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Geh beichten, wenn's dich quält

Wortkrieger-Team
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07.09.2014
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Geh beichten, wenn's dich quält

"Michael Groning ist jetzt wieder im Dorf. Der war doch damals bei dir in der Klasse."
Elisabeth ließ die Gabel sinken und starrte ihre Mutter an.
„Michael. Was hat den denn hierher verschlagen?“
„Er hat das Haus von Nellie Orten gekauft. Aber sehen tut man den nur ab und zu am Wochenende. So machen das inzwischen viele. Genießen die Ruhe hier und tragen nichts zum Dorfleben ...“
„Weißt du, was er hier will?“
„Nein, woher? Was wohl aus dem Vater geworden ist. War ja damals ziemlich ungewöhnlich, ganz ohne Frau, nur er und der Junge.“
Nicht nur ungewöhnlich, dachte Elisabeth. In diesem Dorf auch unverzeihlich.


Weihnachten fuhr sie, wie auch in den letzten Jahren, die zweihundert Kilometer zu ihren Eltern. Nachmittags gingen sie zur Messe. Die Kirche war voll, und im Gedränge bemerkte sie Michael erst, als sie direkt vor ihm stand. Er stutzte und nickte ihr zu. Schnell grüßte sie zurück, bevor sie weitergeschoben wurde. Sie hatte die Narben in seinem Gesicht gesehen, Reste der Akne, die er früher gehabt hatte. Aber das Geduckte war weg, er hatte ihr direkt in die Augen geblickt. Und ihr Lächeln nicht erwidert. Während der Messe suchte sie ihn, sah ihn schließlich seitlich in einer Sitzbank. Immer noch wirkte er deplatziert in dieser Gemeinde, obwohl er konzentriert dem Gottesdienst zu folgen schien. Oder vielleicht gerade deshalb, dachte sie, als sie die trägen Mienen um ihn herum registrierte. Während des Singens starrte sie ungeniert zu ihm hin, doch plötzlich hob er den Blick und ließ ihn durch die Reihen wandern. Schnell sah sie wieder nach vorn. Erst beim Hinausgehen wurde ihr klar, dass er in Begleitung war. Die Frau neben ihm war blass und ganz in schwarz.
„Was der hier macht“, murmelte ihre Mutter. „Die waren doch evangelisch.“

Als sie ihn das nächste Mal sah, war es schon Frühjahr. Wenn Thomsens feierten, war fast das ganze Dorf eingeladen, deshalb hatten sie auf der Wiese neben dem Haus ein großes Zelt aufgestellt. Man aß Kartoffelsalat mit Würstchen und später würde Uwe wieder den DJ machen. Hinten an den Biertischen saßen ihre Eltern mit den Nachbarn zusammen. Elisabeth ignorierte das Winken ihrer Mutter und stellte sich zu den paar Schulfreundinnen, die im Dorf geblieben waren. Die hatten sich untereinander mehr zu erzählen als ihr und verschwanden schließlich eine nach der anderen zum Buffet. Bis nur noch Ilka bei ihr stehen blieb, die damals eine Weile neben ihr gesessen hatte.
„Guck mal, der Groning ist auch da,“ sagte sie plötzlich. „Der wohnt jetzt hier nebenan.“
Wieder war eine Frau bei ihm, aber eine andere als damals in der Kirche. Diese hier war pummelig, mit zweifarbiger Frisur, oben blond, drunter dunkel. Die beiden waren umringt von Leuten.
„So kann's gehen,“ sagte Ilka. „Damals haben sie ihn fertiggemacht und heute ist er der aufregendste Mann im Dorf.“
„Frischfleisch. Und bei der Feuerwehr suchen sie immer,“ murmelte Elisabeth.
„Er sieht ziemlich gut aus.“
„Na, die Konkurrenz ist nicht groß.“ Was für ein blöder Spruch. Ilka verzog prompt das Gesicht.
„Komisch ist der immer noch. Jürgen hat ihn neulich am Kanal gesehen. Da hat er am Ufer gehockt und ein Papierschiff aufs Wasser gesetzt. Der hat überhaupt nicht reagiert, als Jürgen ihn angesprochen hat. Jürgen meinte, das war schon richtig unheimlich. Du warst doch damals mit ihm befreundet, oder?“
„Na, befreundet ist zu viel gesagt. Wir hatten denselben Schulweg.“
„Weißt du noch, wie sauer er war, als wir beide auf der Klassenfahrt nebeneinander gesessen haben?“
„Sauer? Wieso sauer?“
„Doch! Er hat doch beinahe geheult und behauptet, dass du ihm versprochen hast, dich neben ihn zu setzen. Keiner wollte neben ihm sitzen. Ich glaube, er hat dann vorne bei der Lehrerin gesessen. Erinnerst du dich gar nicht?“
„Nicht mehr so richtig.“
„Na ja, ich hol mir mal was zu essen.“
„Was macht er denn jetzt hier?“
Ilka zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht ist er irgendwo verheiratet und schleppt seine Freundinnen hierher.“
Damit verschwand sie. Michael wurde jetzt von Henning Brundholm angesprochen. Der hatte inzwischen das Fuhrunternehmen seines Vaters übernommen und drei Söhne bekommen. Er hatte ziemlich zugelegt und ein rotes Gesicht. Der erste Mann, der mich geküsst hat, dachte sie und schauderte. Auf dem Schulhof war seine Zunge wie eine Schnecke in ihren Mund gekrochen. Und während sie das mimte, was sich eine Fünfzehnjährige unter Leidenschaft vorstellt, hatte sie aus den Augenwinkeln geguckt, ob die anderen guckten. Bis das Ganze ein halbes Jahr später endete, gehörte sie zu den Coolen. Und Michael sprach nicht mehr mit ihr. Zu Recht. Henning war es gewesen, der angefangen hatte Michael „Krätze“ zu nennen, was sich als unfehlbare Methode erwies, um Michaels rechtes Auge außer Kontrolle geraten zu lassen. Seine Tic-Störung hatte ihn endgültig zum Prellbock für die anderen gemacht. Sie hatte nicht mitgelacht. Sie hatte in ihrem Schulranzen gekramt oder aus dem Fenster gesehen. Und jetzt ließ Michael es zu, dass ausgerechnet Henning ihn zuquatschte.
Sie wandte sich an Agnes Thomsen, die hinter ihr das Buffet bestückte.
„Soll ich mal mit Sekt rumgehen?"
Agnes guckte überrascht.
“Nur, wenn du Lust hast, Elisabeth. Im Haus sind noch mehr Gläser.“
In der Küche öffnete sie ein paar Schränke. In einer Schranktür klebte eine Liste mit Telefonnummern. Sie musste grinsen, genau so eine Liste hing auch bei ihren Eltern. Doch dann blieb ihr Blick an einem kleinen Zettel hängen, der offenbar kürzlich dazu gekommen war. Die Handynummer von Michael Groning. Er musste Thomsens gebeten haben, aufs Haus zu achten. Ohne weiter nachzudenken, notierte sie die Nummer auf einer Serviette.
Ein paar Minuten später lief sie mit dem Tablett herum. Als sie bei der Gruppe um Michael landete, begrüßte Henning sie lautstark, während er und seine Frau ein Glas nahmen. Michael lehnte ab.
„Danke, Elisabeth, aber wir wollen gleich los.“ Er hatte den Arm um die Taille seiner Partnerin gelegt, die ihn überrascht und erfreut ansah. Henning guckte enttäuscht, fing sich aber schnell.
„Ey, Michael, weisst du schon, dass aus unserer Elisabeth 'ne Lehrerin geworden ist? Sie ist die Schlauste von uns.“
„Übertreib mal nicht.“ Schlagfertigkeit war nicht ihre Stärke. Leider kam es noch schlimmer. Henning wackelte vielsagend mit dem Kopf.
„Kannst du sie dir vorstellen, in dem Rock hier an der Tafel? Also, ich denke mal, die Jungs kriegen doch bestimmt 'ne Aufmerksamkeitsstörung.“ Er wandte sich an seine Frau.
„So hieß das doch, was unser Benny angeblich hat, oder?“
Der Mann musste sofort gestoppt werden. Sie drehte sich zu Michael.
„Und, was ist aus dir geworden?“
Michael zögerte. „Ein Nerd ist aus mir geworden.“
Plötzlich ging alles sehr schnell. Jemand rempelte Elisabeth an, sie presste das Tablett an sich, die Gläser kamen ins Rutschen, kippten und der Sekt ergoss sich über ihre Bluse, einige Gläser klirrten zu Boden. Einen Moment stand sie wie erstarrt, dann schallte von allen Seiten Gelächter.
Servietten wurden gereicht und sie stellte das Tablett ab. Ihre ganze Vorderseite war nass und klebrig, sie hätte schreien können. Stattdessen zwang sie sich mitzulachen. Irgendjemand tat den Spruch „Scherben bringen Glück“ und Henning tönte, „Die Bluse musst du jetzt ausziehen, sonst erkältest du dich noch.“
Als sie aufschaute, sah sie, dass Michael sich bereits zum Gehen wandte. Seine Freundin schmiegte sich an ihn. Beinahe wären sie in Elisabeths Mutter gelaufen, die, hochrot im Gesicht, mit Lappen und Kehrblech angeschossen kam.
Nachdem das Chaos beseitigt und Elisabeth mit einem Pullover versorgt worden war, machte sie sich auf den Weg, um den Eimer mit den Scherben zur Mülltonne zu bringen. Draußen ging ein trüber Tag seinem Ende zu. Die Hofbeleuchtung sprang funzelig an. Hinten, neben dem Holzschuppen, schimmerte Licht durch die hohe Buchenhecke. Direkt dahinter lag Michaels Terrasse. Sie stellte den Eimer ab, sah sich schnell um und lief zum Schuppen. Bog ein paar Zweige zur Seite und hielt den Atem an.
Zuerst sah sie nur die Frau. Sie lief durch das Zimmer und räumte etwas hin und her. Immer noch trug sie den Rock, den sie auf der Party getragen hatte, auch die hohen Schuhe, aber sie hatte den Blazer ausgezogen. Das lachsfarbene Top darunter spannte über der Brust und zeichnete die Speckröllchen ab, die auf der Hüfte saßen. Dann bemerkte sie eine Veränderung in der Haltung der Frau. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, ihr Körper straffte sich. Michael hatte anscheinend den Raum betreten. Er blieb zunächst unsichtbar, aber sie sprach mit ihm und lachte. Dann trat sie unvermittelt ans Fenster und Elisabeth drückte sich hastig tiefer in den Schatten. Aber die andere beobachtete nur eine schwarze Katze, die zielstrebig an der Terrassentür vorbei lief, ohne ihre beiden Zuschauerinnen eines Blickes zu würdigen. Als die Frau sich zurück ins Zimmer wandte, sah Elisabeth, dass Michael hinten bei der Kommode stand. Er schenkte Wein ein und reichte ihr ein Glas. Sich selbst öffnete er ein Bier. Sie trank und drehte ein wenig ihre Hüften, suchte seine Nähe. Michael lächelte. Sagte etwas und die Frau verschluckte sich übertrieben, stellte schnell den Wein ab und kicherte. Er trank direkt aus der Flasche, ließ sie dabei nicht aus den Augen, sprach wieder ein paar Worte. Darauf wand sie sich noch einmal halbherzig, bevor sie ihr Glas abstellte, ihren Rock öffnete und auf die Füße fallen ließ. Sie stakste einen Schritt zur Seite und Elisabeth starrte auf ihren kräftigen, weißen Hintern. Du liebe Güte, sie trug tatsächlich einen String. Wieder ein kurzer Wortwechsel zwischen den beiden, worauf die Frau sich zögernd umdrehte. Jetzt war er es, der den Blick auf ihr Hinterteil hatte. Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie. Trank und schaute. Bis sie in einer ungeduldigen Bewegung die Arme vor dem Körper verschränkte und über die Schulter irgendetwas zu ihm sagte. Er warf den Kopf zurück und lachte. In diesem Moment hätte Elisabeth viel gegeben, um ihn hören zu können. Sein Lachen. Nicht, dass er damals besonders viel gelacht hätte. Aber es hatte eine Zeit gegeben, wo es ihr gefallen hatte, ihn zum Lachen zu bringen. Doch das war lange vorbei und jetzt war jetzt. Jetzt stellte er sein Bier ab und trat hinter die Frau, schlang seine Arme um sie und presste sich gegen sie. Elisabeth ahnte, was er sie fühlen ließ und schluckte. Die Frau schloss die Augen. Er griff nach ihren Handgelenken, löste ihre verschränkten Arme und streifte ihr das Top über den Kopf. Ließ seine Daumen in ihren BH gleiten und Elisabeth konnte sehen, wie ihr Mund sich öffnete. Dann schob er ihr die Träger herunter und öffnete den Verschluss am Rücken. Ihre Brüste fielen hinaus und er packte sie. Elisabeth fühlte in ihrem Versteck, wie sie feucht wurde. Seine Hände drückten jetzt immer gieriger zu, während er offenbar auf die Frau einredete, sein Mund dicht an ihrem Ohr. Sie antwortete stossweise, ihr Gesicht flammend rot. Bis er sie am Oberarm fasste und zur Kommode dirigierte, wo er sie nach vorne drückte, so dass sie mit Kopf und Armen auf der Kommode lag. Er zog ihr den Slip herunter und sie schob ihn mit dem Fuß beiseite. Dann stellte sie die Beine auseinander und reckte ihr Hinterteil hoch. Elisabeth sah ihn lächeln. Jetzt begann er sich auszuziehen. Während er seine Unterhose abstreifte, sagte er etwas und die Frau, deren Gesicht Elisabeth jetzt nicht mehr sah, ging noch mehr ins Hohlkreuz und blieb geduldig so stehen, bis er sein Hemd aufgeknöpft hatte. Dann packte er sie an den Hüften und drang sofort in sie ein. Elisabeth meinte den Schrei der Frau bis in ihr Versteck zu hören.
Da roch sie plötzlich Alkohol, zerrte ihren Rock runter und fuhr herum.
„Tolle Show!“ Henning stand hinter ihr, wer weiß wie lange schon.
„Was machst du denn hier?“, flüsterte sie entsetzt.
„Ich beobachte zwei beim Vögeln und dich beim ... naja.“ Er grinste. „Wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann ...“ Sie stieß ihn weg, schob sich an ihm vorbei und rannte zurück.

Ein paar Wochen später stand sie wieder vor Michaels Haus, diesmal offiziell. In seinem Vorgarten blühten Rosen, dazu allerlei Unkraut. Zwei Tannen, viel zu hoch gewachsen für das kleine Grundstück, beschatteten den Eingang.
Er guckte überrascht, nachdem er geöffnet hatte, grüßte sie und machte keine Anstalten, sie hereinzubitten. Sie stammelte den Grund ihres Besuchs wie eine Ausrede, was auch zutraf. Das Bürgerhaus sollte umgebaut werden, dafür sammelte sie. Eigentlich hatten ihre Eltern diese Aufgabe übernommen, und Elisabeths Angebot zu helfen hatte sie ziemlich gewundert. Es gab eine Liste, in die man sich eintragen konnte.
„Ich soll für euer Bürgerhaus spenden?“, fragte er fast erheitert.
„Du hast hier ein Haus gekauft. Es ist auch dein Dorf.“
Er schüttelte langsam den Kopf. Es entstand eine Stille, in der sie roch, dass in der Küche irgendein Fleisch brutzelte.
„Also dann... “, sagte er.
“Kann ich einen Moment hereinkommen?“
Während er wieder den Kopf schüttelte, lächelte sie einfach weiter. Er sah sie noch einen Moment irritiert an, bevor er die Tür schloss. Ohne weiter nachzudenken, klingelte sie erneut. Als er öffnete, bereute sie es schon. Aber es war zu spät. Sie konnte schlecht behaupten, sie habe sich in der Tür geirrt. Sie versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen.
„Bitte, lass mich rein. Ich muss dringend mit dir reden.“
Er wies ihr schweigend den Weg ins Wohnzimmer. Verschwand kurz in der Küche, was ihr die Gelegenheit gab, sich umzusehen. Ziemlich bieder das Ganze. Dann dämmerte ihr, dass er das Haus vielleicht möbliert übernommen hatte. Den Blick zur Kommode vermied sie. Als er wieder den Raum betrat, setzte sie sich hin. Er nahm ihr gegenüber Platz, sein Blick war jetzt immerhin interessiert.
„Echt lange her, seit wir hier zur Schule gegangen sind“, setzte sie an.
„Stimmt.“
Sie suchte nach Worten, lächelte nervös. “Warum bist du hierher gekommen?“
„Das frage ich dich.“
“Ich wollte mich entschuldigen, wegen damals.“ Jetzt war es raus, und sie wagte es, hoch zu schauen.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte er knapp. „War's das?“, und erhob sich.
Verwirrt stand sie auf, fühlte sich von ihm zur Tür geleitet, drehte sich plötzlich um.
„Ich weiß, ich habe mich damals blöde benommen. Ich hätte dir helfen müssen.“
Er sah sie nicht an.
„Mach dir keine Gedanken“, sagte er wieder. “Geh beichten, wenn's dich quält.“ Er öffnete die Tür und ließ sie vorbei.
„Eins noch“, hörte sie ihn leise sagen, „wenn du dich mal wieder bei Nachbars Schuppen herumtreibst, lasse ich dich Eintritt zahlen.“ Sie fuhr herum und sah gerade noch, wie die Tür sich schloss.

Es war der Abend nach der sommerlichen Klassenfahrt, und sie hatte schon auf der Rückfahrt an den Rotwein gedacht, der zu Hause auf sie wartete. Im Flur ließ sie ihr Gepäck fallen und riss überall die Fenster auf. Die Sonne hatte die Wohnung kräftig aufgeheizt. Dann hörte sie den Anrufbeantworter ab. Ihre Mutter, die durchklingen ließ, dass sie sich mal wieder blicken lassen könnte. Während sie den Wein öffnete, dachte sie flüchtig an die peinliche Aktion bei Michael. Fiel dann aufs Sofa und zappte sich durch die Programme, bis sie auf einen uralten Bond-Streifen stieß. Der erste Abend seit einer Woche, an dem sie nicht zwischen den Schlaftrakten der verschiedenen Geschlechter Patrouille laufen musste. Sie nippte an ihrem Glas.
Einige Zeit später räkelte sich Ursula Andress auf einem kleinen Boot in den Armen von Sean Connery. Elisabeth schaltete den Fernseher aus, stand auf und wählte Michaels Nummer.
Wenn er überrascht war, ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken. Auch sie versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
“Was nimmst du denn so an Eintritt ?“
Einen Moment lang herrschte Stille, und sie dachte, wenn er jetzt auflegt, fühle ich mich dreckig. Dann hörte sie ihn leise lachen und atmete erleichtert aus. Er antwortete langsam.
„Okay..., das solltest du mir genauer erklären.“
Sie musste plötzlich schlucken.
„Wann?“
„Nächstes Wochenende bin ich im Haus. Komm am Samstag Nachmittag.“
Sie beeilte sich zuzustimmen.
„Also bis dann.“ Er legte auf.

Dass sie ihren Eltern gegenüber jetzt schon Ausreden finden musste wie eine Vierzehnjährige, behagte ihr gar nicht. Dieses Dorf war der allerdämlichste Ort für so etwas. Als sie wieder vor seiner Tür stand, war sie froh, unterwegs niemanden getroffen zu haben.
Er öffnete ihr kauend, und sie fragte, ob sie vielleicht zu früh sei.
„Wir haben keine feste Zeit abgemacht, und ich dachte...“
„Nein, nein, kein Problem, komm rein.“ Er ließ ihr den Vortritt ins Wohnzimmer. „Setz dich. Kaffee?“
„Ja, gern“, sagte sie steif. Er verschwand in der Küche und kam mit zwei Tassen und einer Thermoskanne wieder.
„Milch? Zucker?“
„Milch, bitte.“
Er stellte eine Schale auf den Tisch, in der eine bunte Mischung von kleinen Plastiktöpfchen mit Dosenmilch steckte, offenbar in verschiedenen Cafés gesammelt.
Dann ließ er sich neben ihr auf dem Sofa nieder, winkelte ein Bein an und legte den Arm auf die Lehne. Sie trank einen Schluck. Das Geräusch beim Zurückstellen der Tasse auf den Tisch ließ sie fast zusammenzucken. Sie holte Luft.
„Woher weißt du, dass ich zugesehen habe?“
„Von Henning.“
„Ach! Wieso seid ihr neuerdings so dicke? Ich verstehe immer noch nicht, warum du zurück gekommen bist. Du kannst an die Zeit hier doch keine guten Erinnerungen haben.“
„Du bist nicht gekommen, um dich nochmal zu entschuldigen, oder?“
Sie schwieg. „Lass mir etwas Zeit“, sagte sie schließlich. „Ich mache so was nicht ständig.“
Er nickte, stand auf und stellte sich ans Fenster.
„Im Moment kann man von hier aus jede Menge Rehe beobachten, die kommen erstaunlich nah 'ran. Stehen da und schauen zum Haus. Dass Frauen neuerdings dasselbe tun, wundert mich allerdings schon.“
„Na immerhin fresse ich keine Rosen.“
Er lachte auf und sie sprach erleichtert weiter.
„Das war Zufall. Ich hatte die Scherben raus gebracht, von den Gläsern, die mir runter gefallen sind.“
„Und dann?“ Er setzte sich wieder hin. Sie spürte, wie sie rot anlief, wurde aber zunächst einer Antwort enthoben, weil die Tür sich ein Stück weiter öffnete, aufgeschoben von der schwarzen Katze, die um seine Beine strich und auf seinen Schoß sprang.
„Deine Katze?“
„Nein, dazu bin ich zu selten hier. Die gehört Thomsens.“
Thomsens Katze stieß ihren Kopf energisch gegen seine Hand, bis er endlich fest genug kraulte. Brach plötzlich wie angeschossen zusammen und bot ihren durchgestreckten Bauch an. In ihrem leicht geöffneten Maul, war die Spitze ihrer rosa Zunge zu sehen. Sie schnurrte so laut, dass sie beinahe Obertöne produzierte. Elisabeth starrte auf seine Hand, die im weichen Katzenfell verschwunden war. Er blickte in dem Moment hoch, als Elisabeth gerade am allerneidischsten guckte. Sie kicherte nervös.
„Tja, Katze müsste man sein!“
Er grinste und wandte sich wieder dem Tier zu. Nichts, was ihr einfiel, hätte sie jetzt irgendwie retten können. Also schwieg sie. Bis er die Katze auf den Teppich setzte, die zuerst noch drängend um seine Beine strich, um dann beleidigt davonzulaufen.
„Warum nicht?“, sagte er. „Sei eine Katze. Zeig mir, was du brauchst.“
Sie lächelte nervös. Blickte zu der Tür, hinter der das Tier verschwunden war. Und dann zurück zu ihm. Er legte den Kopf schief.
„Na was denn nun? Katze oder Reh?“
„Katze.“ Sie rutschte näher an ihn heran, hoffte, dass er irgendetwas tun würde, oder wenigstens reden, aber er saß nur da und sah sie an. Also legte sie ihre Hand auf sein Knie, zog sie aber sofort zurück, weil ihr das völlig blöde vorkam. „Katze“, dachte sie verzweifelt und näherte sich noch weiter. Als ihre Lippen fast schon seine Schläfe berührten, kam ihr die Glasscherbe in den Sinn, in die sie damals auf dem Schulweg getreten war. Er hatte sie gestützt und neben dem Schmerz hatte sie seine Kraft gespürt und seinen erdigen Jungsgeruch in der Nase gehabt. So nah waren sie sich nie mehr gekommen. Bis jetzt. Sie griff ungeschickt nach seinem Handgelenk und zog seine Hand hoch an ihre Brust. Als er zugriff, atmete sie stockend ein, fast schon schmerzhaft schoss die Hitze in ihren Unterleib. Sein Mund dicht an ihrem Ohr. „Mach deine Bluse auf.“
Nach dem dritten Knopf klingelte das Telefon in der Küche. Sie erstarrte mitten in der Bewegung, aber er blieb sitzen und schüttelte den Kopf. Während sie ihre Bluse abstreifte, sprang der Anrufbeantworter an. Erst seine Ansage, sie konnte die Worte nicht verstehen. Dann eine weibliche Stimme, sehnsüchtig, fröhlich, unvermittelt schließend. Schließlich Stille.
„Den BH auch noch“, sagte er.
Während sie den Verschluss am Rücken aufhakte, machte sie sich plötzlich Gedanken darüber, ob er wohl bemerken könnte, dass ihre Brüste ein wenig unterschiedlich waren, ob die Frau auf dem Anrufbeantworter schöner war als sie, ob er vielleicht auf sehr große Brüste stand wie von der Frau neulich, dann dachte sie, dass ihre Brüste wahrscheinlich das geringste Problem waren, sondern die Tatsache, dass sie damals Versprechungen gemacht und nicht gehalten hatte, die Gedanken jagten in ihrem Kopf, und als sie den BH neben sich ablegte, war sie so unsicher geworden, dass sie nicht wusste, wo sie hinsehen sollte.
„Schön“, sagte er, machte eine kleine Bewegung auf sie zu, bremste sich dann und räusperte sich.
„Könntest du dir vorstellen, nochmal wieder zu kommen?“
„Was?“
„Ich müsste den Anrufbeantworter abhören. Ich erwarte heute Abend noch Besuch und ich fürchte, dass sie früher losgefahren ist.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ Instinktiv griff sie nach ihrem BH.
„Ja, ist blöd jetzt. Sie wollte erst heute Abend...“
„Das ist allerdings ziemlich blöd.“
Sie kämpfte mit dem Verschluss, aber ihre Finger zitterten zu stark.
„Soll ich dir helfen?“
„Ach, Scheiße, nein, ich lass ihn aus.“
„Du musst dich gar nicht so sehr beeilen. Es dauert bestimmt noch eine halbe Stunde. Ich kann ja mal abhören.“
Hektisch zog sie ihre Bluse über, stürmte in den Flur, schlüpfte in ihre Jacke und stopfte den BH in die Jackentasche.
„Das ist echt das Allerletzte.“
„Ich bin in zwei Wochen wieder hier.“
„Weißt du, wie scheissegal mir das ist?“
„Samstag Nachmittag, selbe Zeit, keine weiteren Besuche. Versprochen.“
„Vergiss es.“
„Wir könnten auch jetzt noch schnell...“
„Du spinnst wohl.“
In der Tür drehte sie sich um.
„Dann schon eher in zwei Wochen.“
Er lachte.
„Also bis dann.“

Sie ging jetzt jeden Morgen joggen. Kniete sich in die Arbeit. Versuchte sogar, einen Kollegen zu reaktivieren, der vor einem halben Jahr deutliches Interesse an ihr gezeigt hatte. Bis er ihr irritiert zu verstehen gab, dass er frisch liiert war mit der Schulsekretärin, was offenbar alle außer ihr wussten. Daraufhin überlegte sie, sich versetzen zu lassen oder eine Therapie zu machen oder ins Kloster zu gehen.

Statt dessen fand sie sich am vereinbarten Wochenende bei ihren Eltern ein. Deutete beim Mittagessen an, dass sie wieder ein wenig Kontakt zu Michael Groning aufgenommen habe. Ihre Mutter reagierte erwartungsgemäß entsetzt.
„Den sieht man doch kaum zweimal mit derselben Frau!“
„Mein Gott, ich will den Kerl nicht heiraten.“
„Elisabeth!“
„Schrei nicht so. Übrigens braucht ihr heute Abend nicht auf mich zu warten.“
Mit einem Knall stellte ihre Mutter die Schüssel mit den Kartoffeln auf den Tisch.
„Meinst du nicht, dass du für so was langsam zu alt bist? Ich finde das nicht sehr erwachsen. Ausgerechnet hier!“
„Das geht dich nichts an.“
Das Gesicht ihrer Mutter, wenn sie im Begriff war, einen Trumpf auszuspielen.
„Agnes Thomsen hat neulich gesagt, die Frauen, die zu dem gehen, sehen alle so notgeil aus.“
Ihr Vater griff mit gequältem Blick nach der Fernbedienung und stellte den Fernseher an. Der Rest des Essens fand unter der Beschallung durch ein Mittagsmagazin statt.
Danach stand Elisabeth schweigend auf und begann abzuräumen. Ihre Mutter holte Luft.
„Was hat er eigentlich mit dem Haus vor? Hat er darüber was gesagt?“
„Nein, wieso?“
„Nichts. Nur so.“
„Was denn nun?“
„Er macht gar nichts darin. Wenn man so ein Haus kauft, dann renoviert man doch erst mal. Man munkelt, dass da sogar noch die Möbel von Nelly Orten drin stehen, die werden ihm wohl kaum gefallen.“
„Vielleicht doch, diese Frau Orten war doch ganz nett.“
Sie erinnerte sich vage an eine freundliche, kleine Frau, die in verschiedenen Haushalten putzte.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„Arme Frau. Erst der Mann. Und dann stirbt sie auch noch so früh.“
„Wieso, was war mit dem Mann?“
Überraschend schaltete sich ihr Vater ein.
„Na, die Straße hieß im Volksmund nicht umsonst die „Flachmann-Road““
„Aha?“
„Das hast du damals nicht mitbekommen? Nelly Orten hatte doch diesen Hans geheiratet, der war eine ganze Ecke älter als sie und Trinker. Ein Saukerl. Hat auf dem Bau gearbeitet und auf dem Nachhauseweg hat er sich immer auf den letzten zwei Kilometern einen Flachmann aufgemacht und ihn dann aus dem Fenster geschmissen. Verkehrskontrolle war dann nicht mehr zu erwarten und seine Nelly sollte auch nichts mitbekommen. Aber sobald das einer sieht, weiß es das ganze Dorf.“
Ihre Mutter warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
„Arme Frau,“ sagte sie wieder, „Mit Anfang 40 einen Mann pflegen, der sich zu Tode säuft. Kein Wunder, dass sie nie wieder geheiratet hat.“
Sie spießte ein Stück Fleisch auf.
„Frag ihn doch mal, was er mit dem Haus vor hat.“

Diesmal klingelte sie vergeblich. Sie klingelte mehrfach, und immer noch regte sich nichts. Ihre Aufregung wandelte sich schlagartig in Wut. In Windeseile fegte sie ums Haus, um durchs Fenster zu starren. Als sie um die Ecke schoss, prallte sie zurück. Da stand er, in ein Schwätzchen mit Frau Thomsen vertieft, die gerade ein fremdes, perlendes Lachen lachte. Leider bekam Elisabeth ihre Gesichtszüge nicht schnell genug unter Kontrolle, während er ihr zuwinkte.
„Ach, Elisabeth, ich habe die Klingel gar nicht gehört! Ich komme.“ Frau Thomsen warf ihr einen neugierigen Blick zu, und Elisabeth grüßte zähneknirschend. Sie betraten das Haus, und er nahm ihr die Jacke ab, eine Geste, die sie in diesem Moment nicht zu würdigen wusste. Sie beobachtete ihn, während er ihre Jacke aufhing.
„Hast du das absichtlich gemacht?“
„Was?“
„Du weißt genau, was ich meine. Morgen weiß das ganze Dorf, dass ich hier war.“
„Aha, und weiter?“
„Jeder weiß, dass du ständig Frauen hier hast, und jetzt....“ Sie stockte, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
„Jetzt wissen alle, dass du auch so eine bist.“
Er machte einen Schritt zur Garderobe hin und griff nach ihrer Jacke. „Dann verschwinde mal lieber wieder. Ist besser für dich.“
„Ich meinte ja nur...“
„Ich sagte, verschwinde, hau ab, du bist hier verkehrt.“
„Michael, nein, das meinte ich nicht... “
Er drückte ihr die Jacke in den Arm und öffnete die Tür.
„Raus.“

Bloß nicht zu ihren Eltern jetzt. Stattdessen bog sie in die Gegenrichtung ab und lief Frau Thomsen in die Arme, die sich an der Hecke zu schaffen machte. Nicken, zügig weitergehen.
„Grüß deine Mutter von mir“, rief Frau Thomsen ihr nach.
Sie lief zum Wald. Für Ende August war es draußen zu kühl, die Sonne hielt sich nur blass hinter den Wolken. Als die asphaltierte Straße in den Sandweg überging, sank sie mit ihren Absätzen ein, diese Schuhe waren nicht für einen Spaziergang gedacht, sie waren dafür gedacht, ihre Beine hervorzuheben, aber er hatte nicht auf ihre Beine geguckt, er hatte ihr kaum ins Gesicht gesehen, bevor er sie rausschubste. Sie hatte ihm ins Gesicht gesehen. Nicht dran denken. Sie wollte jetzt in diesem Wald sein. Es war der Wald ihrer Kindheit, und sie war seit vielen Jahren nicht mehr hier gewesen. Damals war es viel wärmer gewesen im Wald. Was für ein Unsinn. Heute Abend würde sie zurück in die Stadt fahren. In ihre Wohnung. Sie würde ein Glas Rotwein trinken und fernsehen.
Als sie sie bemerkte, war es zu spät, die Begegnung zu vermeiden. Henning mit Frau und allen drei Söhnen. Lächeln jetzt.
„Hallo zusammen! Das ist ja ein richtiger Familienausflug!“
Henning breitete die Arme aus.
„Muss sein, sonst versauern die mir alle vor der Glotze.“
Seine Frau stieß ihn an.
„Du bist der Erste, der versauert.“
Elisabeth rang sich ein beifälliges Kichern ab.
„Dann viel Spaß noch!“
Henning hob die Hand.
„Ebenfalls!“
Das war überraschend gut gegangen. Im Weggehen hörte sie einen der Söhne.
„Die Frau hat geheult.“

Sie hätte es niemals für möglich gehalten, dass sie sich in diesem Wald verlaufen könnte. Aber irgend etwas war anders, die Wege liefen verkehrt, vielleicht waren die Bäume größer und sahen deshalb fremd aus. Außerdem hatte sich der Himmel immer weiter zugezogen, bis es schließlich angefangen hatte, heftig zu regnen. Sie brauchte jedenfalls über zwei Stunden, um wieder rauszufinden. Und noch zehn Minuten länger, um erneut vor Michaels Haustür zu stehen.
„Du schon wieder.“
„Lass mich rein.“ Ehe er reagieren konnte, hatte sie sich an ihm vorbeigedrückt und sah an sich herunter.
„Ich zieh' besser meine Schuhe aus. Die sind ganz nass.“
„Warum gehst du nicht nach Hause?“
Sie hatte sich auf den Schuhschrank gesetzt und versuchte die Schnallen ihrer Sandalen zu öffnen, aber ihre Finger waren klamm und steif gefroren. Er hockte sich dazu, schob ihre Hand beiseite und löste die Riemen. Als er ihren Knöchel packte, um ihr den Schuh vom Fuß zu ziehen, atmete sie unwillkürlich ein.
„Ich will heute Nacht hier bleiben,“ murmelte sie und er stand wieder auf.
„Was du alles willst.“
„Dich will ich.“
„So wie du aussiehst? Du machst mir ja richtig Angst.“ Er grinste.
„Ich bin lange im Wald rumgelaufen.“
„Bist du deshalb so schmutzig?“
„Ja. Ich bin zweimal ausgerutscht. Kann ich bei dir duschen?“
„Wenn du hier einziehen willst, sage ich nein.“
„Und duschen?“
„Meinetwegen. Treppe hoch, zweite Tür links.“
In der Tür drehte sie sich um.
„Worüber haben wir eigentlich damals geredet?“
„Wann?“
„Damals, auf dem Schulweg. Worüber haben wir geredet?“
„Du hast geredet.“
„Und du?“
„Ich habe zugehört.“
„Du hast mir mal eine Kassette aufgenommen, Mit Sting und Queen und so.“
Er nickte. „Die haben sich verschiedene Leute überspielt. Denen hast du erzählt, du hast sie von deiner Cousine.“ Sie wischte sich einen Tropfen aus dem Auge, der aus ihren Haaren hinunter gelaufen war und fröstelte.
„Ja... Stimmt...“
„Dann geh' mal. Das dauert, bis das Wasser warm wird, das Haus ist alt.“

Ein Badezimmer aus den 70er Jahren, Waschbecken und Dusche in Beige, grüne Fliesen. Es roch schwach nach Schimmel. Eine braune Kulturtasche auf dem Rand des Waschbeckens, ein paar Handtücher über der Heizung, offenbar alle gebraucht. Mit einem trocknete sie sich nach dem Duschen ab, das Badelaken wickelte sie sich um den Körper und klemmte es fest. Dann entdeckte sie den kleinen Schrank unter dem Waschbecken. Als sie ihn öffnete, fiel ihr ein Teil den Inhalts entgegen. Medikamente, Verbandspäckchen, Stützstrümpfe eingerollt, ein Gummiklistier, angebrochene Duschgels, eine Bürste mit grauen Haaren drin. Mit Mühe drückte sie alles wieder rein und den Schrank zu. Richtete sich schnell auf und kämpfte gegen einen Anflug von Übelkeit. Als sie in den Flur trat, hörte sie ihn unten in der Küche. Es roch nach Kaffee und sie widerstand nur mühsam der Versuchung, sofort hinunter zu laufen. Stattdessen öffnete sie eine weitere Zimmertür und stand im Schlafzimmer. Auf dem Ehebett eine goldene Tagesdecke. Darüber ein Holzkreuz. Eine Schrankwand. Über einem Stuhl ein Faltenrock und eine Weste im Trachtenstil. Elisabeth stolperte einen Schritt zurück und zog die Tür zu, die hart ins Schloss fiel.

„Ich habe ins Schlafzimmer geguckt.“ Sie stellte sich auf den Fußabtreter im Türrahmen und rieb ihre Füße aneinander.
„Habe ich gehört.“ Er schenkte Kaffee ein.
„Das ist alles so deprimierend da oben. Wie hältst du das aus?“
„Ich hole mir Frauen hier rein.“
Sie bemühte sich, nicht zu gierig nach der Tasse zu greifen, die er ihr reichte. Der Kaffee war stark und sehr heiß.
„Schläfst du in diesem Doppelbett?“
„Nein, ich schlafe hier unten im Gästezimmer. Interessiert dich das Doppelbett?“ Er lehnte sich neben sie an die Wand und verschränkte die Arme.
„Nein. Da graut es einem. Warum sind da noch die ganzen Sachen von der Frau Orten?“
„Ich bin noch nicht dazu gekommen, mich darum zu kümmern.“
„Das kann ja wohl nicht sein. Wie kannst du hier so leben? Das ist nicht normal.“
„Vielleicht bin ich nicht normal. Trotzdem rennst du mir hier seit Wochen die Bude ein.“
„...Ja.“
„Wenn du nicht gerade Skrupel kriegst.“
„Ich bin halt in diesem blöden Dorf aufgewachsen. Ich....“
„Sie werden alle mit dem Finger auf dich zeigen.“
„Ach, hör auf.“
„Doch, glaub mir, wenn du hier morgen raus gehst, dann steht das ganze Dorf Spalier, direkt vor der Tür. Und du musst da durch. Sie zeigen alle mit dem Finger auf dich und reden über dich. Was du für eine bist. Dass sie das schon immer gewusst haben, was für 'ne Schlampe du bist.“
„Michael...“ Er nahm ihr die Kaffeetasse weg und stellte sie ab, drängte sie zurück, bis sie zwischen ihren Schulterblättern die Kälte des Türrahmens spürte und seinen Atem, dicht an ihrem Ohr.
„Du wirst nackt laufen. Und die Kerle werden dich überall anfassen, deine schönen Titten, deinen Hintern, sie werden dir zwischen die Beine greifen, wie findest du das, Elisabeth?“
Seine Hand zwischen ihren Schenkeln, plötzlich seine Finger in ihr drin, sie schnappte nach Luft.
„Du wirst dich zu Tode schämen, aber es wird dir nichts nützen. Denn du bist so nass, dass du 'ne Spur hinter dir herziehst, wenn du durchs Dorf gehst.“
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie küssen würde. Selbst als sein Mund schon fast an ihrem lag und das krampfhafte Zittern, das ihren ganzen Körper erfasst hatte, ihr beinahe die Kraft zum Stehen nahm, selbst dann wartete sie noch darauf, dass er sie wegschieben würde, aber das tat er nicht, diesmal nicht. Und er küsste sie so, dass sie jede Hoffnung verlor, irgendwann noch mal heil aus dieser Geschichte herauszukommen.
Schließlich wandte er sich ab, sagte, „Komm!“, und sie lief ihm hinterher ins Nachbarzimmer. Auf dem Weg zum Bett zog er sich das T-Shirt über den Kopf. Dann öffnete er seinen Gürtel.
„Wird komisch sein, dich zu vögeln. Du warst mal so was wie 'ne Freundin.“ Sie wusste nichts zu antworten, besonders, als sie ihm jetzt zusah, wie er seine Unterhose abstreifte. Stattdessen wickelte sie sich aus ihrem Handtuch und ertappte sich dabei, wie sie es zusammenfaltete. Er bemerkte es auch und grinste.
„Jetzt erzähl mir nicht, dass du noch Jungfrau bist.“
„Nein.“ Sie ließ das Handtuch fallen und lief entschlossen auf ihn zu.
Die Matratze war alt, die Sprungfedern gaben nach, als er sich auf sie legte. Endlich. Der fremde, peinliche Laut aus ihrem Mund und sein beifälliges Knurren, als er sie mit seinem vollen Gewicht in die Matratze drückte und ihren Körper damit wieder in der Welt verankerte. Während er in sie eindrang, schrie sie leise auf. Er hielt inne, schwer atmend und suchte ihren Blick. Das war der Moment, in dem sie sich ihm völlig überließ, und danach hielt er sich nicht mehr zurück.
Später in der Nacht hörte sie an seinem Atem, dass er schlief. Wenn sie sich vorsichtig bewegte, zog er sie sofort fester an sich. Die Unbewusstheit seiner Geste löste eine Zärtlichkeit in ihr aus, die sie ganz wehrlos machte. Und glücklich.

Am nächsten Morgen wurden sie vom Klingeln des Telefons geweckt. Einen Moment lang hoffte sie, er werde nicht dran gehen, aber er sprang aus dem Bett, griff nach seiner Hose und verließ das Zimmer. Immerhin war er so rücksichtsvoll, die Tür hinter sich zuzuziehen. Sie starrte an die Decke und versuchte zu denken, dass ihr das doch klar gewesen war. Sie versuchte es so intensiv zu denken, dass sie beinahe Kopfschmerzen bekam. Nicht heulen. Ob ihre Sachen schon trocken waren? Sie sollte jetzt aufstehen und gehen. Tatsächlich aber bewegte ihr Körper sich kein Stück. Nach einer Weile kam er wieder.
„Das war Henning.“
„Henning!“ Die Erleichterung war ihrer Stimme so deutlich anzuhören, dass er sie überrascht ansah und grinste.
„Das sind nicht nur Frauen, die mich anrufen, oder was hast du gedacht?“ Ein erregtes Summen tief in ihr drin, als er sich auf die Bettkante setzte. Sie kicherte.
„Und ich hab mich schon gefragt, ob du überhaupt noch einen Platz frei hast in deinem Harem.“ Er lächelte nur verschwommen, und so schob sie schnell die nächsten Worte hinterher. „Was wollte Henning denn?“ Er zögerte einen Moment, bevor er antwortete.
„Er hat mir ein Angebot für das Haus hier gemacht. Schon das dritte. Hofft wahrscheinlich, dass einer seiner Söhne hier mal einzieht.“
„Was? Du hast das Haus doch gerade erst gekauft. Wie kommt er darauf, dass du verkaufen willst?“
„Ich habe das Haus nicht gekauft, Elisabeth. Ich hab's geerbt.“
„Geerbt?“
„Ja, Nelly Orten hat mir das Haus vererbt.“
„Warum das denn?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Es gab keine anderen Erben. Ich habe ihr damals ab und zu geholfen im Garten.“
„Und dafür vererbt sie dir ihr ganzes Haus?“
Er schwieg.
„Woher weiß Henning davon?“
„Henning weiß alles, was hier läuft.“
„Und, wirst du verkaufen?“
„Sieht so aus.“
„Bald?“
„Bald. Ich brauche Geld. Ich habe Unterhalt zu zahlen für zwei Kinder.“
„Oh.“
Er schwieg und sah aus dem Fenster. Draußen bellte ein Hund. Und ein Zweiter. Dann hörte man die Herrchen, die auf ihre Hunde einschimpften. Die Stimmen kamen ihr bekannt vor. Schließlich lächelte Michael.
„Weißt du noch, wie du damals in die Scherbe getreten bist? Du hattest dieses blaue Kleid an, das war ziemlich kurz.“
„Meine Mutter war dagegen. Nicht nur weil es kurz war, sondern auch, weil es ziemlich eng war.“
Er lachte.
„Sie hatte recht. Deine Brüste zeichneten sich gut ab.“
„Ich hab das damals gemerkt, dass du geguckt hast.“
„Es hat dir gefallen. Du warst ziemlich aufgedreht an dem Tag. Und du wolltest, dass wir barfuß laufen.“
„Tja, und dann kam die Strafe. Ich hab die Narbe immer noch.“
„Zeig mal.“
Er rutschte ein Stück zurück und schlug die Bettdecke über ihren Beinen auf. Griff nach ihrem Fuß, zog ihn auf seinen Schoß und drehte ihre Fußfläche nach oben. Ihr Herz begann zu klopfen. Er fand die Narbe und strich sachte mit dem Daumen darüber.
„Mensch, was hat das geblutet.“
„Hat ja auch ziemlich weh getan“, murmelte sie atemlos.
„Du hast total gezittert und dich an mich geklammert. Ich habe dem Himmel gedankt für die Scherbe.“
Sie prustete los.
„Nein, hast du nicht.“
Er lächelte.
„Ich hab sogar gedacht, vielleicht redet sie jetzt auch auf dem Schulhof mit mir.“
Sie hörte auf zu lachen und er betrachte nachdenklich den Fuß in seiner Hand.
„Danach haben dich deine Eltern erst mal zur Schule gefahren. Irgendwann hattest du wieder das Kleid an. Bist damit so sexy durch die Klasse gehumpelt. Und Henning sind die Augen übergegangen.“ Wieder sah er aus dem Fenster. Draußen war es ruhig geworden. „Zwei Wochen später habe ich zum ersten Mal mit Nelly geschlafen.“
Sie brauchte ein paar Sekunden um zu reagieren. Dann zog sie vorsichtig ihren Fuß zurück.
„Du hast mit ihr...aber sie war doch viel älter...du warst...“
„Siebzehn.“
„Und sie um die vierzig?“
„Auch nicht normal, was? Am Ende war Nelly die Einzige, die ich vermisst habe, als wir hier weggegangen sind.“
„Wie kam das denn, dass du mit ihr geschlafen hast?“
„Du bist echt neugierig, Elisabeth. Hast du kein eigenes Leben?“
Instinktiv versuchte sie, die Bettdecke zu ihrem Kinn hochzuziehen, aber er hinderte sie daran und sah sie an. Sie bemühte sich zu lächeln.
„Doch habe ich. Da wo ich wohne, kann ich vom Schreibtisch aus über die ganze Stadt sehen. Die meisten meiner Schüler mag ich gern. Ich singe im Chor. Ich habe eine schöne Wohnung und ein paar Freunde.“
Sie schwieg und er wartete. So lange bis sie leise sagte: „Manchmal habe ich das Gefühl, als sei ich überhaupt nie hier weggezogen.“
Darauf nickte er langsam. Öffnete die Nachttischschublade, holte ein zerknittertes Foto raus und reichte es ihr. Nelly, ein paar Jahre älter, als sie jetzt waren. Sie saß auf einer Bank und lächelte schüchtern in die Kamera.
„Angefangen hat es mit Nelly irgendwann im Sommer. Ich war gerade fertig geworden im Garten, hatte den Rasenmäher zurück in den Schuppen geschoben und ging ins Haus, um mich zu verabschieden. Meistens drückte sie mir dann ein paar Mark in die Hand. Aber an dem Tag war sie nicht in der Küche und ich rief nach oben, dass ich jetzt abhaue. Sie rief runter, ob ich nochmal kommen könnte. Ihr Mann war im Bad gestürzt. Das war ein paar Wochen, bevor er ins Krankenhaus kam. Er war zwischen Toilette und Badewanne eingeklemmt. Zu zweit haben wir es dann geschafft, ihn rauszuziehen. Er verkrallte sich dabei in ihr T-Shirt und zog es runter, so dass ich ihre halbe Brust vor der Nase hatte. Sie trug keinen B.H. Ich war plötzlich erregt und wahnsinnig verlegen, dachte nur, was bin ich für ein Schwein. Es roch nach Urin, er hatte sich eingenässt und sie schwitzte, ich sah, wie ihr ein Tropfen am Dekolleté hinunterlief und zwischen ihren Brüsten verschwand. Sie war nicht sehr groß. Keine Ahnung, wie sie das damals so lange mit ihm geschafft hat. Wir legten ihn aufs Bett und sie schickte mich raus, sie wollte ihn sauber machen. Aber ich ging nicht nach Hause. Ich blieb einfach unten in der Küche sitzen, bis sie kam.“
Sie wartete vergeblich darauf, dass er weitersprach, murmelte schließlich: „Sie hat dich bestimmt auch sehr vermisst.“
„Vielleicht. Vielleicht war sie auch froh. Sie war sehr fromm, ich nehme an, sie hatte schwer damit zu tun, was zwischen uns passierte. Und die Angst, dass das hier im Dorf irgendwie rauskommt, die hat sie bestimmt nicht vermisst. Aber anscheinend habe ich Spuren hinterlassen, sonst hätte sie mir das Haus nicht vererbt.“
„Und was für Spuren hat sie bei dir hinterlassen?“
„Keine Ahnung. Vielleicht den Hang zu unglücklichen Frauen.“
Er zwinkerte ihr zu und sie dachte, dass sie mehr von ihm wollte, viel mehr, dass sie ihn ganz und für immer wollte, bis das der Tod uns scheidet, und dieser Gedanke schnürte ihr die Kehle zu.
„Guck mal“, sagte er und zeigte aus dem Fenster. Sie legte das Foto auf den Nachttisch und rutschte neben ihn. Thomsens Katze winzig klein, oben in der Baumspitze. Elisabeth erschrak.
„Hoffentlich kommt sie da wieder runter.“
Seine Hand, die langsam ihren nackten Rücken hinunterwanderte, sich um ihr Gesäß legte.
„Doch da kommt sie runter. Ich habe sie da schon öfter gesehen.“

 

Hallo @Chutney,

der Titel hat mich neugierig darauf gemacht, deinen Text zu lesen. Und hat gleichzeitig eine bestimmte Erwartung geweckt: Ich hatte etwas Bissiges, Böses erwartet. Dementsprechend verwundert war ich nach dem ersten Absatz. Du wendest das Klischee der spießigen Dorfgemeinschaft auf dein Setting an. Schublade zu. Und danach habe ich aufgehört zu erwarten und zu denken, denn deine Geschichte hat mich in völlig unerwartete Gefilde mitgenommen.
Die Sexszenen haben mich völlig kalt gelassen. Die fand ich sogar stellenweise furchtbar unerotisch. Aber die Beziehung von Michael und Elisabeth hat mich sehr berührt und interessiert. Wie du sie immer wieder aufeinander prallen lässt, wie er sie behandelt und du in seinen Aussagen immer wieder zeigst, dass sie ihn in der Vergangenheit verletzt hat. Sehr subtil, immer wieder überrachend und für mich das Interessanteste am ganzen Text. Ich hätte mir gewünscht, dass es am Ende in irgendeiner Form richtig knallt. Dass er ihr alles um die Ohren haut und sie zum Teufel jagt oder sie dem Dorf vorführt. Irgendetwas. Die Steigerung in der Geschichte ist mir ein bisschen zu mager. Und ich muss zustimmen, dass die Nelly-Michael-Beziehung unnötig für die Erzählung zu sein scheint.

Das war eine nette Leseüberraschung.

Liebe Grüße
Zantje

 

Hallo Zantje,

vielen Dank für's Lesen und Kommentieren, ich habe mich gefreut!

der Titel hat mich neugierig darauf gemacht, deinen Text zu lesen. Und hat gleichzeitig eine bestimmte Erwartung geweckt: Ich hatte etwas Bissiges, Böses erwartet.

Ganz ehrlich, so richtig glücklich bin ich mit dem Titel auch nicht mehr. Er kommt mir jetzt zu reißerisch vor. Aber ich glaube, es ist schon sinnvoll, den Text jetzt hier unter diesem Titel stehen zu lassen.

Und danach habe ich aufgehört zu erwarten und zu denken, denn deine Geschichte hat mich in völlig unerwartete Gefilde mitgenommen.

Das klingt gut. :)

Aber die Beziehung von Michael und Elisabeth hat mich sehr berührt und interessiert.

Das freut mich sehr. Die Beiden haben mich damals lange nicht losgelassen.

Ich hätte mir gewünscht, dass es am Ende in irgendeiner Form richtig knallt.

Das hat MiaWallace auch geschrieben, dass sie sich das Ende dramatischer ausgemalt hätte. Ich mag es selber ganz gern, dass es so offen bleibt.

Und ich muss zustimmen, dass die Nelly-Michael-Beziehung unnötig für die Erzählung zu sein scheint.

Da hatte Peeperkorn auch schon eine Anmerkung zu gemacht und ich sehe das Problem. Möglicherweise macht es Sinn, Michaels Monolog am Ende nochmal drastisch zu kürzen. Ich denke, irgendeine Erklärung dafür, dass er wieder ins Dorf gekommen ist, sollte es schon geben. Und mein Gedanke war, dass über seine Erzählung auch so etwas Versöhnliches zwischen ihnen entsteht.

Das war eine nette Leseüberraschung.

Vielen Dank, Zantje!

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe Chutney,

die Geschichte lässt mich atemlos zurück - und ich möchte gar nichts kritisieren. Ist einfach nur gut.
An einer Stelle, meine biedere Erziehung hindert mich daran, sie zu zitieren :-), ist Michael dann doch zu krass in seiner Äußerung, in der er ihre Lust beschreibt. Da hätte er bei mir ausgespielt, aber gut,
sie ist da echt leidensfähig ...
Toll, dass es mal eine gute erotische Geschichte zum Lesen gibt, hat frau nicht oft :Pfeif:. Winzigkeit:

Katze, die zielstrebig an der Terassentür
Terrassentür.

Sehr gern gelesen,

Eva

 

Hallo Eva Luise Groh,

das ist ja ein überraschendes Wiedertreffen nach so langer Zeit. Ich habe die Geschichte nochmal überflogen, ein ganz merkwürdiges Gefühl. Doch, sie gefällt mir immer noch, obwohl es da einige berechtigte Kritikpunkte gab, die noch zu bearbeiten wären. Die "Terrassentür" ist schon mal ausgebessert. ;)

Toll, dass es mal eine gute erotische Geschichte zum Lesen gibt, hat frau nicht oft .

Dankeschön, Eva! Das ist sehr motivierend für mich.

Herzliche Grüße von Chutney

 

Hallo Chutney,

unnu buddel ich die auch nochmal aus.
Hab deine Geschichte gerade verschlungen! Danke!

Ich finde es beeindruckend, wie begehrenswert mir als Leserin dieser Michael erscheint. Du hast es nicht nötig, zu schreiben, dass er irgendwie gut aussieht. Nein, er hat Aknenarben. Ebensowenig bemühst du dich, mir zu beschreiben, was er beruflich für ein toller Hecht ist.
Seine Hilfsbereitschaft, als er Nelly mit ihrem gestürzten Mann hilft, kommt so extrem spät am Ende der Geschichte, auch das wird nicht dazu benutzt, ihn mir als sympathisch zu verkaufen.
Allein seine Rätselhaftigkeit, seine lässige Art zu reden, die Art, wie Elisabeth ihn sieht - das alles lässt ihn mir so unglaublich interessant erscheinen. Und dann lese ich immer weiter und weiter und fiebere mit Elisabeth mit.

Die Szene, in der er den Satz sagt, der auch gleichzeitig der Titel der Geschichte ist, ist dir wirklich gut gelungen.

Sehr interessant fand ich auch die Diskussion mit ernst offshore und Gretha darüber, inwieweit Figuren ein Eigenleben entwickeln.
Mir geht es auch so. Ich glaube zwar nicht an Discovery Writing, was das Plotten betrifft, denke ich rational. Aber manche Eigenschaften der Figuren kommen mir doch erst beim Schreiben, und ich nehme die Figuren überall hin mit. Die begleiten mich sogar beim Joggen, ich habe sie vor meinem inneren Auge und entwickele sie weiter. Irgendwann glaube ich tatsächlich, dass sie existieren. Kurz und gut, ich halte es für eine Mischung zwischen Handwerk und Mystik. Das Handwerk überwiegt ganz klar, aber ein Hauch Mystik bleibt.

Ich freue mich auf weitere Geschichten von dir.

LG, Anne

 

Hallo chutney,

und damit die Geschichte auch nicht wieder eingebuddelt wird, geb ich jetzt auch nochmal meinen Senf dazu:

Du hast ja schon sehr viel Lob kassiert, und dem kann ich mich nur anschließen! Ich war von der ersten Zeile drin und Deine detaillierte Art zu schreiben, hat mich in keinster Weise gestört, im Gegenteil. Ich bin dadurch immer tiefer mit Elisabeth hineingeschliddert, konnte, wie auch Anne schon bemerkt hat, absolut nachvollziehen, was sie an Michael findet, obwohl er mir nicht als herkömmlich attraktiver Mann serviert wird. Das finde ich ganz groß!

Überhaupt sind alle Deine Charaktere lebendig, vor allem die Mutter kann ich mir sehr gut vorstellen, die hat mich in ihrer Art total an die Mutter aus Kempowskis "Ein Kapitel für sich" erinnert, vielleicht kennst Du das Buch ja.

Zudem erzählst Du spannend und treibst den Konflikt derart auf die Spitze, dass die überraschende Wende, wo Elisabeth aus ihrer Beobachtungsposition heraustritt und sich Michael quasi anbietet, mich völlig umgehauen hat. Ich fand's auch in keinster Weise unlogisch, dass sie Michael so hinterherhechelt, denn ich glaube, dass es Situationen im Leben gibt, in denen das Hirn und somit auch der Stolz, total ausgeschaltet sind und nur noch der Trieb zählt.

Auch, weil das oft so ein Tabuthema ist - will doch jeder nach außen hin beweisen, dass er sein Leben im Griff hat und aus dem Teenageralter raus ist - hat mich die Geschichte fasziniert. Da erniedrigt sich eine Frau jenseits von Alter und Erfahrungen, lässt eine Seite in sich aufleben, die viele andere Menschen wahrscheinlich auch in sich tragen, aber lieber totschweigen und in der Schublade lassen, denn so sind ja immer bloß andere, man selbst kriegt das schon auf die Reihe.

Das hast Du super vermittelt für mich, ohne, dass ich denke: Was ist denn das für eine? ...

Zudem klingt Deine Sprache sehr authentisch, nichts wirkt gestelzt oder aufgesetzt, Du willst niemanden beeindrucken, sondern einfach eine gute Geschichte erzählen. Das finde ich sehr sympathisch und bereitet mir ein noch größeres Lesevergnügen.

Was die Diskussion über die Figurenentwicklung angeht, muss ich sagen, dass ich da auch oft von der Intuition geleitet werde. Ich versuche natürlich, meine Figuren technisch auszufeilen- was mir mal mehr und mal weniger gut gelingt -, aber manchmal drängt sich das Bild einer Figur förmlich auf beim Schreiben, obwohl sie ursprünglich ganz anders sein sollte.

In diesem Sinne freue ich mich auf Deine nächste Geschichte, hab' auch "Chlz...", na, ich versuchs' gar nicht erst, Du weißt schon, Deine Empfehlung, gelesen und sehr gemocht. Auch das knappe Schreiben liegt Dir.

So, nun aber genug des Lobes, jetzt muss ich mal an meiner eigenen Geschichte weiterbasteln.

Liebe Grüße,

Chai

 

Hallo Chutney,

ich habe die vielen Kommentare nicht alle gelesen, deshalb sorry, wenn ich wiederhole.
Tolle Geschichte, allerdings kam mir der Schluss zu abrupt. Es bleiben für mich zu viele Fragen offen. Du streust Hinweise, die sich nicht auflösen, oder habe ich was überlesen? Die Sache mit seinem Vater z.B.

Was wohl aus dem Vater geworden ist. War ja damals ziemlich ungewöhnlich, ganz ohne Frau, nur er und der Junge.“
Nicht nur ungewöhnlich, dachte Elisabeth. In diesem Dorf auch unverzeihlich.
Ist der Vater der Grund, warum er sich zu unglücklichen Frauen hingezogen fühlt?

Meiner Meinung nach ist Dir die Charakterisierung von Elisabeth gut gelungen, ich habe sie ziemlich klar vor Augen. RinaWu hat geschrieben:

Was mir allerdings nicht so ganz einleuchten mag, ist ihre plötzliche Besessenheit, was Michael betrifft?
Ich finde das schon einleuchtend. Sie ist einsam und notgeil, hat gesehen, was er mit anderen Frauen so anstellt und will dasselbe haben.
Michael hingegen bleibt für mich ein Rätsel.

Besonders am Anfang sind mir ein paar sprachliche Unschönheiten aufgefallen:

Die hatten sich untereinander mehr zu erzählen als ihr und verschwanden schließlich eine nach der anderen zum Buffet.
da bin ich über das "ihr" gestolpert, vielleicht kann man den Satz umformulieren?
Der hatte inzwischen das Fuhrunternehmen von seinem Vater übernommen und drei Söhne.
3 Söhne übernommen?:D 3 Söhne bekommen.
nach draußen zur Mülltonne zu bringen. Draußen ging ein trüber Tag
Wortwiederholung...

Ansonsten sehr gerne gelesen,

Schöne Grüße Kerkyra

 

Nochmal hallo Anne :),
herzlichen Dank fürs ausbuddeln!

Ich finde es beeindruckend, wie begehrenswert mir als Leserin dieser Michael erscheint. Du hast es nicht nötig, zu schreiben, dass er irgendwie gut aussieht. Nein, er hat Aknenarben. Ebensowenig bemühst du dich, mir zu beschreiben, was er beruflich für ein toller Hecht ist.

Besonders hat mich gefreut, dass du die Attraktivität meines "Helden" nachvollziehen konntest. Schön, edel und erfolgreich ist ja auch langweilig. Aber interessant, dass bei manchen das, was du als rätselhaft und "lässige Art zu reden" beschreibst, verfängt, während andere denken, was findet die an dem, warum tut sie sich das an?

Die Szene, in der er den Satz sagt, der auch gleichzeitig der Titel der Geschichte ist, ist dir wirklich gut gelungen.

Dankeschön!

Das Handwerk überwiegt ganz klar, aber ein Hauch Mystik bleibt.

Vielleicht ist das, was man als mystisch empfindet auch das Unbewußte in uns selbst, dass uns beim Schreiben einer Geschichte in eine unvermutete Richtung drängt. Und beim weiteren Bearbeiten setzt man sich dann so weit mit diesen Aspekten auseinander, wie man eben dazu in der Lage ist.

Vielen Dank, Anne, für deine Gedanken,:)

Liebe Grüße von Chutney

Hallo Chai,

auch dir herzlichen Dank fürs Reinschauen und deine ermutigenden Worte.

Du hast ja schon sehr viel Lob kassiert, und dem kann ich mich nur anschließen!

Immer her damit :D

Überhaupt sind alle Deine Charaktere lebendig, vor allem die Mutter kann ich mir sehr gut vorstellen, die hat mich in ihrer Art total an die Mutter aus Kempowskis "Ein Kapitel für sich" erinnert, vielleicht kennst Du das Buch ja.

Nein, das Buch kenne ich nicht, werde ich mich mal darum bemühen. Ist ja interessant.

Auch, weil das oft so ein Tabuthema ist - will doch jeder nach außen hin beweisen, dass er sein Leben im Griff hat und aus dem Teenageralter raus ist - hat mich die Geschichte fasziniert. Da erniedrigt sich eine Frau jenseits von Alter und Erfahrungen, lässt eine Seite in sich aufleben, die viele andere Menschen wahrscheinlich auch in sich tragen, aber lieber totschweigen und in der Schublade lassen, denn so sind ja immer bloß andere, man selbst kriegt das schon auf die Reihe.

Das hast Du super vermittelt für mich, ohne, dass ich denke: Was ist denn das für eine? ...


Über diesen und auch den Absatz davor, habe ich mich sehr gefreut. Das hast du toll ausgedrückt. Es ist mir wichtig, dass Elisabeth dennoch ihre Würde bewahrt, in den Augen der Leser, obwohl man das ja nie ganz unter Kontrolle hat.

Zudem klingt Deine Sprache sehr authentisch, nichts wirkt gestelzt oder aufgesetzt, Du willst niemanden beeindrucken, sondern einfach eine gute Geschichte erzählen. Das finde ich sehr sympathisch und bereitet mir ein noch größeres Lesevergnügen.

Eigentlich war ich tatsächlich ursprünglich mit dem Wunsch angetreten, einfach gut zu unterhalten. Wenn es mir bei dir gelungen ist, ist das wunderbar!

Liebe Chai, herzlichen Dank dir und ein schönes Wochenende wünscht

Chutney

 

Hallo Kerkyra,

wie schön, mal wieder etwas von dir zu hören.:)

Stimmt, die Sache, warum er mit seinem Vater alleine war, habe ich nicht aufgelöst. Ich wollte ihn so von Anfang an als Außenseiter kennzeichnen. Ich glaube, das wäre am Ende auch zu viel der Erklärung geworden und ist für die Geschichte nicht so entscheidend.

Ist der Vater der Grund, warum er sich zu unglücklichen Frauen hingezogen fühlt?

Am Ende, wo er das sagt, bezieht er das auf seine erste Beziehung zu der unglücklichen Nelly. Wobei das mutterlose Aufwachsen sicherlich auch sein Verhältnis zu Frauen beeinflusst hat.

Meiner Meinung nach ist Dir die Charakterisierung von Elisabeth gut gelungen, ich habe sie ziemlich klar vor Augen.

Schön!

Michael hingegen bleibt für mich ein Rätsel.

Eigentlich finde ich, dass er auch rätselhaft bleiben darf. Falls du nicht mit "rätselhaft" "unglaubwürdig" meinst.

Die hatten sich untereinander mehr zu erzählen als ihr und verschwanden schließlich eine nach der anderen zum Buffet.
da bin ich über das "ihr" gestolpert, vielleicht kann man den Satz umformulieren?

Bisher ist mir noch nichts besseres eingefallen. Vielleicht einfach nur "Die hatten sich untereinander viel zu erzählen und verschwanden ..." Ich überlege nochmal.

Der hatte inzwischen das Fuhrunternehmen von seinem Vater übernommen und drei Söhne.
3 Söhne übernommen? 3 Söhne bekommen.

Ups, das stimmt. Ist geändert, vielen Dank!

nach draußen zur Mülltonne zu bringen. Draußen ging ein trüber Tag
Wortwiederholung...

Das erste "draußen" ist gestrichen. Ist besser.

Ja, und bei den Sätzen drumherum ist mir auch noch so einiges aufgefallen. Ich glaube, ich gehe den Text doch bald noch mal durch.

Vielen Dank, Kerkyra für deine Rückmeldung und die Hinweise. Ich habe mich darüber gefreut.

Liebe Grüße von Chutney

 

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