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Gedankenströme

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10.08.2003
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Gedankenströme

Allein am Ufer sitzend versucht Niclas zu begreifen, was eben geschehen ist.
Der Fluss schreit ihn an, schreit ihm entgegen, dass er es verbockt habe, dass alles seine Schuld sei.
Was soll er ihm antworten? Soll er die Gründe aufzählen, die eben schon sinnlos verhallten, soll er ihm all die Geschichten erzählen, die ihn dazu brachten?
Es ist nur ein Fluss, ein verdammter Strich Wasser, was versteht der schon?
Warum nur hat er eben Schluss gemacht? Schluss gemacht mit einem ganzen Lebensabschnitt, Schluss gemacht mit dem ganzen letzten Jahr, das sie gemeinsam verbrachten.
Zu gemeinsam?
Wer glaubt ihm das?
Sich ins Gras legend, blickt Niclas in den Himmel, der ihn zu erdrücken droht. So schließt er die Augen und überlegt, denkt nach über das, was geschehen ist.
Als ob sie es sich gedacht hätte, ging sie wortlos zur Tür, öffnete sie stoisch ruhig und wies ihm den Weg nach draußen. Er hatte nach seinem Geständnis unbeholfen weitergeredet, in der Hoffnung alles zerreden und ungeschehen machen zu können, wenn er nur lange genug alles erklären könnte.
Dann stand er draußen hinter der sich mit einem leisen “Klick“ verschließenden Tür.
Noch nie hatte er sich so einsam gefühlt.
Vielleicht war er während des letzten Jahres manchmal unzufrieden oder ab und zu unglücklich gewesen, aber einsam?
Das wohl am allerwenigsten. Und jetzt, zum Fluss hinuntergegangen, kennt er keinen der seine Lage ansatzweise verstehen kann. Selbst der Fluss, ein guter, treuer Zuhörer in schlechten Zeiten, scheint ihn nicht verstehen zu wollen.
Ich wollte sie nicht betrügen, ich wollte es nicht, ich kann nicht erklären, wie es dazu kam, kann nicht erklären, warum ich dieses fremde Mädchen in meinen Armen hielt, in meinen Armen hielt und sie zu küssen begann.
Wollte ich mir selbst ein Zeichen setzen?
Langsam erhebt Niclas sich und beginnt unsicheren Schrittes ins Wasser hineinzuwaten, die Kälte scheint ihm nur gerecht, die spitzen Steine stehen für all die Schmerzen, die er glaubt verdient zu haben. Immer weiter und tiefer taumelt er hinein, bis er schließlich mit seinem Hals das kalte Wasser berührt. Die Luft anhaltend geht er in die Knie, taucht den Kopf ins Wasser.
Vielleicht kann er seinem nassen Freund so klar machen, wie ernst es ihm ist…
Plötzlich nehmen die Schmerzen überhand und in einem Anfall purer Panik stürzt wieder ans rettende Ufer. Die Sonne geht bereits unter und so schleppt er sich bibbernd zu einem der weniger werdenden warmen Fleckchen, um sich dort niederzulegen, in der Hoffnung die Kälte möge von ihm weichen.
Für einen Moment ist der Gedanke an Marina in den Hintergrund getreten. Nur diesen einen Moment, als die Panik angesichts der Kälte und des weit entfernten Ufers, die Macht über sein Denken übernahm und ihn in Sicherheit zwang.
So liegt er da und blickt in den Sonnenuntergang und friert und überlegt, überlegt, ob er aus Panik vor der Beziehung zu Marina ein rettendes Ufer gesucht und scheußlicherweise auch gefunden hat.
Schluchzend rollt er sich auf den Bauch, blickt wieder in Richtung des kühlen Stroms und verharrt eine Weile in dieser Position.
Ist er eben aus freien Stücken in den Fluss gewatet, oder hat ihn etwas gelockt, wenn nicht sogar gezwungen? Sollte ihm so etwas klar werden?
Eins ist ihm im Laufe dieses überaus traurigen Mittages klar geworden, das mit Marina hätte keine Zukunft gehabt. Er hat sie betrogen, leider nicht grundlos, wie er sich langsam eingestehen zu beginnt. Was er getan hat kann er nicht rechtfertigen, aber er kann versuchen es wenigstens nachzuvollziehen.
So schließt er erneut die tränennassen Augen und in seiner Müdigkeit, die sowohl durch den Stress als auch die Trauer verursacht wurde, fällt er in einen flachen, unruhigen Schlaf.
Er sitzt allein auf einer verschneiten Insel im Nichts. Nur wenige Meter von ihm entfernt, auf einer eigenen Plattform, sitzt Marina. Von ihm abgewandt und ohne Gehör für seine Rufe, sie möge ihm vergeben, verzeihen, was er getan hat. Erst als er ihr in seiner ohnmächtigen Wut beginnt Vorwürfe entgegen zu schreien, dreht sie sich um und antwortet tonlos:
„Nimm mich nicht als Entschuldigung für das, was du getan hast…“
Plötzlich verschwindet sie in der Dunkelheit und mitten in seiner Enttäuschung darüber, wacht er fröstelnd und orientierungslos auf.
„Marina?“ Nur das geduldige fließende Wasser antwortet ihm und macht ihm dadurch klar, wie sinnlos sein Rufen war. Verwirrt und frierend, taumelt er langsam durch das Dunkel, hin zu den Laternen, welche ihm endlich den Weg nach Hause weisen.
Dort angekommen, sieht er, dass alle Lichter schon gelöscht und alles Leben im Haus sich bereits schlafen gelegt hat. Unbehelligt in seinem Zimmer angekommen, lässt er sich in sein Bett fallen.
Ein leises Knistern ertönt und müde greift er an die Stelle, wo er es vermutet. Er findet einen Zettel, den er unbeholfen im durch die Fenster scheinenden fahlen Licht zu lesen beginnt.
Mühsam erkennt er die Handschrift seiner Mutter, die einer Bitte Marinas nachkommend, den Zettel dorthin gelegt hatte.

Ich habe ziemlich lang über uns nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass wir noch mal reden sollten.
Das mit uns hat keine Zukunft…
Marina

Als der Zettel zerknüllt in der Ecke landet, wird es Niclas etwas leichter ums Herz und irgendwie muss er auch ein bisschen lächeln, als er in einen tiefen, erholsamen Schlaf fällt.

 

Hallo, Maniac

Gefällt mir nicht schlecht. Der Stil ist so flüssig, dass er einen in die Gedanken und Gefühle von Niclas hineinzieht und mit ihm mitfühlen lässt. Obwohl nicht viel passiert (fast zu wenig) und das Thema an sich eher abgedroschen ist, bleibt man am Ball und wird von einem Satz zum nächsten getrieben, so dass man gar nicht dazu kommt, sich zu überlegen, ob man nun weiterlesen soll. Nur gegen Schluss lässt die "Spannung" ein wenig nach.

Wie gesagt, der stil hat mir gefallen, bis auf ein paar Stellen:

Das wohl am allerwenigsten und jetzt zum Fluss hinuntergegangen, kennt er keinen der seine Lage ansatzweise verstehen kann.
Hier würde ich auf jeden Fall zumindest einen Beistrich nach "allerwenigsten" machen, eher sogar einen Punkt.
dreht sie sich um und antwortet tonloser
Hier verstehe ich nicht, warum du tonloser schreibst.
„Marina?“, nur das geduldige fließende Wasser antwortet
Wenn du es so schreibst, gehört der Beistrich weg und das "nur" groß. Hier beginnt ein neuer, unabhängiger Satz. Andere Möglichkeit: „Marina?“, rief er, doch nur das geduldige fließende Wasser antwortet
neugierig im Schneidersitz im durch die Fenster scheinenden fahlen Licht
Hm, das erscheint mir etwas zu kompliziert formuliert, besonders durch die beiden "im"
unweigerlich…
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, das müsste eher "unvermeidlich" heißen.

Gruß, Woodwose

 

Hey Maniac,

hast du heimlich geübt? Okay, ein paar der Vorwürfe, die Niclas zum Fremdgehen gebracht haben, hätte ich gern gehabt, aber ansonsten haben mir Stil, Aufbau und Sprache der Geschichte gut gefallen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Maniac,

hat mir gut gefallen, und abgedroschen finde ich das Thema auch nicht.
Gut, dass Marina nicht mehr will; das wäre ja das Letzte gewesen, dass sie ihm auch noch verzeihen würde ...(ich habe mal versucht, mich von einem Freund zu trennen bzw. eine Trennung zu provozieren, und der hat es doch wirklich getan).

als die Panik angesichts der Kälte und des weit entfernten Ufers, die Macht über sein Denken übernahm
kein Komma

noch etwas: neugierig passt an der Stelle mit dem Zettel nicht so gut; zu aktiv

Gruß, Elisha

 

Hallo ihr drei

Danke erstmal für eure netten Kritiken.
Nun denn @ Woodwose
Die Fehler, die du angesprochen hast, habe ich gestrichen und oder verbessert, was man mit Schwächen eben so macht. ;)
Das sich Inhalt und Stil bei mir des öfteren widersprechen, habe ich nun leider schon des öfteren gehört, aber ich wollte nicht viel passieren lassen, sondern
Niclas eher seinen Gedanken nachhängen lassen.

@ sim
Danke für das Lob ich weiß es ehrlich zu schätzen...
Warum hat er sie betrogen und so den Bruch der Beziehung herbeigeführt?
Ich habs nur andeutungsweise wie z.B bei der auf den ersten Blick rethorischen Frage "Zu gemeinsam?" und der Metapherähnlichen Beschreibung mit dem Ertrinken.
Mit etwas Glück erkennt man vielleicht ob Niclas eher überfordert oder eingeengt war. Das bleibt der jeweiligen Interpretation überlassen.
Danke dir für deine treuen Kritiken!

@Elisha
Eiene eher feminine Kritik ;)
das neugierig habe ich jezt zweimal geändert, ich warte aber noch auf den wirklich passenden Begriff.
Ich hatte noch kurz die Überlegung , dass Marina Niclas am Flussufer besucht, aber das wäre wohl auf eine Vergebung hinausgelaufen...
Wenn sie gewollt hätte, hätte Niclas ihr das Herz erneut fast brechen müssen.

Danke nochmal euch dreien
Viele Grüße
Maniac

 

Hallo Maniac

Ich habe mir mal Deine Geschichte vorgenommen. Ein paar Anmerkungen habe ich dazu:

die spitzen Steine stehen für all die Schmerzen, die er glaubt verdient zu haben

Du erzählst aus der dritten Person, mit Kenntnis seiner Gedankenwelt. Ich finde, hier schwächst Du aber Deine Position, weil Du "die er glaubt" einfügst. Es handelt sich insgesamt um seine Gedanken, aber mit der Formulierung mischt Du Dich als Autor ein, erklärst, dass er das zwar glaubt, der Leser das aber nicht glauben soll. Anstelle dessen würde ich es dem Leser überlassen, den Schluss zu ziehen.

zu einem der weniger werdenden warmen Fleckchen
ich verstehe zwar, was Du meinst, aber die Formulierung ist ein wenig umständlich und auch ein wenig unpräzise. Die Flecken werden ja nicht mehr wirklich wärmer, sondern bleiben ein wenig länger warm, weil die Sonne sie noch erreicht. Er wird an diesen Stellen ein wenig wärmer, aber das sagst Du nicht.

in einem Anfall purer Panik stürzt wieder ans rettende Ufer.
angesichts der Kälte und des weit entfernten Ufers
Als er ans Ufer stürzt, hatte ich den Eindruck, er wäre ganz schnell wieder draußen - zu schnell - hier hatte er aber einen weiten Weg. Daher würde ich die erste Formulierung nochmal genau betrachten.

und scheußlicherweise auch gefunden hat
Eins ist ihm im Laufe dieses überaus traurigen Mittages klar geworden
zu viel Wertung, meiner Meinung nach.

Was er getan hat kann er nicht rechtfertigen,
Komma zwischen hat und kann.

Die Traumsequenz ist für mich nicht eindringlich genug. Wenn Du sie verwendest, dann muss sie stärker sein.

Der Zettel ist zwar an sich ok, aber Dein Erzähler, der Protagonist, kann mitten in der Nacht - nachdem er ohne Kontakte in sein Zimmer ging - nicht wissen, dass seine Mutter der Zettel hingelegt hat. Du springst zwischen den Perspektiven hin und her, ohne Grund dafür zu geben.

Insgesamt hat mir der Text ganz gut gefallen, aber er hätte stärker sein können. Den eigentlichen Höhepunkt hast Du sehr weit in die Mitte verlagert und vermutlich deshalb den zweiten Höhepunkt mit dem Zettel eingebaut. Wenn Du einen Doppelaufbau wählst, sollte aber der zweite Höhepunkt stärker sein, als der erste, sonst verebbt die Geschichte zu seicht.

Gruß,
Frauke

 

Hallo arc en ciel

Vielen Dank für deine hilfreiche und produktive Kritik. Ich werde mir in näherer Zukunft die angesprochenen Punkte mal genauer anschauen.
Der Perspektivwechsel ist beabsichtigt, aber wahrscheinlich für eine gute Geschichte nicht allzu dienlich...

Ich hatte mir ja wie zuvor angesprochen den zweiten Höhepunkt mit dem erneuten Aufeinandertreffen mit Marina überlegt, aber ich hatte Angst, dass Gespräch nicht realistisch enden lassen zu können, wenn sie ihn extra aufsucht, ohne jedoch zu verzeihen.

Großes Dankeschön
Vg
Maniac

 

Hi Maniac!

Schön, wenn ich helfen konnte.

Perspektivwechsel sind manchmal machbar, in KGs eher schwer, würde ich sagen. Aber ein Wechsel von Dritter Person subjektiv zu Dritter Person objektiv ist für den Leser wohl immer verwirrend. Ich würde diesen Übergang allenfalls dann empfehlen können, wenn der bisherige Sprecher in der 3. Person nicht mehr da ist oder wenn er tot ist. Ihn - insbesondere allein - zu beobachten und "nach außen zu zoomen" funktioniert für den Leser nicht.

Wenn Du es auf den Wechsel "Innensicht" und "auktoriale Außensicht" anlegst (ich halte es hier nicht für nötig, ehrlich gesagt), dann empfehle ich, die erste Strecke in der ersten Person zu schreiben.

Lieben Gruß,

Frauke

 

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