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Gesammelte Menschlichkeit

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26.02.2003
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938

Gesammelte Menschlichkeit

Der alte Mann blickte auf. Seine Augen schmerzten.
Draußen war es bereits Nacht geworden. Das Mädchen saß reglos auf der Bank neben dem Fenster und sah ihm zu. Ihre blauen Haare schimmerten im Licht des Vollmonds, das von draußen hereinfiel.
"Er wird es nicht tun", sagte er.
"Mach weiter" sagte sie", wenn er zurückkommt muss es fertig sein."
"Er wird es nicht tun!", wiederholte er, diesmal mit fester Stimme.
"Ich weiß, dass er es tun wird", entgegnete sie. "Stell Dir nur vor, er kommt zurück, und Du bist nicht fertig. ...Was für eine Enttäuschung. ...was für ein Verlust! Er vertraut auf dich."
Der Alte wusste nichts darauf zu erwidern. Er seufzte schwer und schnitzte weiter an dem winzigen Stück Pinienholz. Immer wieder legte er es auf die Skizzen, um die Umrisse zu überprüfen. Je kleiner die Teile wurden, desto mehr Schwierigkeiten bereiteten sie ihm.
Er legte das fertige Holzstück auf den Tisch. Das Mädchen nahm es und befestigte mit kleinen Stiften zwei dünne Lederriemen daran, dann verband sie es auf die selbe Weise mit den restlichen Teilen. Das Gebilde klapperte leise während sie das neue Stück daran festmachte.
Inzwischen war der alte Mann aufgestanden um sich eine weitere Kerze zu holen.
Auf dem Fensterbrett sah er die tote Grille liegen. Das Mädchen, bemerkte seinen Blick und schnippte sie einfach weg. "Beeil Dich! Er wird bald zurück sein".

"Gibt es wirklich keinen anderen Weg?" fragte er, als er das letzte Stückchen vor sie hinlegte.
Sie nahm es ohne ihm zu antworten.
"Wie kannst Du wissen, dass es nicht misslingt?"
"Wie kannst Du daran zweifeln?", entgegnete sie. Du weißt wie kein anderer, dass er ihm Leben geben kann.
Sie legte das fertige Stück auf den Tisch.
Sechzig Knochen aus Pinienholz geschnitzt formten die Nachbildung des Skeletts eines menschlichen Arms. Perfekt bis in die kleinste Fingerspitze.

Der alte Mann sah aus dem Fenster. Unten im Dorf waren Lichter in den Häusern angegangen. Er konnte Leute mit Fackeln auf dem Marktplatz erkennen. Ihn beunruhigte der Gedanke, was diese Geschäftigkeit ausgelöst haben könnte, aber ihm blieb keine Zeit darüber nachzudenken. Die Tür zur Stube öffnete sich mit einem vertrauten Knarren.
Sein Sohn war zurückgekommen.

Er wirkte aufgeregt, fast fröhlich.
In seinen Händen hielt er den Arm eines Kindes, die Haut bis zum Halsansatz erhalten, genau wie sie es verlangt hatte.
Mit klappernden Schritten lief er zu dem Mädchen. "Ist es so richtig? Hab ich es richtig gemacht?" wollte er wissen und streckte ihr das blutige Körperteil hin. Sie nahm es entgegen und legte es auf das hölzerne Skelett. "Perfekt, mein Lieber, Dein erster richtiger Arm", sagte sie und lächelte ihm zu. Ich werde ihm gleich die Haut abziehen und die Knochen einsetzen die dein Vater gemacht hat." Sie nickte dem alten Mann zu.

"Leg dich auf den Tisch, mein Junge", sagte dieser und sein Sohn gehorchte ohne zu fragen. Dann nahm er die Säge zur Hand und trennte den linken Arm des Jungen ab.
Während er mit dem Stemmeisen seine Schulter bearbeitete um eine geeignete Pfanne für das Gelenk herauszuarbeiten fragte sein Sohn: "Du, Geppetto? Wann werde ich ein echter Junge sein?"
"Schon bald, Pinocchio, schon bald" antwortete der und Tränen liefen über sein Gesicht.

 
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G'Nabend Porcupine!

Das habe ich nicht kommen sehen! Gelungene Pointe, äußerst gerne gelesen, habe gegrinst. :)

"Mach weiter" sagte sie", wenn er zurückkommt muss es fertig sein."
"Mach weiter", sagte sie, "wenn er zurückkommt, muss es fertig sein."

"Gibt es wirklich keinen anderen Weg?", fragte er

"Ist es so richtig? Hab ich es richtig gemacht?", wollte er wissen und streckte ihr das blutige Körperteil hin.
Also, diese kindliche Begeisterung ist sehr gut eingefangen. Schön fiese Stelle!
Im nächsten Satz hat's dann bei mir gefunkt ...

Das war's, kurz und knapp. Mir hat's Spaß gemacht.

Bis denne,
Fisch

 
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Tach Porcupine,

hehe, das war lustig.
Vorallem das mit der Grille.

Ich muss zugeben, auch ich habe das Pinnochio-Dingens nicht kommen sehen. Na gut, wie sollte man auch darauf kommen, aber dafür mein Kompliment, nette, kurze Horrorgeschichte, hat mir gefallen.

Mehr kann ich nicht schreiben.

Es grüßt dich herzlich und im Bauch des Wals wartend auf Hilfe,

Jekyll and Hide


ps. Wieso kam kein Wal vor???, irgendwie einbauen hättest den ja können, er fliegt vom Himmel und vernichtet alle oder so... hach, das wär schön.
Nochmal, coole Story (fand ich ... nicht von Fischstäbchen abgekupfert)

pps. geiler Titel

 

Hallo Porcupine,

Ich fand´s auch gut. Endlich mal einer, der diese Pinocciogeschichte richtig erzählt. Ich meine, wie sollte diese Scheißpuppe wohl sonst zu einem echten Menschen werden?
Am Anfang habe ich irgendwie an "Edward Mit Den Scherenhänden" gedacht, aber das ist ja irgendwie fast das selbe.

Danke für diesen kleinen Kurzschocker, gerne wieder.

Gruß
Bantam

 

Hallo Pocupine,

ich gestehe, dass ich altes Weichei, das sogar beim Anblick von E.T. im Sauerstoffzelt heult, mich eher selten in der Horrorrubrik verirre. Umso erfreulicher, dass ich dann ausgerechnet auf Pinocchios Menschwerdung gestoßen bin.

Sehr schön, witzig und unterhaltsam und ohne kranke Psychopathen. So mag ich es, wenn das Blutvergießen einen Sinn hat!:D

Einziges kleines Manko: der Einstieg in den Text ist ein bisschen mau, man wird so nicht direkt reingezogen, da weckst Du keine Neugierde.

Liebe Grüße
melisane

 

Hallo!

Ein nettes Schmankl für zwischendurch.

Was Konstruktives kann ich mal wieder nicht beisteuern. :)

Beste Grüße

Nothlia

 

Tag, Porccupino!

Hm. Ja, nett. Ein kleiner Happen für Zwischendurch. Die Pointe sieht man nicht kommen, und rückblickend ist dieser lakonische Satz:

Auf dem Fensterbrett sah er die tote Grille liegen.

höchst amüsant.
Nun sollte man ja bei einer Horrorgeschichte nicht hinterfragen, aber: Pinocchio besteht zur Gänze aus Holz. Da müsste sein Körper doch zu 100% ausgetauscht werden, oder?
Und wer ist eigentlich das Mädchen? Die "gute" Fee?

Konstruktives kann ich nicht beisteuern: Eine nette, kleine Pointen-Geschichte, so eine Art Pendant zu einem gespielten Witz. Muss ja nicht immer was Großes sein.

 

Ciao Porcupine

Mir ging es ähnlich wie melisane, der Text steuert geradlinig, ohne Facetten auf die Pointe zu, die dann aber mehr als entschädigt, da sie ohne Vorankündigung zuschlägt.

War das die Vorlage: :)

wikipedia schrieb:
Pinocchio_(1940)
Der Spielzeugmacher Gepetto ist stolz auf sich. Seine neue Puppe ist ihm gut gelungen und nun hat er einen sehnlichen Wunsch. Er wünscht sich, seine Puppe Pinocchio möge am nächsten Morgen ein echter Junge sein. Tatsächlich erscheint in der Nacht eine blaue Fee und verwandelt Pinocchio immerhin in eine lebende Holzpuppe. Zufällig dabei ist der Landstreicher Jiminy Grille, der von da an Pinocchios „gutes Gewissen“ darstellt.

Fazit: kurz und gut.

Gruss dot

 

Hallo liebe Kritiker, vielen dank für Eure Meinung.

@Fischstäbchen:

Also, diese kindliche Begeisterung ist sehr gut eingefangen. Schön fiese Stelle!
Im nächsten Satz hat's dann bei mir gefunkt ...

Verdammt! Viel zu früh gefunkt :D

Jedenfalls Danke für die Fehlersuche, freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat.

@Jekyll and Hide:

Du hast recht! Ich hab den Wal vergessen!! ;)

@Bantam:

Ich fand´s auch gut. Endlich mal einer, der diese Pinocciogeschichte richtig erzählt.

Tja, ich hab da schon Übung mit dem Kasperl *werbungmach*

@melisane:

Sehr schön, witzig und unterhaltsam und ohne kranke Psychopathen. So mag ich es, wenn das Blutvergießen einen Sinn hat!

Wie? Na, wie krank müssen Psychopaten denn sein, damit du sie als solche anerkennst? Merke: Die ruhigen sind die schlimmsten. ;)

Einziges kleines Manko: der Einstieg in den Text ist ein bisschen mau, man wird so nicht direkt reingezogen, da weckst Du keine Neugierde.

Stimmt, aber ich denke, die Geschichte ist kurz genug, um den Leser nicht zum vorzeitigen Abbruch zu nötigen.

@Nothlia:

Was Konstruktives kann ich mal wieder nicht beisteuern.

macht nix. Ich freu mich trotzdem :)

@Rainer:

Nun sollte man ja bei einer Horrorgeschichte nicht hinterfragen, aber: Pinocchio besteht zur Gänze aus Holz. Da müsste sein Körper doch zu 100% ausgetauscht werden, oder?
Und wer ist eigentlich das Mädchen? Die "gute" Fee?

Zwei mal richtig. Sie sagt ja auch: "Dein erster richtiger Arm". Pinocchio ist also noch lange nicht fertig mit dem einsammeln von Körperteilen. Ich hatte sogar eine Szene im Kopf, in der Pinocchios Lügennase durch das menschliche Gesicht hindurchbricht, aber hab mich dann doch für die kurze Version entschieden.
Das Mädchen soll tatsächlich die "Fee mit den blauen Haaren" aus dem Buch darstellen.

@dotslash:

Verdammt! Da hast du mich kalt erwischt. Eigentlich wollte ich als Vorlage ja das Buch von Collodi benutzen, aber die Grille als Pinocchios Gewissen kommt nur in der Disney Version vor, aber ich wollte nicht auf den Gag verzichten, dass die Fee sein Gewissenermordet, damit es nichts gibt das ihn von seinem Tun abhält. Also habe ich die Grille dringelassen. Immer noch besser als die plappernde Ente aus der endlosen Japanischen TV-Version.


Nochmal vielen Dank für alle Kritiken.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Porc!

Geile Idee, Respekt! Aber bevor ich dir wie die anderen an den Arsch packe, muss ich sagen: Den Schreibstil dieser Story würde ich als eher "durchwachsen" beschreiben, gerade der Anfang: K.a.t.a.s.t.r.o.p.h.e!

Der alte Mann blickte auf. Seine Augen schmerzten.
Draußen war es bereits Nacht geworden. Das Mädchen saß reglos auf der Bank neben dem Fenster und sah ihm zu. Ihre blauen Haare schimmerten im Licht des Vollmonds, das von draußen hereinfiel.
"Er wird es nicht tun", sagte er.
"Mach weiter" sagte sie", wenn er zurückkommt muss es fertig sein."
"Er wird es nicht tun!", wiederholte er, diesmal mit fester Stimme.
"Ich weiß, dass er es tun wird", entgegnete sie. "Stell Dir nur vor, er kommt zurück, und Du bist nicht fertig. ...Was für eine Enttäuschung. ...was für ein Verlust! Er vertraut auf dich."
Um mal im Thema zu bleiben: Die ganzen Sätze sind nur einzelne Knochen; da muss jemand mal die Lederriemen festzurren! :D

Mal in die Tüte:

Draußen war es Nacht geworden, zu dunkel für die Augen des alten Mannes, selbst bei Kerzenlicht. Müde sah er von seinen Schnitzereien auf. "Er wird es nicht tun", sagte er zu dem Mädchen, das auf der Bank neben dem Fenster saß und ihm bei seinen Holzarbeiten zuschaute. Ihre blauen Haare glänzten im fahlen Schein des Mondes.
"Mach weiter. Wenn er zurückkommt, muss es fertig sein."
"Er wird es nicht tun!", wiederholte er, diesmal mit fester Stimme.
"Nein, nein." Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Ich weiß, dass er es tun wird. Stell Dir nur vor, er kommt zurück, und Du bist nicht fertig. ...Was für eine Enttäuschung. ...was für ein Verlust! Er vertraut auf dich."

Außerdem ist der Titel ... äh ... Scheiße! ;)

Beste Grüße!

Dante

 

Hallo Dante!

Vielen dank für Deine Kritik.

Obwohl ich sagen muss, dass ich nur einen Unterschied zwischen den beiden Versionen erkenne: Deinen Stil Geschichten zu schreiben und meinen Stil Geschichten zu schreiben, und die Tatsache dass deine Fee anscheinend fette Haare hat :D

Aber mal im erst, in den paar Zeilen charakterisierst du das Mädchen völlig anders als ich das im Sinn hatte. Sie schaut ihm nicht zu, sie beherrscht die Situaton.

"Nein, nein." Das Mädchen schüttelte den Kopf.
Was macht das "nein nein" da? Das ergibt für mich keinen Sinn. Sie hat es nicht nötig irgendeine Art von Widerspriuch oder Rechtfertigung zu zeigen. Sie ist sich ihrer Sache sicher. Wenn sie etwas sagt, dann nur um Geppetto klar zu machen, dass Pinocchio ein Kind umsonst tötet, wenn der Holzarm nicht fertig ist.

Abgesehen davon erwähnst du "Holzarbeiten" viiiel zu früh in der Geschichte

Ausserdem ist der Titel nicht scheiße, der ist genial! Und nichts wird mich von dieser Meinung abbringen! Der ist nämlich nicht von mir, sondern von meiner Freundin! So! :p

liebe Grüße!

Porc

 

Ausserdem ist der Titel nicht scheiße, der ist genial! Und nichts wird mich von dieser Meinung abbringen! Der ist nämlich nicht von mir, sondern von meiner Freundin! So!
ACH SO! Dann hab ich nix gesagt ... :sealed: :D

 

Hallo Porc!

Da gibt's meinen Vorrednern nicht mehr allzuviel hinzuzufügen, außer, dass es länger auch hätte sein können. So arbeitet der kurze Text nur auf die Pointe hin, die auch überraschend kommt. Kurz, knapp und in Ordnung :)

Grüße,
One

 

Hallo Porc

fürdie Idee der kg gibts auch von mir einen dicken Pluspunkt. Geschickt eingefädelt, auch die schon mehrmals erwähnte Idee mit der Grille! genial!
Am Titel würde ich übrigens auch ncihts ändern, wenn er nicht von deiner Freundin käme, den finde ich nämlich wirklich gut. Hat mich erst dazu veranlsst die kg anzuklicken. Wo ich dem Dante allerdings recht geben muss, ist der Punkt Schreibstil. Der ist wirklich nicht so dolle. Das klingt noch etwas hölzern ;)
Außerdem sin dnoch einige Schnitzer drinnen:

fertig. ...Was für eine Enttäuschung. ...was für ein Verlust!
da sind Punkte bzw Groß/kleinschreibung etwas durcheinander geraten
Je kleiner die Teile wurden, desto mehr Schwierigkeiten bereiteten sie ihm.
sach an ;)
Inzwischen war der alte Mann aufgestanden KOMMA um sich eine weitere Kerze zu holen.
Das Mädchen, bemerkte seinen Blick und schnippte sie einfach weg.
das Komma stellt Rätsel
"Gibt es wirklich keinen anderen Weg?" fragte er
Komma nach wörtl. Rede, wenn Begleitsatz folgt
"Wie kannst Du daran zweifeln?", entgegnete sie. Du weißt wie kein anderer, dass er ihm Leben geben kann.
Letzter Satz vermisst ""
Ist es so richtig? Hab ich es richtig gemacht?" wollte
s.o.
Perfekt, mein Lieber, Dein erster richtiger Arm
klein

Gute Idee, etwas schlampig umgestzt. Trotzdem gerne gelesen

grüßlichst
weltenläufer

 

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