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Geburtstagsrosen

kaj

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03.12.2004
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Geburtstagsrosen

Geburtstagsrosen

Seit sie denken konnte, hatte der Vater ihr jedes Jahr zum Geburtstag eine Rose geschenkt. Hellrosa mit dunkelgrünen Blättern, langem angeschnittenen Stiel und natürlich mit Dornen. Von Neuzüchtungen ohne Dornen hatte er nichts gehalten. „Wir alle haben unsere Dornen!“, pflegte er zu sagen und lachte sein Vater-Lachen, dieses Lachen, das sie als kleines Mädchen von seinem Bauch hochwarf. Sie liebte dieses Lachen ebenso wie die zarten Blütenblätter der Geburtstagsrosen. Immer wieder strich sie mit dem Finger darüber, Labyrinthe im Inneren.

Jedes Jahr war es so gewesen; ihr Vater, der an diesem besonderen Tag als Erster ihr Zimmer betrat, eine Kerze in der Hand und die schmale Glasvase mit einer neuen, blassrosa Rose in der anderen.

Später, als sie nicht mehr zu Hause bei ihren Eltern wohnte, brachte er die Rose zum Geburtstagskaffee mit. Tagelang stand sie auf ihrem Schreibtisch in der Studentenbude, dann in der schicken Altbauwohnung, die sie mit ihrem Freund gemietet hatte, die feinen Blütenblätter durchschienen vom Licht der Lampe. Immer wieder entdeckte sie eine letzte Knospe, die ihr Grund gab, die Blume einen weiteren Tag stehen zu lassen.

Heute hatte sie keine Rose bekommen, keine zartrosa Kostbarkeit. Ihr Freund hatte sie mit einem Frühstück im Bett überrascht, Geburtstagstorte inklusive. Und als mittags die Mutter zum Kaffee kam, wunderte sie sich über den grauen Glanz ihrer Haare.

Fast hatte sie erwartet, der Vater müsse nur einen Parkplatz suchen und käme nach, die hellrosa Rose von Renates Blumenlädchen wie immer in gelbes Pergamentpapier gewickelt. Sie konnte den Rosenduft in ihrer Nase spüren, die Stimme des Vaters hören, der wie immer Anekdoten erzählte. Stattdessen sprach ihr Freund, Witze mit lauter Stimme, die Mutter lachte leise und höflich. Der Blaubeerkuchen, den sie sonst so liebte und den die Mutter extra für die Geburtstagsfeier gebacken hatte, fühlte sich trocken an im Mund und sie überlegte kurz, ob sie die blaue Zunge rausstrecken sollte, wie früher. Der Vater hatte darüber gelacht.

Die Mutter blieb nicht lange, ihr ginge es nicht gut, sagte sie. Ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Sie sprachen von der Kühle der Altbauwohnung, spärlich eingerichtet nur in blau und mit viel Metall weil das jetzt modern war. Plötzlich sehnte auch sie sich zurück in das Haus der Eltern, Geborgenheit der Antikmöbel, die sie als Kind bedrohlich, bedrückend, erdrückend empfunden hatte.

Der Vater kam nicht. Er würde nie mehr kommen. Nie wieder würde sie eine Geburtstagsrose bekommen, hellrosa und in gelbes Pergament eingewickelt.

Sie öffnete die Wohnungstür, versuchte, dem Schauer zu entkommen, der sie überlief. „Wo gehst du hin, Schatz?“, tönte die Stimme ihres Freundes aus dem Wohnzimmer. Sie konnte den Reporter im Fernseher hören wie er über das Tor jubelte, das Borussia Dortmund oder sonst ein Verein geschossen hatte. „Nur spazieren“, rief sie zurück und stürmte die Treppen hinunter bevor er antworten konnte.

Auf der Straße atmete sie auf, atmete durch. Den Weg zu Renates Blumenlädchen fanden ihre Füße von allein. Sie stieß die goldeingefasste Glastür auf und das Glöckchen bimmelte. „Eine Rose bitte“, sagte sie und zeigte auf die Blume. Hellrosa.

 

So! Nun hab ich als nigelnagelneues Mitglied gleich mal nen Text gepostet - freue mich auf zahlreiche Kritiken!

Bis dann, meike

 

Hallo kaj,

herzlich Willkommen auf kg.de ;)

Deine Einstiegsgeschichte hat mir sehr gut gefallen. Eigentlich sagor so gut, dass ich gar nicht meckern möchte. Tu ich einfach auch gar nicht :D
Trotz der Kürze ist es dir schön gelungen, deine Protagonistin so zu charakterisieren, dass man sie sich vorstellen kann, dass finde ich sehr gelungen. Das Thema an sich - sicher nichts neues - aber sehr geschickt in den Griff bekommen. Du erschlägst den Leser nicht gleich mit überwältigenden Kummerbezeugungen, sondern lässt das Ganze schön sacht angehen, so wie deine Prot sicher auch schon irgendwie sich an die Situation gewöhnt hat, aber trotzdem natürlich in bestimmten Momenten den Schmerz noch heftig spürt.

Ich weiß nicht, ob das jetzt verständlich und/oder hilfreich war, aber ich fand die Geschichte auf jeden Fall schön. Weiter so!

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hallo kaj,

herzlich Willkommen auf KG.de!

Auf die Gefahr hin mich in die Nesseln zu setzen, kann ich mich Felsenkatzes Kritik leider nicht anschliessen. Gut möglich, dass ich mit meiner Meinung am Ende alleine dastehe.

Ich fand die Beschreibung des Verlustes zu distanziert, als das ich hätte mitfühlen können. Insofern hat die Geschichte bei mir ein bissl ihr Ziel verfehlt.

Gut fand ich die Idee vom Symbol der Rose bzw. der fehlenden Rose auf den Tod des Vaters zu schließen.

Sprachlich habe ich auch nichts auszusetzen.

LG
Bella

 

Hallo kaj!

Zwei Kritiken hast Du ja schon. Dann erst einmal etwas Textkram:

Seit sie denken konnte, hatte der Vater ihr ...

dieses Lachen, das sie als kleines Mädchen von seinem Bauch hochwarf. Sie liebte die zarten Blütenblätter ...
Du sprichst vom lachen und dann wieder von den Rosen. Dieser Übergang erscheint mir recht hart, da ich erst einmal eine Stellungnahme zum lachen erwarte. Also z.B. Sie liebte dieses Lachen ebenso wie die zarten ...

Jedes Jahr war es so gewesen, ihr Vater, der an diesem besonderen Tag als Erster ihr Zimmer betrat,
finde ich recht holprig. Zum Beispiel 'Jedes Jahr war es so gewesen: Ihr Vater betrat an ... klingt flüssiger.

Ich bin ein wenig betroffen, weil die Tochter vorher nicht weiss, dasss ihr Vater nicht mehr kommt. Warum weiss sie es nicht? Warum sagt die Mutter nichts? Da bleiben offene quälende Fragen.

Die Bearbeitung der Trauer durch den Kauf der Blume finde ich schön. Insgesamt eine ansprechende kleine Geschichte.

Lieben Gruss

Jo

 

Hallo!

Erst mal vielen Dank für eure Kritiken!

@Felsenkatze:
Danke für die Blumen! Du brauchst aber keine Rücksicht auf mich zu nehmen, nur weil ich neu bin – ich möchte ja Kritik bekommen, sonst könnte ich meine Geschichten auch zu Hause in der Schublade vergraben!

@Bella:
Du hast schon Recht, dass die Geschichte eine eher distanzierte Perspektive einnimmt – es war allerdings auch nicht meine Intention, den Leser „mitfühlen“ zu lassen. Kennst du z.B. Gabriele Wohmann? Ich gebe zu, dass ich die Frau verehre und viel von ihr gelernt (und somit wahrscheinlich auch übernommen) habe, aber sie schreibt z.B. auch meist als Außenstehende, was ich sehr mag. Oder findest du es bei einer Geschichte zu diesem Thema zwingend notwendig, einen „Mitfühl-Effekt“ zu erreichen? Ich mag diese Perspektive (sowohl zum Lesen als auch zum Schreiben) wie schon gesagt eigentlich ziemlich gern – wenn das allerdings grundsätzlich eher auf Abneigung stößt… muss noch mal drüber nachdenken, ob ich deine Kritik in Zukunft berücksichtigen werde.

@Jobär:
den Übergang hab ich gleich mal geklaut! :)

Zu dem anderen Satz… Ich weiß nicht, eigentlich gefällt er mir so… - ich geh noch mal in mich!

Dann noch zum Sachzusammenhang: Hab ich das widersprüchlich geschrieben? Oder hast du was überlesen? Natürlich weiß die Tochter, dass der Vater tot ist (und dass er tot ist, hast du ja auch verstanden, obwohl es nicht ausdrücklich im Text steht).

Fast hatte sie erwartet, der Vater müsse nur einen Parkplatz suchen und käme nach.

Das „fast“ ist hier das entscheidende und die Zeit müsste eigentlich stimmen, oder? *unsichergewordenist* Vielleicht wäre „hätte“ deutlicher? Der Satz will soviel sagen wie „Sie hatte (hätte?) fast vergessen, dass der Vater tot war“. Hat sie aber nicht.

So, ich hoffe, es ist jetzt klarer!

LG Meike

 

Hallo kaj,

mach dir mal keine Gedanken, dass ich nur positive Kritiken schreibe, weil du ein Neumitglied bist... mir gefällt deine Geschichte echt ;)
Ich hatte es eigentlich auch so verstanden, dass der Vater tot ist, und dass die Prot das weiß, meines Erachtens muss da nix mehr rein.
Aber mach, was du denkst, müssen ja schließlich auch noch andere Leser außer mir die geschichte verstehen.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hallo kaj!

Dieses Gefühl, jemand müsse gleich kommen, der nicht mehr kommt, kenne ich sehr gut. Es zu beschreiben, ist schwierig. Vielleicht 'Einen Moment glaubte/träumte sie, ...'

Der andere Satz - mag er bleiben; das Semikolon ist besser als ein Komma.

Liebe Grüße

Jo

 

Hallo Kaj.

Diese Geschichte ist um Längen besser als die nachfolgenden Werke von dir! Sie schlidert auf eine wunderschöne Weise die Leere, die herrscht, seit dein Protagonist den Vater nicht mehr sah und nie mehr sehen wird. Das Symbol, die rosarote Rose, hat der Geschichte die richtige Atmosphäre gegeben. Kompliment!

 

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