Perspektive mit einem Streich - wirklich sehr gelungen. Wenn auch mit einem Wehrmutstropfen - dazu gleich noch was.

Etwas verwirrt war ich, weil ich zunächst dachte, Du hättest Dich evtl. vertan und es hätte heissen müssen: "Kurz vorher sagte er ab." Das wäre ja eigentlich auch das übliche Szenario: Netz-Flirt, er baggert, kommt sich toll vor, schiesst sie dann ab, bevor es ernst wird. So war ich eben irritiert, weil das Szenario natürlich auch umgekehrt stattfinden kann (und stattfindet), was aber irgendwie nicht zum bisherigen Text gepasst hätte...

Allerdings dümpelt speziell der Anfang leider ein wenig belanglos vor sich hin. Das liest sich exakt so, wie eine dieser unsäglichen Teenie-Beichten, über die man hier ständig stolpert. Soll heißen: Wäre der Text nur ein Weniges länger gewesen als diese knappe eine Bildschirmseite, hätte ich die Pointe u.U. nie zu Gesicht bekommen. Insofern hattest Du bei der Längengestaltung wohl ein recht glückliches Händchen, wenngleich das Szenario an sich mehr Ausführlichkeit vertragen hätte.

Was mich zu meinem kleinen Kritikpunkt bringt:
Sobald die, zugegeben geschickt gewählte, Pointe zündet, bleibe zumindest ich sofort danach mit einigen Fragezeichen zurück, insbesondere, was die Motivation der Protagonistin und ihre spezielle Situation betrifft. Im Augenblick bedienst Du im Grunde ein Klischee von der vereinsamten Rollstuhlfahrerin á la Klara Sesemann, dass ich heutzutage so nicht mehr ohne Differenzierung hinnehmen würde. Was genau ist an ihr so anders, dass es sie abhält, außerhalb des Internet am Leben teilzuhaben? Viele rein gehbehinderte Menschen haben m.E. genau in diesem Punkt das Klischee längst abgeschüttelt. Es gäbe also m.E. nur zwei gute Gründe: Sie ist so krank, dass sie grundsätzliche Schwierigkeiten hat, ein normales Leben zu führen. Oder sie ist zu jung/unerfahren/schüchtern, um überhaupt mit Menschen in echten Kontakt treten zu können (natürlich evtl. durch ihre Situation mit bedingt, aber ich würde dem keine Exklusivität einräumen). Insofern ist mir der Charakter etwas zu undifferenziert. Was natürlich in der gegebenen Kürze auch nur schwerlich machbar ist.

So short,
Das Nörgelhorn

 

Hey Ginny,

dieser Shorty hat mir wieder richtig gut gefallen. Was die Pointe angeht, so war ich in der Hinsicht wieder ein Spätzünder, hab mir nämlich gar nichts dabei gedacht. Hatte im Kopf vor Augen wie sie mit ihrem Drehstuhl zum Fenster rollt und quasi draußen das echte Leben betrachtet.
Die Sache mit dem Rollstuhl wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf die Geschichte. Lass dir aber gesagt sein, dass sie auch ohne die Pointe funktioniert hätte (bei mir jedenfalls). Es wäre auch tragisch gewesen, wenn sie ihn nur aus Angst er könnte sie abweisen nicht hätte sehen wollen. Oder halt um den Zauber nicht zu zerstören.

So ist es natürlich nochmal eine Spur härter.
Hat mir gut gefallen, gerade weil man trotz der wenigen "Dialoge" irgendwie die Sympathie und Verbundenheit zwischen ihnen spüren kann!

besten Gruß
*Christian*

 

Hallo Ginny,

tolle Geschichte.

Mir hat es sehr viel Spaß gemacht sie zu lesen, auch wenn mich das Ende dann etwas traurig und nachdenklich zurück gelassen hat.

Ich denke die Problematik liegt darin, dass es für Rollstuhlfahrer trotz aller Fortschritte der Gesellschaft, immer noch schwierig ist, einen Partner zu finden.

Grüße Bella

 

Hallo Ginny,
Ich finde, dass deine Geschichte sich von den üblichenunglücklichenTeenieChatliebesgeschichten wohltuend abhebt, gerade weil du gleich zu Beginn auf das Besondere der Prot. hinweist:

Manchmal wäre ich gerne wie sie. Manchmal denke ich, dass es zu irgendetwas gut ist, dass ich anders bin.
So ist die Pointe am Schluss auch nicht reißerisch, sondern eher tragisch.
Kompliment. Mit wenigen Worten hast du ein ganzes Leben gezeichnet.
Goldene Dame

 

Ginny-Rose schrieb:
Jonas wohnte nicht weit weg. Er schlug ein Treffen im Stadtpark vor. » ... wo die Pärchen über die Wiese schlendern.« Eine schöne Vorstellung.

Bis hier her dachte ich erst noch an Get. Frag mich nicht warum, Ginny, aber plötzlich musste ich wieder an ihn denken, und wie sehr er fehlt.

Dann im letzten Absatz dachte ich mir: Der wars doch gar nicht wert. Wenn er sich gleich was Neues sucht.

Der letzte Satz allerdings entscheidet über alles andere. Man kann noch so "untreu" sein, noch so schüchtern, aber der letzte Satz lässt mit einem Wort alles klar werden. Dazu fällt mir nur ein: Himmelhoch jauchzend und doch zu Tode betrübt.

 

Zuerst dachte ich "kurz und trivial", aber das Ende hat es in sich, ohne dass ich das gefühl habe, du willst damit eine Mittelmäßige Geschichte pushen. Nein Am Ende ist es eine stimmige Sache. Gut so.

 

Eine Geschichte, über die ich heute, nachdem ich sie vor vier Tagen gelesen habe, immer noch intensiv nachdenke. Auch wenn ich ebenso wie Anima das zuerst gar net realisiert habe.
Nun, aber Rollstuhlfahrer haben tatsächlich oft noch Probleme mit der Eingliederung in das "normale" Leben, vor allem im Teenageralter. Eine klasse Geschichte, wird mich sicher noch weiterhin beschäftigen :)
Lilienfeuer

 

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