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Hart wie Kruppstahl

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12.01.2007
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Hart wie Kruppstahl

(Überarbeitete Fassung)

Der alte Mann wirkte müde und erschöpft, als er mit dem kleinen Paket die Straßenbahn betrat. Den Blick nach unten gewendet, schlurfenden Schrittes, suchte er sich eine freie Bank und nahm am Fenster Platz. Er starrte nach draußen durch die zerkratzten Scheiben. Ein regenverhangener Tag. Sein Blick sank auf seinen Schoß, seine Finger strichen zärtlich um das Paket.

„Käthe“, murmelte er. „Meine Käthe.“

Nach dem Tod seiner Frau waren ihm die wenigen Gegenstände eingepackt worden, die sie mit ins Krankenhaus genommen hatte – ein paar Nachthemden, Hausschuhe, den alten Kulturbeutel. Dinge, die er ohne weiteres hätte wegwerfen können. Aber das brachte er nicht über sich. Ihm war, als würde er über diese Gegenstände ihre Nähe spüren, und das tröstete ihn.

Es war früher Nachmittag, und auf der Fahrt durch die Stadt stiegen immer mehr Kinder in die Bahn. Der Regenguss hatte sie aufgekratzt, sie waren vergnügt, johlten und unterhielten sich laut. Ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren setzte sich neben ihn und streifte mit dem breiten, nassen Ranzen die Pappschachtel auf seinem Schoß. Aus seinen Gedanken gerissen, erschrocken, knurrte er es unwirsch an. Das Kind entschuldigte sich, wandte sich ab und alberte laut mit seinen Kameraden. Der alte Mann schaute wieder nach unten und hielt das Paket schützend zwischen beiden Händen.

Er fühlte sich leblos, ebenfalls tot. Das junge lärmende Leben um ihn herum war ihm fremd. Alles, was sich noch in ihm regte, schien ihm Schmerz und Kummer. Die Tiefe dieser Erfahrung erschreckte ihn, und er scheute davor zurück, versuchte sich hinter einer Haltung von Stärke zu verstecken. Am liebsten hätte er jedes verbleibende Gefühl ausgemerzt.

Die folgenden Monate verlebte er wie in einem Nebel. Es war dunkler geworden, etwas in ihm war mit abgetreten. Es fehlte jenes vertraute Element, das immer der feste Pol in seinem Leben gewesen war. Seit Kriegsende lebte er in dieser Stadt, aber mit einem Mal fühlte er sich plötzlich unsicher, wenn er auf die Straße trat, schaute sich misstrauisch um, fuhr zusammen, wenn jemand in der Nähe laut rief. Wenn er abends unterwegs war, steckte er sogar eine kleine Pistole in seine Jackentasche, die noch aus dem zweiten Weltkrieg stammte. Er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch funktionieren würde, aber sie vermittelte ihm etwas Sicherheit. Die Zeitungen waren voll von üblen Geschichten – Überfälle, Messerstechereien, oft aus nichtigem Anlass. Mit der Waffe fühlte er sich nicht mehr gänzlich ausgeliefert.

Es hatte ihn immer beruhigt, sich bei seiner Frau aussprechen zu können. Jetzt redete er manchmal mit sich selbst, ganz unbewusst, so als sei sie noch immer da. Als ihm das auffiel, hielt er erschrocken inne. Dann aber lächelte er nur milde und sprach ganz bewusst zu diesem Menschen, den es nur noch in seiner Erinnerung gab.

„Vierundfünfzig Jahre.“ Seine Stimme wurde sanft. „Vierundfünfzig Jahre. Und ich habe keinen Tag davon bereut. Habe ich dir das jemals gesagt? Du bist das Beste, was mir widerfahren ist.“

Mehr und mehr zog er sich zurück, hatte keine Lust mehr, die alten Bekannten zu treffen, die ausschließlich über ihre Krankheiten klagten, und verließ das Haus letztlich nur noch zum Einkaufen – und für die Oper. Obgleich er mit den modernen Inszenierungen oft wenig anfangen konnte, zog es ihn der Musik wegen immer noch dorthin.

Er liebte es, die kurze Distanz nach Hause zu Fuß zurück zu legen, er mied die Menschenmengen in der Straßenbahn und ihre fortwährende Gesprächskulisse. Gedankenverloren schritt er ohne Eile über den Gehweg. „Neumodisches Zeug“, grummelte er zu sich selbst. „Muss heutzutage alles gleich ins Perverse gezogen werden, damit noch jemand hinschaut? Spricht die Musik nicht mehr für sich selbst?“ Er schüttelte den Kopf. Er verstand diese Zeit nicht, ihren Hunger nach Sensationen, die zunehmende Beschleunigung. Warum fortlaufend alles ändern? Es schien ihm nicht, als würde es dadurch besser.

Ein Radfahrer kam ihm frontal entgegen und wich erst im letzten Moment aus.

„Entschuldigen Sie", rief er ihm hinterher.

Der hielt an und wandte sich ihm zu. „Kann ich Ihnen helfen?"

„Wie wär's wenn ich zukünftig die Straße nehme und sie den Fußweg ganz für sich allein haben?", giftete er ihn an.

„Idiot!" Der Radfahrer verschwand im Dunkel.

Der alte Mann nahm kopfschüttelnd seinen Weg wieder auf. „Ist es eine so schwere Bürde, ein paar Grundregeln einzuhalten?“

Seine Gedanken zogen hin zu seiner Frau. Er hatte immer angenommen, sie werde ihn überleben, und dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches für ihn gehabt. Als bei ihr Krebs diagnostiziert worden war, hatte er seine Hoffnungen in die Medizin gesetzt und seiner Frau gegen ihren eigenen Impuls geraten, alle Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

„Ich wollte Dir ja helfen, Käthe, wollte, dass wir das gemeinsam durchstehen.“ Er erinnerte sich daran, wie sie unter der Bestrahlung und Chemotherapie gelitten hatte, und verzog das Gesicht wie unter körperlichen Schmerzen. „Ich wollte Dich nicht gehen lassen.“

Das Aufbegehren war jedoch sinnlos, innerhalb weniger Monate war der Kampf aussichtslos geworden. Er musste miterleben, wie seine Frau immer mehr in sich zusammenfiel, zu ihrem eigenen Schatten wurde. Unter Morphium erkannte sie ihn zum Schluss kaum noch und verschwand schließlich in ein dunkles Nichts.

„Alles verloren. Alles verloren und dahin.“

Gedankenversunken bog er in die kleine Seitenstraße ein, in der er wohnte. Vor seinem Haus standen zwei Jungen an der Tür und machten sich an der Wand des Gebäudes zu schaffen.

„Hey", rief er aus einigen Metern Entfernung. „Was macht ihr da?"

Die beiden Jungen in ihren viel zu weiten Hosen wirkten auf ihn südländisch. Sie mochten fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein. „Alter, zieh Leine", zischte ihn der eine an.

Der alte Mann spürte sein Herz rasen. Ihm wurde schwindelig, er musste sich konzentrieren, um nicht zu schwanken. Mit der rechten Hand umfasste er den Revolver, den er in seiner Manteltasche trug. Das kühle Metall beruhigte ihn.

„Ich wohne in diesem Haus. Das ist mein Haus", sagt er leise.

„Ey, ich stecke dir gleich ein Messer in den Arsch", polterte der andere Junge los, kam zwei Schritte auf ihn zu und stellte sich vor ihm auf.

Sie standen sich direkt gegenüber. Der alte Mann schaute zur Hauswand neben der Tür; ein unförmiges Grafitti war daran geschmiert. Dann schaute er wieder auf die Jungen vor ihm – was hatten die vor? Ihm war, als wollten sie verschwinden. Doch er stand ihnen im Weg. Sie hätten um ihn herumlaufen müssen, was einer Niederlage in diesem unausgesprochenen Duell gleichkam. Sie taten es nicht.

Provozierend kam einer der Jungen mit erhobener Faust auf den Alten zu.

Der alte Mann zog die Pistole aus der Manteltasche, und als der Junge mit seinem Arm ausholte und nach ihm schlug, drückte er ab.

Der Schuss kreischte durch die Nacht wie ein einsamer verlorener Schrei. Durch den Rückschlag verlor er fast die Kontrolle über die Waffe, um ein Haar wäre sie ihm auf den Boden gefallen. Er erschrak darüber. Wann habe ich überhaupt das letzte Mal geschlossen? Er konnte sich nicht erinnern.

Getroffen sackte der Junge auf den Boden, eine klaffende Wunde in der Brust. Blut, viel Blut. Der andere Junge starrte mit geweiteten Augen auf den Freund und lief dann schreiend davon.

Der alte Mann atmete schwer und schaute auf den reglosen Körper vor ihm. Mühsam beugte er sich zu ihm, schließlich ließ er sich auf die Knie nieder. Seine Hand fasste nach dem Arm des Jungen, suchte einen Puls, strich dann über dessen Gesicht, das noch warm war und zu glühen schien.

„Ich wollte doch nur nach Hause, Käthe. Ich wollte doch nur nach Hause.“

Als die Polizei eintraf, saß der alte Mann noch immer weinend neben dem Toten.

 

Hallo Michabln,

zu Beginn deiner Geschichte fährt der alte Mann mit der Urne nach Hause (daraus entnehme ich, dass seine Frau wohl schon seit Längerem gestorben ist?) Plötzlich ist der Tod der Frau jedoch schon über ein Jahr her. Ehrlich gesagt ist das ziemlich verwirrend und du solltest irgendwie kenntlich machen, dass jetzt ein sehr großer Zeitsprung folgt.

Das Thema, das du gewählt hast, finde ich sehr interessant. Mein Großonkel ist letzten Monat gestorben - er und seine Frau waren über 50 Jahre miteinander verheiratet. Dass ist eine Zeitspanne, die ich mir momentan gar nicht vorzustellen vermag. Meine Großtante ist jetzt auch sehr orientierungslos und muss sich erst wieder halbwegs an dieses neue Leben gewöhnen - da sie mit ihren Kindern und Enkelkindern im Haus wohnt, fällt ihr das sicherlich ein bisschen leichter als jemandem, der so auf sich alleine gestellt ist wie der Protagonist in deiner Geschichte.
Seine innere Leere, seine Orientierungslosigkeit hast du schon ganz gut dargestellt - allerdings hättest du das für meinen Geschmack noch ein bisschen ausbauen können. Wie wirkt sich das denn alles im Alltag aus? Welche Probleme ergeben sich für ihn? Spontan fällt mir jetzt z. B. ein, dass er nie selbst kochen musste. Oder, oder, oder ...

Auch dass er die Gesellschaft zu verachten beginnt ist für mich insofern ganz sinnvoll - weil ihm das Leben zu schnell erscheint und er die Menschen nicht mehr versteht. Sie verwirren ihn und machen ihm insofern Angst.
Aber dass er die Jungen am Ende tötet erscheint mir doch zu sehr an den Haaren herbeigezogen - bis zu diesem Zeitpunkt wirkte er wie ein trauriger, verwirrter Mensch - und plötzlich soll er solches Gewaltpotential aufbringen, dass er hergeht und mir nichts, dir nichts einen Jugendlichen erschießt?! Und er ist sich noch nicht einmal seines Fehlers bewusst, sondern freut sich noch, dass er "eine Lektion erteilt hat"?
Sorry, aber das passt wirklich überhaupt nicht zu deinem Protagonisten und die Entwicklung zu einem Mörder klingt in deiner Geschichte nicht einmal an. Wenn du das Ende so lassen möchtest, so müsstest du die Entwicklung des Mannes zum Mörder plausibler machen.

Textdetails:

Der alte Mann wirkte müde und erschöpft, als er mit dem kleinen Paket die Straßenbahn betrat.

Im Grunde bedeutet "müde" und "erschöpft" schon mehr oder weniger das Gleiche.

Der Regenguss hatte sie aufgekratzt, sie schienen vergnügt, johlten und unterhielten sich laut.

Warum "schienen" - ich denke sie "scheinen" nicht nur vergnügt, sondern sind es tatsächlich.

Die Tiefe dieser Erfahrung erschrak ihn, und er scheute davor zurück, versuchte sich hinter einer Haltung von Stärke zu verstecken.

erschreckte

Der hielt an und wandte sich ihm zu. "Kann ich ihnen helfen?"

Ihnen (gro?)

Sie mochten 15 oder 16 Jahre alt sein.

Zahlen sollten in Kurzgeschichten immer ausgeschrieben werden.

"Ey, ich stecke Dir gleich ein Messer in den Arsch", polterte der andere Junge los, kam zwei Schritte auf ihn zu und stellte sich vor ihm auf.

dir (klein)

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo Bella,

vielen Dank für's Lesen und die Anmerkungen!

Bin selbst immer noch am Überlegen, ob die Geschichte nicht so ausgehen sollte, daß der alte Mann zum Schluß neben dem Jungen kauert, wie versteinert, bis die Polizei kommt. Die erste Idee zur Geschichte war eigentlich der "Lektion erteilen"-Satz, aber im Laufe des Schreibens wurde der alte Mann immer "menschlicher", so daß ich am Ende auch unsicher bin, ob diese harte Reaktion noch schlüssig ist.

Bzgl. Deines folgenden Einwandes:
"Plötzlich ist der Tod der Frau jedoch schon über ein Jahr her. Ehrlich gesagt ist das ziemlich verwirrend und du solltest irgendwie kenntlich machen, dass jetzt ein sehr großer Zeitsprung folgt."
Es gibt ja eine Reihe Formulierungen, die andeuten, daß im Laufe der Geschichte Zeit vergeht, etwa "Die Zeit nach dem Tod seiner Frau verlebte er wie in einem Nebel." oder "Mehr und mehr zog er sich zurück..." Falls andere Leser aber auch darüber stoßen, daß am Ende der Geschichte bereits ein Jahr seit dem Tod der Frau verstrichen ist, werde ich das etwas deutlicher hervorheben.

Jedenfalls nochmal Danke für die Anregungen!

Beste Grüße,
Michael

 

Hallo michabln,

es wäre ein ziemlicher Aufwand, in Deutschland die Urne mit der Asche eines Verstorbenen aufzustellen. Da es verboten ist, müsste dein Prot Umwege gehen. Die Feuerbestattung müsste zum Beispiel in der Schweiz stattfinden. Von dort aus dürfte dein Prot (soweit ich weiß) die Urne als Postpaket verschickt werden, allerdings nicht im Gepäck mit über die Grenzen genommen werden.
Schon also dein Prot die alte Pistole einsteckte, habe ich mich gefragt, wo hat er sie her? Was hat er gemacht, dass er überhaupt eine hat?
Dann irritierte mich bei der Geschichte und einer so lang anhaltenden Ehe die völlige Abwesenheit von Kindern und Enkeln? Bei einer so erfolgreichen Ehe sollte mE selbst erwähnt werden, wenn es keine Kinder gab.
Schon des Zeitkontextes wegen. Nehmen wir mal an, das aktuelle Geschehen spielt in diesem Jahr, so fand die Hochzeit 1952 statt. Ehen zu dieser Zeit blieben sehr selten kinderlos.
Die Schüsse fallen mir aus dem Charakter des Prot zu unvermittelt. Zum einen: Wenn er es (siehe oben) tatsächlich geschafft hat, die Asche seiner Frau in einer Urne bei sich zu Hause zu haben, muss er angesichts des Aufwands, der dafür zu betreiben ist, noch fest im Leben stehen. Die Hilflosigkeit, mit der du den Prot beschreibst, passt nicht dazu. Wenn die Schüsse also aus einer gewissen Hilflosigkeit der Zeit gegenüber fallen (was für mich die einzige Erklärung wäre), ist es für mich an dieser Stelle unschlüssig. Ebenso die unerschrockene Haltung, mit der die danach ins Haus geht. Auch hier fehlt der Background zur Pistole.
Ob es ein Mord ist, geht aus der Geschichte nicht hervor. Der Freund könnte noch Krankenwagen und Polizei rufen. Das bleibt offen. Die Kaltblütigkeit passt aber irgendwie nicht zum Charakter, der gern in die Oper geht und eher in melancholischer Rückbetrachtung lebt, als in Hass. Daher meine Aussage, Hilflosigkeit wäre die einzige Erklärung für die Schüsse. Dazu reagiert der Mann aber zu cool.
Details:

Die Zeit nach dem Tod seiner Frau verlebte er wie in einem Nebel.
wenn du hier "nach dem Tod" schreibst, ist der Casus falsch und es müsste "hatte verlebt" heißen, Du meinst aber ohnehin eher "seit dem Tod". Dann hält die zeit noch an und der Casus kann im Prätorium bleiben
schaute zu der Urne im Schrank auf
ich war gedanklich irgendwie immer noch im Bus, dachte der Mann säße zur Zeit da, insofern irritierte mich sehr, dass die Urne auf einmal auf dem Schrank steht.
die nur über ihre Krankheiten klagten, und verließ das Haus schließlich nur noch zum Einkaufen
Er liebte es, die kurze Distanz nach Hause zu Fuß zurück zu legen
mE zurückzulegen (in diesem Kontext)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo michabln,

die Grundidee, nämlich die Hilflosigkeit und Leere darzustellen, wenn man einen geliebten Menschen verliert, die finde ich gut.
Was mich stört ist, dass du so wenig persönlich wirst, ich meine damit, dass weite Passagen deiner Geschichte quasi ein Erzähler über den Mann berichtet und ihn fast resümierend schildert wie im Zeitraffer.

Dialoge mit seiner Frau wären die Alternativen, denn er kann doch in Gedanken mit ihr über alles Mögliche reden und sich bei ihr beklagen und überhaupt Zwiesprache mit ihr halten und auf diese Weise lernt der Leser den Protagonisten kennen. Das gäbe dem Text mehr Tiefe und gleichzeitig Lebendigkeit.
Nur ein kleines Beispiel für das was ich meine:

Als bei ihr Krebs diagnostiziert worden war, hatte er seine Hoffnungen in die Medizin gesetzt und seiner Frau gegen ihren eigenen Impuls geraten, alle Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Bestrahlung, Chemo – auch wenn er zeitweise darunter litt, dass die Behandlung seiner Frau mehr zu schaffen machte als die Krankheit selbst.

Es könnte so aussehen:

Käthe, es tut mir so leid, dass ich dich damals zur Chemo gedrängt habe, aber ich hatte doch solche Furcht, dich zu verlieren. Es musste doch einen Ausweg geben, man durfte doch nicht aufgeben, versteht du das Käthe? Ich weiß, du wolltest nicht. Vielleicht wusstest du da schon wie es um dich steht. Nur ich, ich habs nicht sehen wollen.

Das Ende deiner Story finde ich einfach unrund. Diese Brutalität passt nicht zur Resignation. Ich denke, man würde in solch einer Situation eher Belästigungen, Angriffe anderer aufnehmen in seine Gefühle, dass ja doch jeder nur ein Feind geworden ist und sich in weitere Lethargie ergeben. Resignation führt zu tieferer Resignation. Es sei denn, es passiert etwas Unerwartetes, was einen aufwachen lässt und was einen heraus reißt aus dem Strudel der Resignation, der sich immer tiefer nach unten ziehend dreht.


Was mir aber als Verbesserung deines Plot einfällt wäre folgende Handlung: Wie wäre es, wenn er diese Urne an einen sicheren Ort bringen will, zu sich oder woanders hin, dort wo er es sich mit Käthe schön machen will. Dann kannst du sogar noch einbauen, dass er diese Urne vom Grab mitnimmt und es heimlich tun muss. Also auch noch ein bisschen Spannung wäre möglich.

Seine Isolation bringt ihn dazu, sich ihr immer näher fühlen zu wollen, sie immer dichter bei sich haben zu wollen und er schafft für sich und für seine Frau einen ganz intimen Ort.Er will ihn schaffen. Und genau dorthin ist er unterweg mit ihr in der Urne und mit seiner quasi Vorfreude auf dieses gemeinsame stille Beisammensein.
Und dann tauchen Störer auf, die ihn davon abhalten, seinem Ziel näher zu kommen, die ihn entweder wirklich davon abhalten oder er es nur wahnhaft glaubt, dass sie ihn stören wollen in seinem Vorhaben. Und diese Situation, die ihn bedrängt als ginge es um sein Leben (im Grunde geht es um sein Leben, das nur noch dadurch einen Sinn erhält) die veranlasst ihn zu schießen.

Dann wäre seine Aggression nachvollziehbar und für mein Dafürhalten rund.


Ach und hier noch ein kleiner Fehler, für den Fall, dass dein Text doch so bleibt wie er ist:

Wann habe ich überhaupt das letzte Mal geschlossen?
da ist ein l zuviel.

Lieben Gruß
lakita

 

@ sim: Dass das mit der Urne in Deutschland nicht so einfach ist, zerschießt mir ein wenig das Anfangsmotiv ;-)
Offenbar muss ich meine Research-Pflichten etwas ernster nehmen. Ansonsten liegst Du mit Hilflosigkeit als Motiv richtig, und ich habe den Text hinsichtlich des Endes noch einmal überarbeitet und hoffe, er ist jetzt stimmiger.

@ lakita: Vielen Dank für den handwerklichen Tip, durch weitere Monologe die Erzählung etwas lebendiger zu machen! Auch das habe ich in der Revision berücksichtigt.

Vielen Dank für Eure detaillierten Kommentare!
Michael

 

Hallo michabln,

ich finde Deine überarbeitete Version ist um einiges runder als die Vorherige; gefällt mir gut. Das einzige Problem habe ich nach wie vor mit dem Titel Deiner Geschichte. Auch wenn die Redewendung "Hart wie Krupp-Stahl" heutzutage wieder ganz normal verwendet wird, hat sie doch etwas anrüchiges, besonders wenn Du sie im Zusammenhang mit dem Krieg erwähnst, da diese Redewendung von Hitler für seine Propaganda mißbraucht wurde. Und da Dein Prot. zumindestens als Kind den Krieg noch miterlebt hat, kommt mir am Schluß Deiner Geschichte immer wieder der Gedanke Dein Prot. ist ein Nazi, deshalb erschießt er auch so kaltblütig den Jungen.

Ich weiß, daß das absolut nicht Deine Intention ist und vielleicht bin ich auch der einzige der diese Assoziation hat, dennoch würde ich den Titel noch einmal überdenken, da ich auf jeden Fall ein Problem mit dem Titel habe.

lieben Gruß
graylox

 

Hallo graylox,

vielen Dank für's Lesen und Gutfinden!

Was den Titel betrifft, ist Deine Assoziation genau richtig, das ist sicher ein Begriff, den der Protagonist aus seiner Jugend kennt. Mir hat der Titel aber gerade deshalb gefallen, weil er diesen Bruch hervorhebt: Der alte Mann wirkt nach außen hin zwar sehr hart und ruppig, aber dahinter steht nicht (mehr) Stärke, sondern eher Ängstlichkeit.

Falls Du aber eine spannende Idee hast, laß mal hören :shy: Ich bin manchmal etwas title-challenged...

Viele Grüße,
Michael

 

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