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Halt

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14.12.2008
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Halt

November 1985. Drei Uhr früh.
Der Vater huscht in Windeseile über den Flur. Gerade hat er seine Frau geweckt. Hastig, getrieben, wie in Panik hat er sie geschüttelt und ihr zugeraunt, „Maren, schnell, steh auf, pack das Nötigste zusammen, wir müssen weg, heute Nacht zünden sie uns das Haus an! Ich hol' die Kinder.“
Die Mutter steht auf. Wie aufgezogen geht sie zum Schrank, holt ein paar Kleidungsstücke und Handtücher heraus, stopft sie in eine Reisetasche, die ihren Platz ebenfalls im Schrank hat. Nicht in Eile, dennoch zügig geht sie weiter ins Bad, um Toilettenartikel zusammenzupacken. Und weiter in das erste der Kinderzimmer. Das Zimmer der älteren der beiden Töchter. Ihr Bett ist bereits leer. Während Maren zwei Pullover, eine Hose, Unterwäsche und Strümpfe von Sina in der großen Reisetasche verschwinden läßt, hört sie im zweiten Kinderzimmer nebenan ihren Mann mit verhaltener und doch energischer Stimme zu ihrer jüngeren Tochter Malika sprechen. „Nun mach doch hin, komm aus dem Bett, nun komm doch schon, hier geht gleich alles in Flammen auf.“ Als es Maren noch durch den Kopf schießt, ob es wohl richtig ist, so mit der Fünfjährigen zu sprechen, sieht sie ihn schon im Türrahmen stehen, Malika ungelenk unter den Arm geklemmt, Sina mit müden Augen hinter ihm, den Teddy Fred im Arm.
„Fertig?“, fragt der Vater unter flachen Atemzügen. Maren sieht ihn nickend an. "Ja Hans, wir sind fertig." Erst als er für einen zu langen Augenblick nichts entgegnet, sie nur vorwurfsvoll anstarrt, bemerkt Maren, dass ihr Mann vollständig angekleidet ist, sie selbst dagegen noch immer im Nachthemd und barfuß. „Wirf Dir den Mantel über, und den Kindern auch, das spielt jetzt keine Rolle. Beeil Dich nur um Himmels willen, sonst verrecken wir hier.“
Wenige hastige Momente später sitzt die Familie im Auto. Maren starrt auf ihre Hände, Sina ist auf der Rückbank sofort wieder eingeschlafen, Malika wimmert leise im Kindersitz in die Stille der seltsamen Fahrt.
Der Vater fährt viel zu schnell, rast durch die nächtliche Kleinstadt.
„Hans?“, fragt Maren mit überraschend fester Stimme. „Wer wird das Haus heute Nacht anzünden?“
„Häh?“, entfährt es Hans. Er scheint voll auf die Straße konzentriert. „Was meinst Du?“
„Vor wem fliehen wir?“, versucht Maren die Frage.
„Himmelherrgottnochmal. Maren! Verdammt, der Staat! Die Freimaurer! Alle sind sie hinter mir her. Aber uns kriegen die nicht klein, das werden die schon sehen!“
Maren schweigt.
Die Familie verbringt zwei Tage und zwei Nächte in einem kleinen Gasthof in der Innenstadt. Genauer gesagt in einem Zimmer dieses Gasthofs. Am dritten Tag wagt Hans, zu ihrem Haus hinter dem Stadtwald zu fahren, um zu sehen, was übrig ist. Hübsch ist das Haus dort gelegen, umgeben von Feldern und Wiesen. Noch heute steht es dort, unverändert. Nur die Bewohner des Hauses sind inzwischen andere.

 

Tach Schwester Bürgerwehr,

und herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de.

Und mit der dramaturgisch gekonnt inszenierten Erkenntnis, dass John Nashs Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst und die daraus erwachsende Bedrohung von Leib und Leben nichts als paranoide Wahnvorstellung der Hauptfigur des Films ist
Dem Leser die Protagonisten und ihr Handeln so direkt zu erklären, ist entweder Unsicherheit bzgl. der eigenen Schreibe und der schriftstellerischen Fähigkeit, dieses im Handeln der Prots zu
zeigen oder eine Geringschätzung der Fähigkeiten der Leserschaft.
Da ich Dir letzteres nicht unterstellen will, bleibe ich bei der Unsicherheit und rate Dir nachdrücklich, entweder einen zweiten Absatz reinzubringen, der wirklich was Neues präsentiert und nicht die Handlung von vor 16 Jahren nochmal mundgerecht interpretiert, oder, und das wäre meine Präferenz, geh nach dem ersten Absatz raus, und zwar für mich einen Satz früher, als er im Mom endet.

Bis dahin ist es nämlich durchaus subtil, interessant und unaufgeregt erzählt und dabei dennoch so präsent, daß Vater Hans in seinem Wahnsinn deutlich wird. Und kann als Miniatur durchaus gefallen.
Doch weder wird sie durch den 2. Absatz in seiner erklärenden Auslegung noch durch die Verwendung der englischen Brocken aus dem Film als literarisches Element runder, besser oder vollständiger. Eher im Gegenteil.

Doch wie gesagt, bis zum vorletzten Satz finde ich die Skizze sehr schön, wobei Du Dich auf ein Erzähltempus einigen solltest - der erste Sätz fängt im Präsens an, dann gehts im Präteritum weiter.

Und Punkte in einem abgeschlossenen Satz einer wörtlichen Rede immer innerhalb der WR, ausser, diese ist als Nebensatz eingebunden, dann keinen Punkt, sondern ausserhalb ein Komma und klein im Satz weiter.

Beispiele:

Ich hol' die Kinder“.
Punkt in die WR
„Fertig?“ fragte der Vater unter flachen Atemzügen.
"Fertig?", fragte der Vater

Grüße
C. Seltsem

 
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Hallo C. Seltsem,

danke für Deine Kritik und die Anregungen.
Ich hatte im Vorhinein bereits vermutet, dass der zweite Absatz für den Leser problematisch sein könnte - ich habe die Geschichte einmal ohne die ausführliche Explikation jemandem zu lesen gegeben, der auf das Problem verwies, dass nicht jeder den Film (und schon gar nicht den kompletten Originaltitel) kenne und daher den Bezug zu Malikas Flashbacks nicht unbedingt versteht. In der entsprechend abgewandelten Form wirkte der Absatz auch auf mich irgendwie kantig. Die aus Deiner literarischen Sicht erwachsenen Kritikpunkte habe ich gern aufgegriffen - denn schließlich geht es nicht unwesentlich um den Leser - wenn ich auch an diesem Absatz hing. Die kurze Kurzgeschichte ist rein autobiographisch, enthält abgesehen von den Namen der Protagonisten keine fiktiven Elemente. Gerade der Schwenk auf die 21-Jährige bedeutet mir persönlich viel. Die junge Frau, die als Kind und Jugendliche so umhüllt und geprägt gewesen ist von einer skurrilen Realität, die für sie nicht nachvollziehbar wurde, dass sie trotz wissenschaftlicher Ausbildung und aller Rationalität erst sehr spät und überraschend (wie Schuppen von den Augen) versteht, warum sie und der Vater zwar das Haus, aber niemals Wahrnehmung, Denken und Gefühl teilten. Aber in dieser persönlichen Form kann der Text mich ja weiter auf meiner Festplatte begleiten :-) Durch die geschilderte, von der Protagonistin (plötzlich) erlebte Spaltung des Kindes und der Erwachsenen auch das Präteritum im ersten und das Präsens im zweiten Absatz. Ohne den zweiten Absatz gefällt mir die Gegenwartsform jedoch viel besser, man ist mehr dabei.
Die Bürgerwehr bzw. das Üben von Selbstjustiz als Elemente meines Nicknames sind im übertragenen Sinne zu verstehen - ich rechne mit meinem Innenleben ab (im positivsten Sinn), wehre mich des Übermannenden, des Wortlosen, in dem ich wachsam [ich muss jetzt sicher nicht erklären, dass "vigilant" auch "wachsam" bedeutet ;-)] bin, und Worte für die inneren Prozesse und Bilder zu entwickeln versuche.

Ich freue mich sehr über die technischen Hinweise und die inhaltliche Kritik - dieses Forum scheint mir ausgehend von dem, was ich bisher gelesen habe, eine sehr wertvolle Plattform, um konstruktiv an sich zu arbeiten, worauf ich mich sehr freue! Ich habe in den letzten Jahren immer wieder geschrieben, aber nie etwas öffentlich gemacht (nur beruflich, privat nie). Ich würde mich gerne weiter entwickeln, da ich das Schreiben liebe.

In diesem Sinne nochmal vielen Dank und Gruß,

Sister Vigilante

 
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Hallo Sister Vigilante,

herzlich willkommen auf KG.de!

Während ich mir Gedanken zu deiner Geschichte machte, wurden nun ja schon ein Kommentar und deine Erklärung dazu gepostet.

Ich will dir dennoch meinen Ersteindruck vermitteln:

Deine Idee zur Geschichte, dass ein Paranoider mit seinen Wahnvorstellungen das Familienleben durcheinanderbringt, ist gut.
Inhaltlich aber hättest du die Geschichte anders aufbauen und weiter ausbauen können.
Du verschenkst eine Menge an Spannungspotenzial.
Mir fehlt eine Zuspitzung der Handlung.
Wann und wie werden die Auswirkungen der Krankheit für die Familie unerträglich?
Die Ehefrau erlebe ich nur als folgsam Kooperierende.

Der Protagonist Hans verschwindet sang und klanglos nach der Schilderung eines Anfalls von der Bildfläche. (Sein Part endet damit, dass er nachguckt, ob das Haus noch steht.)

Als neue Protagonistin taucht dann unvermittelt im letzten Abschnitt mit eigener Überschrift Malika auf.

Mir gefallen auch nicht die Unterüberschriften. Die Information hätte man in normale Aussagesätze packen können.
Problematisch ist in einer Kurzgeschichte auch der große Zeitsprung von 15 Jahren. Der zweite Teil der Geschichte wirkt daher angeklebt.

Eine Kurzgeschichte sollte eigentlich nur einen kurzen problematischen Lebensabschnitt eines Protagonisten beleuchten.

Anmerkung zur Interpunktion: Bitte die Zeichen bei wörtlicher Rede überprüfen und korrigieren!

Soweit mein Ersteindruck:
Jetzt lese ich in deiner Rückmeldung zum Erstkommentar, dass dir das Schicksal der damals fünfjährigen Malika am Herzen liegt.

Zitat: „Gerade der Schwenk auf die 21-Jährige bedeutet mir persönlich viel. Die junge Frau, die als Kind und Jugendliche so umhüllt und geprägt gewesen ist von einer skurrilen Realität, die für sie nicht nachvollziehbar wurde, dass sie trotz wissenschaftlicher Ausbildung und aller Rationalität erst sehr spät und überraschend (wie Schuppen von den Augen) versteht, warum sie und der Vater zwar das Haus, aber niemals Wahrnehmung, Denken und Gefühl teilten.“

Mein Vorschlag:
Wenn Malika die eigentliche Protagonistin der Geschichte sein soll, dann beginne doch mit ihr, schildere ihr Problem, indem du just den Zeitpunkt der Erkenntnis bisher nicht verarbeiteter Erlebnisse als Geschichtenanfang nimmst und die Paranoia des Vaters als Rückblende einbaust.
So hättest du beide Elemente drin.

Und die Überschrift <Halt> bekäme einen doppelten Sinn
<Halt>, als jemandem Halt geben
<Halt> als Stopp / nicht so weiter/ Einhalt gebieten

Gruß
Kathso

 

Ich nochmal, Sister Vigilante,

... jetzt brauche ich aber doch nochmal Hilfe - macht der Titel nun für den Leser noch Sinn?
ehrlich gesagt, hat er für mich auch vorher keinen Sinn ergeben, ich vermute, der hängt mit dem film zusammen, den ich jedoch nicht kenne :)
Wenn du einen anderen Titel haben möchtest, dann gib mir eine Info, denn Titel ändern können nur die Mods, einfach ne PM schicken, dann passe ich ihn an.

denn schließlich geht es nicht unwesentlich um den Leser - wenn ich auch an diesem Absatz hing.
wenn ein Rückblick 16 Jahre später wesentlich ist, wesentlich für das, was Du erzählen willst, dann bau einen ein, mich hat halt wirklich die zitierte Stelle in ihrer Deutlichkeit, in ihrer Direktheit stolpern lassen, fand und finde ich doch - vermutlich aus der Distanz des Lesers - die darin enthaltene Erklärung auch im Text vorher (was ja für Deine Schreibe spricht, die deutlich genug macht, was geschieht, der Rest geschieht damit dann in meinem Kopf).
Literarisch kann ein Rückblick sehr wohl Sinn ergeben und die runde Geschichte in eine andere Richtung lenken (so meine Vermutung), indem Du einen anderen Schwepunkt reinbringst, eine andere Ausleuchtung.
Und hey, genau dafür ist KG.de da, experimentieren, ausprobieren, zu verstehen versuchen und anwenden. Wobei ich bei speziell diesem Text - doch das ist nur meine Lesweise - das Bestehende rund finde, stimmig. doch Du bist die Autorin, es ist Deine Geschichte (ja sogar im doppelten Sine, wie Dein Kommentar zeigt), Du bist die Kompetenz, wie sie erzählt werden soll :)

Und schreiben um aufzubereiten ist nicht die schlechteste Art, damit umzugehen, doch bedingt sie auch immer die Gefahr, daß die Kritik (also der kritische Umgang der Leser hier mit Deinen Worten und Bildern und Handlungen und Protagonisten und dem ganzen Rest - das kann ja auch positiv sein) nicht nur an der Geschichte bleibt, sondern Dich trifft. Mir fällt es selber auf, daß ich weniger Druck mit den Geschichten von mir habe, die rein meiner Phantasie entspringen, als mit denen, die ein Stück von meiner Realität abbilden.

Ich würde mich gerne weiter entwickeln, da ich das Schreiben liebe.
das sind zwei sehr gute Voraussetzungen, um hier viel zu lernen und zu verstehen. Die Chancen sind auf KG.de so gut wie nirgends, davon bin ich überzeugt. Lies herum, finde heraus, warum Geschichten wie auf Dich wirken und wie sie auf andere wirken, gib und empfange Feedback, all das hilft enorm, "das Schreiben" immer besser zu begreifen und sich zu verbessern.

In diesem Sinne, viele gute Erfahrungen hier auf dieser großartigen Seite !

C. Seltsem

 

Hallo C. Seltsem, danke für die ermunternden und wertvollen Zeilen :)
Ich möchte den Titel beibehalten - er hat keinen Bezug zum Film, sondern war etwa so gemeint wie Kathso in deutet (das Mädchen, dass den Halt vermisste und das Haltlose des Wahns des Vaters), ich fürchtete nur ohne den Schwenk auf die erwachsene Malika kommt das jetzt nicht mehr rüber.
Mit der Kritik von Texten, die mit meiner Lebensgeschichte bzw. persönlichem Erleben zu tun haben, habe ich keine Schwierigkeiten, da ich nicht allein das Schreiben zur Aufarbeitung nutze :) - ich sehe bei den Geschichten mit biographischem Bezug eher die Gefahr blind gegenüber Schwächen zu sein (so nach dem Motto, das muss doch nachvollziehbar sein, immerhin ist es mir doch so passiert!), und in der Folge stilistisch zu schwächeln.
Daher ist der Austausch hier tatsächlich vor allem ergiebig :)

LG, Sister

 

Hallo Kathso,

danke für die Mühe, die Du Dir mit der Rückmeldung gemacht hast! Ich denke, dass ich diesen Text nicht mehr vollständig umbaue, freue mich aber über die Anregung, Malika eine eigene Geschichte zu geben :)

Ich habe technisch noch viel zu lernen und (aus momentan sehr lebendiger Schreiblust) sauge die Hinweise hier dankbar auf!

Viele Grüße, Sister Vigilante

 

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