- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Geschlossene Augen
„Warum küsst man wohl mit geschlossenen Augen?“
Verständnislos sah ich ihr ins Gesicht und zuckte die Schultern.
„Ich weiß es nicht, aber was ...“,wollte ich nach einer ganzen Weile antworten.
„Fühlen!“, fiel sie mir ins Wort, „Fühlen statt sehen!“
„Hähh?“, ich verstand es nicht.
„Schau mal. Wenn du blind bist, dann wartest du“, erklärte sie mir mit leerem Blick, „Du wartest auf die Berührung einer Seele um zu „sehen“, was wichtig ist. Wenn du beim Küssen die Augen schließt, willst du mit dem Herzen sehen und dafür musst du blind werden, damit du fühlst.“
„Seele?“, fragte ich abfällig, „Ich glaube an den Intellekt und an alles was ich sehen kann. Ich habe noch nie eine Seele gesehen, geschweige denn, dass ich sie mir erklären kann oder einen Beweis für sie akzeptiert hätte. Also wo sitzt deine sogenannte „Seele“?“
Sie lachte hell auf, so als hätte ich etwas unglaublich Dummes gesagt. Aber es war ein warmes Lächeln, frei von Häme oder Tadel, mit dem sie mich näher wunk.
„Die Seele“, flüsterte sie und ich musste mich noch näher zu ihr beugen um sie zu verstehen. Dabei streifte mich ihr Atem im Gesicht.
„Die Seele“, flüsterte sie von Neuem und zuckte dabei blitzartig mit dem Kopf nach vorne. Ihre Lippen berührten mich und ich erstarrte zur Salzsäule. Sanft und warm breiteten sich ihre Lippen über meinem Mund aus. Ihre Zunge drängte gegen meine Lippen, verlangte Einlass um mich in einen Wirbel aus verknotetem Magen, zittrigen Händen und angenehmer Wärme in der Brust zu reißen.
Ich öffnete mich der Zunge, schloss meine Augen und wollte nur noch fühlen.
In diesem Moment löste sie sich von mir mit einem feinen Lächeln um den Lippen. Ich wollte protestieren, aber sie legte mir ihren Zeigefinger auf die Lippen.
„Die Seele,“ sagte sie sanft, „sitzt dort, wo es jetzt weh tut.“ Dabei rutschte ihre Hand von meinen Lippen und blieb über meiner linken Brust liegen. Das Herz verkrampfte sich mir, ein Speerfeuer aus roten Nadeln bohrte sich in meinen Schädel und mein Magen begehrte auf, als hätte er einen Schlag abbekommen.
Ich wandte mich ab, vergessend, dass man seine Schmerzen vor einer Blinden wohl kaum auf diese Weise verbergen kann. Ich fühlte mich so dumm und unbeholfen, so einsam und zeitgleich zerrissen von Freude.
„Hey!“, rief sie, „Komm her!“
Ich zögerte erst, kam dann aber doch in ihre offenen Arme.
Sie hielt mich im Arm und streichelte meinen Kopf. Stumm lagen wir da und genossen ganz einfach.
„Mit dir im Arm vergesse ich, dass ich nicht mehr sehen kann,“ stöhnte sie auf, als meine Hände streichelnd über ihren Rücken fuhren.
Sanft massierten ihre Fingerspitzen meine Ohrläppchen und wanderten über die Schulten zu meiner Brust.
„Anfassen ist schön“, kicherte sie, während ich meine Hände unter ihren Pullover schob.
„Hände sind Leben“, hauchte ich ihr ins Ohr, „Und Leben kann man anfassen“, dabei strichen meine Hände über ihren Bauch und meine Lippen wanderten ihren Hals entlang. Mit geschlossenen Augen, schoss es mir durch den Kopf, schmeckte sie mindestens noch mal so gut.