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Gehe nicht. Komm zurück!

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24.04.2003
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Gehe nicht. Komm zurück!

Mit zitternder Hand hielt die Alte ihr das zugeschnürte Säckchen hin.
"Denken Sie an meine Worte. Die Toten zurückzuholen ist kein Vergnügen. Überlegen Sie gut und lange, ehe Sie das Pulver benutzen."
Claudia nahm das Säckchen von der Hand, die sich ihr wie ein faltiges Tablett präsentierte, und ließ ihre Neuerwerbung kommentarlos in die Handtasche plumpsen.
Zur Tür gewandt sagte sie: "Wenn es nicht funktioniert, will ich mein Geld zurück."
Die Alte kicherte noch, nachdem Claudia längst wieder im Auto saß.
"Oh, meine Liebe, es wird funktionieren. Tut es immer."

***

Horst Winkler war hundemüde. Die gerade verlaufende Landstraße, auf der sein Wagen schon eine zeitlang fuhr, erlaubte es ihm, ab und wann für einen kurzen Moment die Augen zu schließen. Als er sich selbst kurz schnarchen hörte, erschrak er. Anstatt der Bremse, erwischte er das Gaspedal. Orientierungslos riss er am Steuer, geriet auf die Gegenfahrbahn, und sah zwei Scheinwerfer auf sich zukommen.

***

Die Küche sah schlimm aus. Seit Tagen hatte sie hier nichts mehr getan. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle bis hoch zum Wasserhahn. Eine Kakerlake suchte das Weite, als Claudia das Licht einschaltete.
Ohne dem vorherrschenden Chaos auch nur einen Blick zu widmen, eilte sie an dem mit Gläsern und Tellern vollgestelltem Tisch vorbei und entriegelte die Kellertür. Ein kurzer Ruck an dem lustlos von der Birne baumelnden Faden, und vor ihr erstreckten sich die abgetretenen Steinstufen in kellertypischer Schummerbeleuchtung.
Der von unten dringende Gestank ließ sie unwillkürlich durch den Mund atmen. Der Leichnam war inzwischen stark verwest und es waren nicht wenige Insekten, die in seinem Inneren ein neues Zuhause gefunden hatten. Sie summten und krochen aufgeregt, als Claudia sich näherte.
Die ursprünglichen, äußeren Verletzungen, sah man in diesem Tohuwabohu der angefressenen Verfaultheit kaum noch.
Die Zunge, nunmehr der kleine Ast eines bizarren Baumes, lag seitlich über einem Loch in der eingefallenen, grünlichen Wange, als wolle sie das Ungeziefer im Mundraum verdrängen.
Claudia hatte keine Zeit, sich an diesem lieblichen Anblick zu erfreuen.
Sie löste die Schleife am oberen Ende des Säckchens und streute das Pulver über den leblosen Körper. Ihr war klar, dass er dadurch nicht wieder taufrisch werden würde. Aber das zählte auch gar nicht.
Die Liebe ... es ging im Leben einzig um die große, endgültige Liebe, und die sollte - sofern die alte Frau keinen Mist erzählt hatte - in tausendfacher Verstärkung zurück in das brüchige Fleisch kehren.
Claudia lächelte.

***

Ihr Mann hatte einen Unfall.
Immer wieder gingen ihr die Worte durch den Kopf. Claudia sah auf die gepackte Reisetasche. In einer Stunde ging ihr Flug nach Berlin. Die Agentur brauchte sie heute Abend dort.
Es war undenkbar, jetzt zu fliegen. Horst hatte einen Unfall gehabt. Die Tränen hörten nicht auf zu fließen. Wie sie ihn liebte!
Sie wünschte sich tatsächlich, an seiner Stelle zu sein. Wenn es doch nur möglich gewesen wäre.
Es klingelte an der Tür, und sie erwartete das Schlimmste.
"Bitte, bitte ... kein Beamter, der dir mit betroffenem Blick mitteilt, dass...", flüsterte sie zu sich selbst.

***

Sie lag im Bett, die Beine ausgestreckt, die Hände vor dem Gesicht gefaltet.
"Wo bist du bloß mein Liebster. Bitte komm zu mir zurück. Sie hat gesagt, dass du kommen wirst. Bitte lass sie ihr Wort halten. Du musst von draußen kommen, als sei alles wie immer! Bitte, bitte, bitte ... ich liebe dich doch!"
Die Haustür wurde aufgeschlossen. Träge humpelte Horst Winkler in den Flur. Er musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu fallen.
"Schatz, bist du da", krächzte er aus trockener Kehle.
Ein Moment des Schweigens, dann: "Ich bin hier oben!"
Mühevoll und keuchend, brachte sein angeschlagener Körper eine Stufe nach der anderen hinter sich.
"Schatz, wo bist du?"
"Hier bin ich!"
Claudia stand vor ihm und drückte ihm einen Kuss auf die trockenen Lippen. Nur nebenbei bemerkte sie seinen starken Mundgeruch.
"Du musst dich jetzt ausruhen. Geh schonmal ins Schlafzimmer."
Horst kratzte über etwas Kruste an seinem Kopf.
"Warum hast du mich nicht im Krankenhaus besucht?"
Claudia schüttelte den Kopf.
"Doch, ich hab dich ja besucht. Aber du lagst im Koma, so versteh doch, die Dinge haben sich geändert. Ich habe jemanden getroffen. Geh ins Bett. Du wirst es noch früh genug erfahren."
Seine Glieder schmerzten höllisch. Es kam Horst vor, als sei er in einem schwarz-weiß Film gelandet, den jemand auf einer uralten VHS Kassette aufgenommen hat. Alles gab sich grobkörnig, schwammig, voller Störungen, und die Realität wollte durch angestrengtes Denken festgehalten werden.
"Du hast wohl recht."
Claudia küsste ihn ein weiteres Mal.
"Sicher hab ich das. Ich bin gleich bei dir."
Ohne noch ein Wort zu erwidern, schleppte Horst sich in den Raum, atmete schwer, und ließ sich auf das Bett fallen.
Zwischen Ohnmacht und Schlaf gefangen, breitete er die Arme aus.
"Schatz, was ist das denn ... hast du einen toten Baum ins Bett ..."
Die madenzerfressende Fratze versuchte so etwas wie ein Lächeln. Zustande kam eine noch unappetitlichere Obskurität, die sich Horst in schnellem Tempo näherte. Verknitterte Augäpfel strahlten die pupillenlose Geilheit aus, die auch den Rest von Haut auf der Stirn zerreißen ließ und die darunter befindlichen Maden in ihrer Fettheit bloßstellte.
Das verfaulte Ding stieß etwas aus, was an einen Rülpser erinnerte, und brach sich dabei die rechte Seite des Kiefers. Undefinierbarer Schleim sprudelte aus der Mundöffnung, und landete klebrig auf Horsts Lippen, als das Ding sein seltsam angewinkeltes Bein über ihn legte und zu sprechen anfing.
"Endlich bist du wieder bei mir, mein Schatz. Deine Frau hat mich nicht belogen! Schlaf mit mir!"

Claudia war sich nicht sicher, ob sie die Hilfeschreie übertönen konnte. Sie versuchte es trotzdem.
"Ich bin übrigens nicht nach Berlin geflogen. Ich wollte zu dir ins Krankenhaus, als es an der Tür geklingelt hat. Tut mir Leid, wenn ich euren Zeitplan durcheinander gebracht habe. Aber dafür habt ihr jetzt alle Zeit der Welt! Sag ihr, sie soll Rücksicht nehmen. Du bist ja immer noch stark lädiert von dem Unfall."

Horsts Hilfeschreie gingen in ein dumpfes Gurgeln über, als seine arg verweste Geliebte den Sex einleitete.
Sie war eine leidenschaftliche Küsserin.

 

Öh ja, igitt!

Sehr netter kurzer Schocker mit ausgenommen ekliger Pointe. Man denkt, der Tote müsse ihr Mann sein und erst zum Schluß... - funktioniert gut.

Nur frage ich mich, was genau mit der Geliebten passiert sein muß. Sie klingelte an der Tür, weil sie statt der vermeintlich abwesenden Claudia Horst dort vermutete? Und die bringt sie dann um und holt sich von einer modernen Kräuterhexe ein Untoten-Mittelchen? Klingt einleuchtend... :dozey:

Naja, ich fühle mich nicht gegruselt, aber angeekelt. Ich schätze, darum ging's hier.

ab und wann

Gibt es den Ausdruck?

 
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Boäh, ist die Geschichte gut, Mann! Ich musste gleich nochmal oben nachschauen, sozusagen zwischen die Beine...

Ich finde die Geschichte sogar so gut, dass Du getrost auf die Ekeleffekte hättest verzichten können. Aber bitte, einige hier finden das toll. Ich persönlich bevorzuge Andeutungen.

Der Anfang ging mir etwas zu schnell. Ich hätte gerne noch etwas von der Atmosphäre erfahren. Wo hat sie gekauft? Was ist das für eine Alte?


Und dies fiel mir noch auf


ihr wie ein faltiges Tablett präsentierte, und ließ ihre Neuerwerbung
kein Komma (?)

ab und wann
"ab und an"?

dem lustlos von der Birne baumelnden Faden
m.E. ein falsches Bild: ein Faden hat keine Gefühle, kann nicht "lustlos" baumeln.

Anstatt der Bremse, erwischte er das Gaspedal
kein Komma

Die ursprünglichen, äußeren Verletzungen, sah man in diesem Tohuwabohu
Kommas würde ich weglassen

"Wo bist du bloß, mein Liebster.
hier würde ich ein Komma setzen

Bitte, bitte, bitte ... ich liebe dich doch!"
Sie "liebt" ihn noch??? Sie spricht an dieser Stelle doch zu sich selbst oder nicht?

Geh schonmal
schon mal

einer uralten VHS Kassette
gehört wohl ein Bindestrich dazwischen. Mir ist der Begriff zu technisch. Warum nicht einfach "Videokassette"?

atmete schwer, und ließ sich
ohne Komma

sprudelte aus der Mundöffnung, und landete klebrig auf Horsts Lippen
ohne Komma

Beste Grüße
nic

 
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Hallo Cerberus!

Schön gesplattert hast du da: Nicht wirklich gruselig, und ich glaube, du lässt deine Leichen auch nicht besonders realistisch verwesen (die Augäpfel müssen normalerweise als erstes dran glauben), aber solange genug Maden krabbeln, passt das schon. Morbide-amüsant, so wie die Frühwerke Peter Jacksons.

Sehr geschickt aufgebaut, aber nicht ganz einfach zu durchschauen. Vielleicht kannst du das hier noch besser ausbauen, damit der Groschen wirklich fällt:

Claudia war sich nicht sicher, ob sie die Hilfeschreie übertönen konnte. Sie versuchte es trotzdem.
"Ich bin übrigens nicht nach Berlin geflogen. Ich wollte zu dir ins Krankenhaus, als es an der Tür geklingelt hat. Tut mir Leid, wenn ich euren Zeitplan durcheinander gebracht habe. Aber dafür habt ihr jetzt alle Zeit der Welt! Sag ihr, sie soll Rücksicht nehmen. Du bist ja immer noch stark lädiert von dem Unfall."

Nach dem ersten Lesen war ich mir nicht mehr sicher, wer jetzt tot, wer Ehefrau und wer Geliebte ist.

Warum holt Claudia ihren Mann nicht aus dem Krankenhaus ab? Das Wiedersehen wirkt etwas emotionslos, so als ob Horst (was für ein Name ...) von der Arbeit käme. Da ist doch mehr Spannung drin: Er freut sich, endlich kein Krankenhausessen zu bekommen, sie wartet darauf, dass er endlich ins Bett geht ...

Sprachlich ist mir nichts aufgefallen, schnörkellos ohne besondere Spielereien erzählt, ganz im Dienst der Geschichte. Zu ein paar Kleinigkeiten hat Nictita sich ja schon geäußert.

 
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Moin Cerberus!

Hellraiser, eindeutig! Leicht variiert in der Handlung aber deine Inspirationsquelle ist m.M.n. mehr als offensichtlich.

Was dir dementsprechend auch hervorragend gelingt, sind die Ekeleffekte. Deine Sätze sind orriginell und widerlich, vor allem keine überstrapazierten Worthülsen.

Insgesamt finde ich deine Kg aber recht unausgegoren, was an der Kürze des Textes liegt. Man erfährt einfach zu wenig oder besser gesagt so gut wie nichts über die Charaktere und so beschränkt sich die Wirkung der Geschichte auf die schön fiesen Ekelpassagen.

Bewertung: 6 von 10 Horrorpunkten

Gruß, Marvin

 

Hi Cerb


Nette, kleine Geschichte, auch wenn ihr etwas an Fleisch (Atmosphäre) fehlt. Aber das reißt die Pointe dann wieder raus. Die ist wirklich geglückt. Bei einer längeren Story wärs dir das vermutlich nicht.
Aber eins versteh ich nicht ganz: Wieso muss Horst zu ihr von Draußen zurückkehren, damit es funktioniert? Und wenn er aus dem Krankenhaus kommt, wieso kann er sich an Kruste kratzen? Ich meine, ja, gut, das könnte er schon, nur finde ich, weckt es die falschen Assoziationen, wenn Horst nicht tot ist. (Es klingt, als hätte er noch immer schwere Verletzungen)
Es sei denn ich hab ein Detail überlesen.


Gern gelesen.

Liebe Grüße
Tamira


Wo bist du bloß mein Liebster.
Wo bist du bloß, mein Liebster?
Die Haustür wurde aufgeschlossen. Träge humpelte Horst Winkler in den Flur. Er musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu fallen.
"Schatz, bist du da", krächzte er aus trockener Kehle.
Ein Moment des Schweigens, dann: "Ich bin hier oben!"
Mühevoll und keuchend, brachte sein angeschlagener Körper eine Stufe nach der anderen hinter sich.
"Schatz, wo bist du?"
"Hier bin ich!"
Claudia stand vor ihm und drückte ihm einen Kuss auf die trockenen Lippen. Nur nebenbei bemerkte sie seinen starken Mundgeruch.
Hier wechselst du die Perspektive von Claudia auf Horst und wieder zurück. Absicht?
(Ach ja, das geht den ganzen Absatz so dahin)

 

Tach cerb.

Also mir gefällt die Pointe nicht, wirkt sie doch zu sehr aufgesetzt.
Schockeffekt erzielst du, wenn der Schluss schockt. Die "Schlusserklärung" in deiner Story hätte in die Geschichte eingewebt sein müssen.
So erinnert es mich an den berüchtigten Zeitungsauschnitt am Schluss: "Ehefrau lässt Geliebte von den Toten auferstehen. Mann wird grausam zu Tode gebumst!"

Die Ekelbeschreibungen waren ... naja, wie Maden in einer Leiche: Nichts Neues.

Um etwas Positives zu nennen, hebe ich hier gern deinen außergewöhnlichen Schreibstil hervor.

Sie lag im Bett, die Beine ausgestreckt, die Hände vor dem Gesicht gefaltet.
"Wo bist du bloß mein Liebster. Bitte komm zu mir zurück. Sie hat gesagt, dass du kommen wirst. Bitte lass sie ihr Wort halten. Du musst von draußen kommen, als sei alles wie immer! Bitte, bitte, bitte ... ich liebe dich doch!"
Dieser Abschnitt verwirrte mich ein wenig, da ich mir nicht vorstellen konnte, warum die Ehefrau so über ihren treulosen Kerl spricht.
Aber es könnte auch von der wiedererweckten Geliebten sein, oder?!:confused:

Sorry, dass ich kein gutes Wort abgeben konnte, aber es war dieser Schluss, der diese negative Grundstimmung hervorrief. Nix für ungut!

Gruß! Salem

 

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