@Dion:
Auch für dich gilt: Es ist dein Hirn, der sich hier als starker Mann aufspielt und dich solche Sätze sagen lässt.
Je älter ich werde, umso mehr denke ich, daß mein Hirn völlig schwanzgesteuert ist.

Aber ernsthaft: Es macht mir nix vor, weil es kein von meinem Hirn seperates ich, und kein Hirn ohne mich gibt, sprich: wir sind ja keine getrennten Entitäten, die im Austausch stünden, sondern eine Einheit. (Bin kein Freund von Freuds Theorien.)
Vieles läuft instinktiv, unbewußt, wird verdrängt und kommt - evt. verändert - wieder zum Vorschein, aber in meiner Weltsicht gehören diese Prozesse zu eng zusammen, um hier Gegenspieler aufzubauen. Natürlich bescheiße ich mich mal selbst, teils unbewußt, teils bewußt aus Bequemlichkeit oder Eitelkeit, aber ich versuche, so weit wie möglich einen kritischen Überblick über meine Haltungen und Reaktionsweisen zu erlangen. Und diese ggfs. an neue Erkenntnisse anzupassen.
Und dazu dienen mir auch Texte. Anders als in einem dynamischen, schnellen Gespräch kann ich einen Text langsam angehen, zurückkehren zu einem schon gelesenen Teil, ihn hin- und herwenden und von vielen Standpunkten aus betrachten. Das ist keine rein intellektuelle, sondern damit verflochtene emotionale Angelegenheit, das möchte ich immer wieder betonen.
Und wie bist du zu dieser Haltung gekommen?
Eben nur durch Auseinandersetzung mit Ansichten (für diese Diskussion: Texte), die ich ...
* sofort zustimmend nachvollziehen kann
* die so komplex sind, daß ich erst Neugier & eine neutrale Haltung benötige, dann erst eine 'Aus-/Verwertung' stattfinden kann,
* die ich stilistisch und oder inhaltlich ablehne; die mich in meinem Weltbild fordern und mich meine Position oder meine Gefühle überdenken lassen. (Das kann, muß aber nicht zu einer Änderung führen. Jedenfalls sorgten auch solche Texte dafür, daß ich mich 'feintune' sozusagen.)
Fiktionale Texte, die mich grundlegend verändern, gehören am ehesten zur mittleren Katagorie. Texte, die etwas Anstrengung und komplexere Denkweisen erfordern. Die für das Verständnis, die Aufnahme, von mir verlangen, daß ich ganz neue Verbindungen ziehe: zwischen Wissen, aber auch zwischen bisher Erlebtem und Gefühltem. Und nur so können sich bei mir Entwicklungen auslösen lassen.
Halt wie Synapsen, die sich anders und zahlreicher verbinden, wenn der Mensch sich mit Ungewohntem beschäftigt - das gleiche findet auch statt, wenn man z.B. eine neue Sprache erlernt. Kann man wissenschaftlich nachweisen (daher vllt auch das nicht überraschende Ergebnis der Studie mit den Konservativen vs. liberalen Freidenkern). Und Texte, die komplex genug sind, können im kleinen Rahmen die gleiche Wirkung wie eine Fremdsprache haben - allein über die Sichtweise und den Stil eines Autors.
Und @feirefiz: Ich meine hier tatsächlich bewußte aha-Erlebnisse, nicht langsam schleichende Erkenntnisse, die sich dann ja nicht mehr auf einen Text/Buch festlegen ließen.
Ich bin alt genug um zu merken, daß sich alle 10 Jahre grundlegend etwas ändert. (Damit meine ich nicht, ich war erst politisch links und ende bei rechts). Ich nehme an, daß man erst eine Phase intensiveren Lernens durchmacht - auch durch Literatur gestützt. Man sucht viel Neues, Herausforderndes. Dann folgt eine Zeit des langsamen Verarbeitens, der Entwicklung. Und nach ein paar Jahren merkt man, daß die Entwicklung, die Haltungen, stagnieren, und man braucht neue/stärkere Impulse, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Was neue Facetten bringt. Oder ein komplettes Umdenken. Eine Rückkehr zu ehemals aus bestimmten Gründen Weggedrängtem (ich sage hier absichtlich nicht verdrängt, weil ich einen bewußten Prozeß meine).
Und das sind für mich dann die Phasen, die yours so schön als "Schwelle" bezeichnet hat - da funktionieren Texte als Auslöser von Veränderung besonders gut. Sie werden nicht nur konsumiert und einverleibt, sondern sie sind eine Art Katalysator, der Prozesse beschleunigt oder auch erleichert, ermöglicht.
“Lernen nicht mehr lebensnotwendig“ – wie kommst du drauf?
Strenggenommen fehlt ein "vergleichsweise". Wenn ein vorgeschichtlicher Mensch nicht lernt, wie er sich warmhält, wie er Tiere verletzt, verfolgt, tötet, wie er flüchten kann und wohin, oder sich (mit Werkzeugen) wehren, ist er flott hinüber. Heute existiert - wenn auch nicht weltweit - ein Netz, das nicht mehr
survival of the fittest verlangt. Man kann existieren, ohne aktiv für seine Nahrung sorgen zu müssen (Gang in den S-Markt zählt nicht, vor allem gibt es genug Leute, die andere für sich einkaufen lassen), ohne selbst für Wärme oder Trinkwasser zu sorgen, man muß sich nichtmal aus dem Haus bewegen. Wenn dann Hobbies, Freunde und Job noch wegfallen, ist so ein Leben - ohne jetzt irgendwie blöd zu diskriminieren oder werten - vergleichsweise lernarm, bezogen auf Notwendigkeiten.
(Mein Nick kommt schließlich vom Texter einer Band names Finntroll - dem muß ich ja mal Rechnung tragen.)
Katla
Wenn wir konkrete Beispiele / Texte besprechen wollen, müssen wir vllt tatsächlich auf Bücher ausweichen - einige haben ja hier mit KGs Veränderungen nicht 'erlebt'. Andererseits fände ich auch ein Abrutschen in Bücherlisten langweilig - es sollte schon was Persönliches beschreiben können. Hm.