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Haste mal nen Euro
„Haste mal nen Euro?", fragte er und streckte mir eine Hand entgegen.
Wenn man die Kaufhäuser verlässt, stolpert man förmlich über die Bedürftigen.
Mitten in der Fußgängerzone sitzen sie Stunde um Stunde, harren aus bei Wind und Wetter - oft hungrig und frierend zur kälteren Jahreszeit. Bedauernswerte Menschen, die darauf warten, dass man sich ihrer erbarmt. Auf dem von Staub und Straßenschmutz versifften Kopfsteinpflaster, haben sie fleckige Decken ausgebreitet; hoffen auf eine milde Gabe. Die meisten Passanten hasten achtlos an ihnen vorüber und würdigen sie keines Blickes.
Gemächlich schlendere ich durch die Stadt und sehe mir die Auslagen der Kaufhäuser an. In einer kleinen Boutique erliege ich schließlich meiner Verschwendungssucht; gebe mich ganz dem Kaufrausch hin. Voll bepackt wie ein Esel, mit überflüssigem Zeug, das sich schon in meinen Schränken stapelt, bahne ich mir den Weg ins Freie. Mein Blick fällt auf einen davor knieenden Bettler. Beim Anblick der bedrückenden Armut regt sich mein Gewissen. Ich bringe es nicht übers Herz, daran vorbei zu gehen, ohne etwas zu spenden.
Einmal fiel mir um die Mittagszeit auch wieder so ein armer Kerl auf. Mitleid erregend saß er zusammengekauert auf einem Stapel gebündelten Zeitungspapier; mit zerlumpten Klamotten, in denen sich ein kraftloser Körper abzeichnete. Die Füße hatte er in zu großen, ausgelatschten Sandalen stecken, die auch schon einmal bessere Zeiten gesehen hatten. Als ich in sein ausgemergeltes Gesicht sah, beschloss ich ganz spontan, etwas für sein leibliches Wohl zu tun. Nebenan in der Metzgerei besorgte ich belegte Brötchen mit Schnitzel und Frikadelle. Das hielt ich für sinnvoller, als ihm Geld in die Hand zu drücken. Aus seiner verschlissenen Jacke lugte eine Schnapsflasche hervor und man sah ihm an, dass er das geschnorrte Geld sofort in "flüssige Nahrung" umsetzen würde. Darin wollte ich ihn nun nicht gerade unterstützen. Als ich ihm die Tüte reichte und er hinein gesehen hatte, sah er mich aus trüben Augen verständnislos an. Seinen Blick deutete ich nicht als Dankbarkeit. Eher als zweifele er an meinem Verstand. Nur mit Rücksicht auf andere Passanten blieb mir sicher die Frage, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, erspart. Als ich mich an der nächsten Ecke noch einmal nach ihm umdrehte, konnte ich gerade noch sehen, wie er die Tüte samt Inhalt in einem Müllcontainer entsorgte.
Ein anderes Mal brachte ich ein junger Frau, die mit zwei kleinen Kindern um Geld bettelte, einen Sack mit Klamotten vorbei. Sie war mir Tage zuvor schon durch die geflickten, uralten Sachen aufgefallen, die sie trug. Mit einem abschätzenden Blick hatte ich erkannt, dass ihre Größe mit meiner überein stimmte und wollte ihr etwas Gutes tun. So trennte ich mich schweren Herzens von einigen sehr schönen, modernen und kaum getragenen Kleidungsstücken. Sie bedankte sich zwar artig, aber irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich ihr keine Freude damit bereitet hatte. Als ich Stunden später zufällig noch einmal an der Stelle vorbei kam, war von der Frau und ihren Kindern weit und breit nichts mehr zu sehen.
Wenn sie geahnt hätte, dass sich darin auch noch ein Umschlag mit 50 Euro befand, wäre mein Kleidersack sicher nicht unberührt und verlassen in einer Ecke stehen geblieben.
Ein Erlebnis wird mir auch immer in Erinnerung bleiben.
Ein finster dreinblickender Mann, der einen kleinen Jungen an der Hand hielt, bettelte mich an.
„Haste mal nen Euro?"
Der Kleine erweckte meine Aufmerksamkeit. Ein unterernährtes Kerlchen mit verschmiertem Gesicht.
Er zupfte mich am Ärmel.
„Haste mal nen Euro?", wiederholte er die Bitte des Alten und sah mich traurig an. Ein paar Tränchen kullerten über seine Wangen und die Rotznase lief. Während ich in meiner Handtasche nach dem Portemonnaie kramte, wurde ich plötzlich angerempelt. Ich stolperte und wäre fast zu Boden gegangen. Durch den Jungen war ich so abgelenkt, dass mir eine dritte Person, die zu dem Trio gehörte, gar nicht aufgefallen war. Es ging alles ganz schnell.
Unbemerkt wurde mir inmitten einer Menschenmasse die Tasche entrissen. Ein gut eingespieltes Team war ruck-zuck - wie vom Erdboden verschluckt - von der Bildfläche verschwunden.
Nachdem ich beim nächsten Polizeirevier Anzeige erstattet hatte, machte ich mich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Ich klopfte meine Manteltaschen ab. Ich trug keinen Cent mehr bei mir. Womit sollte ich meinen Fahrschein lösen? Suchend sah ich mich um. Nirgends konnte ich ein vertrautes Gesicht entdecken. Keinen Bekannten, den ich mal anpumpen könnte. Dann tat ich etwas, was ich in meinem ganzen Leben noch nie getan hatte.
„Haste mal nen Euro?"
Bedauerndes Kopfschütteln. Es ist ein sehr beschämendes Gefühl, einen wildfremdem Menschen auf der Straße um Geld zu bitten.