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Gehen Sie nicht über Los
„Aua!“
Karn zog die Klinge wieder zurück.
„Nicht gut?“ fragte er unschlüssig und wendete das Messer in der rechten Hand wie ein Tennisprofi das Racket.
Marie wollte nie auf diese Art und Weise ihren Dienst für das Vaterland verrichten. Kinder gebären und eine Armee von Adonissen großziehen, die dann gegen die Emanzipation der Frau im Allgemeinen ankämpften. Ja, das wär‘s gewesen, denn sie sah kategorisch gut aus. Becken war perfekt, Brüste, Po und Beine ebenfalls. Ihre Füße entsprachen zwar nicht gerade dem geforderten Ideal der Anatomiebehörde und ihre Hände - nun ja, Spülhände eben. Aber genau nach diesen Prilhänden rief die Nation. Und nun lag sie nackig angeschnallt auf einem Edelstahltisch und wartete auf ihren Tod. Dieser trat in Form von Karn in Erscheinung. Karn war dumm, ein Muskelprotz, grobschlächtig, in lichten Momenten leicht grenzdebil und schwanzlos. Prächtig gebaut, aber ohne Penis. Er hatte einst einfach zu hoch gepokert und seinen Pullermatz gesetzt. „All in!“ soll er gesagt haben, überschwänglich wie er war. Wobei sich die Frage stellt, wer ein Membrum Virile als Einsatz akzeptiert. Chinesen?
Karn setzte das Messer langsam an der distalen Reihe der Karpalknochen und den Mittelhandknochen Maries rechter Hand an.
„So gut?“ fragte er hoffnungsvoll. Marie schielte auf ihre Hand und versuchte zu erkennen, an welcher Stelle die Klinge die Haut einschnitt.
„Es schmerzt zwar aber noch habe ich nichts kna…“
ALS WÜRDE EIN BÜNDEL TROCKENES SCHILF GEBROCHEN!
„Aaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhuuuuuuuuaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhh!“
„Ah, Karn macht richtig.“
Marie starb zwei Stunden nach dem Abtrennen der Hände durch biophysiologisch inakzeptablen Blutverlust oder so. So ganz genau wurde das nie protokolliert.
„Und?“ wollte der fette Typ hinter dem Schreibtisch wissen. Er schrie. Karn verstand die Frage nicht.
„Ich … Es … Sie …“ Eine ungemütliche Pause überflutete das geräumige, mit Gemälden, Fenstern mit Aussicht, Leibwächtern und allerlei Topfpflanzen vollgestopfte Büro. „Ich habe keinen Puller, müssen Sie wissen“, unterbrach Karn die Stille.
Der dicke Schreibtischtyp drehte sich in seinem Sessel und lachte lautstark.
„Ach Karn, du bist so dämlich wie … Hast du abgenommen?“
Karn lenkte seine Augen auf Lutz, einen der Leibwächter, der sich die ganze Zeit am Revers befummelte, um kaum sichtbare Staubkörner wegzuschnippen.
Der dicke Mensch senkte die Stimme, und stopfte sich eine Pfeife. Leicht brummend setzte er den Versuch einer Unterhaltung fort, indem er einen Schwung aus seiner Jugend erzählte.
"Ich war neun Jahre alt, das muss so um Neunzehnhundertzwölfzig gewesen sein ... oder auch später, ich war noch ganz schön grün unter den Füßen, jungejungejunge was hab ich die Schulzeit geliebt. Jedenfalls musste ich einen Vortrag in Biologie halten. Ich habe Biologieunterricht gehasst. Die Schule habe ich auch gehasst. Worauf ich aber eigentlich hinaus will, Karn", nuschelte Dickerle, als er an seiner Pfeife zog. Karn versuchte dem ganzen zu folgen und dachte an eine Blumenwiese.
"Da fing alles an. Bis zum Nagelbett hab ich sie mir abgeknabbert. Seit diesem Zeitpunkt bin ich Onychophagier."
Karn nickte.
"Hast du schon mal versucht, ohne Fingernägel über eine Schiefertafel zu fahren? Tja, Gänsehaut kannste da vergessen."
Karn sah Schmetterlinge, die durch eine leichte Sommerbrise über Blumen und Kräuter getragen wurden. Er hüstelte.
"Ich ..."
„Ach, du willst die Kohle, was?“ fuhr der korpulente Drehsesselnutzer dazwischen.
„Schließlich muss ich auch von etwas leben."
„Meine Güte, bist du sicher, dass du damals nicht auch noch was anderes als deinen Pimmel gesetzt hast?“
„Wo?“
Einige belanglose Sätze später überreichte Karn der Schwabbelbacke eine Tüte frisches Händehack und sackte einen Briefumschlag mit Spielgeld ein. Der Betrag stimmte immer. Da brauchte Karn nicht nachzählen.
Er hatte zwar keinen Schwanz mehr aber wer gewann wohl immer in Monopoly, hm?