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Halloween im Klassenzimmer
Hast du eigentlich schon mal an einer Halloween-Feier teilgenommen? Überall Gespenster, Fledermäuse, Kürbismasken. Ein herrlicher Spaß! Aber ich muss dich warnen: Manchmal wird aus dem Spaß Ernst. Manchmal geschehen zu Halloween merkwürdige, unerklärliche Dinge.
Echt gruselige Dinge!
Hannah machte diese Erfahrung, als sie in der dritten Klasse war. Am letzten Tag im Oktober konnte sie es gar nicht abwarten, in die Schule zu kommen. Ihre Lehrerin, Frau Kleinschmidt, hatte beschlossen, dass die Klasse an diesem Tag Halloween feiern würde. So saß Hannah in ihrem Hexenkostüm am Frühstückstisch und trieb ihre Mutter, die eine Tüte mit Knabberkram packte, zur Eile an. Endlich war es soweit: Hannah hauchte ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange, zog die Tür hinter sich zu und eilte den Schulweg entlang. Draußen war es neblig. Das gefiel ihr, denn es passte genau zu diesem besonderen Tag.
Als sie den Schulhof erreichte, bekam ihre Freude einen Dämpfer. Gleich hinter dem Schultor standen Nils und Stefan, die beiden fiesesten Jungen aus Hannahs Klasse.
„Ach, wie niedlich!“, rief Nils, als er Hannah sah. „Eine Hexe! Was soll denn daran zum Fürchten sein?“ Er selbst war als Werwolf verkleidet, mit künstlichen Wolfsohren, einem Plastikgebiss und viel Schminke im Gesicht.
Stefan, mit weißem Gesicht, aufgemalten Blutstropfen und Vampirzähnen, ahmte eine ängstliche Kinderstimme nach: „Bitte, tu mir nichts!“ Dann lachten er und Nils schallend.
Hannah machte, dass sie an den beiden vorbei kam.
Sie betrat das Gebäude und sah Lena im Flur stehen. „Auch das noch“, murmelte sie. Lena war fast so fies wie Nils und Stefan. Sie stellte einem gern auf dem Schulhof ein Bein oder bewarf während des Unterrichts die anderen Schüler mit Papierkügelchen, um sie zu stören.
„Was ist das denn für ein Kostüm?“, wollte sie jetzt von Hannah wissen. „Bist du etwa die nette Hexe von nebenan?“ Sie wieherte fast vor Lachen, so witzig fand sie ihren eigenen Scherz.
Hannah huschte wortlos weiter. Endlich hatte sie ihr Klassenzimmer erreicht. Frau Kleinschmidt war schon da und schmückte zusammen mit einigen Schülern den Raum. Sie hängten Fledermausgirlanden auf und brachten Kürbis-Lichterketten an. Hannah verteilte den Knabberkram aus ihrer Tüte auf den Tischen und half dann den anderen.
Als alles vorbereitet war, rief Frau Kleinschmidt die restlichen Schüler vom Schulhof, damit die Feier anfangen konnte.
„Eigentlich“, sagte sie, „wollten wir mit einer kleinen Zaubervorführung von Klaus beginnen. Aber seine Mutter hat angerufen und gesagt, dass er heute etwas später kommt. Deshalb schlage ich vor, dass ich euch zuerst eine Gespenstergeschichte vorlese, die euch so richtig in Stimmung bringt.“ Sie grinste und holte ihr Buch heraus.
„Toll, eine Gespenstergeschichte“, rief Farah, Hannahs beste Freundin. Farah war als Fledermaus verkleidet.
„Boah, so was langweiliges“, grölte Nils.
„Wir sind doch keine Kleinkinder mehr“, stimmte ihm Stefan zu.
Frau Kleinschmidt ließ sich nicht beirren und las eine Geschichte über ein paar Kinder vor, die eine Nacht in einem Spukschloss verbringen mussten. Hannah bekam davon eine richtige Gänsehaut, so spannend war sie. Nur das laute Gähnen von Stefan, Nils und Lena störte ein bisschen.
Die Geschichte war gerade zuende, als die Tür aufgerissen wurde. Ein Junge in einem weiten Zaubererumhang trat ein. Vor dem Gesicht trug er eine Vampirmaske.
„Ah, da bist du ja endlich, Klaus“, sagte Frau Kleinschmidt. „Möchtest du gleich mit deiner Zaubershow anfangen?“
„Macht mir Platz und staunt über meine Magie“, dröhnte der Vampirzauberer mit tiefer Stimme. Hannah war überrascht, wie gut Klaus seine Stimme verstellen konnte. Er schritt quer durch den Raum, stellte sich neben das Lehrerpult, scheuchte mit einem Zauberstab alle Schüler und auch die Lehrerin ein paar Meter zurück und erklärte: „Ich brauche einen Freiwilligen. Aber einen wirklich mutigen.“
Die meisten Schüler waren wohl noch ein bisschen nervös von der Gespenstergeschichte. Jedenfalls meldete sich kein Freiwilliger.
„Ha, seid ihr alles Feiglinge?“, wollte der Zauberer wissen.
Das ließ Nils nicht auf sich sitzen. Sofort ging er nach vorne. Im Vorbeigehen knuffte er Björn und grinste nur, als Frau Kleinschmidt „Das hab ich gesehen!“ rief. Hannah hörte, wie Nils dem Zauberer zuflüsterte: „Warte nur ab, nach Schulschluss wirst du schon sehen, wer von uns der Feigling ist.“ Klaus tat ihr jetzt schon leid; er war schon öfter von Nils verhauen worden.
Der Junge mit der Maske aber schien ganz unbeeindruckt. Er murmelte ein paar geheimnisvolle Zaubersprüche, schwenkte den Zauberstab durch die Luft und richtete ihn dann plötzlich auf Nils.
Die Kinder hörten einen lauten Knall. Plötzlich war Nils in eine Rauchwolke gehüllt. Frau Kleinschmidt sah etwas besorgt aus. Doch dann verzog sich der Rauch, und Nils war verschwunden. Begeisterte Rufe, auch von der Lehrerin, hallten durchs Klassenzimmer. Sofort liefen Farah und Hannah nach vorne, um hinter das Lehrerpult zu schauen. Da war Nils auch nicht.
„Das war großartig!“, rief Frau Kleinschmidt. „Ich hatte nur ein paar Kartentricks oder so etwas erwartet, aber du bist ja wirklich super!“ Sie wandte sich an die Klasse: „Wir wollen nur hoffen, dass Klaus sein Opfer auch wieder herbeizaubern kann.“ Alle lachten. Aber als Björn sagte: „Meinetwegen kann Nils auch wegbleiben“, lachten sie noch lauter.
„Wer traut sich als nächstes?“, fragte die tiefe Stimme des Zauberers.
Jetzt meldete sich natürlich erst recht niemand. Hannah nahm ihren Mut zusammen und sagte laut: „Schade, dass Stefan nicht so tapfer ist wie Nils.“
„Von wegen“, fauchte Stefan sie an. Er kam ebenfalls nach vorne, allerdings viel langsamer als Nils.
Anscheinend wollte Klaus denselben Trick noch einmal vorführen, denn er begann gleich wieder mit den Beschwörungsformeln. Das war eigenartig, denn Hannah hatte mal gehört, dass Zauberer nie zweimal denselben Trick während einer Vorführung zeigen. Na, sie würde die Gelegenheit jedenfalls nutzen und genau aufpassen, um herauszufinden, wie der Trick funktionierte.
Wieder ein Knall und eine Rauchwolke. Dann tosender Beifall: Auch Stefan war verschwunden. Hannah ärgerte sich über sich selbst. Sie war immer noch nicht dahinter gekommen, wie es gemacht wurde.
Farah lief zur gegenüberliegenden Wand, öffnete ein Fenster und blickte hinaus in den Nebel. Dachte sie etwa, Nils und Stefan seien durch eine Geheimtür nach draußen verschwunden?
„Gibt es in dieser Klasse eigentlich keine mutigen Mädchen?“ Der Blick des kleinen Zauberers mit der tiefen Stimme fiel auf Lena.
Alle hielten den Atem an. Würde sie kneifen?
Sie kniff nicht. Während sie zum Lehrerpult hinüberging, drohte sie: „Wehe, ich werde bei diesem blöden Trick schmutzig, dann kann sich Klaus auf was gefasst machen.“
Wieder wirbelte der Zauberstab unter Gemurmel durch die Luft.
Gerade, als alle den Knall erwarteten, hörten sie ein Geräusch an der Tür. Sie blickten hinüber und wunderten sich.
Der Junge, der gerade hereingekommen war, war Klaus.
„Nanu“, rief Frau Kleinschmidt erstaunt. Sie wirkte wieder etwas besorgt.„Jetzt sind wir ja einer zu viel.“ Sie wandte sich an den Vampirzauberer: „Wenn du nicht Klaus bist, wer bist du denn dann?“
Statt zu antworten, lachte der Zauberer nur. Es war ein Lachen, bei dem den Schülern das Blut in den Adern gefror. Blitzschnell richtete er den Zauberstab auf sich selbst, und schon verschwand er in einer Rauchwolke. Gleich darauf sahen die verängstigten Schüler, dass er sich in einen Raben verwandelt hatte und zu dem Fenster hinausflog, das Farah geöffnet hatte.
Was soll ich dir noch groß erzählen? Es kam niemals heraus, wer der geheimnisvolle Zauberer war. Und Stefan und Nils wurden niemals wieder gesehen. Eigentlich störte das aber niemanden in der Klasse - vielleicht mit Ausnahme von Lena, die nur durch Klaus’ rechtzeitiges Eintreffen gerettet worden war, und natürlich Frau Kleinschmidt. Was die Lehrerin anging, bin ich mir aber nicht mal ganz sicher.
Als Hannah an diesem Tag von der Schule kam, fragte ihre Mutter, wie die Halloween-Feier gewesen sei.
„Total cool“, antwortete Hannah, „herrlich gruselig.“ Sie grinste und fügte hinzu: „Nur schade, dass Klaus einen Moment zu früh hereingeplatzt ist.“