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Geschichten aus Be-Erde

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Geschichten aus Be-Erde

Geschichten aus Be-Erde

»Hanns Martin, Hanns Martin,
Hanns Martin liegt im Kofferraum,
der Kopf ist ab, er atmet kaum ...«
11.11.1977​

„Ein Revolver und eine Pistole des legendären
Gangsterpaares Bonnie und Clyde haben für gut
eine halbe Million [US-]Dollar (393.000 Euro)
den Besitzer gewechselt. Laut CNN handelt es sich um …“
ARDtext Seite 147 vom 1.10.2012, 13:50 MESZ​

Die Schreibwerkstatt der Volkshochschule zu O wurde zur Jahresversammlung des Verbandes der Deutschen Schriftsteller in A eingeladen, vor den versammelten städtischen Bediensteten eine Lesung abzuhalten. Während einer nach dem andern der geladenen Gäste der Stadt A einen Text las, wurde der junge Bursche links außen auf der Bühne immer nervöser. Um alles in der Welt säße er zum ersten Male in seinem Leben lieber rechts als hier und hätte seinen Auftritt schon hinter sich. Doch bevor der Kreislauf noch rebellierte, und wär’s nur, um die Lesung abbrechen zu können, ereilte ihn das Schicksal und er las das erste Mal in seinem Leben vor hunderten von Leuten und mit jedem Wort seiner Rede wurde die Stimme fester:

Wir Städter

sind arme Luder.
Wohin wir schauen, autoimmobiler Verkehr potentieller Leichenwagen.
Wir essen, was durch die Hände des Handels gewiss nicht saub’rer wird.
Wir hausen in Schubladen;
jeder ein kleiner Patriarch.

Jeder ist dem ander’n ein and’rer und verhält sich, wie er glaubt, dass der andere glaube, dass jeder sich also verhalten müsse. Und jeder hat nur insofern was gegen den ander’n, als dieser was gegen ihn haben könnte. So ist denn der eine dem ander’n einer zu viel: schutzbedürftig zieht jeder sich in seine Höhle zurück.

Nachbarn lassen einander am Wohlstand teilhaben: Klavier – Musiktruhe – Fernseher.

Wir üben, hören, leiden mit.

Quecksilbrig plärren

Mainzelmänner wider den populären Lungentod. Bleierne Gedanken erdrücken den, der nicht mitmacht beim Eiertanz um Götzen Lebensstandard. Stickige Luft stinkt zum Himmel. Mieten stinken nicht.

In solchem Klima gedeiht Bodenspekulation: lohnende Metaphysik. Preisgegeben dem freien Markt sammeln sich Grund und Boden unterm Finanzstarken: Macht macht Macht. Und wer Macht hat, leistet sich auf dem Lande ein Häuschen mit Garten, Gärtner und andern haushaltsnahen Beschäftigten etc.

Hilflose Alte werden in den Acker getan: dem wertvollen Boden ein preiswerter Dünger.
Lärmend geben Aschenmänner den Städtern geleerte Urnen zurück.

Stickige Luft steigt zum Himmel, dass Gottvater sich die Nase zuhält.
Es füllen sich die Opiumhöhlen und die Taschen des Grashandels.

Leute hüllen -

erstens - ihre Kinder in Cellophan und behaupten, ihre Kinder zu lieben.

Und in der Tat: die lieben Kleinen behaupten nichts Gegenteiliges.
Doch wird ihnen vorher das Maul mit süßlichem Leukoplast verklebt.

Leute fahren -

zwotens - Fettklößchen, die sie Kinder heißen, in feinen Staatskarossen durch Beerde und krähen:

schaut her, wir sind’s!, so sind wir zu unser’n kindern: -

werden sie’s uns jemals danken?

Stolz zeigt –

drittens - eine jugendliche Frau ihr schönes neues Gebiss,
nimmt’s heraus,
reicht’s herum und
lässt’s bewundern.

Fürwahr: da ist kein Makel an ihm.

Die Leute

sind hier arm.
Ihrer sei das Himmelreich!
Blasse Kinder haben comicsüchtige Stielaugen. Großmütter und Enkel bilden eine gleichförmige Masse, die Bild bildet. Darum ist Springer ihr Wohltäter. Ein christlicher Hirt’ unter blökender Herde.
Also ist Gleichheit verwirklicht.
Wer anders fühlt, gehört ins Irrenhaus.
Ein Stück Verfassungswirklichkeit.

„Mitbürger!

Mitbürgerinnen!

Anarchie ist ausgebrochen. Und wer ist dran schuld? Die vaterlandslosen linken Linken. Darum wählt:
Springer!“

Und die Herde wählt an Kiosken.

Anarchisten

zu jagen wird in.
Jeder ist verdächtig;
jeder verdächtigt jeden;
jedermann ein potentieller Anarchist:
Theorie des Marketing.

Es soll, so hört man, mehr Anarchisten als Einwohner geben.

Ein Hubertusjünger erschießt ein Pferd auf der Weide und entschuldigt sich: er habe das Pferd für ein Wildschwein gehalten.

Erste polizeiliche Erfolgsmeldung:
verdächtiges Schwein erlegt.
Die vorgefundene Hundemarke weist den Erlegten als Verfassungsschützer aus.
Irren ist menschlich.

Le petit Fouché

spielt große Oper:
Ärmel auf- und’s Leben umgekrempelt.
Ouvertüre:
Leichenwagen rollen heran, verbarrikadieren Straßen.
Wachhunde der Nation bellen den Radikalismus aus.

Fouché bläst Blech.
Es wagnert ein wenig.

Horch, man marschiert wieder und geht fremd.

Einige

sterben früher, alle andern später.
Bei einigen wird nachgeholfen.

Fouchés Wachhunde kreisen ein verdächtiges Subjekt ein.
Sie sehen: Bart und Mähne,
hände hoch!

Der Bart gehorcht.
Welch ein Fehler!
Wachtmeister Y reflektiert und ballert.
ich hab’ gedacht ...
Er dachte recht trefflich.

Also ist der liebe Gott den Heldentod gestorben.
Und der Leibhaftige sitzt derzeit ein.

Merke: es stirbt sich schnell auf beerd’schen Straßen.

Die liberale Presse liefert Nachrufe.

Was war

gescheh’n in Beerde?

Der Feineleutegegend entsprungen machten sich auf Bonnie & Kleid, ein großes Werk zu schaffen.

Er war ein ganzer Kerl, Kraft- und Sexprotz und imponierend als Versager, der ihr im Bett nichts versagte.

Gepackt von Lust verwandelten sie’s Mobiliar Beerdes in Brennholz:
und siehe, es brannte einmalig.

Konsequent gingen Bonnie & Kleid daran, gesellschaftliche Maximen zu vollstrecken: warfen ihr Leben weg, um eine bombige Aktion der ander’n folgen zu lassen –
im ganzen also zwo.
Vom Katzenjammer erwischt, reißen die Helden ihre Mäuler auf und schrei’n.

Der Sexprotz entpuppt sich als Schlappschwanz.

Staatsanwälte

haben ein Interesse daran, Beschuldigte hineinzulegen. ’s ist ihr Beruf. Sie machen damit Karriere. Springer aber erhebt sich zum Anwalt des Staats.

Jedermann sein eigener Rechts- wie Staatsanwalt.

Horch: wir leben in einem Rechtsstaat.

Derweil

lebt unauffällig unter seinen Leuten der wahre Revolutionär und spricht:
[vas nytst mi:ɐ ’ɔpo’zitsįo:n?
vas taugt ’ɔfnə ’rebelįo:n?
ɪç hap ’ainən bə’ru:f, klait mɪç ’al’tæglɪç mit dem ’faign’blat de:ɐ ʊn’aʊf’fællɪgkait,
das mɪç ’ni:mant e:ɐ’kɛnə.]

Im Urlaub erwirbt er sich Bräune,
in der Freizeit sieht er fern,
während der Arbeitszeit leistet er Durchschnittliches gleich den meisten Leuten,
die um ihn herum leben.

So lebt unter Seinesgleichen der Revolutionär und denkt:
[’di:zɐ ʃtɑ:t ɪst nɪçt main ʃtɑ:t.
kain ʃtɑ:t ɪst ’ybɐhaupt main ʃtɑ:t.
mɪt mi:ɐ ɪst kain ʃtɑ:t tsu ’maxn.
ɪç lep ɪn ’ainɐ ’ʃup’lɑ;də,
di: mi:ɐ nɪçt gə’hœrt.
ɪç lep ɪn ’ainɐ vɛlt,
di: mi:ɐ nɪçt gə’hœrt.
’mainə vɛlt gə’hœrt ’fɛtn ’gɛlt’zækn.
nu:ɐ main laip ɪst main ’aigənɐ.
also bɪn ɪç ’laip’aignɐ.]

Eigentumspolitik.

Aschenmänner

kommen und räumen den Müll weg.
Für Sekunden herrscht das Klappern der Abfalleimer.

„Welch ein gutes Publikum“, dachte der Vorleser ob der gespannten Ruhe, um dann die Furcht aufkommen zu lassen in der alternierenden Frage, „oder schläft es?“, als ein ebenso junger Mann wie der Vorleser selbst inmitten der Leute aufstand und rief: „Versteh ich nicht!“, was vom vielstimmigen Gemurmel um ihn herum verstärkt wurde – als der Vorleser seinerseits schnoddrig murmelte „Man muss auch nicht alles verstehn …“, was die Leute von A deutlich verstanden und den Leuten aus O die Leviten lasen.

***

Die aber soeben lauthals zur Ordnung gerufen haben und nun Anweisungen geben, sind gleichermaßen Repräsentanten des gastgebenden A wie Vorgesetzte des Publikums, das anderthalb Stunden vorm regulären Ende der Dienstzeit seinen Arbeitsplatz verlassen durfte, sofern es an dieser kulturellen Veranstaltung teilnehme. Allein die Aussicht eines vorzeitigen Feierabends hat das Publikum in den Saal gelockt, das sich nun mit der Wortmeldung seines jungen Kollegen um diese Hoffnung gebracht sieht. So schlägt das Murmeln um in Murren, dass der Levitikus der Bosse unerhört im orkanartig aufbrausenden Getöse verhallt.

Im Radau wird beiden Helden flau: Dräu’n dem im Publikum Harndrangsale, rutscht dem auf der Bühne das Herz in die Hose und bevor die Wutwelle auf die Bühne überschwappt, um volkstümlich wie handfeste die paar Leutchen aus O zu feiern, türmen der Vorleser da oben wie der Zurufer da unten mit einem solidarischen „Ach leck(t) mich doch …!“ allsogleich im Duett, wenn auch wortlos, die Treppe hinab in den Keller, galoppieren zu den Wasch- und Aborträumen der mannhaft Bediensteten der Stadt A und verschwinden: der Vorleser in einer Kabine, der Rufer an einem Becken.
Kurz: ein jeglicher an seinem Ort!

Da sitzt nun der verstummte Vorleser und hat sich eingeschlossen, als wäre nicht in unserer strahlend hellen Zeit ein offener Stuhlgang wie der öffentliche Fick ebenso demokratisch-chic wie eine öffentliche Hinrichtung in finstersten Zeiten! Das Häufchen Elend verflucht sein eigenes, lockeres Mundwerk und fragt sich, ob es wieder so weit wäre, dass um des lieben Friedens willen Verhältnisse hingenommen würden, die nur wenige Nutznießer fänden, denen Missbrauch und Nießbrauch nicht nur ähnlich klängen, sondern ein und dasselbe bedeuteten. Da wäre es nur konsequent, dass die Kunde über die Verhältnisse Empörung auslöste, die sich gegen den Überbringer schlechter Nachricht richtete – und wäre es wegen des Verstoßes wider Rechtschreibung und guten Geschmack, wenn schon eine Klage wider die poetische Gefährdung einer allzu prosaischen Welt keine Aussicht auf Erfolg nach der Sprachprozessordnung wie dem Infotainment verspräche.

Wie ihm also jammert, pocht’s heftig am Kämmerlein und eine Stimme schnarrt: „Autor wie Vorleser der Kakophonie aus b’Ärde stelle sich der hohen Sprachgerichtsbarkeit zu A!“, als auch schon die Klotür ausgehebelt wird durch ein gertenschlankes, zackiges t und ein dickarschiges, wenn auch nur wenig behäbiges d. Ein o, das für gewöhnlich zwischen den beiden als Reifen hin und her gerollt wird, wird von d als Halsschmuck getragen.
Wie das t bellt: „Stehn S’e auf, Mann!-
Woll’n wer sein und bleiben doch ein Niemand!“,
säuselt das o-geschmückte d: „Mein lieber Herr Gesangverein –
wie sehn Sie denn aus? –
Würden Sie bitte den Lümmel abtrocknen und Ihr Allerwertestes putzen?“
Doch die Lautstärke des t übertönt das säuselnde d: „Wie sehn S’e überhaupt aus! -
Schämen S’e sich nich’?! –
Wär’n solcher Aufzug der Würde eines Gerichts angemessen? –
Nee, sag ich! –
Is’ dat der Aufzug, in dem man heut ungestraft vor Gericht erscheinen darf? –
Nee!, schleuder ich Ihnen entgegen. –
Unwürdig wie Ihr Vergehen“, während es gleichzeitig aus dem andern Munde beschwichtigt: „Nun aber rasch, mein Lieber! –
Geben Sie sich keine Blöße und lassen Sie sich nicht vom Kollegen t allzu sehr einschüchtern! –
Jeder tut nur seine Pflicht, so gut er kann.“
Und als der Kollege t einmal still ist, flüstert’s: „Würden Sie bitte Ihre Blöße bedecken!?“, als t wieder bellt: „Hose hoch!, oder mein’S’e, dat’n ordentlich’ Gericht nix gegen Pornografiker oder Exhibitionisten hätt?“
Aber unser junger Freund scheint nichts gelernt zu haben, denn abermals reitet ihn der schnoddrige Teufel, wenn er den Kunzelmann gibt mit einem „Wenn’s denn der Wahrheitsfindung dient!“

Und also geschehe, was geschehen muss!, denkt sich der weniger allmächtige, denn beschissene Schöpfer dieser Zeilen und unser Antiheld wird von t und d in die Mitte genommen und vor der Haute-Cleauture aufgestellt.

Im mittleren Pinkelbecken sitzt im Talare ihrer Verbeamtung die Liebe seiner pubertären Jahre – er erkennt sie an dem Teleskophals, wie ihn der begnadete John Tenniel verewigt hat. Zu drei Seiten wird der Giraffenhals durch eine mehr als barocke Allongeperücke aus Pferdehaar verdeckt. Keiner merkt, wie’s Herz bibbert, wie heiß dem Jüngling wird und wie schwach im Knie und weitaus schlimmer noch im Kopf … Dazu köchelt’s da vorn vor Arbeit.

Das kann dauern!
Das wird dauern!
Es dauert mich. –

Was aber Leser wie Hörer schaudern lässt: Drei – oder wären’s vier?, ein Problem für einen, der gerade eben nur noch bis drei zählen kann – Fälle drängeln sich vor unserm Trio in den bis zum letzten Platz gefüllten Wasch- und Aborträumen der manniglich Bediensteten der Stadt A - nur freigehalten durch einige Schüsseln mit Buchstabensuppe der freundlichen Tafel zu A für die armen Leute vor Ort.

Unser junger Freund ist noch zu weit weg, um den laufenden Verfahren folgen oder gar Rückschlüsse auf sein eigenes künftiges Verhalten ziehen zu können. Vor ihm stehen, von vier Vertretern der Familie Kreuz (Andreas, Anton, Schächer und der immer auf dem Kopf stehende Peter) bewacht ein großes kurvenreiches S, ein eckiges und zugleich zackiges Z – zackiger als ein t je sein könnte! - und, direkt vor unserm Helden - er riecht es, und es riecht ihm gut, dass er weiter an ihm schnuppern muss - ein kleines, offensichtlich eingeschüchtertes und – erkennt man nicht das Bäuchlein? - schwangeres ß! Unser Held empfindet es als den schönsten Buchstaben, den er je gesehen hätt’, nur noch vergleichbar dem jüngeren @ und dem uralten Þ, das schnöde schon vor Zeiten mit dem th einem schlichteren Formwillen angepasst wurde und verkommen ist und in seiner Muttersprache als ausgestorben gilt.

’s duftet appetitlich, dass ihm nach dem ß hungert. Wie er aber gerade zu träumen beginnt, rückt der Zug einen Fall vorwärts und ein Kreuz stößt ihn an, so dass er stolpert, sich am ß festhält und mit zu Boden reißt. Das ß flüstert ihm mit einer warmen Stimme zu, die ihn schaudern lässt. Der Wunsch kommt auf, ewig und drei Tage mit dem ß zusammen zu bleiben und weniger mit der Liebe seines pubertären Vorlebens. ’s ist aber ein Hilferuf, den ß ihm flüstert: „Rette mich, Menschenkind! Meine Eltern wollen mich abschaffen durch kurzrichterlichen Beschluss.“
Petrus Kreuz aber – eben der, der immer auf dem Kopf steht - grinst die beiden auf dem Boden an und befiehlt zu schweigen, mault, „husch husch!“, wieder aufzustehn, was dann auch mit freundlicher Hilfe von t und d geschieht, während Andreas, Anton und Schächer Kreuz grinsend zuschau’n.

Nur langsam nähert sich der Zug der richterlichen Schüssel. Schließlich steht die Gruppe der s-Laute vorm Richterstuhl und endlich (!) kann man in dem Trubel dem Geschehen folgen.

Die Richterin stellt sich vor und rattert wie ein Maschinengewehr: „Mein Name ist Lord, -
Sie haben richtig gehört! - ich betone ausdrücklich:
Lord Chief Justice Alice Pleasance Liddell, einen Namen, den ein jeder kennen mag und um den gar niemand wissen muss! Ich bin bestellt ans Schnellgericht zu A und ich bedarf eigentlich nicht innert dieses Sprachgerychts nach der tiutschenglischen Sprachgerychtsordnung der weiblichen Endung“ – und summt auf eine bekannte Melodie „ob Männchen oder Weibchen, weiß Papagena nich’“ – um dann zu brüllen, „wofern einer nicht blind ist! –
Sieht doch jeder, was ich bin!“, um wieder ruhig fortzufahren: „Sie dürfen mich getrost Euer Ehren nennen.
Tun Sie das nicht, werd ich Ihnen einige Unehre verschaffen und Sie werden begreifen, warum ich keine Lady bin!“

Ew. Ehren wendet sich nun an die s-Laute inmitten der Kreuze: „ Nun zu unserm letzten Fall für heute als Schnellgericht! -
Sie sind die Familie der s-Laute“, und als die zustimmend nicken: „Was ist ihr Begehr?“

S klagt, dass das gemeinsame Kind immer seltener Verwendung finde und derzeit mit knapp drei je Tausend einen Tiefstand erreicht habe. Somit sei abzusehen, dass es durch Nichtgebrauch abgeschafft werde. Also hielten sie es, die Eltern des Beklagten, für ein Gebot der Vernunft, das gemeinsame Kind per richterlichen Beschluss aus dem Alphabet zu streichen, statt zu warten, bis es nicht mehr verwendet werde und dann nicht mehr zu gebrauchen sei. „Was soll die Gemeinschaft aller Buchstaben und Laute mit einem nutzlosen Balg?“, schließen die Ältern.
Da lächelt Ihre Lordschaft und sagt streng: „Ich rate Ihnen, fassen Sie sich kurz, denn wir haben keine Zeit und wenn hier einer Reden schwingt, dann bin ich das! –

Nun zu Ihrem Fall:
Es kann sein, dass Sie recht haben. -
Es muss aber nicht sein.
Es kann sein, dass Sie unrecht haben. -
Das sollte aber in Ihrem eigenen Interesse nicht sein.
Wie dem auch sei, der eine muss, der nächste soll, ein anderer kann – oder, wie meine Mutter selig immer so trefflich sagte: der eine so, der andere so! –

Sehen Sie, wenn schon ein großer Schriftsteller und nobler Preisträger“ – die erste Silbe spricht sie wie in Verachtung stumpf und unbetont – „in seinem Geburtsnamen das ß durch doppel-s ersetzt, spricht das für Ihr Argument, wiewohl die Namensumwandlung in seiner Muttersprache wie in seinem Vaterland einen bitter’n Beigeschmack erzeugen muss aufgrund historischer Ereignisse, über die wir hier nicht zu befinden haben.
Aber selbst dem Sprachgesetzgeber gelingt im Gebrauch des verdoppelten Konsonanten unliebsamere Erinnerungen wachzurufen, mehr als das bloß kirchliches Sante und Santi“, um mit einem „Aber“, einen Haken zu schlagen im Angesicht der Familie Kreuz vom Thema weg zu einem andern Problem, „aber, meine Lieben, ist denn das Z mit seiner einskommadreizehn prozentigen Häufigkeit so viel besser dran als sein Kind?“

S und Z schauen sich betroffen an.
Die Kreuze müssen sich das Grinsen verkneifen.
Sollte der Antrag zurückfallen aufs z?
Da, seh’n Sie nur!, ist es nicht ganz klein geworden vor ahnungsvoller Furcht?
Ew. Ehren fährt fort und fragt: „Schaffen wir dann auch die oder das Q ab, egal – ich hab hier nicht über Ihre grammatische Geschlechtertrennung oder Gleichstellung zu befinden – ein Buchstabe also, der doch nur zu nullkommazwo Promille verwendet wird?“
S und z – beide nun klein und ehrfürchtig - schweigen betreten, als Alice fortfährt: „Aber lassen Sie mich das Publikum fragen:
gibt es unter Ihnen hier im Raume jemand, der zu sagen vermag, ob das ß eine Zukunft habe?“

Das ist die Chance des Vorlesers und –
er nutzt sie! Der Vorleser wird zum Zurufer, als er meint, um die Zukunft des ß zu wissen.
„Euer Ehren, durch die modernen Kommunikationsmittel wie Handy…“

Belustigt unterbricht Ew. Ehren den Fürsprecher: „Tiutschiu sind kuriose Völkchen. Meckern über Anglizismen und schaffen ein Kunstenglisch, wie’s ein handling nimmer werden kann“, und in ihrer Muttersprache “hoi polloi needs a littel horse sense!“
Nach einem Lachanfall Ew. Ehrens kann der Fürsprecher fortfahren: „Also: Computer und mobiles Telefon führen dazu, dass das ß für das Doppel-s eingesetzt wird, um Platz und Zeit beim Schreiben einer SMS oder einer e-Mail zu gewinnen …“
„Sie meinen also, dass die Namensendung des besagten Schriftstellers und Nobelpreisträgers durch technische Entwicklung in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werde?“, fragt Ew. Ehren, und als der junge Mann und Verteidiger nickt, fällt Ew. Ehren aus allen Wolken und –

kann sich nur mit Mühe in seiner richterlichen Schüssel halten: „Was ist das?, gibt’s das ß nur kleinbuchstäblich?!“, ruft Ew. Ehren außer sich: „Das ist ja wie ein unzulässiger Vorgriff auf den nächsten Fall. –
Welcher Flachkopf hat denn den Plan für heute aufgestellt?!
Darf denn solches sein?“, um sich wieder zu beruhigen und wie ein Kätzchen milde zu lächeln.
Ew. Ehren wird zur Grinsekatze, schnurrt und spricht das Urteil: „Im Namen des gesunden Menschenverstandes und der Sprachgerychtsbarkeit zu A wird die Klage der Familie der s-Laute abgewiesen! –
Zum einen hat die Sprachgesetzgebung gerade erst in ihrem § 25 der amtlichen Regelung das ß festgeschrieben - wenn auch gegenüber früheren Regelungen eingeschränkt –
zum andern kann nicht die Aufgabe eines beliebigen Gerichtes sein, über Geschichte an sich und die Schöpfungsgeschichte im Besonderen zu befinden.
Ich rate Ihnen darum, das uralte Gebot zu beherzigen, Vater und Mutter zu ehren!, da haben sich die Alten schon etwas bei gedacht.
Aber alle Regelung entfaltet sich erst in der logischen Umkehrung. –
Was wäre denn diese Regelung wert, wenn Vater und Mutter das Kind weniger ehrten als sie von ihm verlangen und erwarten? -
Nichts!, so viel und so wenig darf ich Ihnen verraten. –
Das Schnellgericht ist geschlossen! –
Suppenküche und Tafel bitte ich abzubauen!

Kurze Unterbrechung bis zum Fall ‚ter Jung gegen de Jong’!“, und als sie mit einem mürrischen „mus’ ma’ eben!“ durch die endzeitlichen Folgen ihrer Anweisungen die Damentoilette aufsucht, erscheint am andern Ende dieser kleinen Welt ein wundersames Quartett gepanzerter Reiter – Schimmel und Rappen mit den Herrenreitern beins und geins wie gacht und bacht, die tragen an ihren vier Enden eine unbedachte Sänfte mit einem Fasan als Stuhlherrn. Der sitzt in dem QP sanft gestimmt und siegessicher – im gegenteiligen Falle, was jederzeit geschehen kann, hieße das QP nicht Sänfte, sondern Härte und Strenge (manchmal sogar umgelautet zum Strang). Und noch bevor Ew. Ehren zurückkehrt, Suppenküche und Tafel aufgehoben sind, steigt der Pv herab von seinem Thrönchen. Da steht nun der große Hühnervogel und schlägt ein Rad mit seinem prächt’gen Schwanze, dass, wenn schon nicht alle Welt, so doch die kleine Welt der Wasch- und Aborträume der mannhaft Bediensteten der Stadt A die zahllosen, wundervollen Augen des Argos in seinem Gefieder bewundern können, derweil t und d dem Spieltrieb folgen und das o schwindlig rollen.

Schlagartig ist der Jahrmarkt vorbei!
Ein jeder steht an seinem Platz, d und t (das o ziert nun seinen Kopf) mit dem beklagten Vorleser und Zurufer in ihrer Mitte vorm mittleren Pinkelbecken, denn:
Ihre Lordschaft kehrt entlastet zurück!

Mit den Worten „Warum haben wir uns hier zusammengefunden?“ lässt sich Ew. Ehren an ihrem Platz nieder, hält eine Akte hoch und bellt „ter Jung gegen de Jong steht an!“, schaut triumphierend nach rechts und links auf d und t.
„Sie vertreten Klage wie Verteidigung?“
Als die drei nicken, fährt Ew. Ehren fort: „Machen wir es einfach: Ich trag kurz die Klage vor, wie ich sie verstehe, und Sie korrigieren mich, sollte es anders gemeint sein. –

Sind Sie einverstanden, dass wir so verfahren?“
T und d sind einverstanden, Vorleser wie Zurufer weiß nicht so recht.
„Machen Sie sich mal keine Sorgen – wir kennen uns doch von gerade eben, Herr Zurufer“, spricht die alternde Liebe seiner jungen Jahre, „doch sagen Sie mir bitte, sind Sie mehr ter Jung oder doch eher de Jong?“
Was antwortet der zum Zurufer mutierte Vorleser da!
„Ik moet mij mond houden.”
„Aber Sie sind doch von tiutschem Blut, gelt, und verstehn mich gut?”
„Ik beheers de Duitse taal, maar het Duitse gehoorzamt me niet“, was niemand vor Klagen schützt, zu dem Ew. Ehren nur murmelt „da hätten wir also ein Adjektiv mit Großbuchstaben …“
Aber so beginnt Ew. Ehren für aller Ohr: „Die Klagevertreter halten es mit ihrem Verständnis an sich mit dem Erzähler aus O, der hier als Beklagter steht, wollen aber keineswegs durch die Verständnisfrage das Kernproblem verdrängen: der Text des Beklagten sei weniger Kurzgeschichte als Lyrik, die den Status wahre durch – ich zitiere‚ ‚minimalst einen Plot, einen Prot und seinen Konflikt’. Wie nebenbei fragen Sie sich und auch eher rhetorisch, ob Lyrik überhaupt eines Umbruchs und des Reimes bedarf.
Gleichwohl verzichten Sie aufs Autodafé, greifen aber auf ein m. E. starkes Geschütz zurück, ich zitiere wiederum, ‚wir verkaufen nur saubere Ware’ – was wohl eher auf eine Aussage im beklagten Text gemünzt ist als auf die Klage selbst. Sie meinen, die Groß- und Kleinschreibung werde – ich zitiere, ‚zu unrecht außer acht gelassen’ und das werten Sie als Regelverstoß, was selbst einem literarischen Laien wie mir zunächst mal einleuchten will. Hieraus erwachse Ihnen aus örtlichem Recht die Macht, den Text in ein Korrekturcenter zu verbannen, mit der Auflage, Groß- und Kleinschreibung binnen vier Wochen zu überarbeiten, Sie wollen sagen: zu korrigieren“, als beins schlafmützig vom Pferd fällt und in dem Versuch, sich festzuhalten, geins mitreißt, dass das QP zu Boden kracht und Pv auf seinem Schwanz schmerzhaft zu sitzen kommt und gackert. Die gefallenen Ritter landen kopfüber auf den Topfhelmen, stehn verkehrt herum im Raum und rudern mit den Beinen in der Luft. Aber Peter – das Kreuz, das immer auf dem Kopf steht - trifft sich mit ihnen auf dem Boden mit den Worten: „Was sucht Ihr hier auf Eurem Kopf, hochwohlgebor’ne edle Leute?“, worauf beins antwortete:
„Wir suchen hier, Du armer Tropf, den Silberfisch nebst seinem Weib und machen reiche Beute“, dass geins einstimmt, „entblößen beider dürren Leib von seinem reichen Silberkleid“, bacht und gacht aber heulen: „Was wär’ daran verkehrt? - Verzärteln wir das Krabbeltier, dann schmeckt es gut verzehrt“, dass Ew. Ehren ob des Tumultes hochfährt und Ruhe! anmahnt und ersatzweise die Räumung der Aborträume androht.

Als der Tumult sich wieder gelegt hat, fasst Ihre Lordschaft die Klage in einem einzigen Satz trocken und nüchtern zusammen: grobfahrlässig werde gegen die Großschreibung gemäß Absatz D der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung verstoßen, wie sie in den §§ 53 ff. festgelegt sei. „Die Klage ist insofern berechtigt, oder, wie es die Fachleute sagen, dass nicht genüge, den Sinn des Geschriebenen gerade noch erkennen zu können. Und Sie und die Grammatiker dürfen Einigkeit mit mir erwarten, dass einer erst dann richtig schreibe, wenn er richtig schreibt. – Aber es gibt schon hier einen kleinen Einwand von mir:
Wer vermag zu erkennen, ob einer in korrekter Groß- und Kleinschreibung spreche oder gar denke? –
Ich vermag es nicht. Ich bin aber auch ein Laie und insofern inkompetent, dass ich einen zweiten Einwand heranziehen muss, wobei ich auf die Aussage der Grammatiker zurückgreife:
Wird denn der Kläger den genannten Paragraphen gerecht? Heißt es nicht in eben der zitierten amtlichen Regelung gem. § 59 ausdrücklich, ich zitier, ‚Eigennamen schreibt man groß’, Zitat Ende –
da kann ich die Klage doch nur abweisen, insofern der Klagevertreter aus eigenem Entschluss und wissentlich mit seiner Namensschreibung gegen die Regel verstößt“, – wahrscheinlich – wie Ew. Ehren weiter vermutet, unterm Mäntelchen ortseigener Regelungen, die päpstlicher erscheinen als das strengste Kirchenrecht überhaupt und zugleich und willkürlich ausgelegt werden können. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass selbst die Kirche der Verfassung gemäß eigenes Recht sprechen darf, soweit sie nicht gegen das allgemeine Recht verstoße.
Also greift Ew. Ehren die abschließende Bemerkung des Schnellgerichtes auf und formuliert um: „Was wäre denn eine Regelung wert, wenn die Ordnungsmacht eine Regel weniger ehrt, als sie von andern verlangt und erwartet?
Die Sitzung ist geschlossen!“

Als aber Ew. Ehren die Wasch- und Aborträume der mannhaft Bediensteten der Stadt A verlässt, trifft Ihre Lordschaft auf der Treppe den Zurufer aus A auf dem Weg nach oben zu seiner Arbeitsstätte, um im Tageblatt zu A einen Bericht über die Ereignisse einzubringen. Wie nebenbei erfährt Miss Liddell, dass der junge Mann eigentlich Musikkritiker sei. Gleichwohl werde er über die Versammlung des Verbandes deutscher Schriftsteller berichten müssen, vor allem aber eine Kritik der Lesung verfassen. Da werde allein das groteske Be-Erde gut wegkommen und Alice weiß auch schon den entscheidenden Grund: Wozu sollte ein tauber Musikkritiker denn sonst noch taugen? Wie heißt’s doch in Be-Erde: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“

Zehn Jahre aber bevor Bonnie & Kleid sich selbst richteten, verehrte Hollywood sie als Helden.

 

Wir essen, was durch die Hände des Handels gewiss nicht saub’rer wird,
ja, da bin ich wieder mit dieser kleinen Alltagserkenntnis, in dem Bemühen, ohne die Schnoddrigkeit, es müsse einem nicht alles gefallen vorzutragen – und nicht nur, weil’s ja jetzt gesagt wurde.
Leicht ist der Brocken nicht zu verdauen, den Du uns da hinwirfst. Gelesen habe ich es jedoch gerne,
was unsereins gerne erfährt,

lieber Mothman,

wenn auch der Dank sofort mit einer kleinen Prise Salz versehen wird:

Ich trau mich und zitiere den mutigen Mann aus dem Publikum, der da aufstand und schrie: „Versteh ich nicht!“,
denn was wäre, wenn der junge Mann wenn schon nicht taub, so doch schwerhörig gewesen wäre oder die Akustik des Saales der Stadtwerke zu A miserabel?, schlimmstenfalls sogar alles zusammen. Aber das wird sich in einer Erweiterung des Textes – wie schon angedroht – offenbaren, was Deinem Beitrag selbst in der Philosphie des Nicht-Verstehens, keinen Abbruch tun soll und auch gar nicht kann.

Also steigen wir ein in Be-Erde, das so viel oder wenig Bezug zur heutigen Realität hat, wie Tolkiens Mittelerde mit der Welt der nordischen Mythologie, nicht einmal authentisch zu sein beansprucht, wiewohl ein Auftritt eben der genannten Schreibwerkstatt im Gebäude der Stadtwerke zu A Mitte der 1970-er Jahre die Grundlage bildete, wiewohl dem jungen Vorleser die Schriftstellerei durch Neidhammel wie Max von der Grün und Josef Redding und ein anschließender Rauswurf aus dem Werkkreis Literatur der Arbeitswelt auf einige Zeit vergällt wurde.

Das Stichwort beerden / Beerdung wird nun im Duden – wie bestellt, quasi - von den Wörtern beerben und beerdigen nebst ihren Substantivierungen, und wer sich in Zeitgeschichte einigermaßen auskennt (und wär’s auch nur über Verfilmungen), der wird die Quelle der Geschichte zu dem zuvor genannten getrost im Deutschen Herbst ausmachen können und die RAF nicht mit der Königlichen Luftwaffe gleichsetzen.

Es ist die Zeit, da die alte BRD zu Grabe getragen wird mitsamt der Hoffnung des „mehr Demokratie wagen“ eines Kanzlers Brandt. Und da zu der Zeit noch Alkohol und Nikotin nicht verteufelt wurden, tauchen sie ebenso gut auf wie die Musiktruhe. „Apple“ signalisierten noch Schallplatten von der Plastic Ono Band. Da wäre es ein übler Scherz, Silicon Valley und all seine Garagen-Nachfolger incl. iPods einzubringen. Wer auf den Pott ging, saß auf einer Schüssel!

Dein Hinweis auf Firmen-Praktiken (Monsanto) passt schön zum obigen Eingangszitat, denn ein Tausch, ob nun an der Börse oder auf dem Pferdemarkt, erfolgt seltenst in der Absicht, nur die eigenen Kosten abzudecken, es wäre ja kein Geschäft und eben kein Staat mit zu machen. Immer schwingt der Betrug mit, den Tauschpartner übers Ohr zu hauen oder übern Tisch zu ziehn.

Zitat: Anarchisten
Tja, und hier wird das Schreckgespenst gejagt, wenn auch nicht gefunden. Wie auch, es existiert ja nicht.
Trotzdem finde ich den Anarchisten als Bösewicht ein wenig fadenscheinig. … / Warum hier das Abstrakte wählen?
In der Verfilmung der Baader-Meinhoff-Story kommt das vielleicht gar nicht so heraus – hab ich jetzt nicht so parat und den Film nur wegen der bezaubernden Martina G. als Ulrike M. noch mal zu ertragen wäre mir eine Übertreibung: das Clübchen mitsamt Sympathisanten wurde links außen angesiedelt, dass sie unter der Bedingung des runden Erdballs schon wieder rechts außen anstoßen mussten (Horst Mahler hat das wohl allzu wörtlich genommen). Gleichwohl wurden sie zumeist dem Anarchismus zugeordnet, wobei sicherlich das Modell Bakunin-Netschajew aus dem 19. Jh. verschwiegen herhalten musste. Gerade aber Bakunin hatte Selbstdisziplin für Anarchisten erklärt, zu der Andreas Baader nun überhaupt nicht neigte.

Al Fatah hatte nix mit Islamismus am Hut und Islamisten spielten in den 1970-ern keine Rolle; zugegeben: wer würde ihnen größere Bedeutung als all den braunen Fuzzies zugestehen wollen? Jeder, sag ich mal, der ein wenig in seinem Gedankengut rechten Fuzzies zuneigt. Der Morgenländler wird mit seinen salafistischen Rändern und der Basis (nix anderes bedeutet „al quaida“) das gleiche Problem bekommen, wie der Abendländer mit seinen das Abendland retten wollenden (B)Randerscheinungen. Die Islamophobie ergänzt den Antisemitismus.

In jedem Falle gilt, um auch da den Hauch von Zeitlosigkeit wehen zu lassen, eignet sich vorzüglich das Modell Bonnie & Clyde (Georgie Fames Interpretation hör ich immer wieder gern), Schinderhannes und seine Varianten weniger und Robin Hood wäre so real wie ein König Arthurius.
Das Schicksal meines Clydes-Kleides hastu super interpretiert!

Fouché ist klar?
Auch für welches Modell er steht - nicht der reale Innenminister, der zwanzig Jahre später sich als hervorragender Außenminister entpuppte, aber doch das Beamtentum der jungen Republik? Auch das eine zeitlose, sich immer wiederholende Erscheinung: Wo kann ein frischgeborenes Staatswesen seine Beamtenschaft herholen? Bei den Vorgänge®n! Wie sollte solches auch anders gehen?

Zitat: Staatsanwälte
Zitat: Springer aber erhebt sich zum Anwalt des Staats.

Das ist eine Behauptung,
was sonst?, die aber aktuell auch dadurch bestätigt wird, dass die Blödzeitung sich inzwischen zum Hüter der Moral aufschwingt (womit ich nicht nur die armen Wulffs meine, sondern auch das Bündnis mit Frau Schwarzer wider zu laut quäkende Wetterfrösche). Aber mehr durfte da nicht gesagt werden, bestimmt doch heute Witwe Springer nicht nur die Politik der Stammtische.

Wieder zurück zu den Leuten!

Zitat: Leute hüllen -
erstens - ihre Kinder in Cellophan und behaupten, ihre Kinder zu lieben.

Versteh ich nicht. Meinst Du Eltern stecken ihre Kinder in Klamotten, die, weil billig und beliebt, aus recyceltem Alditüten bestehen und nicht selbst gestrickt sind?

Das Bild hat nix mit der Kleidung zu tun und findet seine doppelte Erklärung zu erst, wenn jemand einen gegen Regen gesicherten Kinderwagen vor sich herschiebt – den Regenschutz bildet eine durchsichtige Folie aus Kunststoff, der, sinnig genug, auch Zellglas genannt wird. Zum zwoten werden doch unsere lieben Kleinen mit dem Auto – schon mal die vielen geländegängigen Wage in Großstädten mit durchaus manierlicher Infrastruktur gesehn? - zur (Vor)Schule und zur Freizeit gebracht. Der Verkehr wird ja immer schlimmer und es könnte unterwegs ja so viel passieren …!

Schöne Verklärung der amtlichen Geburtenstatistik, schreit nun ihrerseits nach Satire!

Dass die durchschnittlichen 1,6 Kinder pro Frau zu fett sind, ist ja allgemein bekannt. Daher ja auch die 1,6 Kinder! Wenn wir alle schlank und sportlich wären, hätte Frau wieder 1,0 Kinder wie es sich gehört.
Der man dann auch die Kurgan-Geschichte zufügen sollte, erweitert um die skythisch-hunnische ideale Kopfform: den Schädel des Neugeborenen zu einem Turm zu deformieren …

Ja, so versteh ich das und trotz allem Schalk und Wortwitz den ich aus Deiner Geschichte herauslese, bleibt der Kern doch ein düsterer,
so isset, wie man hier so sagt und die Aussichten sind nicht besser geworden!

Nochmals Dank fürs Lesen und Kommentieren vom

Friedel,
der schon mal ein schönes Wochenende wünscht!

 

Pony & Kleid erobern Holywood!

Lieber Friedl,

(jetzt ist es raus!), deine Geschichte oder was auch immer es ist, hat mir sehr gut gefallen und das mit dem Verstehen, ich weiß nicht. Willst du, dass man deine Geschichten gänzlich versteht? Sie spielen mit Worten und Gedanken, aber treiben den Leser schon in eine Richtung, man weiß wohin es geht, aber ankommen tut man nicht, ich jedenfalls nicht. Aber es gibt auch Momente, da geht eine Frau an dir vorbei und du denkst dir, die ist aber schön, ohne zu wissen, warum, ohne sie zu verstehen. Das mag ein seltsamer Vergleich sein, aber ich lese hier eine schöne Geschichte, mit einer (doppelten) Rahmenhandlung. Einer Momentaufnahme, als wenn jemand ein Foto macht und irgendwie die Zukunft zeigt, nur ein bisschen. Und die Gefühle fotografierst du, wobei es eher die Einstellungen sind, die auf dem Negativ in der Dunkelkammer zu sehen sind.

Ein paar Anmerkungen:

ereilte ihn das Schicksal und er las das erste Mal in seinem Leben vor hunderten von Leuten und mit jedem Wort seiner Rede wurde die Stimme fester:
"und mit jedem Wort seiner Rede wurde die Stimme fester", zwei Sachen hierzu:
1. fügt das nicht in den Lesefluss des Satzes,
2. ist eine Lesung keine Rede

Nachbarn lassen einander am Wohlstand teilhaben: Klavier – Musiktruhe – Fernseher.
Da habe ich so das Bild von einer Frau im Garten, die sich sonnt und Fifty Shades of Grey liest, aber durch die Kompositionen ihres Nachbarn vollkommst abgelenkt wird. Fernseher ist auch klar, wenn die Dinger zu Kinoleinwänden heranwachsen, so wie das Bedürfnis nach Glashäusern (als würde man dann weniger Steine werfen). Aber Musiktruhe, also, wenn du damit den Lärm meinst, der da raus kommt, wenn man die Truhe öffnet, finde ich das nicht sonderlich gut.

Hilflose Alte werden in den Acker getan: dem wertvollen Boden ein preiswerter Dünger.
Das ist heftig und irgendwie in einem biblischen Ausmaß alltäglich. PET-Urnen.

Stickige Luft stinkt zum Himmel.
Stickige Luft steigt zum Himmel, dass Gottvater sich die Nase zuhält.
Weiß nicht, was ich von der Wiederholung halten soll.

Stolz zeigt –

drittens - eine jugendliche Frau ihr schönes neues Gebiss,*
nimmt’s heraus,*
reicht’s herum und*
lässt’s bewundern.

Fürwahr: da ist kein Makel an ihm.

Hammer!

Blasse Kinder haben comicsüchtige Stielaugen.
Na, sind schon nicht mehr nur die Comics. Sie sind des Umblätterns müde.

Anarchisten*zu jagen wird in.
?

Ein Hubertusjünger erschießt ein Pferd auf der Weide und entschuldigt sich: er habe das Pferd für ein Wildschwein gehalten.
Das geht zu weit! =)


dieser staat ist nicht mein staat.*
kein staat ist überhaupt mein staat.*
mit mir ist kein staat zu machen.*
ich leb in einer schublade,*
die mir nicht gehört.*
ich leb in einer welt,*
die mir nicht gehört.*
meine welt gehört fetten geldsäcken.*
nur mein leib ist mein eigner.*
also bin ich leibeigner.
Das ist wirklich ein starker Absatz. Wenn man sich Zeit nimmt, ihn zu entziffern, fetzt er und man kann zusammen mit der Logik die Kante ins Barocke schleifen..

Lieblingsstellen:

Wir essen, was durch die Hände des Handels gewiss nicht saub’rer wird.
Jeder ist dem ander’n ein and’rer
Macht macht Macht.
Wer anders fühlt, gehört ins Irrenhaus.
Ärmel auf- und’s Leben umgekrempelt.


Be-Erde - da verrückst du unsere Welt, so, dass man glaubt, da nicht zu leben, aber auch so, dass man merkt, so anders ist das da gar nicht. Du kritisiert, schaffst das frei von Vorwurf und auf recht witzige Art und Weise. Als würde man den Leuten eine Karikatur zeigen und sie lachen selbst darüber, obwohl der Künstler ein Portrait gemalt hat.

Politisch wird's ja gleich zu Beginn und im Laufe deiner Erzählung wird klar, dass Politik mehr ist als eine Sache, über die man in der Zeitung liest. Es geht um Kultur und Leben und Menschsein. Und man kann auch noch tausend andere Dinge hineinlesen, was ich so sehr an deinen Texten mag.

"Versteh ich nicht!" - finde genial, dass das gegen Ende kommt. Und die Antwort deines Jünglings auch.

Wie immer ein angenehm anderer Lesegenuss!

Beste Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Das freut mich aber,

lieber markus,

dass Du mal wieder vorbeischaust in gewohnt sicherer Manier.

(jetzt ist es raus!), deine Geschichte oder was auch immer es ist, hat mir sehr gut gefallen und das mit dem Verstehen, ich weiß nicht. Willst du, dass man deine Geschichten gänzlich versteht?
Beginnen wir, nach der Freude, mit der Frage:

Nee, wäre die Antwort, ich würde mir selbst untreu.
Wichtig ist ein rasches Verständnis für Gebrausanweisungen (am schönsten bei Ikea aus einer fremden Sprache in eine mir noch fremdere Sprache übersetzt) und Ratgeber. Und die will ich - bei allen Musen nebst den armen Pussicats in Putinien! - niemals schreiben, wiewohl ich gelegentlich schon mal einen Gesetzestext und ggfs. einen zugehörigen Kommentar lesen muss. Aber wer sagt denn, dass Gesetzestexte eindeutig wären? Aber ich will ja gar nicht über mich reden!

Wundervoll Deine Gedankengänge

Sie spielen mit Worten und Gedanken, ..., da geht eine Frau an dir vorbei und du denkst dir, die ist aber schön, ohne zu wissen, warum, ohne sie zu verstehen
bis hin zum Schnappschuss nebst seiner Entwicklung.

Zitat:
ereilte ihn das Schicksal und er las das erste Mal in seinem Leben vor hunderten von Leuten und mit jedem Wort seiner Rede wurde die Stimme fester:
"und mit jedem Wort seiner Rede wurde die Stimme fester", zwei Sachen hierzu:
1. fügt das nicht in den Lesefluss des Satzes,
2. ist eine Lesung keine Rede

Gehen wir wieder vom Einfachen zum Komplizierteren:
Wenn einer laut vom Blatte abliest, so spricht er und wie sollte man sein reden besser benennen als mit dem Wort der Rede?
Kompliziert wird's nun, denn jetzt muss ich gestehen (wenn's nicht schon hin und wieder durchschimmert) dass dort oben auf der Bühne das scheue Rehlein von meinem jugendlichen Ich saß und einem halben Dutzend weiterer Leute rechts neben mir und die Jüngste unter uns Schreibwerkstättern bemerkte das leichte Zittern der Stimme am Anfang in Verbindung mit den trommelnden Fingern neben dem Manuskript, dass sie fürchtete, der Vorleser könnte die Blätter zur allgemeinen Gaudi durcheinanderwürfeln. Aber die Gaudi kam dann ganz anders als erwartet ... was mich zur Musiktruhe bringt: so wurden noch Mitte der 1970-er Jahre und im "Deutschen Herbst" Kombinationen von Fernseher, Radio und Plattenspieler u. a. Gerätschaften in Gelsenkirchener Barock genannt, die in einem truhenhaften Möbel eingebaut waren. Das, was zehn Jahre später als Musikturm (Radio, MC-Station/en bis hinauf zum Plattenspieler) in die Höhe, statt in der Breite zu wachsen. Wenn nun Heino statt High Noon daraus kam, geb ich Dir selbstverständlich und ohne jegliche Ironie recht!

Zitat:
Stickige Luft stinkt zum Himmel.
Zitat:
Stickige Luft steigt zum Himmel, dass Gottvater sich die Nase zuhält.
Weiß nicht, was ich von der Wiederholung halten soll.
Ich unterstell da, dass das unbekannte höhere Wesen, das wir alle verehren, über den Himmeln, wie wir sie kennen, thront. Und bis da obenhin stinkt's.
Zitat:
Blasse Kinder haben comicsüchtige Stielaugen.
Na, sind schon nicht mehr nur die Comics. Sie sind des Umblätterns müde.
Feine Deutung! Wann werden die ersten am iPod zusammenbrechen in Sorge, was zu verpassen?
Zitat:
Anarchisten*zu jagen wird in.
?
Das war so im Deutschen Herbst. Vor allem aber, was damals noch gar nicht so recht gewürdigt werden konnte, weil's erst immer nachher auffällt: das Denunziantentum feierte wie im Dritten Reich lustig Urständ. Hierzulande bedarfs keines IM, jeder ist es auf freiwilliger Basis, der liebe Nachbar, der Kollege u. v. a. mehr.

Und man kann auch noch tausend andere Dinge hineinlesen, was ich so sehr an deinen Texten mag,
was mir ja auch so ungeheur gefällt!
Wie immer ein angenehm anderer Lesegenuss!
So soll't & musset auch sein!

Ich dank Dear für's Lesen und Kommentieren!

Gruß

Friedel

 

Auf einem Konzert Neil Youngs brüllte einer von den feinsinnigen Zuhörern zur Bühne hinauf, dass sich seine Stücke alle gleich anhörten. NY antwortete: „It's all one song!“ So ist es auch bei mir,

Ihr Lieben,

nun wächst zusammen, was zusammengehört, wie schon zum Ikarus gegenüber Quinn behauptet, dass niemand überrascht sein sollte, und die Geschichten aus Be-Erde (1975 / betr. dt. Herbst) erhalten heute (2012 / dt. Winter) eine Ergänzung, die sich nahtlos anfügt. Dabei bleibt in jedem Fall der erste Teil bestehen, der mir so viel Freude wie Kummer hier vor Ort bescherte. Bis zum Satz

„Man muss auch nicht alles verstehn …“, was die Leute von A deutlich verstanden und den Leuten aus O die Leviten lasen
ist die ursprüngliche Fassung erhalten geblieben, was unter den drei Sternchen folgt, ist angefügt und erweitert die Geschichten um wenigstens drei weitere. Dabei bleibt der Schlusssatz der ursprünglichen Fassung auch Schlusssatz der erweiterten Fassung:
Zehn Jahre aber bevor Bonnie & Kleid …

Dem geneigten Leser wünsch ich viel Spaß und empfehle, die Kommentare zu lesen, die in jedem Falle ebenso lesenswert sind, wie ich es für die Geschichte meine. Allen andern zitiere ich Vladimir Jankélevitch, weil ich es nicht besser sagen könnte: „Meine Gefühle sind mehr oder weniger Nachahmungen; wir glauben zu lieben, und wir rezitieren! Meine ganze Person ist nur ein Plagiat.“ Oder, wie’s der Volksmund so trefflich sagt: Et jibt nix Neues auf’e Welt!

Zitiert wird Matth. 25,29 und Altenberg, natürlich in einem ganz andern Verständnis als in ihren Ursprüngen.

Gruß

Friedel

 

Hallo Friedrichard

Rechtschreibung macht Macht, aber auch Verstummen? Auch wenn deine Geschlür schon einige Zeit hier steht, frischt sie bei Lektüre auf. Sie macht Gedankensprünge möglich, Lachen über Verbindungen, Lust auf Ungwöhnliches.
Muss man alles verstehen? Nein! Erahnen regt auch an. Manchmal verwechselt man beides.
Wann liest man wieder von dir?
Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Wann liest man wieder von dir?
immerzu, wenn man so will,

lieber Wilhelm,

& damit erst einmal herzlich willkommen hierorts, noch isset nich' zu spät, wie man hier im Ruhrpott so sagt,

denn es ist ja kein Geheimnis, dass ich nach Biermann'schem Motto leb, wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um. Dein kleiner Kommentar ging runter wie Honig, ähm, Wein.

Neues wäre eigentlich morgen zu JPF Richters Geburtstag fällig. Ist aber eher unwahrscheinlich, steht ja auch genug in den Gazetten (seit etwa einer Woche) und bayreuth hat noch keiner, den begnadeten Biertrinker gelesen zu haben. Ich werd nachher mit ihm anstoßen - Bier mit Lakritzen versetzt, feine Sache!

Gruß & Dank vom

Friedel

 

Lieber Friedel,
ich hatte es vergessen. Culpa! Mit unserem Luftschiffer schwebe ich über dem Wörtersee und grüße die Rose und meinen Freund Höllerich und hoffe, in den unendlichen Weiten des Denk-und Biersees schwimmend Walhall zu erreichen und denen dort zu sagen, dass endlich Schluss ist mit dem Untergangsgehabe. Luftfahrt, nicht Höllenfahrt!
Prost
Wilhelm

 

ich hatte es vergessen.
Kann schon mal passieren (kann ich mich nicht ausnehmen),

lieber Wilhelm

schwebe ich über dem Wörtersee und grüße ... meinen Freund Höllerich
Gerhard? Doch nicht das Negativ von Roberto Blanco!? Ich würd die 200 km Jean Paul Weg gehen und an jeder Kleinstbrauerei anklopfen ...

Gruß & danke für den Nachtrag, sagt der

Friedel

 

Hallo Friedel!

drittens - eine jugendliche Frau ihr schönes neues Gebiss,
nimmt’s heraus,
reicht’s herum und
lässt’s bewundern.

Fürwahr: da ist kein Makel an ihm.


Das ist gut!


So lebt unter Seinesgleichen der Revolutionär und denkt:
[’di:zɐ ʃtɑ:t ɪst nɪçt main ʃtɑ:t.
kain ʃtɑ:t ɪst ’ybɐhaupt main ʃtɑ:t.
mɪt mi:ɐ ɪst kain ʃtɑ:t tsu ’maxn.
ɪç lep ɪn ’ainɐ ’ʃup’lɑ;də,
di: mi:ɐ nɪçt gə’hœrt.
ɪç lep ɪn ’ainɐ vɛlt,
di: mi:ɐ nɪçt gə’hœrt.
’mainə vɛlt gə’hœrt ’fɛtn ’gɛlt’zækn.
nu:ɐ main laip ɪst main ’aigənɐ.
also bɪn ɪç ’laip’aignɐ.]

Also, diese Lautschrift ist schon gewagt. Ich habe mir auch schon das eine oder andere Texterschwernis geleistet, um den geschätzten Lesern die Sache nicht zu leicht zu machen, aber Lautschrift? Das ist köstlich, hat was Freches. Der Revolutionär passt dazu, auch wenn ich in seiner postrevolutionären Welt nicht leben (und lesen) möchte.

Das Beste an der Geschichte ist das Gedicht, das kann wirklich was, der Rest produziert so viele Fragezeichen, dass die Fragezeichen bald den Blick auf den Inhalt versperren.

Bei deinen Geschichten habe ich immer das Gefühl, zu wenig Bücher gelesen zu haben (Romane und auch Fachbücher). Als würde man als Erstsemesterstudent in eine Vorlesung fürs sechste Semester gehen. Da fehlt ein halber Erdteil an Wissen, um wirklich etwas davon haben zu können, denke ich. Müsste ich eine Prüfung über diese Geschichte schreiben, würde ich gnadenlos durchrasseln. Man merkt, wohin meine Gedanken gehen: Richtung Arbeit. Weg vom Lesegenuss.

Man könnte dem Text jetzt auf den Leim gehen und überall nachforschen, wo er Hinweise auslegt, immer getreu nach dem Motto: Schau beim Interpretationsversuch zuerst darauf, was du nicht verstehst. Aber das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Betreten wir doch die Parallelwelt des Konjunktivs und schauen wir uns den Text an, wie ich ihn empfunden, wenn ich ihn denn verstanden hätte:
Der Text ist ein Sammelsurium an miteinander verknüpften Verweisen, Verweise auf Literatur, fremde wie die eigene, Verweise auf die menschliche Geschichte, versetzt mit kleinen Späßchen etc. pp., alles gewebt um einen minimalen Plot.
Aber da ist ja noch das Gedicht.
Das Gedicht ist gut, richtig gut, und es ist an einem Text befestigt, der es kaum tragen kann, einem Text, der wahrscheinlich selbst lieber ein Gedicht gewesen wäre, wenn man ihn denn gelassen hätte.
Ich bemühe jetzt einen Vergleich, mit dem ich Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" einmal beschrieben habe: Der Text ist wie ein abgestorbener Baum, auf dem wunderschöne Christbaumkugeln hängen. Bei Musil habe ich noch hinzugefügt, dass man dem Baum die Spitze abgeschnitten hätte, aber das muss ich hier nicht: Vollständig ist er ja, der Text.

Viele Grüße
Blaine

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Blaine,

schön, dass Du Dich an einen Text traust, der in seinem ersten Teil - man merkt's vielleicht an den Mainzelmännern und der Technik - bereits Mitte der 1970-er Jahre geschrieben wurde und noch immer aktuell ist- zur revolutionären tat bin ich ja gezwungen worden - du wirst dich erinnern. Nun ja, ich hoffe, niemand geht jemand auf den leim, aber schreiben wie lesen bedeutet nun mal arbeit. Der Text verweist weniger (zumindest als der Ikarus) auf Literatur als auf die schöne neue Welt unserer in die Jahre kommenden Republik.

Aber da ist ja noch das Gedicht.
Ja, das find ich auch
Das Gedicht ist gut, richtig gut,
und der indirekte Vergleich mit Musil gibt mir zu denken ...

Dank fürs Lesen & Kommentieren. sagt der

Friedel

Nachtrag - ohne nachtragend zu sein:

„gedenk doch, das du mich aus leimen gemacht hast, und wirst mich wider zu erden machen“*

Zwo literarische Bezüge hab ich in Be-Erde

lieber Blaine:

Bissken Tucholsky (aus der Zeit des „Fräulein, werfen Sie ihr Kind weg, ich mach Ihnen ein neues …“) und Carrolls Alice-Romane (Grinsekatze und die Ritter), ansonsten Tagesnachrichten incl. Ereignisse auf kg.de, die sich in den frühen Kommentaren widerspiegeln.

Das Gedicht hatt ich schon ganz verdrängt (wusst ich doch eine halbe Stunde nach der Dichtung nicht mehr um sie, geschweige, dass ich sie auswendig herzusagen wüsste), dass ich erst mal suchen musste. Selbst wenn ich den Ort der Suche eingrenzen konnte, die maximal tägliche Stunde Internet im Internetcafé neigte sich dem Ende entgegen. Das ist aber auch eher von Lewis Carroll denn sonst wem beeinflusst, und dass der geneigte Leser nicht allzu lange suchen muss, sei’s hier zitiert, wenn die gestürzten Ritter kopfüber** im Gerichtssaal stehn und das Petruskreuz fragt

„Was sucht Ihr hier auf Eurem Kopf,
hochwohlgebor’ne edle Leute?“

„Wir suchen hier, Du armer Tropf,
Den Silberfisch nebst seinem Weib
Und machen reiche Beute.
Entblößen beider dürren Leib
Von seinem reichen Silberkleid.

Was wär’ daran verkehrt? –
Verzärteln wir das Krabbeltier,
Dann schmeckt es gut verzehrt.“

Im übrigen muss man nicht alles kennen und verstehen (ausnahmsweise seh ich mal ’nen Text von mir als Lebensberatung / Gebrauchsanweisung an).
Dein Bild mit dem „auf den Leim gehen“, das auf frühere Methoden der Vogelfänger verweist und den Klebstoff meint, find ich eher bedenklich. Vom Vogel- zum Rattenfänger ists halt nicht mehr weit.

Das Gegenbild zum Stichwort Leim / leimen findet sich dann im Ablaut zu Lehm, was dann auch eine ursprünglichere Bedeutung des Leims ist – Luthers ältester Übersetzung entnehme ich, dass Adam aus „leim“ geschaffen wurde – was in einer urbanen Gesellschaft natürlich verloren geht.

Noch mal schönes Wochenende und bis bald,

wünscht der Friedel

* Moderne Übersetzungen verdrängen eher den Zusammenhang Leim / Lehm / Leben:
„Bedenke doch, dass du mich aus Erde gemacht hast, und lässt mich wieder zum Staub zurückkehren“, Hiob [10, 9]

** Ach ja, ein paar geliehene Sprüche / Verse hab ich dann doch im Kopf (aber, wie gesagt, nicht meine eigenen) wie Lichtenbergs „nicht jeder der Hochwohlgeboren ist hochwohl gestorben“), hätten wir also einen dritten Bezug.

 

Derart Eigenartiges mag gefallen oder auch nicht. Das hier gefällt.

Dank Dear,

lieber Kahasimir,

für diesen Komm!

Das ist ja total das Chaos! - Ein schönes Chaos noch dazu - es wird nicht langweilig - weil du Gegensätze vereinst und mit deiner (für mich) kauzigen Schreibe - was etwas gutes und schönes ist - das ganze Stück entfaltest oder besser gesagt. das Ding "sich" entfalten lässt.

Sehr schön formuliert, als hätte ich eine satierisch-böse Zeitgeschichte aus einem etwas anderen
Summerhill heraus geschrieben mit einer 26teiligen Buchstabensuppe und A. S. Neill als Koch und Erzieher setzt darauf, dass die zu Erziehenden sich selbst erziehen bei einem bisschen, dann aber auch konsequenten Hilfestellung ... Dabei darf nie vergessen werden, dass Anarchie nur bei gelebter Selbstdisziplin bestehen kann - sonst wären wir rasch wieder bei Kain und Abel nebst der ersten Frau des Adams, die vorzeitig wegen ihrer Emanzipation das Paradies verlassen musste - vor dem eigentlich "Auszug".

An sich müsste ich Deinen Komm Zeile für Zeile zitieren, wäre beste Werbung, aber ich mag kein Marketing und PR, für sich genommen die Mutter aller Fake News. (Naja, an die heimische Wand hängen ... vllt. auch nicht ... besser so)

Dieser Stoff ist interaktiv. Beim Lesen deiner wortwitzelnden Späßchen kam ich mir öfter mal veräppelt vor - von dir - dabei hast du mich lediglich dazu gebracht mich selbst zu veräppeln, aus meiner eigenen Annahme und Erwartung heraus, "es" (was auch immer genau) jetzt verstanden zu haben.
Da peifft mir die Birne! - und das ist schön. Für mich war das Lesen Arbeit in angenehm.

 

Solche Nörgeleien lass ich mir gern gefallen,

lieber @Sisorus,

und Teil 1 ist in der Tat wesentlich früher entstanden, 70-er Jahre, während des Studiums (kann sich heute keiner mehr vorstellen, dass bereits am dritten Tag meines ersten Semesters ein Streik ausgerufen wurde, um dessen Grund wahrscheinlich schon damals keiner so recht wusste) und in eben der Literaturwerkstatt und Teil 2 neben dem Austausch der gemäßigten Kleinschreibung durch Lautschrift - die mich immer wieder mal verfolgt, wie gerade eben noch vorm Jahreswechsel). Daher auch die Anti-Springer-Haltung im ersten Teil. Und - um es bildlich darzustellen: Ich würde einem Händler einen gerade gekauften Fisch zurückgeben, wäre er in der Blödzeitung eingewickelt - und die ß-Passage ist aus der Kuriosität der Karriere des ß entstanden, erst angedachte Abschaffung, dann Rettung und zu guter Letzt als Majuskel.

Da ich selbst schon einen bis dato unentdeckten Schnitzer gefunden hab (ihn auch nicht heilig sprechen kann oder mumifizieren will), werd ich noch mal überarbeiten. Wenn nicht heute, so vllt. demnächst.

Dank Dear fürs Lesen und Kommentieren, besonders aber für den Hinweis.

Tschüss und bis bald

Friedel

 

Hallo Friedel,

ein paar Eindrücke:

Blasse Kinder haben comicsüchtige Stielaugen.
die comicsüchtigen Stielaugen haben mir sehr gefallen!!
Hilflose Alte werden in den Acker getan: dem wertvollen Boden ein preiswerter Dünger.
Lärmend geben Aschenmänner den Städtern geleerte Urnen zurück.
>> toll formuliert, ich hoffe, dass die Äcker vom preiswerten Dünger verschont bleiben....
Leute fahren -

zwotens - Fettklößchen, die sie Kinder heißen, in feinen Staatskarossen durch Beerde und krähen:

>> die armen Dickerchen..., petdays, selbst ein Dickerchen. :D
Im mittleren Pinkelbecken sitzt im Talare ihrer Verbeamtung die Liebe seiner pubertären Jahre
>> geniale Formulierung
Zu drei Seiten wird der Giraffenhals durch eine mehr als barocke Allongeperücke aus Pferdehaar verdeckt
>> köstlich.

liebe Grüße, petdays

 

Ja, was kann ich da großartiges zu sagen,

liebe petdays,

außer, dass ich Dear fürs Vorbeischauen, Lesen und Sammeln danke.

Und natürlich, dass ich Deinen besonderen Geschmack bewundere!

Bis bald

Friedel

 

»Ich muss mit dem, was ich angerichtet habe, weiterleben.«
Peter-Jürgen Boock​

Das neue ZEITmagazin hat ein Interview mit Peter-Jürgen Boock veröffentlicht („Nach dem Terror. Peter-Jürgen Boock hat für die RAF gemordet und war dafür im Gefängnis. Ein Interview über das Leben davor und danach“, ZEITmagazin Nr. 48 vom 19.11.2020, S. 16 – 27), in der auch die 1950er Jahre auf den Punkt gebracht werden, denn die junge Bundesrepublik konnte und musste angefangen beim Beamtenapparat, Justiz, Erziehungs- und Bildungswesen nur auf Leute des ehemaligen Nazi-Regimes zurückgreifen. Parallel zum Interview sehe man sich den Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ an, den Film über den Staatsanwalt, der Adolf Eichmann jagte.

Zum zwoten wird direkt zu Anfang aufgezeigt, dass das Automobil bereits in den 70er Jahren eher eine Immobilie war und die Bürgersteige blockierte, dass oft genug ein Kinderwagen kurzfristig über die Straße geschoben werden musste- vllt. interessant für @Perdita s Beitrag zu den Umweltmiseren seit der industriellen Revolution.

Grund genug für mich, eine kleine Änderung an der alten Textsammlung (zwo Teile, denn der zwote, prosaischere Text entstand hierorts in der Verbannung) direkt zu Anfang vorzunehmen.

Nun ist der Text da und bei dem angekommen, was ich kann: Historik + Satire!

Friedel,
der nie fertig wird

 

Lieber @Friedrichard,

ich hatte mir schon länger vorgenommen, mal einen deiner Texte zu lesen (beim Pippinide habe ich kurz überflogen, mich aber nicht rangetraut). Jetzt habe ich hier den Start gemacht, bei einem, wie ich deinen Kommentaren entnehmen konnte, sehr alten Text.

Die lyrischen Texte, die vom Vorleser zum Besten gegeben werden, gefallen mir wirklich gut! Ich erkenne klar deine Gesellschafts-/Systemkritik, die ich im Übrigen auch teile. Auch der Zusammenhang zum Hanns Martin Schleyer Gedicht wird deutlich. Der prosaische Text wurde mir irgendwann zu wirr, was zum einen daran liegen mag, dass ich in der angewandten Grammatik leider nicht sehr bewandert bin, zum anderen aber auch daran, dass ich heute schon viel zu lange auf diesen Bildschirm gestarrt habe und meine Augen protestieren. (Schade, dass man zum Schreiben und Lesen innerhalb des Forums immer diesen Bildschirm braucht...) Der Text hat mich auch etwas an Kafka erinnert, nicht nur wegen des Prozeß/sses, sondern auch durch die Ungewöhnlichkeit - was wiederum für mich etwas Positives ist.

Wohin wir schauen, autoimmobiler Verkehr potentieller Leichenwagen.
Wir essen, was durch die Hände des Handels gewiss nicht saub’rer wird.
Wir hausen in Schubladen;
jeder ein kleiner Patriarch.
Das gefällt mir sehr gut, jeder einzelne Satz hat es in sich und spricht Bände, die aktueller nicht sein könnten in dieser verrückten Zeit! Aus jedem Teil könnte man hier in der Tat einen Band machen, und jeder hätte es verdient, verfasst zu werden.
In solchem Klima gedeiht Bodenspekulation
Auch brandaktuell und genau wie die freie Marktwirtschaft möglicherweise zu frei!
in feinen Staatskarossen durch Beerde
...wie auch schon oben verkehrstechnisch angedeutet: Viele dieser Karossen (SUVs etc.) gehören schlichtweg verboten, denn der (mit Betonung aufs Männliche) der sichs leisten kann (oder zumindest zu viele davon), leistet es sich auch.
die Bild bildet. Darum ist Springer ihr Wohltäter.
Das Thema Presse ist eines, über das ich mich stundenlang aufregen könnte...
schaut her, wir sind’s!, so sind wir zu unser’n kindern: -
Müssten die kinder nicht großgeschrieben werden?
Ein Hubertusjünger erschießt ein Pferd auf der Weide und entschuldigt sich: er habe das Pferd für ein Wildschwein gehalten.
Hier hast du sicher andere Intentionen, doch es hat mich an eine weitere Unverhältnismäßigkeit erinnert:
Vor nicht allzu langer Zeit hörte ich im Radio eine kurze Meldung, es sei eine geköpfte Gans irgendwo am Straßenrand gefunden worden, und die Polizei schließe hier auf einen Fall von "besonders schwerer Tierquälerei". Ich musste wirklich lachen, nicht, weil ich es lustig finde, dass eine Gans geköpft wurde, sondern dass es diese Nachricht ins Radio geschafft und die Polizei es als b.s. Tierquälerei bezeichnet hat. Da fragt man sich doch, wissen Polizei und Radioredaktion nicht von der massenhaften Tierquälerei, die tagtäglich offenkundig (wenn auch in Gebäuden versteckt) ausgeübt wird? Eine solche Berichterstattung - Stichwort Presse - wird dann von solchen, die auch die (Zitat von dir) Blödzeitung lesen, aufgesogen und als die absolute Wahrheit angenommen - bevor man zum Aldi latscht und sich ein Stück Rind oder anderes Tierisches für viel zu wenig Geld kauft und es zu Hause in die Pfanne haut.
Das hat jedenfalls diese deine Zeile bei mir ausgelöst... :)

Es gibt ja genügend Texte in deiner Sammlung, an die ich mich noch ranwagen kann!

Einen schönen Abend noch,
rainsen

 

Du traust Dich was - da wäre der Pippinide (und nebenbei Möchtegern-Karolinger) wesentlich einfacher zu besprechen gewesen,

lieber rainsen,

denn sind wir nicht alle Adamiten oder besser Kainiten, wenn wir den ältesten Schriftstücken trauen könnten?

Und ja - inzwischen weiß ich auch wieder um das Jahr, in dem die poetische erste Hälfte der Geschichten nebst Folgen zu A. vorgetragen wurde, die hierorts die zwote, prosaischere Hälfte gebar. Nicht etwa, weil ich zu Arnsberg oder Altena was gefunden hätte - sondern tatsächlich in einer Lokalseite der Wiege der Ruhrindustrie, meiner Heimatstadt, Opahausen. Auf das, was einem vor der Nase liegt, kommt man wie immer zuletzt

Wann ich hierorts zur Zähmung verbannt wurde, kann ja jeder nachvollziehen.

Es gibt ja genügend Texte in deiner Sammlung, an die ich mich noch ranwagen kann!
So isset - und trau Dich ruhig -

ich würd' mich freuen!

Dank dear und bis bald

Friedel

 

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