Gespräch mit Unbekannt
Wie jeden Tag habe ich die Zeitung in der Hand. Normalerweise fliege ich über das Horoskop und das war es. Die Regionalzeitung gibt nicht viel her. Doch heute blättere ich weiter.
Ein ganz normaler Montag, die Mittagspause verbringe ich allein daheim. Auf dem Tisch steht eine Tasse Kakao, das Papier in meinen Händen.
Ich blättere also weiter, viel zu schnell, lese nur die Titel und werfe einen Blick auf die Bilder. Bin fast am Ende angelangt, die letzte “Hoffnung” sind die Todesanzeigen. Ich suche, nach diesen Augen, diesem Lächeln. Und da sehe ich sie. Der gleiche Jahrgang. Der erste Gedanke: Hübsch. Der zweite: zu jung.
“Im Gedenken: deine Eltern, deine Geschwister und dein Freund”, der Freund schnürte mir die Luft ab.
Plötzlich bin ich zurück. Es regnet leise auf den Asphalt. Eine, von Autoscheinwerfern erleuchtete, Straße führt zu einer Brücke über den ruhigen Fluss, der sich durchs ganze Land zieht. Als Filmkulisse romantisch, vielleicht gibt daneben der Hauptdarsteller seinem Date einen letzten Kuss und die letzten Worte, bevor sie rauf in die Wohnung geht: “Gute Nacht!”.
Doch hier, keine Romantik, keine Wärme, keine Liebe. Die Lichter die den verschwimmenden Schein auf die Straße werfen kommen von einem Unfallauto. Es riecht nach Benzin und Öl. Vor ein paar Minuten pure Ruhe, jetzt eine Autohupe und leises Wimmern vor mir.
Ich war auf dem Heimweg, die selbstgebrannte CD spielte zum hundertsten mal den selben Song. Ein ausgelassenes Gefühl von Freiheit, wie immer wenn man allein Auto fährt. Mit den Gedanken schon in der nächsten Woche, das Wochenende neigt sich dem Ende zu.
Da sehe ich es in der Ferne, Warnblinker, mitten auf der Straße. Denke mir nichts dabei, werde langsamer und setze zum Überholen an und da gibt mir das Auto den Blick auf das erleuchtete Motorrad Wrack frei. Leichte Panik. Der erste Unfall den ich sehe und dann bin ich auch noch alleine. Nach 30 Metern parke ich das Auto an die Straßenseite. Ziehe mir die Warnweste an und gehe richtung Unfall. Als erstes erreiche ich den Motorradfahrer, ein Mädchen, es schreit, also noch am Leben. Keine stark blutenden Wunden. Ich gehe zum Autofahrer. Auch alles ok. Eine Frau, um die 40, schätze ich. Ich sage ihr, dass sie sitzen bleiben sollte, ihr ging es gut, nur unter Schock. Der Blick auf die Motorhaube lässt die Wucht des Aufpralls nur erahnen, ich gehe zurück zur Motorradfahrerin.
“Hallo, was ist passiert? Ich muss dich kurz abtasten, ist das in Ordnung?” Die Haut bleich, der Bauch hart und das Becken schmerzt. Das Becken muss ich stabilisieren, der Gürtel muss herhalten, etwas professionelleres habe ich nicht. Der Notruf ist kurz und schmerzlos, der Mann am Ende der Leitung versteht, stellt keine Fragen. Plötzlich steht die Fahrerin hinter mir, zittert und fragt, ob es ihr gut geht. Mehr als sie zurück zum Auto zu schicken kann ich nicht machen.
Ich unterhalte mich mit dem Mädchen, sie wird zunehmend benommener, weint nicht mehr. Kurz überschlage ich Anfahrt und Dauer des Transports ins Krankenhaus, sie wird es schwer haben da durch zu kommen, auch da um diese Uhrzeit kein Hubschrauber mehr fliegt.
Da knie ich also auf der Straße, zupfe immer wieder die Decke des Mädchens zurecht, im Hintergrund das rieseln des Regens und die Stimme der Fahrerin die telefoniert.
“Wer bist du?”, die Frage kommt unerwartet. “Simon und du?”, antworte ich, während ich meinen Kopf über ihren Helm bringe sie fängt an zu schluchzen, keine Antwort. Ich bin überfordert. “Wo wolltest du überhaupt hin?”, versuche ich abzulenken
“Nach Hause, ich war bei meinem Freund. Wir haben gestritten und ich bin zu schnell auf die Gerade. Bei dem Regen bin ich dann ins Schlittern geraten, das Auto hat mich aufgefangen!”, sie versucht zu lachen. Das Gespräch läuft noch einige Zeit so weiter. Doch der Zustand wird immer schlechter, man sieht das Leben aus ihr weichen. Ich vermute starke Blutungen im Bauchbereich und auch im gebrochenen Becken, aber was kann ich schon wissen, kenne es nur aus der Theorie.
“Wenn ich aus dem Krankenhaus komme gehen wir etwas trinken”, scherzte sie mit gebrochener Stimme, “ich suche das Kaffe aus!”. Ich nicke, “Ja gern!”. Auch wenn ich es gewollt hätte, ich kann ihr diese Einladung nicht ausschlagen.
Und da ist es, das Geräusch auf das ich gewartet hatte, Sirenen. Die Einsatzkräfte sind freundlich, lauschen meiner löchrigen Übergabe. Zwei kümmern sich um die Autofahrerin, der Arzt und sein Team widmet sich Julia. Ich verabschiede mich von allen, die Polizei will noch ein paar Infos.
“Bis bald!”, das sind die letzten Worte an mich, bevor ich das Geschehen verlasse. Die letzten Worte die ich an diesem Abend von Julia höre.
Der Weg nach Hause ist nur noch schemenhaft in meinen Erinnerungen. Es ist als hätte mein Hirn erst Montag morgen wieder aufgezeichnet.
Und jetzt sitze ich hier. Sie hat es nicht geschafft.
Ein ganz normaler Montag, die Mittagspause verbringe ich allein daheim. Auf dem Tisch steht eine Tasse Kakao, das Papier in meinen Händen.
Ich blättere also weiter, viel zu schnell, lese nur die Titel und werfe einen Blick auf die Bilder. Bin fast am Ende angelangt, die letzte “Hoffnung” sind die Todesanzeigen. Ich suche, nach diesen Augen, diesem Lächeln. Und da sehe ich sie. Der gleiche Jahrgang. Der erste Gedanke: Hübsch. Der zweite: zu jung.
“Im Gedenken: deine Eltern, deine Geschwister und dein Freund”, der Freund schnürte mir die Luft ab.
Plötzlich bin ich zurück. Es regnet leise auf den Asphalt. Eine, von Autoscheinwerfern erleuchtete, Straße führt zu einer Brücke über den ruhigen Fluss, der sich durchs ganze Land zieht. Als Filmkulisse romantisch, vielleicht gibt daneben der Hauptdarsteller seinem Date einen letzten Kuss und die letzten Worte, bevor sie rauf in die Wohnung geht: “Gute Nacht!”.
Doch hier, keine Romantik, keine Wärme, keine Liebe. Die Lichter die den verschwimmenden Schein auf die Straße werfen kommen von einem Unfallauto. Es riecht nach Benzin und Öl. Vor ein paar Minuten pure Ruhe, jetzt eine Autohupe und leises Wimmern vor mir.
Ich war auf dem Heimweg, die selbstgebrannte CD spielte zum hundertsten mal den selben Song. Ein ausgelassenes Gefühl von Freiheit, wie immer wenn man allein Auto fährt. Mit den Gedanken schon in der nächsten Woche, das Wochenende neigt sich dem Ende zu.
Da sehe ich es in der Ferne, Warnblinker, mitten auf der Straße. Denke mir nichts dabei, werde langsamer und setze zum Überholen an und da gibt mir das Auto den Blick auf das erleuchtete Motorrad Wrack frei. Leichte Panik. Der erste Unfall den ich sehe und dann bin ich auch noch alleine. Nach 30 Metern parke ich das Auto an die Straßenseite. Ziehe mir die Warnweste an und gehe richtung Unfall. Als erstes erreiche ich den Motorradfahrer, ein Mädchen, es schreit, also noch am Leben. Keine stark blutenden Wunden. Ich gehe zum Autofahrer. Auch alles ok. Eine Frau, um die 40, schätze ich. Ich sage ihr, dass sie sitzen bleiben sollte, ihr ging es gut, nur unter Schock. Der Blick auf die Motorhaube lässt die Wucht des Aufpralls nur erahnen, ich gehe zurück zur Motorradfahrerin.
“Hallo, was ist passiert? Ich muss dich kurz abtasten, ist das in Ordnung?” Die Haut bleich, der Bauch hart und das Becken schmerzt. Das Becken muss ich stabilisieren, der Gürtel muss herhalten, etwas professionelleres habe ich nicht. Der Notruf ist kurz und schmerzlos, der Mann am Ende der Leitung versteht, stellt keine Fragen. Plötzlich steht die Fahrerin hinter mir, zittert und fragt, ob es ihr gut geht. Mehr als sie zurück zum Auto zu schicken kann ich nicht machen.
Ich unterhalte mich mit dem Mädchen, sie wird zunehmend benommener, weint nicht mehr. Kurz überschlage ich Anfahrt und Dauer des Transports ins Krankenhaus, sie wird es schwer haben da durch zu kommen, auch da um diese Uhrzeit kein Hubschrauber mehr fliegt.
Da knie ich also auf der Straße, zupfe immer wieder die Decke des Mädchens zurecht, im Hintergrund das rieseln des Regens und die Stimme der Fahrerin die telefoniert.
“Wer bist du?”, die Frage kommt unerwartet. “Simon und du?”, antworte ich, während ich meinen Kopf über ihren Helm bringe sie fängt an zu schluchzen, keine Antwort. Ich bin überfordert. “Wo wolltest du überhaupt hin?”, versuche ich abzulenken
“Nach Hause, ich war bei meinem Freund. Wir haben gestritten und ich bin zu schnell auf die Gerade. Bei dem Regen bin ich dann ins Schlittern geraten, das Auto hat mich aufgefangen!”, sie versucht zu lachen. Das Gespräch läuft noch einige Zeit so weiter. Doch der Zustand wird immer schlechter, man sieht das Leben aus ihr weichen. Ich vermute starke Blutungen im Bauchbereich und auch im gebrochenen Becken, aber was kann ich schon wissen, kenne es nur aus der Theorie.
“Wenn ich aus dem Krankenhaus komme gehen wir etwas trinken”, scherzte sie mit gebrochener Stimme, “ich suche das Kaffe aus!”. Ich nicke, “Ja gern!”. Auch wenn ich es gewollt hätte, ich kann ihr diese Einladung nicht ausschlagen.
Und da ist es, das Geräusch auf das ich gewartet hatte, Sirenen. Die Einsatzkräfte sind freundlich, lauschen meiner löchrigen Übergabe. Zwei kümmern sich um die Autofahrerin, der Arzt und sein Team widmet sich Julia. Ich verabschiede mich von allen, die Polizei will noch ein paar Infos.
“Bis bald!”, das sind die letzten Worte an mich, bevor ich das Geschehen verlasse. Die letzten Worte die ich an diesem Abend von Julia höre.
Der Weg nach Hause ist nur noch schemenhaft in meinen Erinnerungen. Es ist als hätte mein Hirn erst Montag morgen wieder aufgezeichnet.
Und jetzt sitze ich hier. Sie hat es nicht geschafft.