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Halt
November 1985. Drei Uhr früh.
Der Vater huscht in Windeseile über den Flur. Gerade hat er seine Frau geweckt. Hastig, getrieben, wie in Panik hat er sie geschüttelt und ihr zugeraunt, „Maren, schnell, steh auf, pack das Nötigste zusammen, wir müssen weg, heute Nacht zünden sie uns das Haus an! Ich hol' die Kinder.“
Die Mutter steht auf. Wie aufgezogen geht sie zum Schrank, holt ein paar Kleidungsstücke und Handtücher heraus, stopft sie in eine Reisetasche, die ihren Platz ebenfalls im Schrank hat. Nicht in Eile, dennoch zügig geht sie weiter ins Bad, um Toilettenartikel zusammenzupacken. Und weiter in das erste der Kinderzimmer. Das Zimmer der älteren der beiden Töchter. Ihr Bett ist bereits leer. Während Maren zwei Pullover, eine Hose, Unterwäsche und Strümpfe von Sina in der großen Reisetasche verschwinden läßt, hört sie im zweiten Kinderzimmer nebenan ihren Mann mit verhaltener und doch energischer Stimme zu ihrer jüngeren Tochter Malika sprechen. „Nun mach doch hin, komm aus dem Bett, nun komm doch schon, hier geht gleich alles in Flammen auf.“ Als es Maren noch durch den Kopf schießt, ob es wohl richtig ist, so mit der Fünfjährigen zu sprechen, sieht sie ihn schon im Türrahmen stehen, Malika ungelenk unter den Arm geklemmt, Sina mit müden Augen hinter ihm, den Teddy Fred im Arm.
„Fertig?“, fragt der Vater unter flachen Atemzügen. Maren sieht ihn nickend an. "Ja Hans, wir sind fertig." Erst als er für einen zu langen Augenblick nichts entgegnet, sie nur vorwurfsvoll anstarrt, bemerkt Maren, dass ihr Mann vollständig angekleidet ist, sie selbst dagegen noch immer im Nachthemd und barfuß. „Wirf Dir den Mantel über, und den Kindern auch, das spielt jetzt keine Rolle. Beeil Dich nur um Himmels willen, sonst verrecken wir hier.“
Wenige hastige Momente später sitzt die Familie im Auto. Maren starrt auf ihre Hände, Sina ist auf der Rückbank sofort wieder eingeschlafen, Malika wimmert leise im Kindersitz in die Stille der seltsamen Fahrt.
Der Vater fährt viel zu schnell, rast durch die nächtliche Kleinstadt.
„Hans?“, fragt Maren mit überraschend fester Stimme. „Wer wird das Haus heute Nacht anzünden?“
„Häh?“, entfährt es Hans. Er scheint voll auf die Straße konzentriert. „Was meinst Du?“
„Vor wem fliehen wir?“, versucht Maren die Frage.
„Himmelherrgottnochmal. Maren! Verdammt, der Staat! Die Freimaurer! Alle sind sie hinter mir her. Aber uns kriegen die nicht klein, das werden die schon sehen!“
Maren schweigt.
Die Familie verbringt zwei Tage und zwei Nächte in einem kleinen Gasthof in der Innenstadt. Genauer gesagt in einem Zimmer dieses Gasthofs. Am dritten Tag wagt Hans, zu ihrem Haus hinter dem Stadtwald zu fahren, um zu sehen, was übrig ist. Hübsch ist das Haus dort gelegen, umgeben von Feldern und Wiesen. Noch heute steht es dort, unverändert. Nur die Bewohner des Hauses sind inzwischen andere.