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Gebote

MRG

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12.03.2020
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Gebote

Männer sprechen nicht über Gefühle. Wenn sie es doch tun, sind sie eben keine echten Männer. Noah war einer von dieser Sorte. Kleiner Typ, nicht mal 1,75 Meter groß und bezeichnete sich selbst als "hochsensibel".
Ich erinnere mich an diesen Samstag bei der Arbeit, als Noah in mein Büro kam. Sein Blick wanderte unruhig von links nach rechts und ständig fuhr er sich über den Brustkorb. „Jens, ich fühl mich nicht so gut“, sagte er.
„Mensch, reiß dich doch mal zusammen!“
„Ich kann nicht.“ Seine Stimme klang hektisch, fast hysterisch. „Ich hab so eine Angst."
Als er das sagte, tippte er mit seinem Lederschuh an das Bein meines Schreibtisches. Das Geklapper störte mich. „Beruhig dich mal und hör auf mit dem Fuß da“, sagte ich streng. Er hörte sofort damit auf, nur um sich nervös durch die Haare zu streichen. Noah hatte dicke, braune Haare.
„Du steigerst dich da unnötig rein.“
Sein Blick erinnerte mich an ein gehetztes Tier.
„Ich …, tut mir leid.“ Es herrschte einen Moment lang eine Stille, die nichts Gutes versprach. Noah schluckte einmal, dann ein zweites Mal – trocken. Er drückte mit beiden Händen auf seine Brust, machte einen kleinen Hüpfer und atmete viel zu tief ein. Ich hatte den Eindruck, als hätte er mit Absicht die Luft angehalten. Was für eine Dramaqueen, unglaublich.
„Ich kann nicht schlucken!“
Langsam wurde es mir wirklich zu viel.
„Stell dich nicht so an!“
Er erstarrte, seine Augen wurden leer und er verließ mein Büro. Als die Tür hinter ihm zufiel, war ich erleichtert. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

Der Therapeut schaut mich an, erwartet, dass ich weitererzähle. „Wenn Sie das so sagen, was löst das für ein Gefühl aus?“
„Keins.“
„Belastet Sie das nicht? Fühlen Sie sich nicht schuldig?“
„Kann ja nichts dafür, dass er nicht klarkam. So ist das eben.“
Der Therapeut seufzt. „Rufen Sie mich an, wenn es schlimmer wird. Erholen Sie sich.“
„Das wird nicht vorkommen“, denke ich. Dann stehe ich auf und fahre nach Hause. Seelenklempner konnte ich noch nie leiden.

Mit einer geübten Bewegung öffne ich das nächste Bier. Herrlich, wie das zischt und dieses Ploppen klingt wie Musik in meinen Ohren. Es gibt doch nichts über ein eiskaltes Flens.
Ich nehme einen tiefen Schluck. Dann mache ich den Fernseher an. Es dauert lange, bis ich mich für einen Film entschieden habe. Nach einer halben Stunde beginne ich mit einem japanischen Kriegsfilm, den ich schon nach fünfzehn Minuten wieder abbreche. Wieder erklingt dieses wohlige Ploppen und ich entscheide mich für meinen Lieblingsfilm – Rambo 1. Meine Fingernägel tippen gegen die Flasche. Das Geräusch stört mich. Schnell stehe ich auf, drücke auf Pause und gehe in die Küche. Dort öffne ich einen Schrank, der sich in etwa auf Kopfhöhe befindet. Darin stehen Schnapsflaschen. Ich greife nach meinem Lieblingswhiskey - einen Laphroaig. Der Eiswürfel klirrt leise, als ich ihn in mein Glas gebe. Immer wieder staune ich, wie schön es aussieht, wenn die Flüssigkeit auf das Eis fließt.

Zurück auf dem Sofa, drücke ich auf die Fernbedienung und nehme den ersten Schluck. Der Laphroaig ist normalerweise eine Geschmacksexplosion, die sich nicht in Worte fassen lässt, aber heute schmeckt er anders. In mir steigt etwas hoch, ganz langsam baut es sich auf wie eine Riesenwelle. Je mehr ich dagegen ankämpfe, desto schlimmer wird es. So eine Scheiße! Ich drehe den Ton des Films immer lauter, doch es hilft nicht. Ruckartig stehe ich auf, mein Glas fällt auf den Boden. Ich mache einige große Schritte auf den Fernseher zu, hole mit meinem Bein aus und trete mitten in den Bildschirm. Was ist los mit mir? Das muss an diesem Seelenklempner liegen, was für ein Spinner. Ich greife zum Telefon und wähle seine Nummer. Er geht nach dem zweiten Klingeln dran und begrüßt mich, doch ich habe keine Zeit für Höflichkeitsformen.
„Ihre Sitzung war eine einzige Zeitverschwendung! Das wollte ich noch mal klarstellen!“
„Geht es Ihnen gut?“, fragt er besorgt. „Ihnen macht der Vorfall doch zu schaffen?“
„Nein! Es hat absolut nichts mit Noah zu tun!“

Nachdem ich aufgelegt habe, sacke ich zusammen – die gesamte Spannung weicht aus meinem Körper. Tränen fließen mir über das Gesicht. Muss wohl an meiner Wut liegen. Seelenklempner sind echt die Schlimmsten.

Ich schaue auf meine Uhr. Seit dem Vorfall sind 66 Tage, 3 Stunden und 27 Minuten vergangen.

 
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Guten Abend @AWM,

vielen Dank für deine schnelle Rückmeldung, das hat mich gefreut.

Über weite Strecken hast du das auch gut geschrieben. Ich würde an manchen Stellen das Überdeutliche herausnehmen.
Interessant, ich hatte vorher sogar noch mehr erklärt und das dann in der Überarbeitung rausgestrichen. Deine Rückmeldung ist daher für mich ziemlich wertvoll, weil es mir zeigt, dass ich meinen Lesern noch mehr vertrauen kann. Tue mich da manchmal schwer, diese Mitte zu finden, zwischen zu viel erklären und zu wenig. Ist ein guter Punkt.

Habe dir unten paar Beispiele geschrieben und auch gekürzt. Ist aber sicher auch Geschmackssache.
Du hast da viele interessante Impulse gegeben. Ich werde eine Nacht darüber schlafen. Gerade die Punkte zu den Dialogen finde ich anregend. In meinen Augen zeigt es die Charaktere und daher tue ich mich gerade schwer mit dem Gedanken, das zusammen zu streichen. Auf der anderen Seite kann ich sehr wohl den Punkt sehen, dass es irgendwo auch ein wenig redundant ist.

Ich habe die Geschichte so gelesen, dass dein Prota seit diesem Vorfall, für den er sich die Schuld gibt, arbeitsunfähig ist, sich das aber nicht eingestehen kann, weil er eben einem Männlichkeitsbild anhängt, das keine Gefühle zulässt.
Ja, ganz genau. Eigentlich denkt er über nichts anderes mehr nach und zeigt sehr wohl Gefühle für Noah, aber wie du schon geschrieben hast, kann er das nicht zulassen. Das würde sein gesamtes Selbstkonzept sprengen.

Was mir ein bisschen fehlt, ist die Empathie für Noah, die dein Prota ja verdrängt, die aber hier und da durchscheinen könnte.
Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Finde, dass das eine weitere Anregung ist, über die ich reflektieren möchte. In meinen Augen zeigt der Prota auf seine Art und Weise schon Bedauern. Denn der ganze Vorfall setzt ihm ja doch stark zu und sorgt für seine Auszeit, bzw. psychische Krise. Aber ja, vielleicht wäre es gar nicht so schlecht das noch etwas mehr anzudeuten, um den Prota menschlicher zu machen.

Insgesamt hat es mir aber gefallen und du bist auf einem guten Weg.
Vielen Dank, bedeutet mir schon etwas! :-)


Schönen Abend und beste Grüße
MRG

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo MRG,

die Idee gefällt mir sehr gut, aber wie AWM schon angedeutet hat, wären mir etwas mehr subtilere Anzeichen auch lieber gewesen.
Trau dem Leser mehr zu! Durch die Aussage, dass der Prot ihn das letzte Mal gesehen hatte, ist ja klar, dass er übern Jordan ging, Herzinfarkt oder sowas.
Dann braucht es meiner Meinung nach nicht in er Reflexion noch ein zusätzliches Reinschlagen mit den Aussagen wie:

Der Noah vertrug bestimmt gar nichts, kippte nach einem Bier schon um.
Ich fände es intensiver, wenn du nach dem Abgang vom Noah nur beim Erzähler bleibst. Es braucht den Verstärker von den anscheinenden Schwächen Noahs nicht.

Noch im Detail:

Ich erinnere mich an einen Tag bei der Arbeit, kurz vor meiner Auszeit, als Noah in mein Büro kam.

Das finde ich chronologisch falsch - oder ich verstehe den Text falsch.
Dieser Satz impliziert, dass die Auszeit NICHTS mit dem Wegbleiben von Noah zu tun hat. Das ist der Moment, in dem du den Leser überforderst, denn der kann da noch nicht wissen, dass der Erzähler die Zusammenhänge seines Burnouts negiert. Solche indirekten Infos solltest du mMn erst nach dem Wegbleiben von Noah preisgeben - wenn überhaupt.

Viele Grüße
bernadette

 

Hola @MRG,

da hast Du einen Spitzen-Titel kreiert! Etwas Hehres würde ich erwarten, mit großem Anspruch – schließlich ist Männlichkeit ein großes Ding – oder eine Glosse zu Zeiten, in denen die Männlichkeit und besonders, mit Recht, die “Männlichkeit“ demontiert wird, mit Augenzwinkern oder ohne.

Schon beim Überfliegen war ich erstaunt, mit wie wenig Text dieses Wahnsinnsthema abgehandelt werden soll. Na ja, vielleicht wird‘s Satire – aber dann fehlte der tag.
Jedenfalls taucht Noah auf, ich lese:

...ständig fuhr er sich über den Brustkorb.
Was sagt mir das? Juckt ihn das Brusthaar, spürt er eine Brust wachsen? Keine Ahnung.

Mir kam es damals so vor, als würde eine Tunte vor mir stehen.
Diese Feststellung sollte unterfüttert werden. Der Satz, so wie er ist, genügt nicht, dem Leser ein einigermaßen anschauliches Bild zu liefern.

Welcher echte Mann lässt sich denn so von seinen Gefühlen überwältigen?
Ich kann nicht erkennen, inwieweit Noah von Gefühlen ‚überwältigt‘ wird. Das müsstest Du schon zeigen. Dieser Satz klingt eher nach Versatzstück, einfach so hingeworfen, weil er irgendwie zum Thema zu passen scheint. Sehr unbefriedigend.

Als er das sagte, tippte er mit dem rechten Absatz seines Lederschuhs an die Kante meines Schreibtisches.
Wie ich es auch drehe – es will sich kein Bild einstellen. Auch passt die übergenaue, aber unnütze Beschreibung ‚rechter Absatz seines Lederschuhs‘ nicht zum übrigen, recht flott (vielleicht in wenigen Stunden?) geschriebenen Text. Zumindest habe ich diesen Eindruck.

Und jetzt schon kommt Enttäuschung auf, weil der großartige Titel nicht hält, was er (mir) verspricht.

Er drückte mit beiden Händen auf seine Brust, machte einen kleinen Hüpfer ...
… er machte einen Hüpfer? Aus dem Stand oder wie? Und wozu, warum??
Sehr komisch, beinahe ärgerlich. Der Text macht einen unfertigen Eindruck, da fehlt die Nachpolitur.

Was ist denn los mit dir! Kommst hier rein wie die größte Pussy, erzählst mir was von Angst und hältst dann die Luft an, nur um Aufmerksamkeit von mir zu bekommen. Du hast echt gar keine Eier. Und jetzt raus mit dir!“
Der Dialog der beiden wirkt auf mich furchtbar hölzern, da verspüre ich Nullnull beim Lesen – statt Emotionen leider Frust.

Seit diesem Vorfall sind 66 Tage, 3 Stunden und 27 Sekunden vergangen.
Hätte der Text etwas Reifezeit gehabt, wäre Dir das Unnütze dieser pingeligen Zeitangabe sicherlich selbst aufgefallen – so fällt es jedoch dem Leser auf … (der schon verstanden hat, was Du sagen willst, allerdings nicht sehr geschickt). Im Doppel nicht besser:
66 Tage, 4 Stunden und 20 Sekunden.
Dass bei ihm sogar Sekunden eine Rolle spielen, halte ich für unglaubwürdig.

Ich sag euch, dieser Noah war echt das Gegenteil von einem echten Mann.
Mit einer geübten Bewegung öffne ich das nächste Bier. Herrlich, wie das zischt und dieses Ploppen klingt wie Musik in meinen Ohren. Es gibt doch nichts über ein eiskaltes Flens. Der Noah vertrug bestimmt gar nichts, kippte nach einem Bier schon um.
Tja, MRG, das ist sehr (zu) plump. So viel Holzhammer braucht kein Mensch.
Vielleicht Flash Fiction, aber Kurzgeschichte?
Dafür ist es mir zu wenig. Nicht fein genug ausgearbeitet, gefühlt ruckzuck runtergeschrieben.

Beispiel: Nach dreißig Minuten beginne ich mit einem japanischen Kriegsfilm, den ich schon nach fünfzehn Minuten wieder abbreche.
Ja, verstanden – trotzdem zu viele Zeitangaben. Es gäbe Tausende Wörter …

Und für denjenigen, der es immer noch nicht kapiert hat, nochmals im KLARTEXT:

Er war wirklich das Gegenteil von mir.
Aua.

Lieber MRG, statt ‚gern gelesen‘ kann ich heute leider nur sagen, dass mir dieser Text überhaupt nicht gefallen hat.

Könnte ich auch alles für mich behalten, doch wir sind Schreibende, die peu à peu immer ein bisschen besser schreiben wollen. Und sachlich auf Textmängel hinzuweisen, ist dabei unabdingbar.

José

 

Hi @MRG

nur ein paar kurze Anmerkungen. Ich habe ein paar deiner Texte gelesen und kann sie doch nicht ganz fassen. Du transportierst ein gesellschaftliches Phänomen - hier Homophobie - und bastelst eine Szene daraus. Was mir ziemlich gut gefällt. Trotzdem lassen mich die Figuren als Leser ziemlich unberührt zurück. (ging mir auch bei der Holden Caulfield Geschichte so, wie der Literaturbezug zwar hergestellt, aber nicht vertieft wurde, nicht geklärt wurde, warum er sich an den Fänger im Roggen erinnert.)

Warum? Ich erfahre nichts über den Protagonisten, weiß nicht, wie seine Einstellung entstanden ist, ob er eine Dumpfbacke ist, die homophobes Gerede ebenso wie anderes Geschwätz einfach nachplappert, ob es Gründe gibt, die in seiner Vergangenheit liegen, ob er selbst zB vor einem Coming-Out steht, sexuelle Probleme hat, was auch immer.
Auch das Zählen der Uhrzeit seit dem Tod könntest du mMn besser bzw. breiter aufzeigen.

Aus eigener Erfahrung: die Idee zu einem Text entsteht bei mir meist aus einer Szene heraus, aus einer Nachricht, die ich lese, einer Beobachtung im real life. Heute habe ich zB von Agafja Lykowa gehört. die seit 69 Jahren als Einsiedlerin in der sibirischen Taiga lebt, nur gelegentlich und äußerst selten in einer Stadt war. Sie hält Barcodes für Zeichen des Teufels, liest täglich in de Bibel. Um zu verstehen, wie sie dazu kommt, muss ich Agafja verstehen, muss mir klar werden, in welcher inneren Welt sie lebt. Das speist sich aus Erfahrungen und Erinnerungen.
Wenn du diese verarbeitest, einfügst, reicherst du den Text an, daraus lässt sich ein feiner Text gestalten. Jedenfalls einer, der mehr von dem transportiert, was du vermutlich transportieren willst. (Ist natürlich Mutmaßung). Du brauchst dann etwas mehr Platz, etwas mehr Text, aber es lohnt sich, meine ich.

Mir kam es damals so vor, als würde eine Tunte vor mir stehen. Welcher echte Mann lässt sich denn so von seinen Gefühlen überwältigen?
Wann wurde er jemals von seinen Gefühlen überwältigt?

Noah hatte dicke, braune Haare, die für einen Mann viel zu lang waren.
mm, na ja, die langen Haare tragen auch echtere Männer


viele Männer-sind-ja-auch-nur-Männer-Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Abend @bernadette,

vielen Dank für deinen Besuch und deinen Kommentar. Da sind gute Punkte drin, hat mich gefreut:

die Idee gefällt mir sehr gut, aber wie AWM schon angedeutet hat, wären mir etwas mehr subtilere Anzeichen auch lieber gewesen.
Trau dem Leser mehr zu! Durch die Aussage, dass der Prot ihn das letzte Mal gesehen hatte, ist ja klar, dass er übern Jordan ging, Herzinfarkt oder sowas.

Finde es cool, dass dir die Idee gefallen hat. Tatsächlich hatte ich in meiner ersten Version noch mehr Erklärungen drin (habe da noch ganz genau geschildert, was mit Noah passiert ist). Habe ich dann rausgestrichen. Ich nehme für mich mit, dem Leser mehr zu vertrauen.

Ich fände es intensiver, wenn du nach dem Abgang vom Noah nur beim Erzähler bleibst. Es braucht den Verstärker von den anscheinenden Schwächen Noahs nicht.
Eine interessante Idee. Ich hatte nur die Befürchtung, dass das Konzept dann nicht ganz aufgeht. Denn mir ist schon wichtig, dass ganz klar wird, dass der Protagonist ja doch sehr wohl Gefühle hat, die er stark verdrängt, da er die ganze Zeit über an Noah denkt. Sein Geist dreht sich nur noch darum.

Das ist der Moment, in dem du den Leser überforderst, denn der kann da noch nicht wissen, dass der Erzähler die Zusammenhänge seines Burnouts negiert.
Habe das angepasst, danke!

Vielen Dank für deinen schönen Kommentar, hat mir weitergeholfen.
Wünsche dir noch einen schönen Abend.


Beste Grüße
MRG

Guten Abend @josefelipe,

vielen herzlichen Dank für deine ehrliche Kritik. Schade, dass es für dich nicht funktioniert hat, allerdings sind solche Rückmeldungen ausgesprochen wichtig, damit ich mich weiter verbessern kann. Ich versuche etwas ausführlicher auf deine Punkte einzugehen:

da hast Du einen Spitzen-Titel kreiert! Etwas Hehres würde ich erwarten, mit großem Anspruch – schließlich ist Männlichkeit ein großes Ding
Ich befürchte, dass ich damit tatsächlich falsche Erwartungen bei dir geweckt habe. Allerdings war mir das Thema doch sehr wichtig. Ich finde es ganz merkwürdig, welche Schubladen für Männer gelten (für Frauen gilt das natürlich auch). Inspiration für die Geschichte hat mir ein Interview von Ferdinand von Schirach nach einer seiner Lesungen gegeben. Er geht darauf ein, dass es so viele Gebote in der Welt gibt: so viele "sollen" und "müssen". Daher kommt dann auch der Titel.

Juckt ihn das Brusthaar, spürt er eine Brust wachsen? Keine Ahnung.
Noah hat eine Panikattacke. Dabei ist es oft so, dass sich viel zu viel Energie im Körper ansammelt. Und da er das ganze nicht herausschreien kann, muss er die auf andere Art und Weise externalisieren. Daher streicht er sich nervös über die Brust, was dann von dem Protagonisten verurteilt wird. Das war die Idee dahinter, schade, dass es für dich nicht funktioniert hat. Ich nehme das zur Kenntnis und versuche mich zu verbessern.

Diese Feststellung sollte unterfüttert werden. Der Satz, so wie er ist, genügt nicht, dem Leser ein einigermaßen anschauliches Bild zu liefern.
Ja, das ist ein guter Punkt. Ich nehme an, dass diese kurzen Behauptungen bei dir den Eindruck erweckt haben, dass das eine nicht besonders gut ausgearbeitete Geschichte ist (wobei gebe dir da recht, es ist wirklich mehr Flash Fiction als Kurzgeschichte). Das muss ich so akzeptieren.

Ich kann nicht erkennen, inwieweit Noah von Gefühlen ‚überwältigt‘ wird. Das müsstest Du schon zeigen. Dieser Satz klingt eher nach Versatzstück, einfach so hingeworfen, weil er irgendwie zum Thema zu passen scheint.
Meinst du mit zeigen, dass die innere Welt von Noah dargestellt werden sollte? Mein Grundansatz war es, die körperlichen Reaktionen von Noah darzustellen. Das Steichen über die Brust, das Klopfen mit dem Absatz und der Hüpfer.

Und jetzt schon kommt Enttäuschung auf, weil der großartige Titel nicht hält, was er (mir) verspricht.
Ja, schade!

… er machte einen Hüpfer? Aus dem Stand oder wie? Und wozu, warum??
Er macht sich selbst absolut verrückt, es herrscht absolutes Chaos in seinem Inneren. Er fühlt sich überwältigt, muss sich bewegen, um dieses Gefühl wieder loszuwerden. Und wieder verurteilt ihn der Protagonist, ganz ohne ihn zu verstehen oder sich auch nur zu fragen, was denn wohl mit Noah los sein könnte?

Der Dialog der beiden wirkt auf mich furchtbar hölzern, da verspüre ich Nullnull beim Lesen – statt Emotionen leider Frust.
Mist, da muss ich wirklich noch weiter dran arbeiten. Habe einige von AWMs Vorschlägen aufgenommen und die Dialoge gekürzt.

Hätte der Text etwas Reifezeit gehabt, wäre Dir das Unnütze dieser pingeligen Zeitangabe sicherlich selbst aufgefallen – so fällt es jedoch dem Leser auf … (der schon verstanden hat, was Du sagen willst, allerdings nicht sehr geschickt).
Tatsächlich hatte der Text mehr Reifezeit, als man vielleicht auf den ersten Blick annehmen würde. Ich habe lange überlegt, ob ich den überhaupt einstellen soll. Meine erste Leserin war meine Mutter, die auch radikal mit dem Rotstift drangegangen ist. Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht genau, wie ich das hätte geschickter machen können. Mir war es wichtig, zu zeigen, dass er an nichts anderes mehr denken kann und eine Obsession entwickelt hat (daher finde ich die Sekundenangabe doch schon passen und ist mir wichtig gewesen).

Tja, MRG, das ist sehr (zu) plump. So viel Holzhammer braucht kein Mensch.
Vielleicht Flash Fiction, aber Kurzgeschichte?
Es war wirklich nicht als Holzhammer gedacht. Vielmehr sollte es eine kleine, feine Geschichte sein, die den Finger auf die Verurteilung von Menschen mit Panikattacken legt. Das ist mir bei dir offensichtlich nicht gelungen, wahrscheinlich fehlt es hier noch an Tiefe.

Ja, verstanden – trotzdem zu viele Zeitangaben. Es gäbe Tausende Wörter
Habe ich angepasst, danke für die Beobachtung.

Könnte ich auch alles für mich behalten, doch wir sind Schreibende, die peu à peu immer ein bisschen besser schreiben wollen. Und sachlich auf Textmängel hinzuweisen, ist dabei unabdingbar.
Ja, vielen Dank! Ich habe deinen Kommentar auch getrennt von meiner Person gesehen, also da musst du dir absolut keine Sorgen machen. Ich schätze diese ehrlichen Worte und denke intensiv über deine Worte nach

Vielen Dank für deine Zeit und ich wünsche dir noch einen schönen Abend.


Beste Grüße
MRG

Hallo @Isegrims,

dein Kommentar ist der Hammer! Du hast da etwas angesprochen, was richtig ins Schwarze getroffen hat. Genau das fällt mir noch so schwer, diese Verbindung zu meinen Protagonisten, diese Nähe. Ich finde deinen Hinweis auch echt hilfreich. Vielen Dank für diesen Wahnsinnskommentar, hilft mir wirklich weiter.

Was mir ziemlich gut gefällt.
Danke für deine ermutigenden Worte am Anfang, hat mich gefreut.

Trotzdem lassen mich die Figuren als Leser ziemlich unberührt zurück. (ging mir auch bei der Holden Caulfield Geschichte so, wie der Literaturbezug zwar hergestellt, aber nicht vertieft wurde, nicht geklärt wurde, warum er sich an den Fänger im Roggen erinnert.)
Das ist ein guter Punkt. Wenn ich Texte von mir lese, dann fehlt mir da immer etwas und so richtig kann ich noch nicht sagen, was es ist. Denke, dass du da mit diesen Sätzen ziemlich genau ins Schwarze triffst.

Ich erfahre nichts über den Protagonisten, weiß nicht, wie seine Einstellung entstanden ist
Ich fühle mich da oft überfordert, weißt nicht wo ich ansetzen kann, um diese Einstellung und sein Innenleben zu zeigen. Das ist mir auch bei "Durch die Kälte" aufgefallen, ich hatte dieses Ziel unbedingt Nähe herstellen zu wollen und das ist mir aber nicht gelungen.

Auch das Zählen der Uhrzeit seit dem Tod könntest du mMn besser bzw. breiter aufzeigen.
Ja, da gebe ich dir recht. Die Uhrzeit an sich ist mir schon ganz wichtig, doch an der Ausarbeitung und Verfeinerung werde ich weiter arbeiten. Ich überlege mir gerade, wie ich da am besten vorgehe.

Um zu verstehen, wie sie dazu kommt, muss ich Agafja verstehen, muss mir klar werden, in welcher inneren Welt sie lebt. Das speist sich aus Erfahrungen und Erinnerungen.
Wenn du diese verarbeitest, einfügst, reicherst du den Text an, daraus lässt sich ein feiner Text gestalten.
Ja, es sind die Erfahrungen und Erinnerungen, stimmt. Nach deinem Kommentar hatte ich dieses Bild, dass ein Charakter aus vielen verschiedenen Schichten besteht, die mit den beschriebenen Erfahrungen aufgebaut werden. Interessant, so richtig verstanden habe ich das aber immer noch nicht. Oder präziser: Ich habe es intellektuell verstanden, aber noch nicht verinnerlicht. Das wird wohl noch ein paar Jährchen dauern.

Jedenfalls einer, der mehr von dem transportiert, was du vermutlich transportieren willst. (Ist natürlich Mutmaßung).
Ja, da hast du absolut recht. Der Kommentar von Jose hat mir das auch noch mal gut verdeutlicht. Das Thema lag und liegt mir noch immer am Herzen. Und ich habe auch das Gefühl, dass da eine Geschichte ist, die ich ausdrücken will. Aber so richtig, kriege ich das noch nicht auf das Papier.

Wann wurde er jemals von seinen Gefühlen überwältigt?
Habe ich rausgenommen, da habe ich mehr vorausgesetzt, als ich eigentlich geschrieben habe. In meinem Kopf war das ganz offensichtlich, dass Noah gerade eine Panikattacke hat. Das kann man aber als Leser oder Leserin gar nicht so nachvollziehen.

mm, na ja, die langen Haare tragen auch echtere Männer
Ja, genau und wieder sind wir bei einem (vermeintlichem) Gebot, von dem ich wenig halte.


Vielen Dank für diesen schönen Kommentar. Das ist einer meiner persönlichen Favoriten, was Kommentare angeht. Ich habe das Gefühl, dass du meine momentane Situation sehr gut erfasst hast.

Wünsche dir noch einen schönen Abend.


Beste Grüße
MRG

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola @MRG,

für die ausführliche Beantwortung meines Komms danke ich Dir. Kommentare sind eben nur Privatansichten mit den Möglichkeiten unsachlicher Interpretation des Textes oder gar völlig unrecht zu haben.
Hier geht‘s mir nur um ein kleines Missverständnis:

da hast Du einen Spitzen-Titel kreiert! Etwas Hehres würde ich erwarten, mit großem Anspruch – schließlich ist Männlichkeit ein großes Ding
MRG: Ich befürchte, dass ich damit tatsächlich falsche Erwartungen bei dir geweckt habe.
Gott bewahre! Der Satz geht doch noch weiter:
– oder eine Glosse zu Zeiten, in denen die Männlichkeit und besonders, mit Recht, die “Männlichkeit“ demontiert wird, mit Augenzwinkern oder ohne.

Die „Männlichkeit“ in Gänsefüßchen ist die Variante von Rambo, Deinem Prota und anderen Dummköpfen. Deshalb gutes und dankbares Thema für eine Glosse.

Über echte Männlichkeit würde ich jedoch nie Witze machen, das ist eine ganz andere Disziplin.

Interessant finde ich Deine Erklärung:

Inspiration für die Geschichte hat mir ein Interview von Ferdinand von Schirach nach einer seiner Lesungen gegeben. Er geht darauf ein, dass es so viele Gebote in der Welt gibt: so viele "sollen" und "müssen". Daher kommt dann auch der Titel.
Ich fürchte, Dir nicht folgen zu können. Im Text erkenne ich nicht, dass der Prota in irgendeiner Form etwas zu tun haben könnte mit einem Gebot. Sollte der sich so blöd benehmen, weil er einem Idol, einem Gebot folgen will? Das glaube ich nicht – der lässt sich doch von seinen Steinzeit-Aversionen treiben, dass es einen graust. Leider bezieht er daraus ein Überlegenheitsgefühl, und das ist für so eine hohle Nuss etwas Schönes.

Lieber MRG, mir imponiert, wir gründlich Du Dich dem Schreiben näherst und ich wünsche Dir Beharrlichkeit und letztlich den verdienten Erfolg!

José

 

Guten Abend @josefelipe,

ich befürchte, dass mir nicht so ganz klar ist, was du mit einer Glosse meinst?
In meinem Kopf war der Protagonist eigentlich ein ganz armes Würstchen, gefangen in dem Wunsch jemand zu sein, der er gar nicht ist. Dementsprechend auch der Gedanke mit den Geboten. Er orientiert sich an seinen Vorbildern, hat keinen guten Selbstzugang und leidet massivst unter den Konsequenzen von Noahs Tod.

Lieber MRG, mir imponiert, wir gründlich Du Dich dem Schreiben näherst und ich wünsche Dir Beharrlichkeit und letztlich den verdienten Erfolg!
Vielen Dank für diesen Wunsch! Ich bin mir sicher, dass ich durch die Kommentare hier ganz viel dazu lernen kann und ich muss auch einfach sagen, dass ich Literatur liebe. Selbst, wenn ich niemals besonders gut werden sollte, finde ich das okay - solange ich gute Bücher/Texte lesen kann.

Wünsche dir eine gute Nacht und bedanke mich für deinen erneuten Kommentar.


Beste Grüße
MRG

 

Text überarbeitet, hoffe es wird jetzt klarer.

 

Hey @MRG ,

ich hab nen Eimer voll mit Kleinkram. Hier, fang:

und bezeichnete sich doch tatsächlich selbst als "hochsensibel".

Würde "doch tatsächlich" rausnehmen. Gibt dem Text mMn. nach nichts, bläst den Satz nur auf.

Ich erinnere mich an diesen Samstag bei der Arbeit als Noah in mein Büro kam.

Komma nach Arbeit.

Mensch reiß dich doch mal zusammen!“

Komma nach Mensch.

„Ich kann nicht, ich hab so eine Angst. Mein Gott, was soll ich machen?“
Seine Stimme klang hektisch, fast hysterisch. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich hab das Gefühl vor Angst zu ersticken.“

Da Noah weiterspricht, würde ich den Umbruch wegnehmen. Also "... was soll ich machen?" Seine Stimme bla bla, you get it. Ich sehe keinen Grund für nen Umbruch, es wechselt ja nicht mal der Sprecher.

„Ich …, tut mir leid.“
Es herrschte einen Moment lang eine Stille, die nichts Gutes versprach.

Noah schluckte einmal, dann ein zweites Mal – trocken. Er drückte mit beiden Händen auf seine Brust, machte einen kleinen Hüpfer und atmete viel zu tief ein. Ich hatte den Eindruck, als hätte er mit Absicht die Luft angehalten. Was für eine Dramaqueen, unglaublich.


Hier dasselbe. Mich hat es stark verwirrt, weil ich dachte, es hätte wegen dem Absatz einen Raum- oder Zeitwechsel gegeben, den es aber gar nicht gibt. Würde den ebenfalls entfernen.

Dann schaue ich auf meine digitale Uhr.

Warum eine digitale Uhr? Was ist daran anders? Ist es einfach nur eine Referenz zu Noahs Tod?

Thema Männlichkeit und die Erwartungshaltung daran ist ne mega interessante Sache. Ich merke immer öfter, dass es verschiedenen Männlichkeitsbilder gibt, die nebeneinander existieren und dass man diese Männlichkeitsbilder in ganz unterschiedlichen Altersgruppen findet. Ich finde es beinahe schade, dass die Gegenüberstellung bei dir durch Protagonist A, männlich, und Nebenfigur B, in seinen Augen nicht männlich, geschieht. Rambo? Ich hab mich total drauf gefreut, dass der Prot. mit Bier und Schnaps in der Hand sowas wie "Stolz und Vorurteil" schaut. Das wäre für mich ein richtig schöner Bruch gewesen, wie er da mit Taschentüchern sitzt und heutl, weil sie doch noch mit Darcy zusammenkommt.
Dass der Noah verreckt ist, habe ich erst nachträglich aus den Kommentaren herausgelesen. Ich hatte es so verstanden, dass er einfach die Nerven verliert, aus der Halle stürmt und kündigt. Du hast ja geschrieben, dass du zwischendurch eine andere Version hattest. Vielleicht ist es da deutlicher gewesen, ich lese es jetzt anders.
Ich mag deinen Text, aber wenn ich ehrlich bin, stört etwas daran. Was natürlich blöd kritisiert ist, weil ich selbst nicht mit dem Finger drauf zeigen kann. Ich weiß nicht, was mich stört. Es liegt irgendwo im zweiten Teil.
Homophobie lese ich da nicht raus. Klar lebt der Prot. in seiner eigenen Blase, in der er alles auf Männlichkeit ausgelegt hat: Verhalten, Getränke, Filme. Darüber identifiert er sich so stark als männlich, nimmt seine Eigenschaften und Vorlieben als typisch männlich an, dass Noah in seinen Augen automatisch abgestuft wird.
Was mich stört, denke ich, ist, dass ich aus dem Ende nicht schlau werde. Warum zertritt er den Fernseher? Du brichst die Figur nicht auf, ja, er sitzt da und philosophiert über Schnaps, aber in meinen Augen fällt er aus der oben genannten Blase nicht heraus. Noahs Tod scheint ihn nicht kalt zu lassen, aber auch das löst in meinen Augen keinen wirklichen Bruch zur Vergangenheit aus, wodurch ich mich frage, welche Entwicklung die Figur eigentlich durchmacht. Welche Entwicklung soll die Figur in deinen Augen durchmachen? Wenn ich was überlesen habe, lass es mich wissen.

Liebe Grüße
Meuvind

 

Hey @MRG,

ich eiere jetzt schon seit deiner Einstellung des Textes um diesen herum. Ich kriege den irgendwie nicht zu fassen. Ich gebe Dir mal einen Leseeindruck von mir, vielleicht kannst Du damit ja irgendwas anfangen.

Männer sprechen nicht über Gefühle. Wenn sie es doch tun, sind sie eben keine echten Männer.
Okay, ein Typ der auf Rollenbilder steht.

Ich hatte einen Arbeitskollegen, Noah, der das beste Beispiel für solch einen Waschlappen war. Kleiner Typ, nicht mal 1,75 Meter groß, trug eine Hornbrille und bezeichnete sich doch tatsächlich selbst als "hochsensibel".
Wozu dieses Detail? Brillenträger sind ja nicht per se unmännlich. Oder ist es dafür gedacht, ihn auf das Intellektuellengleis zu schieben? Ich weiß es nicht.

Ich erinnere mich an diesen Samstag bei der ArbeitKOMMA als Noah in mein Büro kam.

Noah hatte dicke, braune Haare, die für einen Mann viel zu lang waren.
Ich weiß nicht, wenn ich mir so Rocker anschaue, ich würde die nicht in die Mädchenkiste stecken, trotz ihrer langen Haare. Ist vielleicht nicht das beste Beispiel.

Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah.
Den ersten Absatz fand ich aber gut. Das er nicht erkennt, dass Noah Hilfe braucht und alles so abstempelt, und sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig macht, weil er sein Verhalten oberflächlich fehlinterpretiert.

Doch irgendetwas ist anders als sonst, die Szenen weniger faszinierend. Meine Fingernägel tippen unwillkürlich gegen die Flasche. Das Geräusch stört mich. Schnell stehe ich auf, drücke auf Pause und gehe in die Küche. Dort öffne ich einen Schrank, der sich in etwa auf Kopfhöhe befindet. Darin stehen Schnapsflaschen. Ich greife nach einem Laphroaig.
Nach zwei Monaten gefallen ihm seine Filme nicht mehr und er trinkt.

Zurück auf dem Sofa, drücke ich auf die Fernbedienung und genieße den ersten Schluck. Der Laphroaig ist eine Geschmacksexplosion, die sich nicht in Worte fassen lässt ...
Es schmeckt ihm und er regt sich über Leute auf.

... und wenn ich sie selbst denke, wird mir ganz anders. In mir steigt etwas hoch, ganz langsam baut es sich auf wie eine Riesenwelle. Je mehr ich dagegen ankämpfe, desto schlimmer wird es.
Was denn für ne Welle? Was steigt denn da in ihm auf? Und was macht das genau, außer, dass was-auch-immer schlimmer wird?

So eine Scheiße. Ich drehe den Ton des Films immer lauter, doch es hilft nicht. Ruckartig stehe ich auf, mein Glas fällt auf den Boden. Ich mache einige große Schritte auf den Fernseher zu, hole mit meinem Bein aus und trete mitten in den Bildschirm.
Und jetzt ist er besoffen genug, hat irgend ne Welle, wird deshalb wütend und latscht den Fernseher kaputt. Aha. Und nun?

Unwillkürlich streiche ich mir nervös durch die Haare. Immer und immer wieder.
Wie Noah es getan hat.

Dann schaue ich auf meine digitale Uhr.
Die da abläuft, oder was? Keine Ahnung, was die Uhr mir sagen will.

Mir fehlt die Verbindung zwischen Teil eins und zwei. Jeder Teil könnte für sich stehen, wobei Teil zwei mir eigentlich nur einen unzufriedenen Typen mit mieser Stimmung zeigt - also - wen juckts? Mich nicht.
Schätze jedoch, dass Du darauf hinaus wolltest, dass er in Teil zwei irgendwie mit seiner Schuld kämpft, keine Ahnung, ob er sich derer inzwischen bewusst ist oder nicht. Das fände ich aber schon interessant, kurz, ich erkenne im zweiten Teil keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema, was Du anfangs aufgemacht hast. Weil es eben keine Bezüge aufnimmt, außer das durchs Haar streichen am Ende, ist mir aber zu wenig, weil ich daraus nichts ableiten kann, was irgendwie auf die Vorgänge in seinem Inneren schließen ließen. Ich mein jetzt ne Richtung oder so. Die Geste kann für alles und nix stehen. Für mich jedenfalls.

So, ich hoffe, ich konnte mich irgendwie verständlich machen. Interessantes Thema auf jeden Fall. Schuld geht immer und ist für mich auch immer wieder spannend.

Beste Grüße, Fliege

 

Vielen Dank für eure beiden tollen Kommentare @Meuvind und @Fliege. Ich gehe am Wochenende ausführlich darauf ein, wenn ich etwas mehr Zeit habe.

 

Ich hatte einen Arbeitskollegen, Noah, der das beste Beispiel für solch einen Waschlappen war.

Das ist schon ein Jammer, „Noah“ genannt zu werden, da hätt man gleich den zwoten „Adam“ auch wie den ersten nennen können, aber der zwote war schon im Gegensatz zum ersten ein Weichei, besser Moralapostel, der den eigenen Sohn verflucht, weil Sohnemann den Vater wie Gott ihn schuf sieht. Unbedeckt! Wer weiß, nach welchem „Geschäft“.

Dabei bedeutet der Name doch, was Dein Antiheld (obwohl Jens ja auch eher einer ist) nur bedingt ausstrahlt – „Ruhe“ und „Trost“ zugleich. Frauen werden – wenn ich es richtig in Erinnerung hab – nur am Rande erwähnt, dass die vier Kernfamilien (Noah, Ham. Sem, Japhet) und die Tierwelt paarweise an Bord genommen werden.

Aber wie groß ist Jens eigentlich? Vielleicht ist er nur ein Sitzriese, der kurzen Beine halber ... Kann er wenigstens Noah über den Kopf spucken? (Das konnt ich spätestens mit 16 getrost bei Vater und Mutter.)

Ja – und mancher hat eben Todesangst und Ängste haben auch ihre psychisch-biologische Funktion - sollte also Ignoranz ein Merkmal von Männlichkeit sein?

So wird es ein Schlaglicht auf Jens, den Antihelden im Männlichkeitswahn.

Flusenlese

Ich erinnere mich an diesen Samstag bei der ArbeitKOMMA als Noah in mein Büro kam.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich hab das GefühlKOMMA vor Angst zu ersticken.“

„Jens, Jens! Ich kann nicht schlucken! Hilf mir, bitte.“
Warum wird dem „bitte“ nicht der Status gegönnt wie den Hilferufen zuvor! Ähnlich hier

So eine Scheiße.

Er erstarrte, seine Augen wurden leer. Als die Tür hinter ihm zu fiel, verspürte ich Erleichterung.
„zufallen“ auch in der Vergangenheit zusammen! "Zufall" ist halt das, was einem so "zufällt"
Dann schaue ich auf meine digitale Uhr.

Schöner Schluss zur begrenzten Zeilichkeit, die nicht durchs Sillikontal ausgehobelt werden sollte, dann nämlich Pothesengötter verwirklichte und in der Langeweile von Senioreheimen unterginge.

Gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Abend @Meuvind,

habe den Eimer gefangen und das angepasst. Vielen Dank für deinen Kommentar, der mich zum Nachdenken gebracht und sehr gefreut hat.

Thema Männlichkeit und die Erwartungshaltung daran ist ne mega interessante Sache.
Ja, finde ich auch ziemlich interessant. Das ist auch eine Frage, die ich mir selbst stelle. Was heißt es für mich männlich zu sein? So richtig habe ich noch keine Antwort.

Ich finde es beinahe schade, dass die Gegenüberstellung bei dir durch Protagonist A, männlich, und Nebenfigur B, in seinen Augen nicht männlich, geschieht.
Das ist ein guter Punkt. Habe darüber nachgedacht, ob ich das ändern will. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es erst einmal so lasse.

Rambo? Ich hab mich total drauf gefreut, dass der Prot. mit Bier und Schnaps in der Hand sowas wie "Stolz und Vorurteil" schaut.
Interessante Idee. Ich sehe Jens allerdings als einen dogmatischen Mann, der sich niemals eingesehen könnte, dass er "Stolz und Vorurteil" gut finden würde.

Dass der Noah verreckt ist, habe ich erst nachträglich aus den Kommentaren herausgelesen. Ich hatte es so verstanden, dass er einfach die Nerven verliert, aus der Halle stürmt und kündigt.
Habe es in der Überarbeitung versucht, dass das etwas deutlicher wird.

Ich mag deinen Text, aber wenn ich ehrlich bin, stört etwas daran. Was natürlich blöd kritisiert ist, weil ich selbst nicht mit dem Finger drauf zeigen kann. Ich weiß nicht, was mich stört. Es liegt irgendwo im zweiten Teil.
Die Rückmeldung war hilfreich für mich. Ich habe jetzt noch einen mittleren Teil eingefügt und den Schluss angepasst.

Was mich stört, denke ich, ist, dass ich aus dem Ende nicht schlau werde. Warum zertritt er den Fernseher? Du brichst die Figur nicht auf, ja, er sitzt da und philosophiert über Schnaps, aber in meinen Augen fällt er aus der oben genannten Blase nicht heraus. Noahs Tod scheint ihn nicht kalt zu lassen, aber auch das löst in meinen Augen keinen wirklichen Bruch zur Vergangenheit aus, wodurch ich mich frage, welche Entwicklung die Figur eigentlich durchmacht.
Ich habe das Ende angepasst. Ziel des Textes ist es, zu zeigen, dass Jens eben doch Gefühle hat, aber in seinem eigenen Weltbild gefangen ist. Aber unbewusst schreit er eigentlich nach Hilfe, kommt mit dem Vorfall überhaupt nicht klar und ist zutiefst verzweifelt. Ich habe daher jetzt den mittleren Teil eingebaut und dementsprechend auch das Telefonat am Ende, was natürlich auch irgendwie in sein Weltbild passen muss.

Vielen Dank für deinen schönen Kommentar, der mich zum Nachdenken gebracht hat. Bedanke mich für das aufmerksame Lesen.


Beste Grüße
MRG

Guten Abend @Fliege,

vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich gefreut. Du sprichst viele Punkte an, die mich weitergebracht haben:

Ich kriege den irgendwie nicht zu fassen.
Danke für deinen Eindruck, das ist sehr hilfreich für mich.

Okay, ein Typ der auf Rollenbilder steht.
Ja, genau und er ist da richtig drin gefangen. Er kann nicht aus seiner Rolle heraus, trotz dem schlimmen Vorfall, mit dem er total zu kämpfen hat. Aber das kann er eben nicht zugeben.

Wozu dieses Detail? Brillenträger sind ja nicht per se unmännlich.
Habe ich rausgenommen, da hast du recht.

Ich weiß nicht, wenn ich mir so Rocker anschaue, ich würde die nicht in die Mädchenkiste stecken, trotz ihrer langen Haare. Ist vielleicht nicht das beste Beispiel.
Guter Punkt, das habe ich angepasst.

Den ersten Absatz fand ich aber gut. Das er nicht erkennt, dass Noah Hilfe braucht und alles so abstempelt, und sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig macht, weil er sein Verhalten oberflächlich fehlinterpretiert.
Das freut mich, das war genau das Ziel. Ich habe jetzt noch einen mittleren Teil eingefügt, um die beiden Teile miteinander zu verknüpfen. Vielleicht hat es ja geklappt?

Nach zwei Monaten gefallen ihm seine Filme nicht mehr und er trinkt.
Ja, seine Lieblingsfilme gefallen ihm nicht mehr. Das ist für ihn der erste Schritt, habe ich mir gedacht. Aber er kann das natürlich nicht direkt zugeben, denn dann würde seine ganze Welt einbrechen.

Was denn für ne Welle? Was steigt denn da in ihm auf? Und was macht das genau, außer, dass was-auch-immer schlimmer wird?
Habe ich drüber nachgedacht, interessant. Allerdings denke ich, dass es nicht gut wäre, wenn er seine Gefühle besser verstehen könnte. Denn er hat sich ja dagegen abgekapselt und er spricht nicht über Gefühle wie Angst oder Panik.

Wie Noah es getan hat.
Ja, genau. Er erlebt das gleiche, was er bei Noah verurteilt hat.

Mir fehlt die Verbindung zwischen Teil eins und zwei. Jeder Teil könnte für sich stehen, wobei Teil zwei mir eigentlich nur einen unzufriedenen Typen mit mieser Stimmung zeigt - also - wen juckts? Mich nicht.
Wichtiger Punkt, habe da den mittleren Teil eingefügt. Ich hoffe, dass es klarer wird. Eigentlich ist das Ziel, das Jens eben doch menschlicher wirkt, auf seine eigene denkbare Art und Weise.

Schätze jedoch, dass Du darauf hinaus wolltest, dass er in Teil zwei irgendwie mit seiner Schuld kämpft, keine Ahnung, ob er sich derer inzwischen bewusst ist oder nicht. Das fände ich aber schon interessant, kurz, ich erkenne im zweiten Teil keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema, was Du anfangs aufgemacht hast.
Ja, stimmt - vielen Dank, dass du so aufmerksam gelesen hast. Das ist ein Punkt, über den ich noch weiter nachdenken möchte. Vielleicht muss ich noch etwas ergänzen, aber ich bin mir noch nicht sicher. Ich habe jetzt das Telefonat miteingebaut. Es soll seinen Wunsch nach Hilfe zeigen, den er sich selbst aber noch nicht eingesteht.

Weil es eben keine Bezüge aufnimmt, außer das durchs Haar streichen am Ende, ist mir aber zu wenig, weil ich daraus nichts ableiten kann, was irgendwie auf die Vorgänge in seinem Inneren schließen ließen. Ich mein jetzt ne Richtung oder so.
Interessante Rückmeldung.

So, ich hoffe, ich konnte mich irgendwie verständlich machen. Interessantes Thema auf jeden Fall. Schuld geht immer und ist für mich auch immer wieder spannend.
Vielen Dank für deinen tollen Kommentar, habe den Eindruck, dass du mir richtig weitergeholfen hast. Finde es schön, dass du dir die Mühe gemacht hast, meine Intention zu verstehen, auch wenn sie da noch nicht so steht. Danke!


Beste Grüße
MRG

Guten Abend @Friedrichard,

vielen Dank für deinen Kommentar und die Flusenlese.

Dabei bedeutet der Name doch, was Dein Antiheld (obwohl Jens ja auch eher einer ist) nur bedingt ausstrahlt – „Ruhe“ und „Trost“ zugleich.
Wie interessant, das wusste ich gar nicht. Ich habe den Namen eigentlich nur gewählt, weil Noah ja auch ein Frauenname sein kann.

Aber wie groß ist Jens eigentlich? Vielleicht ist er nur ein Sitzriese, der kurzen Beine halber ... Kann er wenigstens Noah über den Kopf spucken?
So besonders groß stelle ich ihn mir gar nicht vor. Aber er urteilt wie ein Weltmeister über andere.

Ja – und mancher hat eben Todesangst und Ängste haben auch ihre psychisch-biologische Funktion - sollte also Ignoranz ein Merkmal von Männlichkeit sein?
Ja, genau. Ignoranz ist für mich eher ein Merkmal von Schwäche und Jens ist darin gefangen.

„zufallen“ auch in der Vergangenheit zusammen! "Zufall" ist halt das, was einem so "zufällt"
Ich bin mir bei diesen Verben häufig unsicher. Danke!

Schöner Schluss zur begrenzten Zeilichkeit, die nicht durchs Sillikontal ausgehobelt werden sollte, dann nämlich Pothesengötter verwirklichte und in der Langeweile von Senioreheimen unterginge.
Habe das digital rausgestrichen.

Vielen Dank für deine Zeit. Freue mich, wenn ich deine Kommentare lese.

Beste Grüße
MRG

 

Hey MRG,

ja, ist besser. Für mich hängen die beiden Teile jetzt jedenfalls nicht mehr so voneinander getrennt rum.

„Sie werden für die psychischen Gefährdungsbeurteilungen bezahlt und wie sie sehen, geht es mir gut. Habe die Auszeit nur wegen meinem Rücken beantragt.“
Sie

Finde ich allerdings nicht glaubwürdig. Zum einen klingt das für mich nicht wirklich nach gesprochenem Wort, zum anderen, wird der Psychologe ihn kaum wegen Rückenschmerzen krankschreiben. Also, ich würde den Rücken kicken, und ihn nur zum Psychoonkel gehen lassen, weil der ihn eben freistellt. Und der Psychologe tut das auch, weil er eben nicht der Meinung ist, dass es ihm gut geht, dass er kein Problem hat, womit er ja auch recht hat und es eine feine Überleitung zum dritten Absatz wäre. Irgendwie so.

Das kurz von mir,
beste Grüße, Fliege

 

Guten Abend @Fliege,

vielen Dank, dass du noch einmal reingeschaut hast!
Habe das mit dem Rücken rausgenommen, ist ein guter Punkt.

Wünsche dir noch einen schönen Abend und freue mich, dass es jetzt besser funktioniert als vorher.


Beste Grüße
MRG

 

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