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Gott würfelt nicht
Zaki schrak auf, als es an seiner Tür klopfte.
„Was ist?“, rief er und verstaute seine Werkstücke unter ein paar Blättern.
„Komm raus, Zaki! Wir wollen jagen!“, kam es zurück.
„Nein, geht ohne mich, ich fühle mich nicht besonders!“
Er fühlte sich wirklich nicht gut. Der Regen hatte zwar etwas nachgelassen, aber der Regenwald war zu stickig. Zumindest für ihn.
„Na gut, wir sehen uns am Abend, Zaki!“
Die jungen Männer lachten und scherzten, als sie loszogen.
Zaki wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff wieder nach seiner Arbeit.
Seit er vor einer Woche eine Entdeckung gemacht hatte, war er kaum aus der Hütte gekommen.
Sie hatten ein paar Affen gehäutet und am Spieß ins Feuer gestellt.
Die Sitzung der Männer war immer eine gigantische Selbstbeweihräucherung und das Langweiligste, was Zaki regelmäßig über sich ergehen lassen musste.
Um das Ganze noch zu verschärfen hatte er den fettesten Affen bekommen.
So sah er zu wie sein Affe tropfte und sich strikt weigerte gar zu werden.
Ein plötzliches Fauchen ließ ihn hochschrecken.
Sein Abendbrot war auf das Dreifache angeschwollen und entlüftete seinen Darm.
Das passierte öfters und führte unter den jüngsten Jägern zu großer Erheiterung.
Aber dieses Mal war es anders. Ein Blatt war auf den Hintern des Affen gefallen und wurde wie ein Pfeil in die Luft geschleudert.
In Zakis Kopf rauschte es. Vor seinem geistigen Auge bildete sich das Bild eines Affenmagens der mit Wasser gefüllt, bei enormer Erhitzung und notwendiger Isolierung sehr konzentriert Dampf freisetzte. Er sprang auf und lief in seine Hütte.
Nun saß er da, drehte den Tontopf, an dem feine Fäden zusammengenähte Schlangenhäute hielten, in seinen Händen und seufzte.
Der Erfinder stand auf, schlüpfte vor die Tür und verschwand in den Wald.
Es war Vollmond und wie immer ein Grund zu Feiern.
Das Feuer in der Mitte des Dorfplatzes brannte mannshoch, während die Frauen das Fleisch vorbereiteten.
Die Ältesten hatten sich etwas abseits versammelt und besprachen die Initiation der neuen Jäger.
Zaki war voller Freude. Seine Erfindung war fertig und bereit der kleinen Gemeinschaft den Atem zu rauben.
„Hei Zaki!“, lallte es hinter ihm, „komm her! Trink mit mir!“.
Goio lehnte elegant alkoholisiert an einem Baum und schnippte zu den Rhythmen der Trommler.
„Und? In letzter Zeit etwas unaufmerksam, wie?“, provozierte er den ewig ungeschickten Jäger.
„Nein, nein! Du weißt, die Geschichte mit Aila geht mir nicht aus dem Sinn!“, log der Angesprochene.
„Ach, mach dir nichts draus! Besser ein fetter Affe am Spieß, als die Tochter des Häuptlings im Bett! Ist sowieso kein großer Unterschied!“
Das dreckige Grinsen des Medizinmannes sprach Bände.
Zaki griff nach ein paar gährenden Beeren und stopfte sie in den Mund.
Sein Lampenfieber sank.
Lautes Kreischen der Frauen und Trommelwirbel ließen die zwei bunt bemalten Jünglinge in die Mitte der Ältesten treten.
„Los geht’s!“, sagte Goio, griff nach seinem Steinmesser und marschierte los.
Irgendwie hatte Zaki dass Gefühl, dass dieser Ritus auch dieses Mal wieder in großem Geschrei und Gejammer enden würde, denn der Medizinmann ließ sein Beschneidungswerkzeug dreimal auf dem Weg zur Zeremonie fallen.
Auf alle Fälle würde es den Jungen den Rundtanz um das Feuer erleichtern.
Es vergingen zwei Stunden, bis der Ältestenrat zu Allfälligem am Ende des offiziellen Teils kam.
Häuptling Thaki stand auf und stellte die traditionelle Frage: „Was gibt’s sonst noch?“
Zaki trat mit seiner Erfindung vor und erklärt: „Liebe Gemeinde! Ich darf euch hier meine Erfindung zeigen, die eine neue Ära einleiten wird!“.
Mit diesen Worten nahm er ein Stück Kohle, warf es in das vorgewärmte Wasser und ließ nach einigen Minuten seinen Ballon steigen.
Die staunenden Augen der Ältesten, das ängstliche Lachen der Frauen und die verdeckten Kinderaugen waren ihm Bestätigung genug.
Der Ballon verschwand, getragen von der Hitze der großen Feuerstelle im Urwald.
Lautes Jubelgeschrei löste die erdrückende Stille ab.
„Zaki! Zaki! Das ist wunderbar!“, rief der Häuptling, „aber sag uns, wozu ist das gut?“
Auf diesen Moment hatte der Erfinder gewartet und schilderte dem großäugigen Publikum seine Pläne bis ins kleinste Detail.
Er sprach geschlagene drei Stunden und am Ende wurde er zum „Schützer und Bewahrer der Atazi“ ernannt.
Im Großen und Ganzen enthielt seine Rede nur Lobhudeleien auf die Ältesten, was immerhin zwei Stunden füllte. Der kleine Rest beschäftigte sich mit der Möglichkeit die Jagd durch seine Konstruktion zu verbessern.
Wenn man genug dieser Geräte hätte, könnte man sie mit Gift versetzt im Wald hochsteigen lassen, die Tiere im oberen Blätterdach vergiften und alles was zu Boden fällt essen.
Der Abend endete in einer rituellen Berauschung in der Zaki doch noch zu Aila kam.
Es ist dem Menschen zu Eigen, dass er bei zu großen Entwicklungsschritten die Kontrolle verliert.
So erging es auch den Atazi.
In den folgenden Jahren stieg Zaki zu großer Macht auf.
Seine Vorschläge Jägergruppen zu spezialisieren brachte sie durch die Regenzeit. Seine Pläne zu Arbeitsteilung ermöglichte es die Kinder zu unterrichten und mehr Platz für seine Forschungen einzurichten.
Bäume wurden gefällt, der nasse Waldboden um die Hütte mit Holz belegt und die Feuerstelle neu gefasst.
Zaki hatte alles. Er hatte seine Hütte in der Dorfmitte, Sex soviel er wollte und vergorene Beeren bis der Medizinmann kam.
Natürlich hatte er auch Feinde, aber bei seinem Schutz, kostete ihn diese Sorge nur eine handvoll Beeren.
Der Häuptling und seine Freunde versuchten schon seit längerem Zaki zur Sonne zu bringen, aber seine Spezialjäger schützen ihn mit ihrem Leben.
Die Gemeinschaft blühte auf, ein paar Nachbarstämme wurden unterworfen, das Reich vergrößert sich.
Er unterrichtete seine Freunde im Umgang mit seinen Erfindungen, die wiederum andere ausbildeten.
Die gängige Währung von zwei Affen zu einem guten Bogen war schon längst überholt und der Kurs kaum mehr zu bestimmen.
Es ging den Atazi in ihrer Welt sehr, sehr gut.
Zwei Wochen vor Vollmond, war Zaki mit den Vorbereitungen zur Krönung schwer beschäftigt. Im Hauptraum seiner Hütte saßen Frauen und flochten am Umhang.
Der Abend war für das rituelle Kinderfest bereitet. Ein kleiner Einfall Zakis, um die Jüngsten im Volk an ihn zu gewöhnen.
Es gab Affenfleisch, Früchte aus den kultivierten Regionen und Berauschungsmittel aller Art.
Leider hatte er bei letzterer Errungenschaft seinen Medizinmann verloren, aber ungeheure Bewusstseinserweiterung gewonnen.
Der Erlauchte schickte ein paar Frauen nach seinen Beeren und ging ins Arbeitszimmer, wo er seine neueste Erfindung fertigbastelte.
Ein Bogen auf horizontalem Gestell. „Die Goioschleuder!“, dachte er vergnügt.
Der Tag verkroch sich im Blätterdach, als er fertig wurde.
„Edler Zaki! Wir sind soweit! Das Fest kann beginnen!“, sagte Katho und breitete den Umhang um Zakis Schultern.
Das Oberhaupt trat vor die Hütte im Blütenkranz.
Ein Getöse brach los, dass alle Tiere im näheren Umkreis rasch das Weite suchen ließ.
Beschwingt von seinen Beeren schritt er die Stufen hinab zu seinem Thron, der in langer Arbeit von den Kindern geschnitzt worden war.
Die Trommler begannen ihren hypnotischen Rhythmus zu schlagen und auf einen Wink hin, begannen die jüngeren Töchter seiner Freunde zu tanzen.
Hitze, Berauschung, Töchter mit Früchten behangen, Zaki im Ornat des Wissens.
Nach einiger Zeit rief Katho: „Kommt zusammen! Schart euch um Zaki!“.
Sein Volk kam näher und nahm in gebotenem Abstand Platz.
Zaki schaute auf die gesunden Gesichter, die starken Männer und erhob sich.
Seinen Umhang geschmeidig zurückwerfend trat er vor und hob „die Goioschleuder“ in die Höhe. Das Erwartete „ooohhhh“ und „aaaahhhh“ ließ nicht lange auf sich warten.
„Jetzt?“
„Ja, Jetzt!“
Aus dem Urwald brach ein Gruppe „Dies Irae“ singend.
Der schwitzende Mönch an der Spitze ließ laut sein „Vade retro, Satanas!“ an Jesu Lenden vorbeidonnern und bleipulvernde Geschoße durchdrangen Zakis Affenlederhemd.
Sein Pfeil wurde vom großen Feuer in den Urwald getrieben.
Lanzenbewährt drangen Soldaten aus allen Richtungen in die Gemeinschaft ein.
Frauen wurden in den Wald gezerrt, Kinder ins Feuer gestoßen und die Bibel durchschnitt die Luft.
Die Atazi versuchten Schutz um den toten Körper ihres Zaki zu finden.
In Reih und Glied marschierten die Legionäre Christi auf den Thron zu.
Der kreuztragende Mönch schrie seinen Exorzismus in Extase.
Es dauerte nicht länger als man einen Affen häutet und der heilige Friede war hergestellt.
Hinter der Hütte Zakis trat der Häuptling an seinem wimmernden Volk vorbei und tat seinen Schwur auf ein Bündel Papier.
Zakis Leichnam verbrannte im reinigenden Feuer.
Katho stieß Aila an und sagte: „Dein Großvater hatte schon recht. Egal wo wir in zehn Sommern stehen, es gibt immer einen noch stärkeren Affen!“