Was ist neu

Gute Texte verändern den, der sie liest

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Hallo Dion,

Keine Ahnung, was ich mir damals dachte – ich habe die Geschichte Körperwahn hier genannt, ohne nachdenken zu müssen oder noch einmal zu schauen, was ich in jenem Thread schrieb. Das gleiche gilt übrigens auch für Quinns Geschichte Pupur.

Wenn dir die Geschichten nach einem Jahr spontan einfallen, dann haben sie Eindruck hinterlassen, d.h. sie haben dich verändert. Wie weit oder wie tief diese Veränderung geht, das vermag ich nicht zu sagen, aber die beiden Geschichten sind sicher auf vorbereiteten, sprich weichen Boden gefallen, so dass die Eindrücke tiefer waren, als wenn ich von diesen Dingen keine Ahnung gehabt hätte – in einem solchen Fall wären aber wahrscheinlich sie die Bodenbereiter.


Okay, aber damit wird der Begriff der Veraenderung schon relativ schwammig, finde ich. Ich dachte, es ginge Dir tatsaechlich um ein Aha-Erlebnis, dass eine Geschichte die eigene Meinung veraendert, oder einen dazu bringt, ueber etwas nachzudenken, wozu man vielleicht noch gar keine Meinung hatte. Ich koennte auch Geschichten auf kg.de nennen, die mich beeindruckt haben und mir im Gedaechtnis geblieben sind. Ich glaube aber, dass das oft gerade der Fall war, weil sie mich eher bestaerkt als veraendert haben - weil ich mich und mein Welterleben in ihnen wiedererkannt habe. Oder weil ich mich ueber sie geaergert habe, weil sie nicht in mein Weltbild passten, ohne dass sie mich von der anderen Sicht ueberzeugen konnten. Wenn man so eine Zementierung von Bestehendem auch als Veraenderung zulassen will, bitte, aber ich weiss nicht, ob so eine terminologische Entgrenzung in der Diskussion weiterfuehrt. Du hast ja selbst gesagt, dass es Dir um "bewusste" und nicht einfach allgemeine Veraenderung, nach dem Motto "nach dem Lesen war ich aelter, mueder etc." geht.
Kannst Du Dich zum Beispiel an einen Text erinnern, wo Du schon beim Lesen dachtest "oh, da lag ich wohl falsch und muss mein Weltbild jetzt korrigieren" oder, "So habe ich darueber tatsaechlich noch nie nachgedacht"?

 
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@Dion:

Auch für dich gilt: Es ist dein Hirn, der sich hier als starker Mann aufspielt und dich solche Sätze sagen lässt.
Je älter ich werde, umso mehr denke ich, daß mein Hirn völlig schwanzgesteuert ist. :D Aber ernsthaft: Es macht mir nix vor, weil es kein von meinem Hirn seperates ich, und kein Hirn ohne mich gibt, sprich: wir sind ja keine getrennten Entitäten, die im Austausch stünden, sondern eine Einheit. (Bin kein Freund von Freuds Theorien.)

Vieles läuft instinktiv, unbewußt, wird verdrängt und kommt - evt. verändert - wieder zum Vorschein, aber in meiner Weltsicht gehören diese Prozesse zu eng zusammen, um hier Gegenspieler aufzubauen. Natürlich bescheiße ich mich mal selbst, teils unbewußt, teils bewußt aus Bequemlichkeit oder Eitelkeit, aber ich versuche, so weit wie möglich einen kritischen Überblick über meine Haltungen und Reaktionsweisen zu erlangen. Und diese ggfs. an neue Erkenntnisse anzupassen.
Und dazu dienen mir auch Texte. Anders als in einem dynamischen, schnellen Gespräch kann ich einen Text langsam angehen, zurückkehren zu einem schon gelesenen Teil, ihn hin- und herwenden und von vielen Standpunkten aus betrachten. Das ist keine rein intellektuelle, sondern damit verflochtene emotionale Angelegenheit, das möchte ich immer wieder betonen.

Und wie bist du zu dieser Haltung gekommen?
Eben nur durch Auseinandersetzung mit Ansichten (für diese Diskussion: Texte), die ich ...
* sofort zustimmend nachvollziehen kann
* die so komplex sind, daß ich erst Neugier & eine neutrale Haltung benötige, dann erst eine 'Aus-/Verwertung' stattfinden kann,
* die ich stilistisch und oder inhaltlich ablehne; die mich in meinem Weltbild fordern und mich meine Position oder meine Gefühle überdenken lassen. (Das kann, muß aber nicht zu einer Änderung führen. Jedenfalls sorgten auch solche Texte dafür, daß ich mich 'feintune' sozusagen.)

Fiktionale Texte, die mich grundlegend verändern, gehören am ehesten zur mittleren Katagorie. Texte, die etwas Anstrengung und komplexere Denkweisen erfordern. Die für das Verständnis, die Aufnahme, von mir verlangen, daß ich ganz neue Verbindungen ziehe: zwischen Wissen, aber auch zwischen bisher Erlebtem und Gefühltem. Und nur so können sich bei mir Entwicklungen auslösen lassen.
Halt wie Synapsen, die sich anders und zahlreicher verbinden, wenn der Mensch sich mit Ungewohntem beschäftigt - das gleiche findet auch statt, wenn man z.B. eine neue Sprache erlernt. Kann man wissenschaftlich nachweisen (daher vllt auch das nicht überraschende Ergebnis der Studie mit den Konservativen vs. liberalen Freidenkern). Und Texte, die komplex genug sind, können im kleinen Rahmen die gleiche Wirkung wie eine Fremdsprache haben - allein über die Sichtweise und den Stil eines Autors.
Und @feirefiz: Ich meine hier tatsächlich bewußte aha-Erlebnisse, nicht langsam schleichende Erkenntnisse, die sich dann ja nicht mehr auf einen Text/Buch festlegen ließen.

Ich bin alt genug um zu merken, daß sich alle 10 Jahre grundlegend etwas ändert. (Damit meine ich nicht, ich war erst politisch links und ende bei rechts). Ich nehme an, daß man erst eine Phase intensiveren Lernens durchmacht - auch durch Literatur gestützt. Man sucht viel Neues, Herausforderndes. Dann folgt eine Zeit des langsamen Verarbeitens, der Entwicklung. Und nach ein paar Jahren merkt man, daß die Entwicklung, die Haltungen, stagnieren, und man braucht neue/stärkere Impulse, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Was neue Facetten bringt. Oder ein komplettes Umdenken. Eine Rückkehr zu ehemals aus bestimmten Gründen Weggedrängtem (ich sage hier absichtlich nicht verdrängt, weil ich einen bewußten Prozeß meine).
Und das sind für mich dann die Phasen, die yours so schön als "Schwelle" bezeichnet hat - da funktionieren Texte als Auslöser von Veränderung besonders gut. Sie werden nicht nur konsumiert und einverleibt, sondern sie sind eine Art Katalysator, der Prozesse beschleunigt oder auch erleichert, ermöglicht.

“Lernen nicht mehr lebensnotwendig“ – wie kommst du drauf?
Strenggenommen fehlt ein "vergleichsweise". Wenn ein vorgeschichtlicher Mensch nicht lernt, wie er sich warmhält, wie er Tiere verletzt, verfolgt, tötet, wie er flüchten kann und wohin, oder sich (mit Werkzeugen) wehren, ist er flott hinüber. Heute existiert - wenn auch nicht weltweit - ein Netz, das nicht mehr survival of the fittest verlangt. Man kann existieren, ohne aktiv für seine Nahrung sorgen zu müssen (Gang in den S-Markt zählt nicht, vor allem gibt es genug Leute, die andere für sich einkaufen lassen), ohne selbst für Wärme oder Trinkwasser zu sorgen, man muß sich nichtmal aus dem Haus bewegen. Wenn dann Hobbies, Freunde und Job noch wegfallen, ist so ein Leben - ohne jetzt irgendwie blöd zu diskriminieren oder werten - vergleichsweise lernarm, bezogen auf Notwendigkeiten.

:bla: (Mein Nick kommt schließlich vom Texter einer Band names Finntroll - dem muß ich ja mal Rechnung tragen.)
Katla

Wenn wir konkrete Beispiele / Texte besprechen wollen, müssen wir vllt tatsächlich auf Bücher ausweichen - einige haben ja hier mit KGs Veränderungen nicht 'erlebt'. Andererseits fände ich auch ein Abrutschen in Bücherlisten langweilig - es sollte schon was Persönliches beschreiben können. Hm.

 

Wenn wir konkrete Beispiele / Texte besprechen wollen, müssen wir vllt tatsächlich auf Bücher ausweichen - einige haben ja hier mit KGs Veränderungen nicht 'erlebt'. Andererseits fände ich auch ein Abrutschen in Bücherlisten langweilig - es sollte schon was Persönliches beschreiben können. Hm.

Vielleicht gibt es ja noch Leute, die kg.de Beispiele fuer solche Erlebnisse haben. Ich faende es aber in beiden Faellen, bei kgs und Buechern langweilig, nur Namen zu nennen. Ich faends interessanter, den jeweiligen vorher nachher- Effekt zu beschreiben. Das waere mir auch bei Klassikern persoenlich genug

mein Nick kommt schließlich vom Texter einer Band names Finntroll - dem muß ich ja mal Rechnung tragen.
Oh, buuuuh! Ich dachte, der kommt von den Bruedern Loewenherz, von dieser Drachin da

 

Nach Remarque's "Im Westen nichts Neues" haben die Leute gesagt, nach dem Buch könne es keine Kriege mehr geben. Dem war nicht so. Das wäre auf den ersten Blick ein Argument dafür, dass Texte, dass Geschichten, die Menschheit nicht verändern können. Auf der anderen Seite hat die westliche Gesellschaft heute ein gänzlich anderes Verhältnis zum Krieg als unsere Vorfahren vor 100 Jahren noch. Der Krieg hat, gerade auch durch Geschichten, behaupte ich, viel von seinem Ruhm und Glanz früherer Zeiten verloren. Wie sollten wir davon, außer durch Geschichten, denn erfahren? Keiner von uns hat einen Krieg erlebt? Wie kommen wir zu unserer Ansicht über den Krieg denn? Haben wir uns selbst damit auseinandergesetzt, ihn unmittelbar erlebt, sind in Kriegsgebiete gereist und haben uns dann zur stillen Kontemplation darüber zurückgezogen? Oder haben wir aufgrund von Geschichten anderer unsere Schlüsse gezogen, was wir von Krieg halten? Durch einen gefiliterten Blick?
Welche Geschichten hatten unsere Vorfahren vor 100 Jahren vom Krieg gehört? Zu welchen hatten sie Zugang? Wer filterte sie vor?
DIe NSDAP ist sehr erfolgreich in den 30er Jahren gegen den Kinofilm "Im Westen nichts Neues" zu Felde gezogen. Warum wohl?

Das können gute Geschichten leisten: Sie versetzen uns oder konfrontieren uns mit Schicksalen anderer, mit Dillemata, mit moralischen Entscheidungen und Zuständen, mit denen wir uns - hoffentlich - nie selbst beschäftigen müssen und geben uns die Gelegenheit, uns damit auseinander zu setzen, mit anderen Mensch als man selbst. Wer sich davon ausklammern möchte, müsste sich aus dem Pool von Geschichten ausklammern, die letzlich unsere Zivilisation ausmachen. Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel. Zu behaupten: Ja, ich kenne zwar all die Geschichten, aber was dann damit passiert, das bestimmte allein ich, ist schlicht arrogant. Schon allen dadurch, dass man sie kennt, hat man nicht die Kontrolle darüber, in wie weit sie einen beinflussen können oder nicht. Der Munsch und der menschliche Geist sind in hohem Maße manipulierbar und Geschichten von fähigen Menschen geschrieben, wissen genau, mit welchen Bildern, mit welchen Figuren und mit welcher Sprache sie arbeiten müssen, um eine Reaktion zu erzielen. Ich glaube keinem, der sagt: Ich lasse mich von nichts beeinflussen. Das ist eine Illusion, bei der man sich selbst besser fühlt - und sogar die könnte einem von unzähligen Geschichten, mit genau dieser Aussage, eingepflanzt worden sein. Für mich ist so eine Aussage ein Zeichen von maßloser Selbstüberschätzung mit der klaren Motivation, sich von der verschmähten breiten Masse abzusetzen. Und diese Selbstdarstellung, die hier seit mehr als einer Woche wieder läuft, bestätigt mich in dieser Annahme.

Eine gute Geschichte geht nicht spurlos an einem vorbei, ob man das nun möchte, oder nicht.

 

Ich dachte, es ginge Dir tatsaechlich um ein Aha-Erlebnis, dass eine Geschichte die eigene Meinung veraendert, oder einen dazu bringt, ueber etwas nachzudenken, wozu man vielleicht noch gar keine Meinung hatte.
Nun, in diesen zwei Fällen gab es bei mir kein Aha-Erlebnis, aber ist das wirklich als Beweis einer Veränderung notwendig? Muss eine Veränderung immer eindeutig wie von schwarz auf weiß oder umgekehrt sein? Warum sollte eine Verschiebung auf der Meinungsskala oder eine Veränderung in der Meinungsintensität nicht ausreichend sein?

Kannst Du Dich zum Beispiel an einen Text erinnern, wo Du schon beim Lesen dachtest "oh, da lag ich wohl falsch und muss mein Weltbild jetzt korrigieren" oder, "So habe ich darueber tatsaechlich noch nie nachgedacht"?
Das habe ich schon erwähnt: Rodeo.

Es macht mir nix vor, weil es kein von meinem Hirn seperates ich, und kein Hirn ohne mich gibt, sprich: wir sind ja keine getrennten Entitäten, die im Austausch stünden, sondern eine Einheit. (Bin kein Freund von Freuds Theorien.)
Man muss kein Freud von Freuds Theorien sein, um zu wissen, dass es neben Verstand auch Gefühl gibt, und dass die wichtigen Entscheidungen im Leben gefühlsmäßig gefällt werden – vom sog. Bauchgefühl.

Vieles läuft instinktiv, unbewußt, wird verdrängt und kommt - evt. verändert - wieder zum Vorschein, aber in meiner Weltsicht gehören diese Prozesse zu eng zusammen, um hier Gegenspieler aufzubauen.
Da bin ich anderer Meinung: Ein von Gefühlen überwältigter Mensch kann Taten begehen, die er als kühl (rational) denkender nie begehen würde. Und andererseits gibt es Menschen, deren Maxime Ratio ist – sie erscheinen uns gefühllos und grausam, wenn sie in einer bestimmten Situation zwar das rational Richtige tun, dabei aber die Gefühle der betroffenen Menschen außeracht lassen.

Ratio wird in unserer Gesellschaft überbewertet - Albert Einstein sagte dazu: "Die Intuition ist ein göttliches Geschenk, der denkende Verstand ein treuer Diener. Es ist paradox, dass wir den Diener verehren und die göttliche Gabe entweihen."

Wenn man so will, habe ich mich bei meiner Entscheidung, hier sims und Quinns Geschichten zu nennen, auf meine Intuition verlassen. :D

Wenn wir konkrete Beispiele / Texte besprechen wollen, müssen wir vllt tatsächlich auf Bücher ausweichen - einige haben ja hier mit KGs Veränderungen nicht 'erlebt'. Andererseits fände ich auch ein Abrutschen in Bücherlisten langweilig - es sollte schon was Persönliches beschreiben können. Hm.
Ja, Bücherlisten finde ich auch langweilig - im Gegensatz zu einer Liste der kg.de-Geschichten, die nach einer gewissen Zeit von selbst entstünde.

 

Hallo Dion,

nochmal zu Deinem Link, der den Spiegel-Lesern Honig um den Bart schmiert: "Konservative sind dümmer." Wie üblich, wird die Kausalität unterstellt und nicht nachgewiesen. Es kann ja auch sein, daß ein im Weltbild gefestigter Mensch sein Gehirn wesentlich weniger trainiert, weil er es nicht ständig befragen muß, um sich zu orientieren. Womit ich die Kurve zu unserem Thread vielleicht doch noch schaffe: wer Literatur liest, um etwas neues zu erleben oder um sich zu orientieren, der steht der eigenen Neuorientierung offener gegenüber als jemand, der sich unterhalten oder bestätigen möchte. Demnach würde ich mal selbstgefällig davon ausgehen, daß in diesem Forum überdurchschnittlich viele veränderungsbereite Leser sind - und weniger dumme Konservative.

 

Der Krieg hat, gerade auch durch Geschichten, behaupte ich, viel von seinem Ruhm und Glanz früherer Zeiten verloren. Wie sollten wir davon, außer durch Geschichten, denn erfahren?
Sehr gutes Beispiel für die Wirksamkeit der Literatur.

Das können gute Geschichten leisten: Sie versetzen uns oder konfrontieren uns mit Schicksalen anderer, mit Dillemata, mit moralischen Entscheidungen und Zuständen, mit denen wir uns - hoffentlich - nie selbst beschäftigen müssen und geben uns die Gelegenheit, uns damit auseinander zu setzen, mit anderen Mensch als man selbst. Wer sich davon ausklammern möchte, müsste sich aus dem Pool von Geschichten ausklammern, die letzlich unsere Zivilisation ausmachen. Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel.
Auch da hast du absolut Recht.

Der Munsch und der menschliche Geist sind in hohem Maße manipulierbar und Geschichten von fähigen Menschen geschrieben, wissen genau, mit welchen Bildern, mit welchen Figuren und mit welcher Sprache sie arbeiten müssen, um eine Reaktion zu erzielen.
Das beste Beispiel ist der letzte Irakkrieg der Amerikaner: Eine ganze Nation ist der Lüge aufgesessen, und selbst als die Lüge offenbar wurde, hielt die Mehrheit immer noch zum Lügner Bush und wählte ihn noch einmal zum Präsidenten.

Ich glaube keinem, der sagt: Ich lasse mich von nichts beeinflussen. Das ist eine Illusion, bei der man sich selbst besser fühlt - und sogar die könnte einem von unzähligen Geschichten, mit genau dieser Aussage, eingepflanzt worden sein. Für mich ist so eine Aussage ein Zeichen von maßloser Selbstüberschätzung mit der klaren Motivation, sich von der verschmähten breiten Masse abzusetzen.
Dem könnte so sein, muss aber nicht, denn manche Leute glauben wirklich, sie wären immun, aber das nicht, um sich von der Masse abzusetzen, sondern weil sie darauf trainiert wurden, keine andere Meinung als die einmal verinnerlichte zuzulassen – ich verweise noch einmal auf die christliche oder muslimische Fundamentalisten.

Und diese Selbstdarstellung, die hier seit mehr als einer Woche wieder läuft, bestätigt mich in dieser Annahme.
Ich finde, du urteilst hier zu hart, denn so viel ich sehe, gibt es außer einem user niemand, der nicht bereit wäre, mit sich zu reden oder sich selbst ein wenig in Frage zu stellen. Darüber hinaus: Wenn man Äußerungen in diesem Thread als Selbstdarstellung tituliert, dann müsste man alle Äußerungen im Forum, die Persönliches erzählen, ebenfalls als Selbstdarstellung werten. Ich finde, ein wenig Selbstdarstellung ist in einem Gespräch kaum zu vermeiden.

Wie üblich, wird die Kausalität unterstellt und nicht nachgewiesen.
Nicht nachgewiesen? Bezweifelst du die Intelligenztestmethodik? Wenn nicht, dann verstehe ich deinen Einwand nicht, denn – Zitat aus dem Spiegel-Artikel: „Die Gruppe der Nichtreligiösen hatte mit 103 den höchsten Intelligenzquotienten, die Strenggläubigen kamen auf einen mittleren IQ von 97 - das ist ein minimaler, aber nachweisbarer Unterschied.“

Es kann ja auch sein, daß ein im Weltbild gefestigter Mensch sein Gehirn wesentlich weniger trainiert, weil er es nicht ständig befragen muß, um sich zu orientieren.
Sicher, die Flexibilität im Denken ist eine messbare Größe, die in das Ergebnis des Intelligenztests mit einfließt. Das ist eben so – oder meinst du, es wäre fairer, wenn dies bei religiösen Menschen nicht gemessen würde?

wer Literatur liest, um etwas neues zu erleben oder um sich zu orientieren, der steht der eigenen Neuorientierung offener gegenüber als jemand, der sich unterhalten oder bestätigen möchte. Demnach würde ich mal selbstgefällig davon ausgehen, daß in diesem Forum überdurchschnittlich viele veränderungsbereite Leser sind - und weniger dumme Konservative.
Ja, dem könnte so sein. Aber ich vermute, viele sind hier, um sich einfach unterhalten zu lassen – sie lesen Geschichten und fertig.

 
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Hallo Dion,
Zitat von Setnemides
Wie üblich, wird die Kausalität unterstellt und nicht nachgewiesen.
Nicht nachgewiesen? Bezweifelst du die Intelligenztestmethodik?

Nein, ich kritisiere nur die unterstellte Kausalität zwischen Intelligenz und konservativer Einstellung. Statistische Korrelationen ersetzen nie den Nachweis des kausalen Zusammenhangs. Darauf bin ich im folgenden ja noch eingegangen. Gehen die Dummen in die Kirche? Lösen sich die Intelligenten aus der Kirche? Sind die Regionen mit stärkerer Religiosität identisch mit denen geringerer Intelligenz? Liegt das an den Entwicklungsmöglichkeiten der Intelligenz in religiösen Familien? Macht glauben dumm? Macht Dummheit religiös? Sucht man religiöse Antworten, wenn der Intellekt sie nicht leisten kann? Sind Gläubige regressiv und Ungläubige progressiv? Unterstützt eine progressive Einstellung die Entwicklung der Intelligenz? Oder umgekehrt?

Solche Statistiken lösen einen Wust an unsinnigen Fragen aus. Es gibt hier eine Geschichte zum Thema: "Forschers Glück" von Friedrichard. Die hat mich nicht verändert. Was mich vielleicht ein bißchen verändert hat, war die Lektüre der Schilderung, daß in England in den 20er und 30er Jahren die Kircheneintritte exakt mit der Selbstmordrate korrelierten (in Kendall und Stuarts "Advanced Therory of Statistics"). Deutlicher kann man es kaum machen, das alles irgendwie zusammenhängt, ohne daß eine unmittelbare Kausalität besteht. Mehr dazu in der Diskussion zu Friedrichards Geschichte.- Das war jetzt wieder ziemlich kopfig, aber es löst bei mir auch in der Tiefe etwas aus - auch wissenschaftliche Lektüre kann verändern.

 

Das liegt sicher nicht an der behaupteten Fähigkeit der Veränderbarkeit, sondern nur an dem unangenehmen Geruch, der von mir ausgeht.

Sieh es doch mal so: Deine provozierenden Stellungnahmen haben eine Reihe interessanter Fragen aufgeworfen, bei denen sich niemand wirklich sicher sein kann:

Kann ich kontrollieren, was externe Informationen mit mir machen?
Was ist "ich"?
Gibt es viele davon?
Ist es ein statisches Gebilde, oder formt es sich aus verschiedenen Bewußtseinsinhalten in jedem Augenblick neu?
Kann ein Bereich dieses "ich" andere Bereiche, womöglich unbewußte, lenken?
Wenn ja, wie? Woher kommt das Ziel, woher die Mittel? Kann ich ausschließen, daß diese Lenkung fremdbestimmt ist?

Jeder behauptet sein kleines Ich auf seine Weise. Niemand möchte hier gern als alles resorbierende Qualle erscheinen, die nur nach Nahrung und Licht strebt und sich ansonsten treiben läßt.
Was Du über den Einfluß der Literatur auf Dein Bewußtsein postulierst, ist für mich eine Zielvorstellung im Umgang mit Medien:
Ich will mich nicht manipulieren lassen.
Ich prüfe Nachrichten, soweit es geht. Ich forsche nach Nachrichten, die nicht im Vordergrund stehen und das Bild ergänzen.
Ich lese Zeitungen "gegen den Strich".
Was am Ende entsteht, ist ein Bild, das sich geringfügig vom Mainstream unterscheidet; teilweise ist es ein Antibild mit einer Antihaltung, was nichts anderes ist als eine symmetrische Gegenposition: eben gerade keine unabhängige Sicht. Daß ich daran ständig arbeite, zeigen einige meiner letzten Geschichten.
Ich bin weit davon entfernt, von den Medien und ihren Absichten frei zu sein.

Bei Literatur bin ich offener, lasse mich auf das eine oder andere ein. Nach all dem Mist, der in den Medien läuft, ist es eine Wohtat, authentische Literatur zu lesen: man macht die Tür auf und läßt frische Luft herein.

Ich mache das Scheunentor zu, wenn ich spüre, daß jemand etwas mit mir machen will, so hintenrum mit der Absicht, daß ich es nicht merke. "Nicht mit mir", denke ich dann. Aber es gibt da viele Abstufungen.

 

Das liegt sicher nicht an der behaupteten Fähigkeit der Veränderbarkeit, sondern nur an dem unangenehmen Geruch, der von mir ausgeht.

Herzliche Grüße von einem Menschen (Was war das eigentlich? Auch zwei Arme, auch zwei Beine, auch zwei Augen, auch die Angewohnheit, sich morgens am Kopf zu kratzen, auch ...?)

... und der bei Anstrengung ins Schwitzen gerät, was, außer bei kleinen Kindern, zwangsläufig unangenehmen Geruch verbreitet ... ;)

 

Das ruft in mir eine Erinnerung wach, an eine Geschichte, die mich ein Stück weit verändert hat ... aber zunächst etwas anderes: ich habe vor kurzem eine Fahrt organisiert, etwa 15 Leute kamen mit und einer wäre gern auch mitgekommen, konnte es aber nicht einrichten ... einige waren wohl froh darüber, andere bedauerten es. Als ich hinterher den link für die Fotos rumgemailt habe, war derjenige auf meiner Mailinglist. Dafür wurde ich gefragt: warum hast Du denn den mit auf der Liste, den gehen die Bilder doch nichts an, er war doch gar nicht dabei...
Wir Deutschen sind gut in den Techniken der Desintegration, und je öfter diese in meiner Nähe geschehen, desto sensibler springe ich darauf an. Seit zwei Jahren schwingt dabei immer eine Geschichte in mir und verstärkt die Reaktion: "Die Steinigung des Klassentrottels" von Makita.
Merke: der Klassentrottel kann, aber er muß kein Trottel sein. Er muß auch nicht das übliche täterprovozierende Opferverhalten zeigen. Er kann stark sein, unabhängig, ein Genie oder auch nur jemand wie du und ich. Entscheidend ist nur, daß er soviel fremdes in sich trägt, daß ein gruppendynamischer Prozess in Gang kommt, in dem alle negative Energie gegen ihn gerichtet werden.
Inhaltliche Auseinandersetzungen sind eine Sache, Botschaften auf der Meta-Ebene eine andere. Wenn es heißt, es sei unmöglich, nicht zu kommunizieren, gilt das für beide Ebenen, d.h.: wenn ich eine inhaltliche Botschaft aussende, sende ich immer auch eine auf der Metaebene, besonders diesmal.
Vielleicht hätte ich dies ohne Makitas Geschichte nicht geschrieben. Es ist nicht möglich, darauf eine Antwort zu finden.

 
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... und ich wär jetzt ganz dolle an der Geschichte interessiert, und was sie bei Dir verändert hat! :)

Wir haben bisher so wenig konkrete Beispiele, an denen sich was festmachen ließe. Es geht ja nicht nur um theoretische Einsichten. Sondern um tatsächliche Entwicklungen. Ich denke, darin unterscheiden sich Sachtexte von Fiktion.

 
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Ich dachte, das hätte ich beschrieben: Makitas Geschichte sensibilisiert mich für Desintegrationsprozesse, lange bevor sie zu einer Steinigung führen, und bestärkt mich darin, vorher einzugreifen. Makitas Geschichte mußt Du schon selbst nachlesen, ich gebe jetzt keine Kurzfassung.

Ich denke, daß Veränderungen im Gefühl stattfinden und nicht in der Einsicht. Ich fühle mich betroffen, eine Geschichte verstärkt dieses Gefühl soweit, daß eine offene Reaktion öfter oder früher stattfindet. In diesem Beispiel eine emotionale Verbindung zum Opfer von Ausgrenzungen. Als Vorstufe können Polarisierungen auftreten; jeder übertreibt seinen Standpunkt, damit sich der Konflikt zuspitzt. Das kann man rational analysieren, aber das wesentliche, was dafür sorgt, daß man reagiert, ist das Gefühl für diesen Übergang. Dieser Thread bietet dafür viel Anschauungsmaterial; deswegen komme ich ja darauf.

 

Moi Set,

siehste, das finde ich so spannend an Literatur und an diesem thread: offenbar muß eine Geschichte einen (momentan) blankliegenden Nerv treffen oder eine bereits (unbewußt) begonnene Entwicklung in Gang setzen. Ich sehe keinerlei Zusammenhang zwischen Makitas Geschichte und diesem thread, nicht weil ich blind oder ihr Text besonders schlecht wäre, sondern weil ich ganz andere psychologische Zusammenhänge sehe. (Die sicher von der Beschäftigung mit anderen Texten und Menschen herrühren).

Denke auch nicht, daß irgendwas dieser Veränderungen mit einer 'objektiven' und allgemeingültigen Wahrheit zu tun haben könnte. Daher interessieren mich möglichst vielfältige Beiträge/Beispiele.

 
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Beim Lesen des Eingangspostings von Dion ist mir aufgefallen, dass eine der Geschichten, die ihn so stark beeindruckt haben (also "Purpur" und "Körperwahn") nicht empfohlen wurde. Warum eigentlich nicht?

 
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Beim Lesen des Eingangspostings von Dion ist mir aufgefallen, dass eine der Geschichten, die ihn so stark beeindruckt haben (also "Purpur" und "Körperwahn") nicht empfohlen wurde. Warum eigentlich nicht?

Weil Dions Geschmack kein Maßstab für eine Empfehlung ist. :P
Außerdem: sims Geschichte wurde empfohlen, also worauf will der Herr hinaus? :P

edit: Weil mir langweilig ist, will ich mal was sagen. Ich find dieses theoretische Gequatsche, ob Texte (die ja aus Sprache bestehen, was wiederum unmittelbar mit dem Denken zusammenhängt, was wiederum einen steuert, was wiederumm....) einen verändern, total überflüssig. Da über dieses Thema tausend Bücher gibt. Ich finde es spannender, wenn man konkrete Beispiele nennen würde, und inwiefern sie einen verändern.
Auf kg.de fällt mir leider kein Text dazu ein, aber wenn ich einen Text nennen würde, der mich irgendwo geprägt hat und meine Denkweise verändert hat, dann war das Orwells 1984 und Animal farm, die mir mal damals mein Deutschlehrer in der zehn empfohlen hat und die ich dann aber tatsächlich erst in der elf oder so gelesen habe. Natürlich war ich mir der Perversität dieser totalitären Systeme bewusst, aber das nochmal verbunden mit einem Einzelschicksal und das eben in Worte gefasst, als Text manifestiert, ist was ganz anderes. Diese abstrakte Idee wurde noch einmal greifbar.
Also, ja, Texte verändern mich, durch die Erfahrungen der Protagonisten erfahre ich etwas. Zwar betrifft mich das nicht, jedoch lässt mich das darüber nachdenken, wie ich in so einer Situation reagieren würde und warum und ob das der richtige Weg ist und ob ein anderer nicht besser wäre.
Und manche Texte bestätigen mich in dem, was ich gedacht habe, was feirefiz genannt hat. Ja, das führt vielleicht zu keiner Veränderung, aber die Bestätigung dient ja auch meiner Denkweise.
U
nd eigentlich drücke ich mich nur vor meiner Hausarbeit. :P

 

Ohne großes Geschwafel:

Von den tausenden Büchern und Geschichten, die ich gelesen habe, hat mich nur ein Buch wirklich verändert, weil ich mich vorher fälschlicherweise nie vernünftig mit der Thematik auseinandergesetzt und deshalb ein vollkommen falsches Bild aus der Zeit hatte: Jung Chan: "Wilde Schwäne".

 

Ich finde es spannender, wenn man konkrete Beispiele nennen würde, und inwiefern sie einen verändern.

Ich habe mich ja an beidem aktiv beteiligt, am Gequatsche und an den Beispielen. Dem Gequatsche konnte ich stellenweise etwas abgewinnen. Beispiele kommen gleich, zu Romanen außerhalb des Forums kann ja jeder etwas sagen, besonders, wenn man an Stelle der Veränderung danach fragt, welche Literatur einen geprägt hat: Karl May, Hermann Hesse, Max Frisch...
Aber mal ernst: Tolkien schwingt immer noch in mir und meinen Geschichten, und Mircea Eliade auch, als Gesamtheit, aber auch mit einzelnen Erzählungen wie "Nächte in Serampore". So können wir uns alle ausbreiten; es trägt wenig zur Erkenntnis bei, eher zum gegenseitigen kennenlernen, eigentlich wollen wir ja lernen, was das Besondere an den Kurzgeschichten ist, die nachhaltig wirken.

Ich starte noch einen Beitrag hierzu; vielleicht merkt es ja mal ein Leser, daß ich hier auch Geschichten aus dem Forum zitiere:
"Geh doch mal unter Menschen" von Jutta Ouwens. Warum?
Wenn man traurig oder einsam ist, reagieren die Mitmenschen meistens mit zweifelhaftem Trost nach dem Motto: Geht vorbei, mach dir nichts draus, lach mal wieder. Das ist eigentlich nur ein Ausdruck der Abwehr. Beim Betroffenen verstärkt er das Gefühl des Alleinseins. Eine gegenteilige Äußerung, die Verständnis und Mitgefühl zeight, kann dagegen erlösen und stärken. Man geht durch die Talsohle und steigt an der Hand eines verständigen Helfers wieder auf.
Geschichten, die den Leser diesen Prozess nacherleben lassen, können bei entsprechender emotionaler Dichte fast therapeutisch wirken: man sieht in den Spiegel, fällt, wird verstanden und aufgefangen, geht aus dem Drama gestärkt hervor.
Juttas Geschichte hat aus mir keinen anderen gemacht, aber sie hilft und schwingt mit, sie macht bewußt und stärkt. Ganz unmerklich verschiebt sie in einem Bereich das Gleichgewicht, führt den Leser für einen Aufgenblick ganz nah zu sich selbst, an einen Punkt, den er sonst vielleicht gern umschifft.

Eine Geschichte, die ganz schockierend eine großes Drama inszeniert, werde ich in diesem Thread wohl nicht erwähnen.

 

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