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Hübsche, Hübsche

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16.05.2005
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Hübsche, Hübsche

Hübsche, Hübsche (ueberarbeitete Fassung)

Hübsche, Hübsche

Kalter Nebel lag wie ein Leichentuch über der Stadt. Das von der aufgehenden Sonne entfachte Feuer, das den Horizont ausleuchtete war noch nicht stark genug, die grauen Schwaden zu verdampfen.
Zu dieser frühen Stunde ging Katie Körner, von innerer Unruhe getrieben, durch eine schummrige Gasse ihres Städtchens.
Katie litt unter Schlafstörungen seit sie ihr Kind bei der Geburt verloren hatte.
Sie summte die Melodie eines Liedes, das ihre Mutter ihr oft vorgesungen hatte. Der wattige Nebel brach die Schwingungen die sich aus ihrer Kehle zwängten und gab den Tönen eine gedämpfte Note.
Sie fröstelte, da sie nur ein dünnes Sommerkleid trug und schlug die Arme um den Körper. Erinnerungen stiegen in ihr auf:
An den trügerisch glücklichen Augenblick, als sich der Streifen des Schwangerschaftstestes blau verfärbt hatte, den Moment als die Innenseite ihrer Bauchdecke sich zum ersten mal unter dem Druck eines Füßchens nach Außen wölbte, an die Panik in Karls Augen, als ihre Fruchtblase geplatzt war und der Wagen streikte.
Ihr Baby war tot zur Welt gekommen.

Katie passierte einen schemenhaften Mauervorsprung und bog in die Hauptstraße. Tränen rannen ihre Wangen herab und ein Schluchzen schüttelte sie. Ihre blonden, schulterlangen Haare, die durch die feuchte Luft ihre frisierte Form verloren hatten, nahmen die zitternden Bewegungen auf und fielen ihr ins Gesicht.
Bei der Geburt hatte es Komplikationen gegeben und dem Arzt war bei seinem hilflosen Versuch das Baby zu retten ein Fehler unterlaufen.
Im Nachhinein konnte ihr niemand erklären, worin der Fehler bestand. Nur eines spürte sie: das sie niemals mehr schwanger werden konnte.

Ihr Mann Karl hatte ihr nach einer angemessenen Zeitspanne vorsichtig zu verstehen gegeben, das es ja noch die Möglichkeit einer Adoption gab.
Er, mit dem sie sonst ein tiefes, wortloses Verständnis verband, riss damit ihre gerade anheilende Wunde auf und zum ersten Mal seitdem sie sich als Kinder im Sandkasten kennen gelernt hatten, brach sie einen Streit vom Zaun.
Konnte er nicht begreifen, dass es für eine Frau einen nicht zu ermessenden Unterschied machte, ob ein Kind in einem heranwuchs oder von einer Fremden ausgetragen worden war?
Katie erreichte die Gasse, in der ihr Haus stand. Ein hübsches Einfamilienhaus in einer Nebenstraße mit großem Garten und wie geschaffen für unbekümmert herumtobende Kinder.
Sie seufzte tief.
In einer halben Stunde würde Karl aufwachen, sich an den gedeckten Frühstückstisch setzen, flüchtig die Tageszeitung durchblättern, duschen, ankleiden und zu seiner Arbeit in der Behörde aufbrechen.
Zum Abschied hauchte er ihr stets einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Das er vor ihr, dem kinderlosen Haus und seiner Ohnmacht, mit der Situation umzugehen flüchtete war ihr bewusst, aber ihr fehlte die Kraft daran etwas zu ändern.

Einige Dutzend Schritte vor der Einfahrt zu ihrem Zuhause zog sie das Gummiband mit Tor- und Hausschlüssel vom Handgelenk.
Die Schlüssel schlugen klirrend aneinander. Als wäre dies ein lange erwartetes Signal, hob sich ein Stimmchen zu einem Geschrei empor.
Katie wischte sich die Tränen aus den Augen und blickte suchend um sich. Der Nebel schien das Schreien des Kindes nach allen Richtungen zu zerstreuen und so wäre sie beinahe über das Bastkörbchen gestolpert, das mitten auf der Straße stand.
Katie beugte sich vor, nahm das Körbchen auf und schlug die Daunendecke zurück. Was sie sah raubte ihr den Atem. Ein so wunderschönes Baby hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen.

Karl hatte, noch im Halbschlaf, seine Frau aus dem Bett steigen hören. Er wusste um ihre morgendlichen Ausflüge und es bedrückte ihn, dass er ihr nicht helfen konnte.
Auch er trauerte noch immer um ihr Kind, war aber nicht fähig, ihre Trauer zu ertragen. Deshalb verbarrikadierte er sich in seinem Büro und übernahm zusätzliche Aufträge die vom Ministerium eingingen.
Sein gegenwärtiges Projekt war sogar so interessant, dass er für Stunden konzentriert arbeiten konnte, ohne einen Gedanken an sein totes Kind und seine lebendige Frau.
Als er an das Projekt dachte, war er mit einem Mal hellwach.
Hastig spulte er seine Morgenroutine ab, ließ aber die Zeitung aus, hinterlegte seiner Frau eine hingekritzelte Nachricht, und saß bereits eine viertel Stunde später in seinem Wagen.

Karl war Statistiker und spezialisiert auf analytische Prognostik.
Sobald das seiner Behörde vorgesetzte Innenministerium eine Anfrage an seine Abteilung richtete, schwärmten seine Mitarbeiter aus, um valides Datenmaterial zu beschaffen.
Eine spezielle Arbeitsgruppe sichtete das Material und trennte Relevantes von Überflüssigem.
Karl oblag es den Datenwulst anschließend mit den passenden Werkzeugen aus dem Panoptikum der Mathematik in eine Form zu pressen und die Ergebnisse in die Sprache der Politik zu übersetzen.
Bis auf das Foto seiner Frau, das er unter die Glasplatte auf seinem Schreibtisch geschoben hatte, war sein Büro nüchtern-funktional eingerichtet. Es gab einige Aktenschränke, ein Board mit Gesetzestexten, ein Telefon und ein Computerterminal.
Der Raum war fensterlos, so musste die Neonröhre auch am Tage ihr Licht spenden.
In der Ablage stapelten sich Rundschreiben, Memos und was die Bürokratie sonst noch an Schriftstücken hervorbrachte.
Karl schaltete den Computer ein und überflog die an ihn gerichteten E-mails.
Eine Anfrage des Ministeriums bezüglich möglicher monetärer und politischer Auswirkungen einer Novellierung des Gesetzes über das Sterbegeld bei Beamten der Bundeswehrverwaltung leitete er an seinen Stellvertreter weiter.
Kleinkram.
Dann nahm er einen Ordner aus einem der Aktenschränke und machte sich an die Arbeit.
Eine Stunde später, nahm er, mit kalkweiß angelaufenem Gesicht den Telefonhörer vom Apparat und ließ sich zum Innenminister durchstellen.

Katie zögerte keinen Augenblick. Sie hob das Körbchen auf und rannte fast die letzten Meter bis zu ihrem Haus.
Sich nervös immer wieder zur Straße umsehend, fingerte sie den Schlüssel ins Schloss. Sie stieß die Tür auf, die durch den Schwung gegen die Flurgarderobe stieß. Der daraus resultierende Knall ließ sie zusammenzucken und ihr das Körbchen fast entgleiten.
Schnell trat sie ein und warf sofort die Tür hinter sich zu.
Sie trat in das große, helle Wohnzimmer und stellte das Körbchen auf den Mahagonitisch. Dann zog sie die Gardinen vor die Fenster, durch die das saftige Grün des Gartens zu sehen war.
Langsam beruhigte sie sich und mehrere Gedanken durchdrangen sie gleichzeitig. Der eine war klar und apodiktisch. „Du musst den Fund des Kindes anzeigen; es gehört Dir nicht und es zu behalten wäre Unrecht“, lautete er.
Ein anderer Gedanke war weniger klar, aber nicht weniger stark. „Wenn das Kind ausgesetzt wurde, wird es hier keiner suchen und ich kann es vielleicht doch behalten“.
Der dritte Gedanke lauerte im Hintergrund, mächtig und nur halb bewusst; er speiste seine wachsende Kraft aus dem unerschöpflichen Reservoir ihrer Emotionen.
„Ich WERDE das Kind behalten und wer es mir nehmen will, muss mich töten.“
Ein leises Weinen brachte Katie in die Realität zurück. Sie nahm das Baby behutsam aus dem Körbchen, schlug das winzige Mützchen zurück und sah das Baby an.
Unbewusst schaukelte sie mit dem Oberkörper leicht hin und her. Die beruhigenden Bewegungen ließen das Weinen verklingen und ein Lächeln zeigte sich auf dem niedlichen Gesichtchen.
Das Lächeln löste in Katies Körper eine Reihe von Prozessen aus, die sich im Einschießen von Milch in die Brustdrüsen und einem wohligen warmen Gefühl im Bauch äußerten.
„Ich werde Dich nicht weggeben.“, flüsterte sie.
Wie ein Gespenst stand auf einmal das Bild ihres Mannes vor ihr, der ihr das Baby aus den Händen zu reißen versuchte.
„Niemand wird Dich mir wegnehmen“, sagte sie, doch diesmal war ihre Stimme laut und bestimmt.
Sie erschauerte, lustvoll, und fand plötzlich nichts Anstößiges an der Überlegung, für dieses Kind notfalls anderes Leben auszulöschen. Das ihres Mannes zum Beispiel.

Der Minister empfing ihn in einem Konferenzsaal. Seine hagere Gestalt, als schemenhafter Umriss im Gegenlicht stehend, wirkte erhaben.
Er strahlte Macht gepaart mit Verantwortung aus, eine in Politikerkreisen seltene Mischung.
Als er Karl erblickte machte er einen wohlberechneten Schritt, so dass Karl sich zu zwei kleinen Schritten genötigt sah, um die ihm entgegengestreckte Hand zu schütteln.
„Setzen wir uns doch, mein Lieber“, sagte der Minister jovial und wies mit der Hand auf zwei gemütlich aussehende Ledersessel.
Karl wartete, bis der Minister Platz genommen hatte, ließ sich dann in den Sessel fallen und warf einen argwöhnischen Blick auf die nur angelehnte Saaltür.
„Herr Minister, was ich Ihnen jetzt sagen werde klingt, ich bin mir dessen nur zu bewusst, verrückt. Was ich herausgefunden habe, sprengt unsere Vorstellungskraft. Kurz und gut: Herr Minister, die Erde sieht sich mit einer Invasion aus dem Weltall konfrontiert“.
Dem Minister klappte der Mund auf, seine stahlblauen Augen funkelten fassungslos. Einen Wimpernschlag später hoben sich die faltigen Mundwinkel und aus den Tiefen seiner Kehle stieg ein kollerndes Gelächter.
Es steigerte sich kakophonisch; sein Körper bog sich unter konvulsiven Lachkrämpfen.
„Das ist gut“, keuchte er sich mühsam unter Kontrolle bringend,
„die Prognosen ihres Institutes waren ja schon oft erheiternd, aber das hier...“
Er konnte nicht weitersprechen, denn ein neuer Lachanfall schüttelte ihn.
„Herr, Minister, bei allem gebührendem Respekt, aber ich meine es bitterernst!“
Karl erschrak über die Schärfe in seiner Stimme, aber als er sah, dass der Minister ihm erstaunt den Kopf zuwandte fuhr fort.
„Vor einem Monat kam aus dem Bevölkerungsministerium eine Anfrage, ob es Indizien für eine signifikante Zunahme von Aussetzungen bei Neugeborenen gäbe.
Nach ihren Angaben sei ein ungewöhnlicher Anstieg bei Adoptionsgesuchen von, landläufig gesprochen, Findelkindern zu verzeichnen. Die zuständige Sachbearbeiterin hatte auf einem der internen Dokumente vermerkt, dass die meisten dieser Kinder ausgesprochen, hm, ungewöhnlich niedlich seien.“
Karl konnte im Augenwinkel sehen, dass der Minister interessiert die Augenbraue hob.
„Ohne Sie mit den statistischen Details zu langweilen, Herr Minister, seit etwa zehn Jahren ist die Anzahl von Findelkindern kontinuierlich bis zum heutigen Tage um das Hundertfache gestiegen!“
„Nun, mein Lieber, das erscheint mir als Begründung für eine Invasion aber ein bisschen schwach“, meinte der Minister mit leiser Ironie,
„auch wenn ich zugeben muss, dass ihr Zahlenmaterial an sich bedenkenswert ist.“
„Das ist natürlich nur die Datenbasis“, sagte Karl,
„Zusammengestellt von meinen Mitarbeitern. Wie Sie, Herr Minister, war ich am Anfang lediglich verwundert. Wissen Sie, meine prognostische Arbeit hat viel mit Intuition zu tun. Ich werde dafür bezahlt Folgen abzuschätzen.“
„Ja, aber wie habe ich dann Ihre eigenen Prognosen zu werten, die auf meinem Schreibtisch liegen?“, entgegnete der Minister erstaunt.
„Ein drittel Wissen, ein Drittel Erfahrung und ein Drittel Intuition.“, war die knappe Antwort,
„Etwas Besseres haben wir nicht, um die Folgen heutigen Handelns für die Zukunft zu erkennen.“

In diesem Moment klopfte es an die Tür. Die Aufforderung zum Eintreten nicht abwartend, trat die ältliche Chefsekretärin des Ministers in den Konferenzsaal.
„Der Kanzler auf Leitung Eins“, flötete sie.
„Wimmeln Sie Ihn ab“, der Minister winkte sie zur Tür heraus,
„Und bringen Sie mir Kaffee“.
„Sie hatten also“, setzte der Minister die Unterhaltung fort,
„eine Intuition?“
„Ja. Ich ließ die Fundorte der Babys auf einer Deutschlandkarte eingetragen. Das resultierende Muster kam mir merkwürdig bekannt vor.
Ich habe die Rasterpunkte dann mit allen militärischen, zivilen und privaten Datenbanken abgleichen lassen und wurde fündig.
In unseren Katastrophenplänen zur Eindämmung einer Pandemie gab es ein Szenario, bei dem eine Seuche keinesfalls durch Quarantäne, Abriegelung und ähnliche Maßnahmen in den Griff zu bekommen ist.“
„Unser Muster“, war der Minister ein.
Karl nickte.
Es war möglich Zugriff auf die medizinischen Datenbanken der WHO zu bekommen. Dort sind die gemeldeten Fälle von gesetzlichen Schutzimpfungen bei Adoptionen gespeichert.
Von drei Staaten, deren Erfassung solcher Fälle als vorbildhaft gilt, habe ich Karten mit den Orten der höchsten Dichte von Adoptionen erstellt und an die jeweils oberste Seuchenschutzbehörde gefaxt.“
„Ah! Heute Morgen hat mich der russische Außenminister in heller Aufregung angerufen und verlangt, dass ich unseren Spion im russischen Katastrophenministerium abziehe.“
Plötzlich verdunkelte sich seine Mine.
„Ich ahne, worauf Sie hinzielen. Es geht hier um keinen Virus, es sei denn, wir würden Sperma und Gebärmutter dafür ansehen. Aber die strategischen Punkte, um eine Bevölkerung komplett zu infiltrieren sind die Selben.“
„Sehr scharfsinnig, Herr Minister“, sagte Karl erstaunt.
„Mein Lieber, ich bin Minister, es ist mein Job Zusammenhänge zu erkennen. Die, nennen wir sie mal die Anderen, platzieren Babys, die niedlicher, hübscher, usw. sind und später werden daraus Männer, die jede Frau, verzeihen sie das hässliche Wort, befruchten und Frauen, die jeder Erdmann zu befruchten trachtet. So nach drei, vier Generationen gibt es faktisch keine urtümlichen Menschen mehr.“
Karl nickte stumm.
„Schön und gut mein Lieber. Nehmen wir einmal an, unsere Folgerungen sind richtig“,
Karl wollte auffahren, aber der Minister legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Ich glaube Ihnen, aber welche Beiweise haben Sie um die Öffentlichkeit zu überzeugen?
Ich bezweifele stark, dass meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen sich von statistischem Material überzeugen lassen. Also; haben Sie was Handfestes?“
„Nein, leider nicht.
In Asien sind sie Asiaten, in Europa Weiße, in Afrika schwarz.
Sie entsprechen zwar alle einem Schönheitsideal, sind aber an lokale Abweichungen perfekt adaptiert.
Und Ich befürchte, dass auch eine Untersuchung des Erbgutes dieser Anderen zu nichts führt.
Höchstens strukturierten „Genschrott“, der für unsere Genetiker noch nicht zu entschlüsseln ist. Ich würde es jedenfalls so machen.
Die Anderen den Zeitpunkt gut gewählt. Wir sind knapp davor genug Wissen zu besitzen, um ihr Vorhaben zu vereiteln. Aber knapp vorbei ist definitiv daneben.“
Karl hatte nichts mehr hinzuzufügen und der Minister wippte nachdenklich den Kopf.
So saßen sie beide schweigen, als der Kaffee gebracht wurde.
Schließlich sprach der Minister und er klang traurig.
„Wissen Sie, mein Lieber, als Jugendlicher habe ich massenhaft Science-Fiction-Bücher verschlungen. Was mir damals nicht in den Kopf wollte war, dass die Anderen dort immer als engelhaft gut oder grundböse auftraten. Nie standen die Anderen unter Zwängen, die eine Invasion der Erde notwendig machten, dies aber ihren Prinzipien widersprach.
Insofern habe ich heute, vielleicht, ein Antwort auf diese nie gestellte Frage erhalten.
Und es erstaunt mich nicht im Geringsten, dass sich ausgerechnet Darwins „Über die Entstehung der Arten“ als das scharfsinnigste SF-Buch erweist.
Denn ein Austausch des Menschengeschlechts durch genetisch höherwertige Wesen, höherwertig im Sinne der Anpassung natürlich, deutet darauf hin, dass nicht nur die Physik, sondern auch die Biologie im gesamten Universum ähnliche Strukturen bevorzugt.“, nachdenklich rührte er seinen Kaffee um,
„Zweifel bleiben natürlich, es kann Zufall sein und ich für meinen Teil werde versuchen, mir das einzureden. Denn jedes Handeln verbietet sich leider.
Schließlich werden sich selbst in autokratisch regierten Staaten, keine Mehrheiten finden, so hübsch-hübsche Babys umzubringen. Denn darauf läuft es hinaus.
Ich kann Ihnen nur raten, sich keines dieser Kuckuckskinder unterjubeln zu lassen und selbst so viele Kinder wie möglich in die Welt zu setzen.“
Karl schluckte.
„Meine Frau kann...“, aber da der Minister aufgesprungen war und sich anschickte den Konferenzsaal zu verlassen, verstummte er.
Gedankenverloren starrte er vor sich hin und fragte sich, weshalb der Minister so ruhig die Auslöschung der Menschheit hinnahm.
Und wie er selbst die Welt retten konnte.

Katie erwartete ihn an der Haustür. Sie hielt ein Bündel Stoff in den Armen und als Karl aus dem Wagen stieg erkannte er, dass sich das Stoffbündel bewegte.
Sprachlos starrte er seine Frau an. Sie schien verändert. Frischer, hübscher und auf eine merkwürdige Art glücklich.
„Was hast Du da?“, brachte er mühsam hervor.
„Ein Baby. Ich habe es auf der Straße gefunden.“
Ohne das Entsetzen in seinen Augen zu beachten, drehte sie sich um und ging ins Haus. Zögernd folgte er ihr.
Er legte sein Jackett ab, während seine Gedanken rasten. Als fernen Widerhall tönten die Worte des Ministers. ´Lassen Sie sich keines dieser Kuckuckskinder unterjubeln´.
Es schien, dass das bereits passiert war.
Katie saß, das Bündel Stoff mit seinem zuckenden Inhalt auf den Knien, auf der Couch und strahlte ihn an.
„Es ist ein Junge“, sagte sie.
Karl räusperte sich.
Sollte er ihr sagen, was sie da in den Armen hielt? Wusste er es denn mit absoluter Sicherheit?
Es war ein Baby und war doch Keines.
´Wie ein dreitausend Gramm schwerer Virus sieht es ja nicht aus´, dachte er und musste grinsen.
„Was willst Du mit dem Kind machen?“, fragte er.
„Wir werden es adoptieren.“, antwortete sie, ohne ihren Blick von dem rosigen Gesichtchen zu nehmen. Sie hob den Babykopf ein wenig an und nun konnte er es ebenfalls sehen.
Er atmete tief aus. Darauf war er nicht gefasst gewesen, auf dieses unirdisch niedliche Lächeln des süßen kleinen Mündchens.
Es sprach Instinkte, mütterliche, wie er staunend registrierte, bei ihm an, von denen er nicht einmal wusste, dass er solcher Gefühle fähig war.
Anstatt Katie über die mögliche Herkunft des Babys aufzuklären, sagte er nur: “Wir können es nicht behalten. Es gibt Gründe.“
Ihre Augen weiteten sich den Bruchteil einer Sekunde.
Mit ruhiger Stimme, in der unverholen eine Drohung mitschwang sagte sie „Ich gebe es nicht her. Wenn Du es nicht willst, werde ich gehen. Es ist jetzt mein Kind, dass weißt Du.“
Sie hob das Baby in die Höhe. Es zappelte vergnügt und gab Laute des Wohlbefindens von sich, die Karl unter die Haut gingen.
Mit Mühe schaffte er es, die Emotionen zurückzudrängen.
Ohne weiteres Wort flüchtete er in sein Arbeitszimmer.
Als sich der Aufruhr in seinem Körper gelegt hatte, fasste er einen Entschluss.

Katie schlief, zum ersten Mal seit der Fehlgeburt tief und ruhig.
Karl lag neben ihr und starrte in die Dunkelheit.
Er würde das Baby töten.
Leise erhob er sich und schlich sich in das Kinderzimmer.
Sein Atem ging flach, Erregung und Angst trieben ihm kalten Schweiß auf die Haut. Er beugte sich über das Körbchen, in dem das Baby lag.
Im selben Moment schlug eine emotionale Welle über ihm zusammen.
Ihm wurde die Lächerlichkeit seines Vorhabens bewusst.
Es war ja vollkommen nutzlos.
Tötete er dieses Kind kam er ins Gefängnis oder in die Irrenanstalt.
Selbst wenn es ihm gelänge ein Dutzend dieser Kuckuckskinder zu töten, würde er die Invasion nicht aufhalten, nicht einmal verzögern.
Tiefer beugte er sich über das vom Mondlicht mit einer silbernen Aureole beschenkte Körbchen.
Das Baby wälzte sich unruhig im Schlaf herum.
„Wer bist Du?“, murmelte er, „Was bist Du?“
Er dachte an Katie, die so glücklich war, dachte an die tausenden, glücklichen Frauen auf der ganzen Welt und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
War Katies Glück, war das Glück all dieser Frauen es nicht wert jedes Opfer zu bringen?
Konnte etwas, was so viel Freude brachte falsch sein?
Würde das Kind nicht als Mensch aufwachsen, unabhängig davon, was es außerdem noch war?
Das Baby zuckte mit den Beinchen und sein Näschen kräuselte sich. Auf seinem niedlichen Gesicht lag ein Lächeln.
Karl beugte sich über das Bettchen, zog die verrutschte Decke über den kleinen Körper und strich ihm mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand zärtlich über die rosafarbene Wange.

 
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ich muss mich in die Reihe derer stellen, denen der Dialog zwischen deinem Protagonisten und dem Minister wirklich gut gefallen hat. Leider ist eine Geschichte an manchen Stellen etwas langatmig und kommt im Großen und Ganzen eigentlich nie so richtig in Fahrt.

Möglicherweise käme auf die Weise eine schon tausendmal so ähnlich gelesene Geschichte heraus, aber ich hätte es insgesamt besser gefunden, wenn der Protagonist mehr Schwierigkeiten mit seiner eigenen Analyse gehabt hätte und am Schluss in einer Pointe eines Besseren belehrt worden wäre.
ist wahrscheinlich ein wenig albern, am Ende eines sicherlich ausgefeilten Plots solche Vorschläge zu machen, aber das sind eben meine Gedanken dazu. Vielleicht bin ich manchmal auch einfach gerne albern :D

ich habe die Geschichte übrigens trotzdem gerne gelesen, die hat schon auch was!

 

Hallo,

Zum Anfang erstmal eines: Eigentlich wollte ich deine Geschichte schon vorgestern lesen. Doch dann kam am Anfang DAS hier:

Kalter Nebel lag wie ein Leichentuch über der Stadt. Das von der aufgehenden Sonne entfachte Feuer, und bla und sülz und bla
Ich fand diesen Anfang so langweilig, dass ich es erstmal gelassen habe. Mir war nervlich nicht danach.
So, das erstmal dazu!

Stilistisch schreibst du sehr gut und mir sind beim Gespräch mit dem Minister auch ein paar Passagen aufgefallen, für die du sicher ein wenig recherchiert hast, wofür du bei mir schon mal ein wenig Respekt verdienst.

Die Idee an sich hatten wir in einer anderen Form hier schon mal. Und mir stellt sich jedes Mal die Frage, warum Außerirdische diesen komplizierten Weg der Invasion wählen sollten?
Warum rücken die nicht mit ihren Raumschiffen an und sagen uns, wir sollen uns verpissen? Haben wir Menschen untereinander auch gemacht, ich sag mal Invasion der Weißen und Vertreibung der Indianer. Ist doch viel einfacher, billiger und nicht so langatmig.

Na ja, wie du schon merkst, hat mich deine Story nicht gerade vom Hocker geworfen. Es hätte viel mehr daraus gemacht werden können.
Zum Beispiel der Konflikt zwischen Katie und Karl... Der war so schnell zu Ende, dass ich schon an meinem eigenen Verstand zweifelte. Jemand, der so fest von einer Alien-Invasion überzeugt ist, gibt doch in dem Gespräch um das Findelkind nicht so einfach nach.

OK, ich lass es jetzt einfach mal. Ich sag mal so: Stilistisch war es gut gelungen und einfach zu lesen.
Die Idee und Story waren nicht mein Ding.
Und der Anfang ist lahm. Kurzgeschichten sollten meiner Meinung nach immer mitten im Geschehen beginnen.

Gruß
Bantam

 

@batam

Ich fand diesen Anfang so langweilig, dass ich es erstmal gelassen habe.
Mir hat das auch nicht gefallen, aber nachdem mir so oft vorgeworfen wurde, ich wuerde gefuehllos schreiben, habe ich versucht, ein paar emotionale Bilder zu generieren. Wie man sieht, eher erfolglos...
für die du sicher ein wenig recherchiert hast
Keine Recherche! Ich hbae aber fuer Minister gearbeitet und teilweise Reden vefasst. Also bin ich mit der Materie so halbwegs vertraut.
Die Idee an sich hatten wir in einer anderen Form hier schon mal.
Ach woher denn. Zeige mir mal die Story die Darwin mit Katastrophenschutz und Gentechnologie verknuepft...
Warum rücken die nicht mit ihren Raumschiffen an und sagen uns, wir sollen uns verpissen?
1. Wohin?
2. Wuerden wir kapitulieren? (man denke an die voellig absurde Schlacht um Berlin)
3. Und wuerden wir nicht eher die Erde atomar ausgluehen, ehe wir DENEN die Erde uebereignen?
ich sag mal Invasion der Weißen und Vertreibung der Indianer.
Die hatten eben nicht die Technologie, die Praerie in eine "heisse" Wueste zu verwandeln.
Ist doch viel einfacher, billiger und nicht so langatmig.
Und fuer das Hirn eines Fuenfjaehrigen, dessen Leseerfahrungen sich auf Comics beschraenken, viel plausibler (der Witz ist NICHT auf Dich gemuenzt!)
Na ja, wie du schon merkst, hat mich deine Story nicht gerade vom Hocker geworfen.
Lem gefaellt auch nicht jedem (*zwinker*)
Es hätte viel mehr daraus gemacht werden können.
Das streite ich (inhaltlich, nicht stilistisch) entschieden ab!
Jemand, der so fest von einer Alien-Invasion überzeugt ist, gibt doch in dem Gespräch um das Findelkind nicht so einfach nach.
Wenn er intelligent ist und seine Frau liebt: auf jeden Fall!!!
Kurzgeschichten sollten meiner Meinung nach immer mitten im Geschehen beginnen.
Sollten ist kein Muessen.

@Schrei Bär

ich muss mich in die Reihe derer stellen, denen der Dialog zwischen deinem Protagonisten und dem Minister wirklich gut gefallen hat.
Reihe auslicht..., aehh ausrichten!
Ganz ehrlich? Als Kern der Story ist er mAn. etwas zu glatt und zielstrebig. Eher ein Vortrag, denn ein Dialog. Trotzdem danke.
kommt im Großen und Ganzen eigentlich nie so richtig in Fahrt.
Das ist mein klassisches Problem. Ich habe so viele "ECHTE" SF-Stoffe auf Lager, dass meine Storys eher eilige Abrisse von Idee und Plot sind, denn durchdachte Geschichten.
ich hätte es insgesamt besser gefunden, wenn der Protagonist mehr Schwierigkeiten mit seiner eigenen Analyse gehabt hätte
Ich auch.
und am Schluss in einer Pointe eines Besseren belehrt worden wäre
Nein, denn das staende kontraer zur Grundaussage der Story.
ist wahrscheinlich ein wenig albern, am Ende eines sicherlich ausgefeilten Plots solche Vorschläge zu machen, aber das sind eben meine Gedanken dazu.
Naja, grundsaetzlich ist da nichts gegen zu sagen, aber die Story hat einen "Wesenskern" der kein anderes Ende zulaesst. Die Geschichte ist nun einmal voellig humorlos. Aber nach einigen Texten mit hintervotzigen und albernen Ebenen war mir halt mal wieder nach was Ernstem.
@MisterSeaman
Eine eigentlich ganz schön langweilige Maßnahme haben die Außerirdischen sich da ausgedacht, um die Erde zu übernehmen.
Sehr DEUTSCH oder? Man riecht geradezu die darin beinhalteten verwaltungstechnischen Massnahmen. Und da der Prot auf gleicher Art der Bedrohung begegnen will entwickelt sich sogar subtextual ein interstellarer Verwaltungskrieg. Bleistift statt Photonentorpedo!!!
und bedient sich nicht der staubigen Darwin-Kiste.
Auf den Einfall war ich geradezu stolz.
Es ist gerade unter solchen Umständen unmöglich, eine Übernahme der Erde durch Aliens spannend zu gestalten, dachte ich - und dann kam diese Geschichte.
Spannend muss es ja nicht sein. "Interessant" tut es auch.
Der Sieg der Instinkte, die eigentlich das Überleben der Spezies sichern sollten, über den Verstand ist in diesem Szenario letztendlich deren Untergang.
Tja aber Instinkte sind nun mal archaisch und nicht unbedingt fuer eine Zivilisation des 21. Jhrdts. ausgelegt. (ob man die dereinst aendern koennte? Hey, Thema des Monats! Wer macht es?)

Gruesse aus dem alienfreien Lanzarote
Proxi, amtlich bestallter Ausserirdischenzaehler

 

Zitat:
Die Idee an sich hatten wir in einer anderen Form hier schon mal.

Ach woher denn. Zeige mir mal die Story die Darwin mit Katastrophenschutz und Gentechnologie verknuepft...

Ich meinte ja auch nur in einer ANDEREN Form, und bezog mich dabei auf Perditas "Happy End". Da wird die Menschheit auch ausgerottet durch eine Form der Geburtenkontrolle.

Zitat:
Warum rücken die nicht mit ihren Raumschiffen an und sagen uns, wir sollen uns verpissen?

1. Wohin?
2. Wuerden wir kapitulieren? (man denke an die voellig absurde Schlacht um Berlin)
3. Und wuerden wir nicht eher die Erde atomar ausgluehen, ehe wir DENEN die Erde uebereignen?

Ich hatte mal mit meiner Freundin über dieses Thema diskutiert. Und wir sind zu dem gleichen Schluss gekommen, dass die Menschen sich im Falle einer Alien-Invasion doch lieber gleich selber ausrotten würden.
Das hat mich übrigens auf eine Idee gebracht - siehe meine Apokalypse-Story.

Zitat:
Ist doch viel einfacher, billiger und nicht so langatmig.

Und fuer das Hirn eines Fuenfjaehrigen, dessen Leseerfahrungen sich auf Comics beschraenken, viel plausibler (der Witz ist NICHT auf Dich gemuenzt!)

Irrtum, es IST einfacher... und macht mehr Spaß! :D

Zitat:
Es hätte viel mehr daraus gemacht werden können.

Das streite ich (inhaltlich, nicht stilistisch) entschieden ab!

Andere machen aus so einem Thema nen ganzen Roman. ;)

Zitat:
Jemand, der so fest von einer Alien-Invasion überzeugt ist, gibt doch in dem Gespräch um das Findelkind nicht so einfach nach.

Wenn er intelligent ist und seine Frau liebt: auf jeden Fall!!!

Wenn er intelligent ist und seine Frau liebt, und er zusätzlich noch von einer Invasion überzeugt ist, wird er seine geliebte Frau vor den Aliens beschützen wollen.

Sollten ist kein Muessen.
Du hast selber zugegeben, dass der Anfang schlecht war. Und ich mag deinen gefühllosen Stil, das gibt die Möglichkeit, selber mitzufühlen und es sich nicht aufzwingen zu lassen.

Gruß
Bantam

 

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