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Glut rote Wut

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22.06.2003
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Glut rote Wut

Bei solch lauwarmem Bier war Genuss eine Kunst, doch Gogol gab sich alle Mühe. Es musste genossen werden, in kleinen Schlucken und ohne es in den Bart zu schütten, denn alles deutete darauf hin, dass er den letzten Abend hier verbrachte. Die charmante Kuckucksuhr war durch etwas Kaltes, Digitales ersetzt worden. Und mit der Kellnerin hatten sie Ähnliches getan. Gogols Geduld war auf Zehenspitzen davongeschlichen; die Beherrschung fiel ihm noch schwerer als der Genuss des Biers. Seine alte Zunge brannte. Ein Ziehen, ein Glühen an der Spitze. Wut, mochte man es nennen. Der letzte Schluck zischte in seinem Mund. Wie hiess die Neue noch? Deborah? Ja, Deby. Er zog den Aschenbecher zu sich heran und spuckte einen Klumpen glühenden Rotzes hinein. Dass er sich ihren Namen merkte, war der Ehre schon zuviel.

Gogol stellte sein Glas auf den Tisch und zündete sich eine dieser alten, kubanischen Zigarren an, die er sich für besondere Anlässe aufbewahrte. Der süsslich-pikante Rauch war ihm Trost, erinnerte ihn an seinen Vater. Ein würdevoller Herr, seinen Prinzipien treu bis ins Grab, der seinem Sohn beigebracht hatte, mit dem Feuer nicht zu spielen. Unterdessen hatte Gogol selbst das Alter umarmt und die Sehnsucht nach einer Frau, die bereit gewesen wäre, das Leben mit ihm zu teilen, hatte sich in seinen Falten versteckt. An eigene Kinder dachte er nur noch in besonders nostalgischen Momenten. Die Abende, an denen er mit seinen Freunden am Stammtisch Backgammon spielte und die Kellnerinnen – Manuela und die unzähligen davor – mit mehr oder minder originellen Sprüchen zum Lachen brachte, lagen in einer Ferne, derer er sich kaum mehr entsann. Seine Mutter hatte sich nach langem Kampf gegen das Alter dem Tod ergeben und war mit ihrem Kummer – ein Sohn, der ihr Enkelkinder verwehrte – in eine andere Welt gezogen. Gogol betrachtete seine verwitterten Hände. Als er die Linke zur Faust ballte, spannten weisse Knöchel seine Haut. Es sah aus, als würde sie gleich reissen. Er strich ein wenig Asche im Becher ab und hob den Arm zur Bestellung.

Deby liess sich ein paar Äonen lang Zeit. Seine Wünsche waren stets die letzten, die sie entgegennahm und mit demonstrativer Gleichgültigkeit erfüllte. Doch unübertroffen blieb der Clou letzter Woche: Sie hatte ihn vom Stammtisch weggewiesen! Es schien, als arbeitete sie seit längerem daran, ihn aus der Kneipe zu ekeln. Andere Gäste seiner Generation hatten bereits kampflos aufgegeben. Doch diese kleine Säuberung hatte sich die selbstsüchtige Rothaarige eine Nuance zu einfach ausgemalt. Glücklich sollte sie sich schätzen, hatte sie doch diese zauberhafte, rotlockige Pracht! Anfangs hatte das ihr herablassendes Verhalten noch entschuldigt. Bis zu jenem Tag, an dem er ihre Haarpracht gelobt und für das Kompliment nicht den Schatten eines Lächelns erhalten hatte. An diesem Tag starb das letzte bisschen Wohlwollen und wurde Wut. Es brannte wieder auf des alten Mannes Zunge. Nach einem langen, kräftigen Zug nahm er den Stumpen aus dem Mund und mischte eine weitere Daumenbreite Asche zur glühenden Brühe im Becher.

„Ja?“, fragte Deby, die Finger auf dem Tisch gespreizt.
„Bringst du mir ein Neues?“
Sie nickte und war schon fort. Eine Bestellung in aller Effizienz, kalt wie ein Auftragsmord. Weitere Fragen – nach ihrem Befinden, nach ihrer Herkunft, nach anderen Gästen – verdampften auf seiner Zunge und hinterliessen einen bitteren Nachgeschmack. Er atmete die Enttäuschung ein, wie vergangene auch, sog sie in die Lunge und führte sie in sein Blut.
Dort verwandelte sie sich in Glut.

Er sah ihr beim Zapfen eines Bieres zu, das bestimmt noch nicht seines war.
Lass dir nur Zeit, Mädchen, dachte Gogol. Du bist schon älter, als du denkst. Während sie die anderen Gäste bezirzte, musterte er abermals ihr Haar. Es war so rot, dass es schon fast flackerte. Hatte sie unten auch rotes Haar? Spross es wie Gift aus ihr hervor?
Sie brachte das Bier, doch wie immer enthielt sie ihm ihr Lächeln vor, schwirrte kalter Schulter fort und hinterliess bloss einen Hauch ihres Parfums – Blutorangen? – bei ihm. Erst ein einziges Mal hatte sie mehrere Worte an ihn vergeudet: vor einer Woche, um ihn vom Stammtisch zu fegen. Hatte ihn das gekränkt! Anfangs zumindest. Jetzt hielt er nicht mehr viel davon, ausser …

… Asche! Gogol klopfte ein wenig davon in den Aschenbecher. Manuela war tausend Mal besser gewesen. Nicht so rot, nicht so tief im Ausschnitt, dafür mit Herz.
Ein Mensch zum Gernhaben.
Ein Mensch zum Lieben.
Ein Mensch, den Menschen nahe.
Hätte sie nicht geheiratet, wäre Manuela die perfekte Frau geblieben. Die Ehe war ihr einziger Fehler gewesen.

Erneut zog Gogol den Aschenbecher zu sich und spuckte hinein. Bald war es soweit. Jetzt brauchte er nur noch Bier und Zigarre zu geniessen und danach würde das Spiel beginnen.

*

Der eklige, alte Sack hatte seine Hand wieder erhoben und starrte im Schatten seiner Dickicht-Brauen zu ihr herunter. Er musterte sie von oben bis unten und wieder nach oben. Widerlich! Jede Wette, er geiferte in seinen zerzausten Bart hinein. Konnte der sich sein Bier nicht anderswo holen?
Er war jeden Abend hier und jeder davon war einer zuviel. Begriff er nicht, dass er nicht mehr willkommen war? Wie lange musste sie noch die Unfreundliche spielen? Hoffentlich bezahlte er bald seine Zeche, verschwand und stürzte irgendwo auf dem Nachhauseweg in einen Graben. Bestünde da nicht das Risiko unerwarteter Aggressionen, hätte Deby dem Typen längst eine Überdosis Alkohol verabreicht. Unlängst hatte sie gar mit dem Gedanken sympathisiert, ihm etwas Letales ins Bier zu mischen. Aber das ging dann wohl doch einen Schritt zu weit – und hinterliess Spuren.

„Bezahlen?“, fragte Deby. Sie hielt das dicke Portefeuille bereits in der Hand. Sie war nicht hier, um eine weitere Bestellung entgegenzunehmen. Geschweige denn ein Kompliment bezüglich ihrer Haare.
„Ich bezahle nicht“, murrte der alte Mann in seinen Bart, sodass sie sich kurz fragte, ob die Antwort wirklich ihr galt.
„Wie bitte?“
Deby fragte sich, ob der Mann seine Mutter jemals gekannt hatte. Die Manieren deuteten auf das Gegenteil. War er ein altes Waisenkind? Ein armer Schlucker, für den sie vielleicht Mitleid empfunden hätte, beherrschte nicht schon Abscheu ihre Gefühle?
„Ich sitze schon den halben Tag hier, mein Aschenbecher läuft über und Sie verschwenden keinen Gedanken daran, ihn zu leeren“, sagte das Waisenkind.
„Das tut mir unglaublich leid“, meinte sie und widerstand der Versuchung, mit den Händen die Weinende zu mimen. „Aber ihr Bier müssen Sie dennoch bezahlen.“
„Ich bezahle nicht“, wiederholte der alte Mann.
Sie griff sich an die Stirn. Wie warm es hier war! Wenn sie mit dem Typen fertig war, würde sie kurz ein Fenster öffnen.
„Das sehe ich anders.“
Er schüttelte den Kopf wie ein trotziges Kind.
„Wollen Sie vom Türsteher dazu aufgefordert werden oder reicht es, wenn ich Sie darum bitte?“, fragte sie.
„Ach lassen Sie den armen Paul in Ruhe“, sagte er, einen Finger mahnend erhoben. Vom trotzigen Kind war nicht mehr viel zu sehen.
„Machen Sie keine Probleme, dann machen wir auch keine“, sagte Deby, bemüht selbstsicher.
„Gut“, sagte der alte Mann und lächelte. „Wie viel bin ich Ihnen schuldig?“, meinte er.
„Sehen Sie, wir können auch vernünftig sein“, sagte Deby, öffnete das Portefeuille und rechnete den Betrag zusammen. „Achtzehn sechzig.“
Er fischte in seinem Hosensack nach Geld und gab ihr schliesslich siebzehn. „Das genügt schon“, meinte er.
„Nein. Es fehlen eins-sechzig“, sagte sie.
„Vergessen Sie’s“, sagte er. „Das hätte ich nicht einmal am Stammtisch bezahlt.“
„Eins-sechzig“, sagte sie und fühlte, wie der Mann ihre Geduld in Stücke riss. „Die Preise sind überall gleich.“
„Das Trinkgeld bestimme ich. Der Service war jämmerlich und das Bier lauwarm. Deswegen der Abzug.“
„Gleich reicht’s!“, drohte sie.
Wieder erhob er seinen zerknitterten, mahnenden Finger.
„Haben sie sich schon Gedanken über ihr Leben nach dem Tod gemacht?“, fragte er.
Sie war baff. Was sollte der Scheiss? Es wäre vielleicht doch besser, sie holte Paul. Der war für diese Sorte Gäste zuständig. Sie schob die Münzen ins Portefeuille, klappte es zu und warf dem Alten einen Blick zu, der ihre Meinung über ihn enthielt. Dann machte sie sich kochend vor Wut davon.
Zu ihrem zusätzlichen Ärger war Paul gerade dabei, mit einem jungen Teenagerpaar zu diskutieren. Sie würde also erst später auf ihn zurückgreifen können. Deby ging hinter die Theke, warf einen Blick zum Alten – nicht, dass er ihr noch entflog – und gönnte sich einen bitter notwendigen Schluck Wasser. Dann griff sie zum Gästebuch, um den mehr als fälligen Eintrag vorzunehmen.
Da stand der Einzutragende plötzlich vor ihr.
„Hier die eins-sechzig“, sagte er und liess eine Handvoll Münzen auf die Theke fallen. Der Mann war so eklig, dass es sie anwiderte, die Münzen aufzunehmen.
„Gut“, sagte sie. „Wie ist ihr Name?“
„Gogol.“
„Ich werde Sie in diese Liste eintragen. Sie haben Hausverbot.“
Irgendetwas regte sich in den Augen des alten Mannes. Ein Funken Wut? Eine Träne? Das Hausverbot liess ihn nicht kalt. Deby gab sich Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.
„Die Mühe hätten Sie sich nicht machen müssen“, sagte er. „Es war ohnehin mein letzter Abend hier.“
Sie nickte, ohne ihn direkt anzuschauen. Dazu widerte sie der Typ zu sehr an. „Dann verstehen wir uns ja bestens“, sagte sie.
„Ich habe Ihnen ein Plätzchen reserviert“, sagte er. „Im grossen Saal auf der unteren Tribüne vorne links. Merken Sie sich das: Grosser Saal. Untere Tribüne. Vorne links.“
„Wovon reden Sie?“, fragte sie. Sie hatte keine Ahnung, worauf der Typ hinauswollte, wünschte ihn sich aber schleunigst vom Hals.
„Von der Hölle.“

*

Als Gogol die Bar verliess, war ihm kalt. Doch lag es nicht an der sternenklaren Nacht, die ihn empfing, nicht am kühlen Dezemberwind. Es lag an der Ruhe, die ihn erfüllte, an der Zufriedenheit. Er hatte die letzte Glut aus sich hinausgespuckt; die Enttäuschung, den Frust, die Wut. Nun trug er nur noch Narben, die verheilten. Er spürte es; bald kam auch seine Zeit.

Vor einem stillen Brunnen hielt er an und schaute ins Wasser. Warmer Speichel sammelte sich auf seiner Zunge.
„Zeig mir die Glut“, sagte er und spuckte in die Mitte des Wassers. „Zeig sie mir.“
Wellen breiteten sich bis an den Rand des Brunnens aus, das Wasser verlor an Klarheit, hie und da zischte und dampfte es an der Oberfläche, Umrisse zeichneten sich in der Tiefe ab und in der Mitte des Brunnens entstand ein kleines, intensives Glühen, eingebettet in einen Becher aus Glas.

Die Glut war in Bewegung. Die Asche nahm Formen an. Ein Teil streckte sich in die Höhe.
„Still!“, befahl Gogol. Da kam eine Hand. Eine wohlbekannte Hand. Er hatte sich öfter gefragt, wie sie aussehen würde; glühend rot wie das Haar.
Die Glut hatte seinen Befehl befolgt, hatte sich diskret ins Innere zurückgezogen und hielt den Atem an.
Nun griff die Hand nach dem Aschenbecher. Der Mittelfinger, beringt, war der erste, der ihn berührte.
„Jetzt“, flüsterte Gogol. Daraufhin erklang ein herzerweichender Schrei, dass das Brunnenwasser nochmals Wellen schlug und der Meister der Glut das Geschehen nahezu aus den Augen verlor.
„Zeig mir ihre Qual“, sagte Gogol, der sich die Arme vor Kälte eng am Körper verschränkt hielt.

*

Was in diesem Moment genau geschah, wusste der Teufel. Sie hatte den Tisch des ekligen, bärtigen Mannes mit einem feuchten Lumpen geputzt – vorher würde sie keinen Gast an ihm Platz nehmen lassen – und anschliessend nach dem Aschenbecher gegriffen. Als Erstes sah sie, dass er randvoll war. Den hatte sie offensichtlich etwas vernachlässigt. Als Zweites spürte sie einen stechenden Schmerz, den sie im ersten Augenblick der Hitze des Glases zuschreiben wollte. Sofort riss sie die Hand zurück.
Der Aschenbecher kam mit. Randvoll, nach wie vor, doch nicht mehr mit staubiger Asche, sondern einer glühenden Brühe. Ein Stück dieser Brühe war übergeschwappt und hatte ihren Mittelfinger erfasst. Es dampfte und roch nach verbranntem Fleisch. Sie schrie sich die Seele vom Leib. Der Schmerz fühlte sich an, als würde jemand einen langen, dicken Nagel in ihren Finger schlagen.
Sie versuchte diesen Wahnsinn abzuschütteln, doch der einzige Arm, der in ihrem Panikanfall durch die Luft wirbelte, war der linke. Der rechte verharrte starr, dem Eindringen der Hitze gegenüber ohnmächtig. Die Glut drückte sich durch Debys Fleisch und erreichte das Zentrum ihrer Hand. Ihr Schrei erklomm währenddessen Oktaven, die kein Mensch mehr hörte, ihrem Verstand jedoch das Trommelfell durchlöcherte.
Die Intuition war nicht das, worauf sich Deby im täglichen Leben zu verlassen pflegte, doch in diesem Moment war es die letzte Entscheidungsinstanz ihres Geistes, während der Rest in Panik das Weite suchte.
Die Intuition bewog ihre linke Hand dazu, nach dem Aschenbecher zu greifen, um ihn von der rechten Hand loszuzerren. Ein unverzeihlicher Fehler. Sogleich wurden ihr auch in Zeigefinger und Ringfinger der linken Hand glühende Nägel getrieben. Im rechten Arm hatte sich die Hitze mitunter bis über den Ellbogen hinweg verbreitet und ihr kochendes Blut trug es, von ihrem immer rasenderen Herzschlag getrieben, weiter nach oben. Schon bald war das Schreien ihr einziger Widerstand.

Plötzlich stand Paul neben ihr.
„Was ist los?“, fragte er.
„Hilf mir!“, wollte sie brüllen, doch ihre Zunge war längst glühender Brei.

*

„Sprich!“, hauchte Gogol. Aus den Augen der Kellnerin blitzte seine Glut, ihr rotes Haar schimmerte, aus ihren Fingern tropften Funken.
Die Glut formte sich zur Zunge, zwang die Kiefer auseinander, setzte die Stimmbänder in Bewegung.

*

„Schon gut, Paul“, hörte sich Deby sagen, während ihre Hand den leeren Aschenbecher auf den Tisch legte. „Hab mich soeben verbrannt. Nichts Schlimmes.“
„Sicher?“, fragte dieser, und Deby, von Schmerzen in jeder einzelnen Zelle gemartert, erflehte ihn in Gedanken, ihr nicht zu glauben. „Dein Schrei klang entsetzlich.“
Nicht ganz so entsetzlich wie es ist.
„Ein Überraschungsschrei, nichts Weiteres. Kannst du dich kurz um die Gäste kümmern, während ich mich umsorge?“

Die Qualen fanden kein Ende. Es schien, als würde man ihr jede Muskelfaser, jede Sehne, jede Ader zerstückeln, braten, rädern und als hätten all diese Elemente ihres Körpers eigene Zungen, mit denen sie um Hilfe schrien.
Doch nur Deby hörte die Schreie, während ihre Schritte sie nach draussen trugen, an den verwunderten Augen der Gäste vorbei, hinaus, dorthin wo der Herr ihrer Glut sie haben wollte.

„Mir ist kalt“, sagte der bärtige Mann, vor dem sie sich zuvor noch geekelt hatte. Ein Teil von ihr – der Teil, der schrie – empfand nach wie vor Ekel, doch ein anderer, der Kommandierende, fühlte sich vom Manne angezogen. Was jede Zelle des anderen Teils wiederum dazu bewog, sich vor Abscheu zu winden. „Ich hätte es jetzt gerne so warm wie du.“
Sie schielte zum Brunnen, neben dem er stand. Ein Sprung in ihn würde die Hitze vielleicht ein wenig lindern. Doch da war etwas Glühendes drin, sah sie, und verwarf den Gedanken so schnell wie er ihr gekommen war.
„Ich hasse dich nicht mehr“, sagte der Mann und lächelte sie an.
Deby schaffte es, den Kopf zu schütteln und eine glutrote Träne der Verzweiflung quoll über ihre Wangen.
„Ich liebe dich schon fast“, sagte er und kam einen Schritt auf sie zu. Mittlerweile war sie an einem Punkt angelangt, an dem sie sich nach einem Herzversagen sehnte. Doch da war diese Substanz in ihr, die jedes Versagen verhinderte …
„Wollen wir Sex haben?“, schlug sie vor – oder zumindest der herrschende Teil in ihr. Der ganze Rest erbebte vor Ekel und einen Augenblick lang glaubte sie, dass sie es schaffen würde, ihr Herz zu erbrechen.
Der Mann legte ihr die Hand auf die Schulter und lachte. Es klang fast väterlich. „Das hättest du mich vor zwei Stunden nicht im Traum gefragt“, stellte er fest. „Aber keine Angst. Auf Sex mit dir verzichte ich gerne. Ohne Haare gefällst du mir nicht so sehr. Ich stand eher auf die glutrote Pracht von vorhin.“
Sie hob ihre Hand zum Kopf und spürte die letzten Reste verschmorten Haares.
Der geknechteten Deby gelang ein Winseln. Sie fragte sich, ob die Erniedrigung irgendwann ein Ende haben würde, und war erstaunt, als dieser Gedanke ihren Mund verliess.
Der alte Mann griff sich in den Bart, zupfte daran, überlegte und nickte schliesslich.
„Du hast genug gelitten“, sagte er. „Such dir einen schönen Platz zum Sterben aus. Um die Asche werd ich mich kümmern. Und vergiss nicht: Ich hab ein Plätzchen für dich reserviert.“
„Grosser Saal, untere Tribüne, vorne links“, sagte sie.
„Mein Kompliment. Du findest es im Schlaf.“ Er lächelte und verneigte sich wie ein Edelmann.
Das Mädchen erwiderte die Verneigung und machte sich von dannen.

 

Hallo Rueganerin!

Kennst du den Film Silent Hill?
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, es käme ein Verriss ;-). Der Film gehört mMn zum Schlechtesten, was die Gattung je hervorgebracht hat.

Umso erfreuter war ich ab der durchaus positiven Rückmeldung. Ich werde mir über deine Anmerkungen, insbesondere jener bezüglich der passenden oder unpassenden poethischen Elemente, einige Gedanken machen. Den "poethischen" Stil habe ich mehr oder weniger bewusst gewählt, fand er passe zur mysteriösen Persönlichkeit, zum Kontrast zwischen äusserer Erscheinung des Mannes mit seiner Macht und seinem Wissen. Der Stil sollte auch zwischen den Abschnitten aus der Sicht Gogols und denen aus der Sicht Debys leicht variieren. Die Deby-Abschnitte dürfen simpler sein. Werde das nochmals genau anschauen. Anmerkungen zum Stil sind mir jedenfalls immer wichtig, da ich durchaus noch in einem schreiberischen Selbstfindungsprozess stecke und der Stil, wenngleich manchmal bewusst ausgesucht, manchmal etwas gekünstelt wirkt - was er nicht sollte.

Vielen herzlichen Dank für die rasche Kritik & lg

Van

 

Hallo Van!

Obwohl Du glaub ich schon länger nichts geschrieben hast, bist Du noch ganz gut in Übung! Jedenfalls merkt man der Geschichte die Pause nicht an. :)

Sehr spannend jedenfalls, wie Du den Alten einführst, sodaß man schon richtig Mitleid mit ihm bekommt, weil die Kellnerin ihn hinausekeln will, bevor er dann zur Rache ausholt. Nur eine Kleinigkeit:

Hätte sie nicht geheiratet, wäre Manuela die perfekte Frau geblieben. Die Ehe war ihr einziger Fehler gewesen.
Da hätte ich natürlich gern (gegen Ende) auch noch gewußt, ob es ihr ebenso ergangen ist, wie Deby. Man kann es vermuten, aber es wäre schön, wenn Du noch irgendwo einen kleinen Hinweis einbaust, etwa könnte sie den Platz neben ihr bekommen haben.

Ansonsten hab ich nur ein paar Kleinigkeiten:

»Glut rote Wut«
– zusammen: Glutrote

»Es musste genossen werden, in kleinen Schlücken und ohne es in den Bart zu schütten,«
– Schlücken/schütten wirkt fast wie gereimt, würde entweder »Schlucken« oder »Schlückchen« schreiben, oder noch besser: schluckweise

»Ihm brannte die alte Zunge. Ein Ziehen, ein Glühen an der Spitze.«
– »Ihm brannte« klingt seltsam, Vorschlag: »Seine alte Zunge brannte« oder »Ein Brennen auf seiner alten Zunge.«

»die er sich für besondere Anlässe wahrte.«
aufbewahrte, verwahrte?

»die Sehnsucht nach einer Frau, die bereit gewesen wäre, sein Leben zu teilen«
– In zwei Hälften? ;) »ihr/das Leben mit ihm zu teilen«

»die Kellnerinnen – Manuela und die Unzähligen davor –«
– da es sich auf die Kellnerinnen bezieht: die unzähligen davor

»ein Sohn der ihr Kleinkinder verwehrte«
– ein Sohn, ihr
– statt »Kleinkinder« würde »Enkel(kinder)« besser passen

»Er strich ein wenig Asche im Becher ab und erhob den Arm zur Bestellung.«
– von »erhob« würde ich das »er-« weglassen

»Deby liess sich ein paar Äonen Zeit.«
– würde »ein paar Äonen lang Zeit« schreiben, liest sich besser

»Glücklich sollte sie sich schätzen, hatte sie diese zauberhafte, rotlockige Pracht!«
– würde entweder ein »immerhin« vor »hatte« oder ein »doch« vor »diese« einfügen (»immerhin hatte sie diese« oder »hatte sie doch diese«)

»Bis zum Tag, an dem er ihre Haarpracht gelobt und für’s Kompliment nicht den Schatten eines Lächelns erhalten hatte.«
– statt »zum« fände ich »zu jenem« oder »zu dem« besser
– ohne Apostroph: fürs (besser aber »für das«)

»An diesem Tag starb das letzte Bisschen Wohlwollen«
– das letzte bisschen Wohlwollen

»Er atmete die Enttäuschung ein wie Vergangene auch,«
– ein, wie vergangene auch

»sog sie in die Lunge und führte sie in sein Blut.
Dort verwandelte sie sich in Glut.«
– wieder mal ein Reim. ;) Wie wärs mit »Dort begann sie zu glühen«?

»Das Bier kam, doch wie immer enthielt sie ihm ihr Lächeln vor,«
– Man sagt zwar umgangssprachlich, daß das Bier oder das Essen kommt, und wenn die Kellnerin in einer Geschichte keine Rolle spielt, würde es auch nichts ausmachen, das so zu schreiben, aber wenn Du schon von ihr sprichst, würde ich »Sie brachte das Bier« oder »Sie kam mit dem Bier« schreiben.

»Erst einmal hatte sie mehrere Worte an ihn vergeudet: vor einer Woche, um ihn vom Stammtisch zu fegen. Hatte das ihn gekränkt!«
– »Erst einmal« kann man erst einmal falsch lesen, bevor man beim Weiterlesen draufkommt, daß »erst ein einziges Mal« gemeint ist, aber auch wegen der stärkeren Betonung würde ich das so schreiben.
– »Hatte das ihn gekränkt!« wirkt verdreht: »Hatte ihn das gekränkt!« oder »Das hatte ihn gekränkt!«

»Manuela war tausend Mal besser gewesen.«
– tausendmal

»Einen Menschen zum Gernhaben.
Einen Menschen zum Lieben.
Einen Menschen, den Menschen nahe.«
– jeweils »Ein Mensch«

»Wie lange brauchte sie noch die Unfreundliche zu spielen?«
– wäre für »musste« statt »brauchte« (dann sparst Du auch das »zu«)

»„Das sehe ich anderes.“«
– ein e zuviel: anders

»sagte Deby, bemüht selbstsicher zu wirken.«
– so würde ein Beistrich nach »bemüht« gehören, aber ich würde stattdessen »zu wirken« streichen, das ist bereits durch »bemüht« gesagt.

»Sie war blaff.«
– ohne l: baff

»Irgend etwas regte sich in den Augen des alten Mannes.«
– zusammen: Irgendetwas

»Doch lag es nicht an der sterneklaren Nacht,«
– sternenklaren

»Umrisse zeichneten sich in der Tiefe und in der Mitte des Brunnens entstand ein kleines, intensives Glühen, eingebettet in einem Becher aus Glas.«
– dem »zeichneten sich« fehlt noch ein »ab« nach »Tiefe«
– eingebettet in einen Becher

»Er hatte sich öfters gefragt, wie sie aussehen würde;«
– öfter ohne s

»hatte sich diskret ins Innere zurückgezogen, und hielt den Atem an.«
– keinen Beistrich nach »zurückgezogen«

»Als Erstes fiel ihr auf, dass er randvoll war. Den hatte sie offensichtlich etwas vernachlässigt.«
– Da er sich ja zuvor mit den Worten »Ich sitze schon den halben Tag hier, mein Aschenbecher läuft über und Sie verschwenden keinen Gedanken daran, ihn zu leeren« beschwert hat, finde ich die Überraschung hier (»fiel ihr auf«) unpassend. Da sie ihn ja sogar boshafterweise so voll werden ließ, könnte sie sich evtl. umblicken, ob auch keiner der anderen Gäste herschaut, wenn sie den für sie als Kellnerin peinlich vollen Aschenbecher wegträgt.

»Der Schmerz fühlte sich an, als würde man einen langen, dicken Nagel in ihren Finger schlagen.«
– statt »man« wäre »jemand« schöner

»doch der einzige Arm, der in ihrem Panikanfall durch die Luft wirbelte, war der Linke. Der Rechte verharrte starr,«
– der einzige Arm, … war der linke. Der rechte …

»doch in diesem Moment war es die letzte Entscheidungsinstanz ihres Körpers, während der Rest in Panik das Weite suchte.«
– Klingt, als würde der Rest des Körpers panisch das Weite suchen. Vielleicht »ihres Verstandes« oder »ihres Geistes« statt »ihres Körpers«?

»Die Intuition bewog ihre linke Hand dazu, nach dem Aschenbecher zu greifen, um ihn von der rechten Hand loszuzerren.«
– Vorschlag: Intuitiv griff sie mit der linken Hand nach dem Aschenbecher, um ihn von der rechten loszuzerren.

»Sogleich wurden ihr glühende Nägel in Zeigefinger und Ringfinger der linken Hand geschlagen.«
– hier würde ich ein »auch« oder »ebenfalls« einfügen, z.B.: Sogleich wurden ihr auch in Zeige- und Ringfinger der linken Hand glühende Nägel geschlagen. Nachdem Du aber schon vorher »schlagen« verwendet hast, könntest Du hier auch »getrieben« schreiben.

»Schon bald war der Schrei ihr einziger Widerstand.«
– würde statt »der Schrei« »(das) Schreien« schreiben

»doch da war ihre Zunge längst glühender Brei.«
– doch ihre Zunge war längst glühender Brei.

»setzte die verschonten Stimmbänder in Bewegung.«
– die verschonten Stimmbänder? Wovon verschont? :susp:

»Nichts Schlimmeres.“«
– Nichts Schlimmes (ein -er- zuviel)

»als hätten all diese Elemente ihres Körpers eine eigene Zunge, mit denen sie um Hilfe schrien.«
– Mehrzahl: eigene Zungen

»„Ich hätte jetzt gerne so warm wie du.“«
– da fehlt ein »es«: Ich hätte es …

»Mittlerweile war sie an einem Punkt angelangt, in dem sie sich nach einem Herzversagen sehnte.«
– an einem Punkt angelangt, an dem sie


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Ein grosses Danke vorerst, dein Auge für all die wertvollen Details möcht ich haben (und sollte ich es nie bekommen, wünsche ich mir einfach, dass die grosse Mehrheit meiner Leser diese Gabe auch nicht erhält, haha). Habe das Allermeiste übernommen, melde mich fürs Weitere später nochmals (wahrscheinlich im gleichen Posting).

Bis dahin freundliche Grüsse,

Van

 

Hallo Van!

Mir hat deine Geschichte gut gefallen. Vor allem die Tatsache, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen, bis ich fertig war - dein Text hat mich gefesselt, und das ist schwer. :)

Den Aufbau her fand ich gut, auch die Personen habe ich mir lebhaft vorstellen können. Nur die Motivation der Leute wird mir zwar klar, schwimmt aber ein wenig. Sie möchte ihn ja einfach nur loswerden, und er will Rache. Aber warum das mit dem Teufel? Ist er der Teufel? Dann ist er doch mächtiger und all seine Aufregung davor ist umsonst. Hat er nur seine Seele verkauft?

Es interessant, darüber nachzudenken - keine Frage. Vielleicht hätte ich mir auch einfach nur ein wenig mehr Hintergrund gewünscht, vor allem für den Gogol, damit ich ihn noch ein wenig besser fassen kann.

Schöne Grüße,

yours

 

Gogol, Gogol, da war doch was?

Hi Van Horebeke!

Eigentlich war ich mir im Klaren darüber, worauf ich mich einlasse. Ich habe ja schon einiges von dir gelesen und weiß, dass du schreiben kannst.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass du hier durchweg positive Anmerkungen kriegst, auch von mir.

Liest sich gut, die Story. Du hast so einen angenehm treibenden Stil, detailliert, aber auch vorwärtsstürmend. Und was die rueganerin sagt, kann ich für mich nicht erkennen. Gerade der erste Teil, der realistische, qausi, hat mir gut gefallen, ich war richtig ein wenig entäuscht, als die ersten phantastischen Elemente einflossen.
Obwohl es natürlich klar war, dass es in diese Richtung gehen würde, habe ich weiterlesen müssen bis zum Ende. Ging mir wie meinen Vorrednern.

Zu ihrem zusätzlichen Ärger war Paul gerade dabei, mit einer Handvoll Teenager zu diskutieren.

Durch diesen Begriff hatte ich erst den Eindruck in eine Schlägerei zu geraten, in ein Handgemenge, sozusagen. Fand ich etwas unglücklich, den Begriff, in diesem Zusammenhang. Zumal einige Sätze später dasselbe Wort noch einmal auftaucht. Wortwiederholung.

Hab mich soeben verbrannt.

Mein Gott, dem Kind sind Qualen zugefügt worden, bei denen mir vom Lesen schlecht wird. "Huch, hab mich soeben verbrannt." Genauso könnte Robespierre in seinem finalen Moment von sich gegeben haben: "Herrje, mir ist der Kopf abhanden gekommen."
Ich finde, da ließe sich mehr rausholen, wenn man realistischer arbeitete.

Aber, wie gesagt, spannend und sehr unterhaltsam. Ich hoffe, es gibt mehr davon.

Schöne Grüße von diesseits!

 

Hey Häferl zum Zweiten!

Du glaub ich schon länger nichts geschrieben hast, bist Du noch ganz gut in Übung!
Hört man gerne. Ich hatte meine nicht sonderlich produktive Phase, aber die endete Ende letzten Jahres. Bezüglich der Aktivität auf kg.de ist es halt so: Ich poste Geschichten nur, wenn mir auch genug Zeit gegeben ist, fremde Geschichten zu kommentieren und auf Kommentare einzugehen.

Manuela ist es in meiner Vorstellung ähnlich ergangen. Weniger brutal, da er weniger Wut gegen sie "mobilisieren" konnte. Bei Manuela war die Triebfeder nicht Hass oder Unsympathie, sondern das Gegenteil: Liebe. Sie nahm er aus Liebeskummer mit.
Aber das ist meine Vorstellung und die ist nicht absolut. Die Hinweise sind da, jedoch nicht zwingend, nicht bloss unilateral interpretierbar. Bewusst so. Gerade in Untergeschichtchen wie der mit Manuela lasse ich den Leser gerne selbst weiterspannen. Wenn also für dich Manuela noch leben sollte, glücklich pensioniert, dann lebt sie noch.
Ich überlege es mir dennoch, noch einen Hinweis mehr hineinzustreuen. Vielleicht bezüglich des Motivs Liebeskummer. Aber klar und deutlich sagen, was mit ihr geschah, möcht ich nicht.

»Glut rote Wut«
– zusammen: Glutrote
Ohje, ich versuche mir immer einen besonderen Titel auszudenken, aber die glückliche Hand ist mir da selten. Der "Fehler" ist bewusst. Die Glut soll nicht bloss Adjektiv sein. Das "rote" sich auf beide Substantive gleichermassen beziehen, auch visuell, nicht einem näher stehen als dem anderen. Zu lesen ist der Titel eher wie "Glut, rote Wut", aber das habe ich aus zwei Gründen unterlassen: erstens stünde dann das rote der Wut näher als der Glut, zweitens sind Kommas in Titeln verpönt, nicht?
Aber meine Lösung ist zweifelsfrei ungeschickt. Mir ist durch deinen Hinweis erst deutlich geworden, dass die meisten potentiellen Leser wohl davon ausgehen, mir wäre ein Schreibfehler unterlaufen, und wenn ein solcher schon im Titel weilt, muss der Text ja katastrophal sein. Die jetztige Umänderung in "Glutrote Wut" wirkte wie ein Eingeständnis in den Fehler (den ich nicht gemacht habe). Doch ich überlege mir Alternativen. ("Glut", "Wutrot", "Glühender Zorn", "Rotes Haar und die Wut des alten Mannes", "Aschenputtel" ... klingt einer davon gut?).

Etwas unsicher bin ich mir bezüglich der Reime. Sie stehen zwar in Verwandtschaft zu Wortwiederholungen und wirken in der Prosa etwas fremd, doch es kommt vor, dass ich sie bewusst einsetze. Gerade den mit der Wut und der Glut, um auch die inhaltliche Nähe der beiden Wörter aufzuzeigen, um die Sätze hervorzuheben, um Schwung/Rhythmus in den Text zu mischen. Wie diese bestimmte von dir zitierte Stelle wirkt, kann ich, bin dem Text zu nahe, jetzt noch nicht beurteilen. Werde noch ein wenig darüber ruhen.

Bezüglich der Überraschung beim Erblicken des vollen Aschenbechers: Das liegt daran, dass Gogol seinen glühenden Rotz und Asche der besonderen Zigarre (die ihn an seinen Vater erinnert, der Hinweisen zufolge ähnliche Fähigkeiten hatte, und daher auch Bestandteil der finalen glühenden Mischung bildet) hineingemischt hat. Sonst wäre der nicht halb so voll.

Weiter bin ich mir bei der Wortwiederholung der "Die Intuition" unschlüssig. Tendiere dazu, sie zu lassen. Eventuell ändere ich es in "Eben diese Intuition" beim zweiten Mal.

Zu allen übrigen Kritikpunkten habe ich nichts zu erwidern. Alle berechtigt, nützlich und umgesetzt. Nochmals besten Dank!

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren,

lg, Van


Hallo Yours!

Ich bin, soweit ich mich entsinne, noch nicht in den Genuss einer deiner Geschichten gekommen, doch deinen Kritiken bin ich an anderer Stelle schon begegnet und sie wirkten streng und ehrlich. Da freut es mich sehr, dich mit dieser Geschichte angesprochen zu haben. Besonders dass der Text fesselt und zügig voranzugehen scheint, ist mir sehr wichtig. Ich arbeite in neueren Geschichten regelmässig daran, nicht abzuschweifen und beim Wesentlichen zu bleiben. Häufig scheiterten geplante Kurzgeschichten daran, dass ich mich bei der 50sten Seite dabei ertappte, das Ende aus den Augen verloren und vor lauter Untergeschichten die Hauptfiguren vernachlässigt zu haben.

Der Satz mit dem Teufel ("...wusste der Teufel") ist nicht wortwörtlich gemeint, sondern mehr im Sinne, dass etwas vor sich geht, das alles andere als heilig ist, etwas Teuflisches. Aber Gogol ist nicht der Teufel. Nur einer von zahlreichen Wesen, die eine Verbindung mit der Hölle pflegen und mit gewissen Fähigkeiten ausgestattet wurden. Sein Vater lehrte ihn, mit dem Feuer "nicht zu spielen". Sprich, der Vater hatte ähnliche Fähigkeiten, war als Person wohl etwas beherrschter als Gogol. Dass er mit dem Feuer nicht spielen soll, kann (muss aber nicht) als Hinweis verstanden werden, dass er für die Hölle eine gewisse Aufgabe erfüllt und seine Opfer nicht wahllos aussucht. Es kann aber auch lediglich so verstanden werden, dass ihn der Vater ermahnt, seine Fähigkeiten zu verbergen und nicht unnötig aufzufallen. Man kann sich natürlich zum Ganzen viel mehr Gedanken machen, mach ich mir selbst auch, doch will ich nicht alles dem Leser aufdrängen. Mag selbst Geschichten oft nicht so sehr, in denen alles bis zum letzten Detail erklärt wird.

Im Moment bin ich der Geschichte noch zu nahe, mit etwas mehr Distanz werd ich sehen, ob ich dem Gogol noch mehr Gestalt geben möchte und sollte. Vielen Dank auch dir fürs Lesen und Kommentieren!

Freundliche Grüsse,

Van


Salut Hanniball!

Ich dachte, ich hätte den Namen erfunden, aber Wikipedia sagt mir, dass es da einen ukrainischen Autoren gab, der so hiess, und wohl eine ganze Reihe normalsterblicher Osteuropäer.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass du hier durchweg positive Anmerkungen kriegst, auch von mir.
Dabei bin ich manchmal selbst etwas verwundert. Zwar ist mir klar, dass meine aktuellen Produkte in keinem Vergleich zu den allerersten Texten stehen, die ich hier postete; dennoch habe ich beim Posten einer Geschichte oft noch irrationale aber beachtliche Unsicherheiten, zweifle an Originalität, Sprache und Spannung meiner Geschichten. Das Positive daran ist, dass ich mich bei positiven Rückmeldungen noch fast so sehr freue, wie beim ersten hier erhaltenen Lob.

Dass du meine Detailliebe und den vorwärtsstürmenden Stil im gleichen Satz lobst, ist für mich eines der grössten Komplimente. Weil es auch diese Gratwanderung ist, die ich beim Lesen fremder Geschichten liebe. Danke!

Die Handvoll-Anmerkung ist eine interessante und absolut zutreffende. Wäre mir nicht so bewusst geworden.

Bezüglich ihrer Reaktion auf die Qualen: Ich weiss nicht, ob dir ein Detail entgangen ist, oder ob du trotz des Details die Reaktion für unglaubwürdig hältst. Jedenfalls sind es nicht mehr Debys eigene Worte, ist es nicht mehr ihr eigener Wille, mit dem sie spricht. Zu dem Zeitpunkt ist sie bereits geknechtet, die ursprüngliche Zunge zerbrüht und ein Ersatz mittels der glühenden, quasi-organischen Substanz geschaffen worden. Sie möchte Paul um welche Hilfe auch immer bitten, doch sie kann nicht mehr. Gogol befiehlt seiner Glut zu sprechen und sie spricht.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Freundliche Grüsse,

Der Rückkehrer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Van!

Wow, brutale Geschichte. Wie soll ich sagen. Das ist wahrscheinlich ein Stil, wie er nach Jahren auf KG.de geformt wird. So stelle ich mir die oberste Stufe der Evolution vor, die man hier durchmachen kann. Kein Satz enthält eine gewöhnliche Floskel oder eine abgenutzte Metapher. Jeder Satz ist einzigartig in seinen Akzenten und in der Spezifität seines Ausdrucks und dennoch konnte ich dem Inhalt mühelos und flüssig folgen. Die Figuren und Dialoge sind höchstrealistisch, der Horror ist tatsächlich schrecklich und am Ende war die Geschichte im Gesamten rund. Kennst du Czardas von Vittorio Monti, ein berühmtes Violinsolo? Das ist ein typisches "Angeberstück", mit dem gute Geigenspieler gerne mal Eindruck schinden. Diese Geschichte von dir ist in meinen Augen sowas wie ein literarisches Analogon zu Czardas.

Nur gibt es leider ein Problem: Es ist zu bunt in seiner sprachlichen Ausdruckskraft. Es ist so vielseitig, dass einem schwindelig wird. Ich würd gerne schlafen mit Keeley Hazell oder mit Eva Mendez, aber den ganzen FHM-Kalender der 100 sexiest Women alive würde mein gutes Stück nicht verkraften. Wenn man alle Farben miteinander mischt, entsteht braun, bei dir ist zwar nicht braun entstanden, aber es stechen leider auch keine einzelnen Farben mehr heraus.
Wenn ich eine Geschichte lese, will ich drei oder vier "Da-macht-es-bei-mir-Klick"-Erlebnisse, fünf sind noch besser, aber wenn jeder Satz Klick macht, hör ich nur noch das weiße Rauschen.

Außerdem steht der perfektionierte Stil unverhältnismäßig zum Inhalt, der zwar souverän ausgearbeitet ist, aber in dieser extravaganten stilistischen Ummantelung sieht er aus wie eine Frau, die ausgehbereit zum Karneval ist. Das Kostüm stielt dem Inhalt die Schau.

Einbisschen mehr Schlichtheit könnte dem Schreibstil gut tun. Gewöhnlichere Formulierungen, die das Ohr gewohnt ist, können ruhig mal auch die Geistesblitze ablösen.

Es gibt sogar Stellen, an denen du dich selber austrickst, dadurch dass du so gut schreiben willst, hier: - also ich such noch die Stellen raus und kopier sie in diesen Kommentar rein!

Ein ehrgeiziges, tüchtiges Stück, dass du hier geschrieben hast. Leider vermisse ich bodenständige, solide Erzählkunst, die durch Tiefe und durch die Begeisterungsfähigkeit des Autoren selbst, faszinierenden Themen und Ideen fesselt, statt durch zur Schau getragenem Geist! Und wo sind die leisen, humorvollen Töne, die man ab und zu wie eine gelegentliche Zigarette braucht? Perfektion allein macht die Suppe noch nicht salzig.


(War trotzdem ne perfekte Geschichte ;) )
Thrombin

 

Hi Van,
natürlich freut es auch mich, von dir hier etwas lesen zu können. Enttäuscht wurde ich ebenfalls nicht, obwohl ich mich deinen eigenen Zweifeln ein wenig anschileßen möchte, dass die Originalität doch nur rudimentär vorhanden ist. ;)
Eine für deine Verhältnisse (sofern ich das sagen darf, die letzte Horrorstory ist ja schon eine Zeit lang her, die ich von dir lesen durfte) relativ kurze Geschichte, die Charakterisierung schaffst du genauso weit, wie sie nötig ist.
Bunt finde ich die Geschichte jedoch nicht in ihrer Sprache oder ihrem Stil, meines Erachtens bleibst du stetig auf demselben Niveau.

Hat mir gefallen, aber auf die Knie falle ich vorerst noch nicht. :)

Liebe Grüße
Tamira

 

Hallo,

auf den Text trifft "Do simple Things well" zu, finde ich. Also die Handlung passt ja auf einen Bierdeckel und nach den ersten Absätzen ist klar: An dem Mann ist mehr dran, als es den Anschein hat, und man spaßt nicht mit ihm.
Die Rache vollzieht sich dann ohne irgendwelche Hindernisse, so wie früher die "Seltsam, aber so steht es geschrieben"-Gespenstergeschichten-Comics.

Sind 2 Sachen, die mich ein bisschen gestört haben. Zum einen, direkt wenn in die Kellnerin gewechselt wird, tauchen sehr gestochene Worte auf, das ist nur beim ersten Wechsel und da auch nur am Anfang:
"Bestünde da nicht das Risiko", "etwas Letales" - da hätte ich es besser gefunden, wenn die Erzählstimme stärker von der Perspektivträgerin gefärbt wäre.
Und, was mir noch aufgefallen ist, ich würde eine dritte, "stärkere" Figur einbauen, nicht Paul, den Türsteher, sondern eher Paul, den Wirt. Der sie vielleicht sogar vor dem Mann warnt, die Komponente, natürlich auch klassisch, würde der Geschichte etwas mehr Fülle verleihen. Es ist schon echt wenig an ihr dran, aber das Wenige wird sehr gut verkauft und präsentiert.

Ich hab's wirklich gerne gelesen, mich keinen Satz lang gelangweilt oder bin abgeschweift, sondern war es wirklich mal ein Lesegenuß.
Quinn

 

So, Bachelorarbeit unter Dach und Fach, bin wieder hier!

Hey Thrombin!

Vielen Dank für den äusserst positiven Kommentar. Freut mich, hast du dich mit meinem Stil anfreunden können, auch wenn dir ein wenig mehr Humor und Salz wünschenswert schienen.

So stelle ich mir die oberste Stufe der Evolution vor, die man hier durchmachen kann. Kein Satz enthält eine gewöhnliche Floskel oder eine abgenutzte Metapher.
Letzteres strebe ich grundsätzlich an. Wenn Metaphern, dann originelle. In dieser mag es mir durchaus besser gelungen sein, als auch schon. Ersteres hört sich zwar sehr gut an, müsste ich angesichts einiger Ausnahmetalente hier dennoch bezweifeln. Ich hab (hoffentlich) noch ein paar Jahre der Fortschritte vor mir. Bereits oben angekommen zu sein, wäre in meinem Alter der wahrhaftige Horror.

Auch wenn ich es bei der Kürze dieser Geschichte nach wie vor für richtig halte, in möglichst jedem Satz etwas zu bieten, kann ich dir versprechen, dass ich nicht nur so schreibe. Besonders bei längeren Geschichten und vertiefteren Charakterisierungen wirst du durchaus mal die hier vermisste bodenständige Erzählkunst antreffen. Auch versuche ich Bilder nicht nur an ihrer Originalität zu messen, sondern möglichst so einzusetzen, dass man sie ohne zusätzlichen Anstrengungen versteht.

Also nochmals vielen Dank, wir lesen uns!

Van

PS: Den Czardas kannte ich nicht, hab ihn mir aufgrund deines Kommentars natürlich anhören müssen. Klingt gut, klingt gut.


Hey Tamira

Schön hast du mein Horror-"Comeback" gelesen, ein Kommentar deinerseits freut mich natürlich immer sehr. Die Originalität habe ich mir natürlich für Kommendes aufgespart, das Rudimentäre dann aber möglichst schön verziert, aber du bist nicht darauf reingefallen und hast die Knochen trotzdem gesehen. ;-)

Schön hat's dir gefallen. Ob du beim nächsten Mal auf die Knie fällst, kann ich nicht versprechen, aber dass es nicht mein letztes Produkt war auf jeden Fall.

Vielen Dank auch dir!


Hey Quinn,

auf den Text trifft "Do simple Things well" zu, finde ich.
Womit deine Einschätzung etwa der Tamiras und meiner eigenen entspricht.

Mit deiner Bemerkung bezüglich der Erzählstimme hast du Recht. Heute werde ich noch keine Änderungen vornehmen, weil es mir so kurz nach der Bachelorarbeit an der Schreibgier fehlt, aber sobald ich diesen Text wieder in die Hand nehme, gehört das zu den To-Do-Punkten.

Hätte ich mehr Spannung schaffen wollen, wäre eine dritte starke Figur natürlich ideal gewesen. Eine die immer wieder dezente Warnungen einstreut. Nur hatte ich mir die Geschichte von Anfang an als eine ziemlich gnadenlose und für das Opfer hoffnungslose ausgemalt. Ursprünglich hätte sie sogar noch viel kürzer werden sollen; kein Paul, keine Manuela. Auch aus dem Grund, weil dies in den letzten Jahren oft mein Problem war: Ich konnte mich nie kurz fassen und wich viel zu oft vom Ursprungskonzept ab.
Hier wollte ich mich selbst einengen. Keine dritten interessanten Figuren, die mich plötzlich zwingen, die Geschichte um etliche Seiten zu erweitern.

Freut mich, hat dich im Übrigen mein Schreibstil gepackt, vielen Dank auch dir fürs Lesen und Kommentieren.

Van

 

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