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Glut rote Wut
Bei solch lauwarmem Bier war Genuss eine Kunst, doch Gogol gab sich alle Mühe. Es musste genossen werden, in kleinen Schlucken und ohne es in den Bart zu schütten, denn alles deutete darauf hin, dass er den letzten Abend hier verbrachte. Die charmante Kuckucksuhr war durch etwas Kaltes, Digitales ersetzt worden. Und mit der Kellnerin hatten sie Ähnliches getan. Gogols Geduld war auf Zehenspitzen davongeschlichen; die Beherrschung fiel ihm noch schwerer als der Genuss des Biers. Seine alte Zunge brannte. Ein Ziehen, ein Glühen an der Spitze. Wut, mochte man es nennen. Der letzte Schluck zischte in seinem Mund. Wie hiess die Neue noch? Deborah? Ja, Deby. Er zog den Aschenbecher zu sich heran und spuckte einen Klumpen glühenden Rotzes hinein. Dass er sich ihren Namen merkte, war der Ehre schon zuviel.
Gogol stellte sein Glas auf den Tisch und zündete sich eine dieser alten, kubanischen Zigarren an, die er sich für besondere Anlässe aufbewahrte. Der süsslich-pikante Rauch war ihm Trost, erinnerte ihn an seinen Vater. Ein würdevoller Herr, seinen Prinzipien treu bis ins Grab, der seinem Sohn beigebracht hatte, mit dem Feuer nicht zu spielen. Unterdessen hatte Gogol selbst das Alter umarmt und die Sehnsucht nach einer Frau, die bereit gewesen wäre, das Leben mit ihm zu teilen, hatte sich in seinen Falten versteckt. An eigene Kinder dachte er nur noch in besonders nostalgischen Momenten. Die Abende, an denen er mit seinen Freunden am Stammtisch Backgammon spielte und die Kellnerinnen – Manuela und die unzähligen davor – mit mehr oder minder originellen Sprüchen zum Lachen brachte, lagen in einer Ferne, derer er sich kaum mehr entsann. Seine Mutter hatte sich nach langem Kampf gegen das Alter dem Tod ergeben und war mit ihrem Kummer – ein Sohn, der ihr Enkelkinder verwehrte – in eine andere Welt gezogen. Gogol betrachtete seine verwitterten Hände. Als er die Linke zur Faust ballte, spannten weisse Knöchel seine Haut. Es sah aus, als würde sie gleich reissen. Er strich ein wenig Asche im Becher ab und hob den Arm zur Bestellung.
Deby liess sich ein paar Äonen lang Zeit. Seine Wünsche waren stets die letzten, die sie entgegennahm und mit demonstrativer Gleichgültigkeit erfüllte. Doch unübertroffen blieb der Clou letzter Woche: Sie hatte ihn vom Stammtisch weggewiesen! Es schien, als arbeitete sie seit längerem daran, ihn aus der Kneipe zu ekeln. Andere Gäste seiner Generation hatten bereits kampflos aufgegeben. Doch diese kleine Säuberung hatte sich die selbstsüchtige Rothaarige eine Nuance zu einfach ausgemalt. Glücklich sollte sie sich schätzen, hatte sie doch diese zauberhafte, rotlockige Pracht! Anfangs hatte das ihr herablassendes Verhalten noch entschuldigt. Bis zu jenem Tag, an dem er ihre Haarpracht gelobt und für das Kompliment nicht den Schatten eines Lächelns erhalten hatte. An diesem Tag starb das letzte bisschen Wohlwollen und wurde Wut. Es brannte wieder auf des alten Mannes Zunge. Nach einem langen, kräftigen Zug nahm er den Stumpen aus dem Mund und mischte eine weitere Daumenbreite Asche zur glühenden Brühe im Becher.
„Ja?“, fragte Deby, die Finger auf dem Tisch gespreizt.
„Bringst du mir ein Neues?“
Sie nickte und war schon fort. Eine Bestellung in aller Effizienz, kalt wie ein Auftragsmord. Weitere Fragen – nach ihrem Befinden, nach ihrer Herkunft, nach anderen Gästen – verdampften auf seiner Zunge und hinterliessen einen bitteren Nachgeschmack. Er atmete die Enttäuschung ein, wie vergangene auch, sog sie in die Lunge und führte sie in sein Blut.
Dort verwandelte sie sich in Glut.
Er sah ihr beim Zapfen eines Bieres zu, das bestimmt noch nicht seines war.
Lass dir nur Zeit, Mädchen, dachte Gogol. Du bist schon älter, als du denkst. Während sie die anderen Gäste bezirzte, musterte er abermals ihr Haar. Es war so rot, dass es schon fast flackerte. Hatte sie unten auch rotes Haar? Spross es wie Gift aus ihr hervor?
Sie brachte das Bier, doch wie immer enthielt sie ihm ihr Lächeln vor, schwirrte kalter Schulter fort und hinterliess bloss einen Hauch ihres Parfums – Blutorangen? – bei ihm. Erst ein einziges Mal hatte sie mehrere Worte an ihn vergeudet: vor einer Woche, um ihn vom Stammtisch zu fegen. Hatte ihn das gekränkt! Anfangs zumindest. Jetzt hielt er nicht mehr viel davon, ausser …
… Asche! Gogol klopfte ein wenig davon in den Aschenbecher. Manuela war tausend Mal besser gewesen. Nicht so rot, nicht so tief im Ausschnitt, dafür mit Herz.
Ein Mensch zum Gernhaben.
Ein Mensch zum Lieben.
Ein Mensch, den Menschen nahe.
Hätte sie nicht geheiratet, wäre Manuela die perfekte Frau geblieben. Die Ehe war ihr einziger Fehler gewesen.
Erneut zog Gogol den Aschenbecher zu sich und spuckte hinein. Bald war es soweit. Jetzt brauchte er nur noch Bier und Zigarre zu geniessen und danach würde das Spiel beginnen.
*
Der eklige, alte Sack hatte seine Hand wieder erhoben und starrte im Schatten seiner Dickicht-Brauen zu ihr herunter. Er musterte sie von oben bis unten und wieder nach oben. Widerlich! Jede Wette, er geiferte in seinen zerzausten Bart hinein. Konnte der sich sein Bier nicht anderswo holen?
Er war jeden Abend hier und jeder davon war einer zuviel. Begriff er nicht, dass er nicht mehr willkommen war? Wie lange musste sie noch die Unfreundliche spielen? Hoffentlich bezahlte er bald seine Zeche, verschwand und stürzte irgendwo auf dem Nachhauseweg in einen Graben. Bestünde da nicht das Risiko unerwarteter Aggressionen, hätte Deby dem Typen längst eine Überdosis Alkohol verabreicht. Unlängst hatte sie gar mit dem Gedanken sympathisiert, ihm etwas Letales ins Bier zu mischen. Aber das ging dann wohl doch einen Schritt zu weit – und hinterliess Spuren.
„Bezahlen?“, fragte Deby. Sie hielt das dicke Portefeuille bereits in der Hand. Sie war nicht hier, um eine weitere Bestellung entgegenzunehmen. Geschweige denn ein Kompliment bezüglich ihrer Haare.
„Ich bezahle nicht“, murrte der alte Mann in seinen Bart, sodass sie sich kurz fragte, ob die Antwort wirklich ihr galt.
„Wie bitte?“
Deby fragte sich, ob der Mann seine Mutter jemals gekannt hatte. Die Manieren deuteten auf das Gegenteil. War er ein altes Waisenkind? Ein armer Schlucker, für den sie vielleicht Mitleid empfunden hätte, beherrschte nicht schon Abscheu ihre Gefühle?
„Ich sitze schon den halben Tag hier, mein Aschenbecher läuft über und Sie verschwenden keinen Gedanken daran, ihn zu leeren“, sagte das Waisenkind.
„Das tut mir unglaublich leid“, meinte sie und widerstand der Versuchung, mit den Händen die Weinende zu mimen. „Aber ihr Bier müssen Sie dennoch bezahlen.“
„Ich bezahle nicht“, wiederholte der alte Mann.
Sie griff sich an die Stirn. Wie warm es hier war! Wenn sie mit dem Typen fertig war, würde sie kurz ein Fenster öffnen.
„Das sehe ich anders.“
Er schüttelte den Kopf wie ein trotziges Kind.
„Wollen Sie vom Türsteher dazu aufgefordert werden oder reicht es, wenn ich Sie darum bitte?“, fragte sie.
„Ach lassen Sie den armen Paul in Ruhe“, sagte er, einen Finger mahnend erhoben. Vom trotzigen Kind war nicht mehr viel zu sehen.
„Machen Sie keine Probleme, dann machen wir auch keine“, sagte Deby, bemüht selbstsicher.
„Gut“, sagte der alte Mann und lächelte. „Wie viel bin ich Ihnen schuldig?“, meinte er.
„Sehen Sie, wir können auch vernünftig sein“, sagte Deby, öffnete das Portefeuille und rechnete den Betrag zusammen. „Achtzehn sechzig.“
Er fischte in seinem Hosensack nach Geld und gab ihr schliesslich siebzehn. „Das genügt schon“, meinte er.
„Nein. Es fehlen eins-sechzig“, sagte sie.
„Vergessen Sie’s“, sagte er. „Das hätte ich nicht einmal am Stammtisch bezahlt.“
„Eins-sechzig“, sagte sie und fühlte, wie der Mann ihre Geduld in Stücke riss. „Die Preise sind überall gleich.“
„Das Trinkgeld bestimme ich. Der Service war jämmerlich und das Bier lauwarm. Deswegen der Abzug.“
„Gleich reicht’s!“, drohte sie.
Wieder erhob er seinen zerknitterten, mahnenden Finger.
„Haben sie sich schon Gedanken über ihr Leben nach dem Tod gemacht?“, fragte er.
Sie war baff. Was sollte der Scheiss? Es wäre vielleicht doch besser, sie holte Paul. Der war für diese Sorte Gäste zuständig. Sie schob die Münzen ins Portefeuille, klappte es zu und warf dem Alten einen Blick zu, der ihre Meinung über ihn enthielt. Dann machte sie sich kochend vor Wut davon.
Zu ihrem zusätzlichen Ärger war Paul gerade dabei, mit einem jungen Teenagerpaar zu diskutieren. Sie würde also erst später auf ihn zurückgreifen können. Deby ging hinter die Theke, warf einen Blick zum Alten – nicht, dass er ihr noch entflog – und gönnte sich einen bitter notwendigen Schluck Wasser. Dann griff sie zum Gästebuch, um den mehr als fälligen Eintrag vorzunehmen.
Da stand der Einzutragende plötzlich vor ihr.
„Hier die eins-sechzig“, sagte er und liess eine Handvoll Münzen auf die Theke fallen. Der Mann war so eklig, dass es sie anwiderte, die Münzen aufzunehmen.
„Gut“, sagte sie. „Wie ist ihr Name?“
„Gogol.“
„Ich werde Sie in diese Liste eintragen. Sie haben Hausverbot.“
Irgendetwas regte sich in den Augen des alten Mannes. Ein Funken Wut? Eine Träne? Das Hausverbot liess ihn nicht kalt. Deby gab sich Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.
„Die Mühe hätten Sie sich nicht machen müssen“, sagte er. „Es war ohnehin mein letzter Abend hier.“
Sie nickte, ohne ihn direkt anzuschauen. Dazu widerte sie der Typ zu sehr an. „Dann verstehen wir uns ja bestens“, sagte sie.
„Ich habe Ihnen ein Plätzchen reserviert“, sagte er. „Im grossen Saal auf der unteren Tribüne vorne links. Merken Sie sich das: Grosser Saal. Untere Tribüne. Vorne links.“
„Wovon reden Sie?“, fragte sie. Sie hatte keine Ahnung, worauf der Typ hinauswollte, wünschte ihn sich aber schleunigst vom Hals.
„Von der Hölle.“
*
Als Gogol die Bar verliess, war ihm kalt. Doch lag es nicht an der sternenklaren Nacht, die ihn empfing, nicht am kühlen Dezemberwind. Es lag an der Ruhe, die ihn erfüllte, an der Zufriedenheit. Er hatte die letzte Glut aus sich hinausgespuckt; die Enttäuschung, den Frust, die Wut. Nun trug er nur noch Narben, die verheilten. Er spürte es; bald kam auch seine Zeit.
Vor einem stillen Brunnen hielt er an und schaute ins Wasser. Warmer Speichel sammelte sich auf seiner Zunge.
„Zeig mir die Glut“, sagte er und spuckte in die Mitte des Wassers. „Zeig sie mir.“
Wellen breiteten sich bis an den Rand des Brunnens aus, das Wasser verlor an Klarheit, hie und da zischte und dampfte es an der Oberfläche, Umrisse zeichneten sich in der Tiefe ab und in der Mitte des Brunnens entstand ein kleines, intensives Glühen, eingebettet in einen Becher aus Glas.
Die Glut war in Bewegung. Die Asche nahm Formen an. Ein Teil streckte sich in die Höhe.
„Still!“, befahl Gogol. Da kam eine Hand. Eine wohlbekannte Hand. Er hatte sich öfter gefragt, wie sie aussehen würde; glühend rot wie das Haar.
Die Glut hatte seinen Befehl befolgt, hatte sich diskret ins Innere zurückgezogen und hielt den Atem an.
Nun griff die Hand nach dem Aschenbecher. Der Mittelfinger, beringt, war der erste, der ihn berührte.
„Jetzt“, flüsterte Gogol. Daraufhin erklang ein herzerweichender Schrei, dass das Brunnenwasser nochmals Wellen schlug und der Meister der Glut das Geschehen nahezu aus den Augen verlor.
„Zeig mir ihre Qual“, sagte Gogol, der sich die Arme vor Kälte eng am Körper verschränkt hielt.
*
Was in diesem Moment genau geschah, wusste der Teufel. Sie hatte den Tisch des ekligen, bärtigen Mannes mit einem feuchten Lumpen geputzt – vorher würde sie keinen Gast an ihm Platz nehmen lassen – und anschliessend nach dem Aschenbecher gegriffen. Als Erstes sah sie, dass er randvoll war. Den hatte sie offensichtlich etwas vernachlässigt. Als Zweites spürte sie einen stechenden Schmerz, den sie im ersten Augenblick der Hitze des Glases zuschreiben wollte. Sofort riss sie die Hand zurück.
Der Aschenbecher kam mit. Randvoll, nach wie vor, doch nicht mehr mit staubiger Asche, sondern einer glühenden Brühe. Ein Stück dieser Brühe war übergeschwappt und hatte ihren Mittelfinger erfasst. Es dampfte und roch nach verbranntem Fleisch. Sie schrie sich die Seele vom Leib. Der Schmerz fühlte sich an, als würde jemand einen langen, dicken Nagel in ihren Finger schlagen.
Sie versuchte diesen Wahnsinn abzuschütteln, doch der einzige Arm, der in ihrem Panikanfall durch die Luft wirbelte, war der linke. Der rechte verharrte starr, dem Eindringen der Hitze gegenüber ohnmächtig. Die Glut drückte sich durch Debys Fleisch und erreichte das Zentrum ihrer Hand. Ihr Schrei erklomm währenddessen Oktaven, die kein Mensch mehr hörte, ihrem Verstand jedoch das Trommelfell durchlöcherte.
Die Intuition war nicht das, worauf sich Deby im täglichen Leben zu verlassen pflegte, doch in diesem Moment war es die letzte Entscheidungsinstanz ihres Geistes, während der Rest in Panik das Weite suchte.
Die Intuition bewog ihre linke Hand dazu, nach dem Aschenbecher zu greifen, um ihn von der rechten Hand loszuzerren. Ein unverzeihlicher Fehler. Sogleich wurden ihr auch in Zeigefinger und Ringfinger der linken Hand glühende Nägel getrieben. Im rechten Arm hatte sich die Hitze mitunter bis über den Ellbogen hinweg verbreitet und ihr kochendes Blut trug es, von ihrem immer rasenderen Herzschlag getrieben, weiter nach oben. Schon bald war das Schreien ihr einziger Widerstand.
Plötzlich stand Paul neben ihr.
„Was ist los?“, fragte er.
„Hilf mir!“, wollte sie brüllen, doch ihre Zunge war längst glühender Brei.
*
„Sprich!“, hauchte Gogol. Aus den Augen der Kellnerin blitzte seine Glut, ihr rotes Haar schimmerte, aus ihren Fingern tropften Funken.
Die Glut formte sich zur Zunge, zwang die Kiefer auseinander, setzte die Stimmbänder in Bewegung.
*
„Schon gut, Paul“, hörte sich Deby sagen, während ihre Hand den leeren Aschenbecher auf den Tisch legte. „Hab mich soeben verbrannt. Nichts Schlimmes.“
„Sicher?“, fragte dieser, und Deby, von Schmerzen in jeder einzelnen Zelle gemartert, erflehte ihn in Gedanken, ihr nicht zu glauben. „Dein Schrei klang entsetzlich.“
Nicht ganz so entsetzlich wie es ist.
„Ein Überraschungsschrei, nichts Weiteres. Kannst du dich kurz um die Gäste kümmern, während ich mich umsorge?“
Die Qualen fanden kein Ende. Es schien, als würde man ihr jede Muskelfaser, jede Sehne, jede Ader zerstückeln, braten, rädern und als hätten all diese Elemente ihres Körpers eigene Zungen, mit denen sie um Hilfe schrien.
Doch nur Deby hörte die Schreie, während ihre Schritte sie nach draussen trugen, an den verwunderten Augen der Gäste vorbei, hinaus, dorthin wo der Herr ihrer Glut sie haben wollte.
„Mir ist kalt“, sagte der bärtige Mann, vor dem sie sich zuvor noch geekelt hatte. Ein Teil von ihr – der Teil, der schrie – empfand nach wie vor Ekel, doch ein anderer, der Kommandierende, fühlte sich vom Manne angezogen. Was jede Zelle des anderen Teils wiederum dazu bewog, sich vor Abscheu zu winden. „Ich hätte es jetzt gerne so warm wie du.“
Sie schielte zum Brunnen, neben dem er stand. Ein Sprung in ihn würde die Hitze vielleicht ein wenig lindern. Doch da war etwas Glühendes drin, sah sie, und verwarf den Gedanken so schnell wie er ihr gekommen war.
„Ich hasse dich nicht mehr“, sagte der Mann und lächelte sie an.
Deby schaffte es, den Kopf zu schütteln und eine glutrote Träne der Verzweiflung quoll über ihre Wangen.
„Ich liebe dich schon fast“, sagte er und kam einen Schritt auf sie zu. Mittlerweile war sie an einem Punkt angelangt, an dem sie sich nach einem Herzversagen sehnte. Doch da war diese Substanz in ihr, die jedes Versagen verhinderte …
„Wollen wir Sex haben?“, schlug sie vor – oder zumindest der herrschende Teil in ihr. Der ganze Rest erbebte vor Ekel und einen Augenblick lang glaubte sie, dass sie es schaffen würde, ihr Herz zu erbrechen.
Der Mann legte ihr die Hand auf die Schulter und lachte. Es klang fast väterlich. „Das hättest du mich vor zwei Stunden nicht im Traum gefragt“, stellte er fest. „Aber keine Angst. Auf Sex mit dir verzichte ich gerne. Ohne Haare gefällst du mir nicht so sehr. Ich stand eher auf die glutrote Pracht von vorhin.“
Sie hob ihre Hand zum Kopf und spürte die letzten Reste verschmorten Haares.
Der geknechteten Deby gelang ein Winseln. Sie fragte sich, ob die Erniedrigung irgendwann ein Ende haben würde, und war erstaunt, als dieser Gedanke ihren Mund verliess.
Der alte Mann griff sich in den Bart, zupfte daran, überlegte und nickte schliesslich.
„Du hast genug gelitten“, sagte er. „Such dir einen schönen Platz zum Sterben aus. Um die Asche werd ich mich kümmern. Und vergiss nicht: Ich hab ein Plätzchen für dich reserviert.“
„Grosser Saal, untere Tribüne, vorne links“, sagte sie.
„Mein Kompliment. Du findest es im Schlaf.“ Er lächelte und verneigte sich wie ein Edelmann.
Das Mädchen erwiderte die Verneigung und machte sich von dannen.