Hausaufgaben - Leben nach dem Tod?!
Pünktlich und zielstrebig schlendert Nadine in Richtung Bushaltestelle, von wo sie kurz darauf zur Schule gebracht wird.
Dieselben Leute, dieselbe Strecke, dasselbe Leben. Was auch sonst?
Kurz nach der Ankunft an der Institution, die für sie sowohl Herausforderung als auch Bestätigung oder wenigstens die Suche danach bedeutet, trifft sie schon die erste von ihren besten Freundinnen. Christina. Ihr zweiter Name? Hat sie denn einen?
Fragen über das, was da wohl heute in Latein auf sie zukommen mag und über das, was gestern in Mathe über sie gekommen war, beschäftigen sie, bis endlich die Klingel ihr Gespräch abrupt beendet. Pünktlichkeit und Gehorsam sind nun verlangt.
Wie schon erwähnt, findet sich Nadine kurz darauf neben zwei ihrer besten Freundinnen im Fach Latein wieder und plaudert noch über dies und das, bis schließlich die Autorität eintritt und Ruhe gebietet. Das es auch in einem solch komplexen Fach wie Latein Idioten gibt, die den Lehrer ignorieren, juckt sie schon längst nicht mehr. Die putzen ihren Pool. Irgendwann, es wird eine Weile dauern, aber es wird passieren und es wird sich lohnen.
„Guten Morgen!“ Wünscht eine raue tiefe Stimme. „Guten Morgen!“ Schallt es fröhlich zurück.
Derselbe Lehrer, dieselbe Klasse, dasselbe Ritual, dasselbe Leben. Natürlich!
„Wenn ich nun eure Hausaufgaben hören dürfte!“ Erbarmt sich schließlich der Lehrer um der guten Laune Einhalt zu gebieten.
Endlich! Zwei Stunden hatte sie gestern Mittag über den Büchern verbracht, um diesen Text zu übersetzen. Und wenn sie sich nun die Versionen ihrer Nachbarinnen ansah, rangen ihr die nur Ansätze eines müden Lächelns ab und das auch nur aus Mitleid gemischt mit der Freude, die man hat, wenn jemand, den man nicht leiden kann, auf einer Bananenschale ausrutscht.
Mit den Worten: „Ich bin mir aber nicht sicher, ob das so stimmt“, reagiert sie auf den Blick des Lehrers und beginnt ihren aufs Kleinste auf Fehler überprüften Text vorzutragen.
Als Dreißig Sekunden später ein komplett richtiger und gut durchdachter Text fertig gelesen und allgemeines neidisches und ehrfürchtiges Gemurmel im Klassenzimmer laut wird, erlebt Nadine den Höhepunkt des Tages.
Diese Anerkennung ist mit nichts zu vergleichen. Diese Achtung vor ihrer Person, von der sie sonst nicht weiß, woher sie sie bekommen soll. Zwei Stunden Freizeit absolut wert. Sie hätte so oder so nicht gewusst, was tun. Außerdem erledigt sich das fast von selbst, in all der Vorfreude auf das Ergebnis und die Belohnung für ihre Arbeit.
Gegen Ende der Stunde, das Hausaufgabenheft opferbereit aufgeschlagen, wird ihr aber klar, dass es heute keine geben wird. Es ist der letzte Tag vor den Osterferien.
Schulstunde für Schulstunde bewahrheitet sich diese Befürchtung und kurz vor Ende der letzten bricht sie in Panik aus.
Ein Referat? Schon gehalten! Nachhilfe? Bringt auch nichts!
Warum hatte sie nicht schon in Latein an das Referat gedacht? Dort würde sie bestimmt noch eins halten dürfen. Vielleicht erwischt sie die Lehrerin noch, wenn sie sich beeilt…
Weder hatte sie Hausaufgaben in letzter Minute aufbekommen, noch war der Lateinlehrer irgendwo zu finden.
Eine Telefonnummer? Ist das nicht übertrieben?
Wäre sie doch nur schon Ärztin. Die dürfen wenigstens Überstunden machen.