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Hautnah

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04.04.2008
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Hautnah

Hautnah


Das Auto wartete vor dem Flughafengebäude. Die Türen wegen der brütenden Hitze weit geöffnet, stand es in der glühenden Sonne. Der junge Fahrer lehnte dösend an der Kühlerhaube, die Dienstmütze tief ins Gesicht gezogen.
Brügger eilte zu ihm und tippte auf den klebrigen Stoff seines Hemdes. Mit einer knappen Drehung reichte der junge Mann ihm die Hand und lächelte freundlich.
„Guten Flug gehabt?“ Er schloss die übrigen Türen und setzte sich hinters Steuer.
Brügger ließ sich erschöpft in die Rückpolster fallen. Zu ausgelaugt für eine Antwort, nickte er den Augen im Rückspiegel zu, legte den Aktenkoffer neben sich und lockerte die Krawatte.
Er war dankbar, dass der Fahrer keinen weiteren Konversationsversuch unternahm und den Wagen geschickt in den Verkehr einfädelte.
Brügger schloss die Augen und dachte, dass er allmählich zu alt für diese Langzeitflüge wurde. Trotz Beinfreiheit und allem Komfort tat ihm jeder Knochen weh, sein Schädel dröhnte und die Fußknöchel waren geschwollen.
Die Chinesen waren zähe und gerissene Verhandlungspartner, doch schließlich hatten sie sein Angebot akzeptiert, und so würde der Vertrag wohl nächste Woche zustande kommen. Deutsches Feinblech ins Reich der Mitte.
Brügger versuchte, seine geschwollenen Finger zu bewegen. Der Ehering schnitt schmerzhaft ins Fleisch. Seufzend dachte er an die mandeläugige Chinesin mit den schmalen, muskulösen Oberschenkeln, die sich wie ein Schraubstock um seine Schultern gelegt hatten. Auch die Serviceleistungen bereiteten ihm keine uneingeschränkte Freude mehr.
Überhaupt, es waren von jeher die üppigen Amerikanerinnen gewesen, die ihn anmachten, das ewige Glamourgirl, kurvig und blond, so wie Marion damals ausgesehen hatte, vor fast fünfunddreißig Jahren.
Die Klimaanlage pumpte künstliche Frische ins Wageninnere und Brügger bekam eine Gänsehaut. Marion hatte ausgesehen wie Marilyn. Er konnte ihr nie schnell genug die Kleider vom Leib reißen, ihre weichen Riesenbrüste kneten, bis sie stöhnend die Luft einsog.
Mein Gott, wie lange lag das zurück? Brügger erinnerte sich nicht einmal mehr daran, wann er seine Frau zum letzten Mal nackt gesehen, geschweige denn Haut berührt hatte, die von Kleidern befreit werden musste. Mit achtundfünfzig bevorzugte er freizügige junge Damen, die sich routiniert entblättern ließen und sich der Erotikillusion bewusst waren, genau wie er.
Brügger ließ die Gedanken ohne Bedauern ziehen und konzentrierte sich auf die Vorstellung, in geraumer Zeit ausgiebig zu duschen und danach mit einem goldenen Bourbon auf der sonnengeschützten Terrasse zu sitzen.

Er war kaum eingetreten, den Aktenkoffer noch in der Hand, als sein Schritt stockte.
Niemals hatte Brügger damit gerechnet, dass Marion nackt daliegen würde! Erschreckt und verwirrt wandte er den Blick ab, sah auf seine staubigen Schuhspitzen.
Er hatte keinen Speichel mehr im Mund, die Zunge pappte am Gaumen und seine Augen fühlten sich ausgetrocknet an. Blinzelnd bewegte er sich schließlich auf Zehenspitzen vorwärts. Vorsichtig stellte er den Aktenkoffer ab.
Sein Herz schlug hart gegen den Brustkorb, und das Blut pulsierte in den Ohren. Plötzlich erfasste ihn heftige Neugier. Kein Gedanke an Scham, nur der Wunsch sie anzuschauen, in Ruhe, schonungslos voyeuristisch.
Konnte er noch eine Spur von Marilyn entdecken?
Marions Kopf lag zur rechten Seite geneigt, ihm zugewandt, und er bemerkte, dass ihre Augenbrauen noch immer den lebhaften Schwung der Jugend hatten. Gezupft und gebürstet, dachte Brügger, doch ihre Lider verrieten die Jahre. Dünn und durchscheinend, wie altes Bütten, lagen sie über den Augen.
Die Wimpern, schon immer zu kurz für seinen Geschmack, waren nicht getuscht und von unregelmäßiger Länge. Er fand, dass sie sich einfach nicht so zeigen sollte. Unter einer leichten Sonnenbräune schimmerte der blasse Hautton durch, der ihn flüchtig an ihre elfenbeinfarbene Schönheit erinnerte. Wie alle Naturblonden hatte Marion Sommersprossen. Winzige Sprenkel, die tanzten, wenn sie die Nase kräuselte, und die er verliebt gezählt hatte. Wie viele Male, mit wie vielen Ergebnissen?
Brügger beugte sich vorsichtig vor, doch er sah nur die grobporige Haut der Nasenflügel und scharfe Falten am oberen Rand des Jochbeins, gemeißelt in die papierdünne Haut.
Der Anblick ihres Ohrläppchens erschreckte ihn regelrecht. Waren die schweren Ohrgehänge Schuld daran, dass es wie ein ausgewrungener Lappen aussah, der von einem langen, senkrechten Riss zerteilt wurde?
Brügger richtete sich auf und taxierte unwillig ihren Kopf. Die spröden, strichdünnen Lippen, der Ansatz grauer Haare in ihrer strähnigen Frisur. Sein Widerwille wuchs, als sein Blick über ihren Körper wanderte
Warum, verdammt noch mal, war sie so hässlich geworden? Gab sie nicht Unmengen für Kosmetik aus? Weshalb hortete sie zahllose Tuben und Tiegel in ihrem Bad, ging zur Gymnastik und in die Sauna, wenn ihre Brüste wie fleckige, überreife Birnen an ihr hingen?
Brügger fühlte, wie die Wut ihn packte. Er hätte sie gerne geschlagen, ihre stumpfe, hügelige Brustwarze gepackt und daran gerissen, bis die Streifen auf ihrer Haut lang wären wie Mauerrisse.
Wofür zum Teufel, schuftete er sich ab, tagein tagaus, wenn sie ihm nichts zu bieten hatte als diesen Anblick?
Ihr Bauch war immer noch flach, doch die Haut um den Nabel körnig und grau. Dieser Körper erinnerte ihn an den groben Sand der Nordseestrände, und mit Verwunderung stellte er fest, dass nicht ein Funken Barmherzigkeit in ihm glomm.
Dabei war sie nur zwei Monate jünger als er. Sie war achtundfünfzig, genau wie er!
Brügger schüttelte den Kopf. Egal, sie war eine Frau, ein Luxusweibchen, verwöhnt, ohne Kreditkartenlimit. Ein einziges Kind hatte sie großgezogen, mit Köchin und Kinderfrau, ihr Nachtschlaf wurde nie gestört, ihr Bad war eingelassen, wenn sie aufstand, und dennoch erlaubte sie sich, ihm den Anblick einer verfallenden Ruine zu bieten!

Der Raum war kühl und schattig, doch Brügger lief der Schweiß in Strömen über Gesicht und Nacken, rann seinen Rücken hinunter. Eigentlich ist es zu kühl hier, um nackt dazuliegen, dachte er. Vielleicht sähe Marion in der Sonne wieder besser aus, straffer und rosiger.
Er zerrte an den oberen Hemdknöpfen, seine Hände zitterten unkontrolliert. Mein Gott, er brauchte dringend einen Schnaps, oder Cognac, irgendwas Hochprozentiges.
Sein Blick wanderte abwärts und er starrte auf ihren Schamhügel.
Wo waren die blonden Locken, der dichte Busch, in den er sein Gesicht geschmiegt hatte?
Sein Gehirn schickte ihm die Erinnerung an den schweren, süßen Duft, die glitzernden Tröpfchen der Verheißung, wenn seine Zunge abwärts wanderte.
Sein Zorn machte das Atmen schwer, er trat von einem Bein auf das andere, fuhr sich mit der Hand über den feuchtklebenden Nacken.
Die wenigen, angegrauten Flusen hatten nichts mehr mit der schimmernden Verlockung seiner Erinnerung zu tun. Was er anblickte, sah ebenso erbärmlich aus wie ein gerupftes Huhn. Und wieso lag ihre gekrümmte Hand mit dem glänzenden Ehering auf dem Hüftkamm, wie ein Wegweiser zu der ausgetrockneten Grotte? Wollte sie ihn daran erinnern, dass er ihr Mann war, forderte sie sein Bekenntnis ein?
Hinter Brüggers Schläfe hämmerte der Schmerz. Er fühlte sich elend, wütend und hilflos. Es wäre eine Erleichterung, anders empfinden zu können. Er suchte nach wärmeren Regungen, beschwor Bilder ihrer wilden, stürmischen Zeit herauf. Doch sie wurden nicht lebendig, es war, als kramte er in einer verstaubten Fotokiste.
Außer Verbitterung empfand er nichts, als plötzlich ein neues Bild in seinem Kopf auftauchte.
Er sah sich im Hotelzimmer in Peking, schon völlig nackt, als die junge Chinesin eintrat. Seit er älter wurde, gelang es ihm nicht mehr, sich seiner Kleidung so schwungvoll zu entledigen, dass es sexy wirkte. Zu peinlich waren ihm die Verhedderungen in Hosenbeine und hängen gebliebene Socken, wenn sein Rücken am Ende eines Verhandlungstages steif vom stundenlangen Sitzen war. Die kleine Sunny war höchstens Anfang Zwanzig, und er saß mit eingezogenem Bauch auf dem Bett, als sie ihr dünnes Seidenkleid über den Kopf streifte, unter dem sie nichts als einen winzigen String trug. Brügger erinnerte sich deutlich an seinen verstohlenen Blick auf seinen Schwanz, der sich noch nicht regte, und so stürzte er sich aus lauter Verlegenheit auf die festen, kleinen Brüste und begann wild an der halbweichen Warze zu saugen, während er mechanisch die andere Brust knetete.
Was hatte Sunny gesehen?
Seinen verschwitzten Schädel mit der kahlen Stelle in der Mitte. Einen Vaterschädel, einen Großvaterkopf. Und später, als er seine Hand in ihr schwarzes Haar krallte, ihren zarten Kopf an sich presste, was hatte sie da gesehen?
Wahrscheinlich waren ihre Augen geschlossen, damit sie beim Saugen an seinem Schwanz den Speckhügel über seiner Scham nicht sehen musste, und nicht die stacheligen schwarzgrauen Haare auf einem gewölbten Bauch, den er nicht länger einziehen konnte.
Wusste sie, dass seine Zehen sich vor Anspannung krümmten, weil er Angst hatte, nicht spritzen zu können? Als sie ihn, auf dem Rücken liegend, fast mit ihren Beinen erdrosselte, wusste sie von seiner Panik, dass sein Schwanz in ihr erschlaffen könnte, trotz der blauen Pille? Was würde aus ihrer höflichen Gefälligkeit, wenn sie später mit anderen Edelnutten in der Hotellobby saß? Sie konnten sich mehrsprachig über die alternden, geilen Böcke aus der westlichen Industriewelt lustig machen.
Brügger fühlte Übelkeit aufsteigen. Sein Würgen klang wie ein trockenes Schluchzen.
Hinter ihm räusperte sich jemand. Er fuhr erschreckt herum.
Der ältere Mann mit dem dicken Notizkalender sah ihm ins Gesicht.
„Ist die Tote Ihre Frau, Herr Brügger?“
Er nickte, und als er ins Schwanken geriet, griff der Kommissar nach seinem Ellbogen.
„Wie hat sie es gemacht?“, flüsterte Brügger.
„Wir haben drei leere Röhrchen von starken Schlaftabletten gefunden. Sie war allein im Haus, es gibt keinen Anhalt für irgendeine Form der Fremdeinwirkung. Die Putzfrau hat uns alarmiert, als ihr niemand öffnete.“
Der nüchterne Ton beruhigte Brügger. „Können Sie sie zudecken, bitte?“
Aus dem Hintergrund tauchte ein Mann in grüner OP-Kleidung auf und zog ein dünnes, weißes Tuch von den Füssen hoch bis über Marions Kopf.
So war es besser. „Kann ich jetzt gehen?“
Der Kommissar nickte. „Selbstverständlich. Wir danken Ihnen, dass Sie sofort hierher gekommen sind. Soll der Kollege Sie nach Hause fahren?“

Das Auto wartete vor dem Institut für Rechtsmedizin. Die Türen wegen der brütenden Hitze weit geöffnet, stand es in der glühenden Sonne. Der junge Fahrer lehnte dösend an der Kühlerhaube, die Dienstmütze tief ins Gesicht gezogen. Dieses Mal sprach er kein Wort, sah Brügger nur kurz ins Gesicht und lenkte den Wagen in Richtung seiner Adresse. Er musste sie kennen.
Brügger saß im Fond und versuchte mit aller Anstrengung, den aufkommenden Gedanken zu unterdrücken, doch sein Bemühen war vergeblich: Marions Beerdigung durfte nicht am kommenden Donnerstag sein, denn da war Vorstandssitzung.

 

Hallo Jutta!

zunächst mal Fehler und Anmerkungen:

Seufzend dachte er an die mandeläugige Chinesin mir den schmalen
mit
Brügger erinnerte sich nicht einmal mehr daran erinnern
da ist was zuviel
Mit achtundfünfzig bevorzugte er freizügige junge Damen, die sich routiniert entblättern ließen und sich der Erotikillusion bewusst waren, genau wie er.
ein verunglückter Satz, besonders die "Erotikillusion" stört mich, da kann ich mir nicht wirklich vorstellen, was du meinst
Brügger ließ die Gedanken ohne Bedauern ziehen und konzentrierte sich auf die Vorstellung, in geraumer Zeit ausgiebig zu duschen und danach mit einem goldenen Bourbon auf der sonnengeschützten Terrasse zu sitzen.
Wenn man die ganze Geschichte kennt, dann führst du den Leser schon verdammt aufs Glatteis damit, ist der wirklich derart abgebrüht?
Wie alle Naturblonden, hatte Marion Sommersprossen.
ohne Komma
gemeißelt in die papierdünne Haut..
"gemeißelt" passt nicht zum papierernen Bild, wie wär´s mit "gepresst"?
um den Nabel körnig und grau. Dieser Körper erinnerte ihn an den grobkörnigen Sand der Nordseestrände,
die Wortwiederholung find ich hier störend: körnig
wenn seine Zunge abwärt wanderte
abwärts
Und wieso lag ihre gekrümmte Hand mit dem glänzenden Ehering auf dem Hüftkamm
Ich denke, in der Pathologie wird jeglicher Schmuck entfernt.
unter dem sie nichts als einen winzigen string trug
groß: String
Brügger erinnerte sich deutlich an seinen verstohlenen Blick auf seinen Schwanz, der sich noch nicht regte
Ach, muss er da wirklich nachsehen? :D
„Ist die Tote ihre Frau, Herr Brügger
groß: Ihre

Ja, deine Geschichte geht wirklich ans Eingemachte. "Schonungslos" ist wohl das richtige Wort dafür, sowohl was seine Betrachtung ihres gealterten Körpers als auch was ihn selbst betrifft. Die Figur dieses Brügger ist dir wirklich gut gelungen. Für ihn ist nur das Materielle und Körperliche wichtig, das Geld sicher auch, für ihn gibt es nichts, was darüber hinausgeht. Ein tolle Geschichte, wenn ich auch nicht glaube, dass er sich selbst so kritisch sehen würde. Auch den Schluss find ich toll, wie du zeigst, dass er weiß, dass er eigentlich betroffen sein sollte, dann aber doch nur ans Geschäft denkt. Eine gelungene Geschichte! :)

Gruß
Andrea

 

Hallöchen !

Zeitweise hat mich Deine Geschichte richtig mitgenommen !
Ich habe mir gedacht : Was kann das für ein Mann sein, der nur die Äußerlichkeiten seiner eigenen Ehefrau liebt, sie so verachtet, selbst als sie tot ist.
Es ist toll wie viel Persönlichkeit Du Deinem Prot gibst, vor allen Dingen, wieviel Möglichkeiten geschaffen werden, sich den Charackter weiter auszudenken.

Hat mir wirklich gut gefallen !

Grüße,
Himbeerchen

 

Hallo Jutta,
was fuer eine schreckliche, gnadenlose Geschichte! Weiss gar nicht, was ich sagen soll, ausser - sehr gut beschrieben und auf eine gemeine Art fesselnd. Fast will man "Hoer auf!" schreien, wenn so ueber die Frau hergezogen wird, andererseits muss man trotzdem weiterlesen.
Das Allertraurigste an deiner Geschichte aber ist, dass sie wohl hundertmal am Tag irgendwo passiert ...
Echt starke Story!


ein kleiner Fehler ist mir noch aufgefallen, ....sie traegt nichts als einen winzigen string - String gross


Gruss,
sammamish

 

Liebe Andrea,
danke für die Fehleranmerkungen, obwohl mich das echt frustet, dass nach mehrmaligem Lesen immer noch Fehler drin sind. Habe gleich verbessert und Deine Vorschläge zum Teil umgesetzt. Tja, ob Brügger unbedingt auf seinen Schwanz gucken musste, weiß ich auch nicht, doch so, wie ich ihn kenne, hat er es getan! In der Pathlogie wird bestimmt der Schmuck entfernt, aber hier ging es zunächst um die erste Identifizierung der Leiche, noch nicht um Obduktion, da habe ich mir erlaubt, den Schmuck dran zu lassen. Ich weiß auch, dass Leichen nicht nackt präsentiert werden, aber für die Geschichte mußte das mal so sein. Danke fürs Lesen und die wohlwollende Beurteilung.

Hallo Himbeerchen, A.-E. und sammamish!
Auch Euch herzlichen Dank fürs Lesen und die Beurteilung. Ich finde es spannend, wie unterschiedlich Geschichten aufgenommen werden und welche Assoziationen sie bei Lesern auslösen. Für mich ist das eine Fundgrube an neuen Perspektiven, besonders, weil sich hier so viele Lebensalter treffen.
LG,
Jutta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jutta,

ich hatte eigentlich einen dringenden Termin und wolte vorher kurz bei KG einschauen. Und dann stieß ich auf deine Geschichte, las mich fest und bin total beeindruckt. Die Schilderung der Frau geht unter die Haut, so schonungslos habe ich selten eine Beschreibung gelesen. Irgendwann sind wir alle davon betroffen und ich hoffe mal, dass mein BETRACHTER andere Gedanken hat. Ob der Mann sich auch so selbstkritisch betrachtet, bezweifle ich etwas. Meist sind es die Frauen die älter werden, die Männer werden reifer!
Ich freue mich auf weitere Geschichten von dir.

Ciao,
jurewa

 

Super!

Hallo zusammen!

@ Jutta Ouwens

Du hast eine ausgezeichnete Geschichte geschrieben, die zurecht empfohlen wurde.

Dein Schreibstil liest sich sehr angenehm und die Sprache, die Du benutzt, sitzt.
Besonders beeindruckend fand ich das von Dir ausgearbeitete Charakterprofil von Brügger. Die Nuancen, wenn er sich beim Anblick seiner toten Frau an die chinesische Gespielin erinnert...seine eigene Verletzlichkeit, sind Dir wirklich gut gelungen.
Mit seinem fortgeschrittenen Alter und den damit verbundenen Auswirkungen nicht klarkommend, projiziert er diese Gefühle auf seine Frau in einem unvollkommenen und einseitigen Akt der Selbstreflexion.
Eine weitere Facette kommt für den Leser hinzu, als klar wird, daß seine Frau tot ist, genauer: sich das Leben genommen hat. Du skizzierst hier das schlüssige Bild eines jahrelangen nebeneinander vielleicht sogar gegeneinander Lebens und belässt dabei ausreichend Interpretationsspielraum. Das Tragische der Geschichte erhält hier seinen eigentlichen Höhepunkt wenn man schon dachte, diesen hinter sich zu haben.

Ebenfalls sehr gelungen finde ich das Ende. Man kann mit Leichtigkeit Brügger als den Drecksack verabschieden, als der er sich die gesamte Geschichte über präsentiert hat. Aber da schwingt noch etwas anderes mit, weshalb man das Ende auch anders interpretieren kann.
Brüggers Fixierung auf den Geschäftstermin muß nicht zwingend damit zu tun haben, daß seine Frau ihm gleichgültig gewesen oder seine Wut auf sie eine reale gewesen wäre. Man kann darin auch das Unvermögen des Mannes sehen, seine eigene Verletzlichkeit und seine eigene Schwäche zu akzeptieren.
Dadurch verbaut er sich in diesem letzten finalen Moment erneut den Zugang zu seiner Frau, wie er es schon zu ihren Lebzeiten offenbar getan hat. Generell wird diese Eigenart von ihm zum großen Teil der Grund gewesen sein, weshalb sie sich umgebracht hat, auch wenn das lediglich eine Interpretationssache ist, für mich jedoch wahrscheinlicher als andere Optionen, wenn ich von dem ausgehe, was der Text mir liefert.:-)

Was mich ein wenig irritiert hat (aber das ist nur meiner Vorliebe für so kleine Details geschuldet), war die Beschreibung Marions Hand, die auf ihrem Hüftkamm lag und Brügger darin einen "Wegweiser zu der ausgetrockneten Grotte" zu erkennen glaubte. Ich war noch nie in der Gerichtsmedizin, aber das klingt für mich ein wenig schludrig. Liegt die Hand nicht einfach neben dem Körper?

So, genug. Super Geschichte, sehr gerne gelesen und mit erfrischender Schreibe präsentiert. Was will man mehr?:-)

Auf bald!

Theryn

 

Hallo Jutta,

eine wirklich sehr gute Geschichte ist dir gelungen.
Deine Beschreibungen sind wirklich beneidenswert gut. Die dadurch entstehende Charakterisierung des Mannes nicht minder. Davon bin ich wirklich begeistert. Das kommt alles erschreckend plastisch, man sieht Frau und Mann vor sich, kann sie regelrecht anfassen.
Auch der Plot an sich ist gut rübergebracht, insgesamt glaubhaft in Szene gesetzt.

Über diesen Satz bin ich jedoch gestolpert:

Dankbar registrierte er, dass der Fahrer keinen weiteren Konversationsversuch unternahm und den Wagen geschickt in den Verkehr einfädelte.
Das Registrieren finde ich an dieser Stelle äußerst unpassend. Das passt zu Dingen, die Aufmerksamkeit erfordern. Dass der Fahrer schweigt ist hingegen ein simpler Zustand
Er war dankbar, dass ...

die grobporige Haut der Nasenflügel und scharfe Falten am oberen Rand des Jochbeins, gemeißelt in die papierdünne Haut..
ein Punkt zuviel

Frau zum letzten Mal nackt gesehen, geschweige denn, Haut berührt hatte, die von Kleidern befreit werden musste.
Komma nach denn weg

Kein Gedanke an Scham, nur der Wunsch, sie anzuschauen, in Ruhe, schonungslos voyeuristisch.
komma nach Wunsch weg

sehr gerne gelesen.
grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Jutta!

Ich kann mich den Lobgesängen eigentlich nur anschließen. Dein Stil liest sich flüssig und man war ohne weiteres in der Geschichte drin, und trotz der detailgetreuen Beschreibungen wurde es kein einziges Mal langweilig, im Gegenteil. Diese Bildbeschreibung hast du echt drauf, weil man sich gerade da oft in irgendwelchen Formulierungen verfängt und man sich als Leser deshalb vieles nicht vorstellen kann. Hier war das nicht so. Dein Erzählton ist beruhigt und unaufgeregt und du gibst den Dingen Zeit, sich im Kopf des Lesers zu entwickeln.
Gerade am Ende fand ich es interessant, was wohl der Kommissar gesehen und gedacht hat. Entweder er hat Brügger tatsächlich nicht gesehen, oder er hat gedacht, dass Brügger sofort erkannt hat, dass seine Frau tot ist und jetzt um sie trauert, und er hat ihn deshalb aus Respekt nicht angesprochen. Und die Gedanken des Protagonisten stehen dazu ja im krassen Widerspruch. Ich glaube, wenn der Mann Skrupel hätte, dann wäre ihm selbst das auch aufgefallen und er hätte sich dafür geschämt, das hat er aber nicht und deshalb kann man ihn als Leser ohne weiteres verachten. ;)

Wirklich gelungene Geschichte, aber das hast du ja schon gehört. :)

Liebe Grüße,
strudel

Edit: Fast hätte ichs vergessen, eine Sache ist mir noch aufgefallen.

Der Raum war kühl und schattig, doch Brügger lief der Schweiß in Strömen über Gesicht und Nacken, rann seinen Rücken hinunter. Eigentlich ist es zu kühl hier,
Die Wortwiederholung liest sich für mich unschön. Das wars.

 

Ganz herzlichen Dank für Eure Kommentare und die Verbesserungsvorschläge, zack, schon umgesetzt! Mich freut es sehr, dass Euch die Geschichte angesprochen hat. Ich liebe selber die Geschichten, die mir Spielraum für Interpretation und Weiterdenken lassen und bemühe mich, so zu schreiben. Für die Spannung und den Ablauf sind einige Dinge sicher nicht ganz realistisch. Die Hand auf dem Hüftkamm kommt in einer Pathologie vielleicht nicht unbedingt vor, hier mußte es so sein! (Dichterische Notwendigkeit...)
Der Kommissar war von Anfang an im Raum, er hat Brügger schließlich in die Pathologie bestellt, aus dramaturgischen Gründen blieb er dem Leser aber bis zum Schluß verborgen. Was mich allerdings doch verwundert hat, ist, dass niemand eine kritische Anmerkung zu Marion gemacht hat. Ehrlich gesagt, sie ist doch eine ziemlich taube Nuß, wenn ihr nach fünfunddreißig Jahren nix anderes einfällt als sich umzubringen. Sie hätte doch gehen können.
Brüggers Tiefgang kann ich nicht beurteilen. Er kommt mir nicht reflektionsfähig vor. Wahrscheinlich pflastert er eine direkte Feinblechstrasse von Asien nach Europa und kriegt dabei einen Herzinfarkt.
Vom organischen Fließen der Zeit kriegt er sicher nix mit, wobei er leider noch nicht mal im naturwissenschaftlichen Sinn "vernünftig" ist.
Also: Jurewa, Theryn, Weltenläufer, Gero und Apfelstrudel: Danke!
LG,
Jutta

 

Hey Jutta

Der Typ lästert also über den schlaffen, überreifen Körper der Frau und weiß, dass auch er körperlich nicht der fitteste ist, und da bleibt für mich am Ende die Frage, wieso hat die Frau sich jetzt umgebracht, wegen ihrem Körper oder vielleicht doch wegen seinem? :D
Ich finde, die beiden passen eigentlich ganz gut zusammen, beide auf das Äußere fixiert bzw. auf das Materielle, wobei wir die Frau nur aus der Perspektive von Brügger kennen lernen, und der kann auch in seiner Wahrnehmung etwas übertreiben, erst recht, wenn er den Körper einer 58Jährigen mit dem einer 20Jährigen vergleicht.
Klar, hast du das alles sehr plastisch geschildert und auch der Titel ist Programm, aber genau deshalb sind mir die Figuren irgendwie super unsympathisch. Ich hab schon stellenweise Mitleid mit Brügger gehabt, dann wieder mit der Frau, erst Recht am Ende, aber gerade die beiden gehören zu den Leuten, die am wenigsten Mitleid verdienen, weil sie sich ihr Leben so ausgesucht haben und nicht anders und auch rein gar nichts unternehmen, um irgendwie glücklich zu werden. Ganz im Gegenteil, da bringt man sich höchstwahrscheinlich aus Frust um.

Du hast so ziemlich alles konsequent durchgezogen, den Stil, den Plot, die Gedankengänge von Brügger, und auch das fast Wiederholen bzw. das Zurückkehren zum Anfang. Dadurch bekommt auch alles einen Neuanfang, die Frau ist jetzt tot und er kann loslegen.

Ja, die Geschichte weiß zu fesseln, das hast du aber mittlerweile auch gemerkt. Aber jetzt um das mal klarzustellen: Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. :)

JoBlack

 

Hallo Jo,
nachdem die Geschichte fertig war, dachte ich auch, mein Gott, sie hat sich umgebracht, anstatt einfach abzuhauen. (Siehe Kommentar oben). Da ging es schon los mit den möglichen Interpretationen. Das finde ich gut. Du hast natürlich Recht, man kann jeden bemitleiden, hassen oder finden, dass sie einander verdient haben. Danke fürs Lesen und fürs Lob,
LG,
Jutta
Hallo Sam,
die brütende Hitze und die glühende Sonne sollten den Leser ein wenig aufs Glatteis führen, damit niemand überlegt, wo und warum Marion nackig da liegt. Vielleicht ist das gar nicht nötig, ich überlege noch mal.
Ehering= geändert.
Deine anderen Anmerkungen sind mir ganz wichtig, denn ich fühle selbst, dass manche Paasagen wie ein Block wirken. Die Interpretation, dass die Schreibtechniken dadurch so erkennbar sind, ist hilfreich. danke dir dafür. Ich werde das sicher noch einmal überarbeiten, jetzt geht es erst Mal in Urlaub.
Vielen Dank und LG,
Jutta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jutta,

seltsam, Deine Geschichte hat mich tagesformabhängig unterschiedlich berührt. Heute morgen wollte ich krampfhaft nach Fehlern suchen und heute Abend hat sie mich beinahe restlos in ihren Bann gezogen. :D

Ich hatte mir ein paar Stellen angestrichen, aber Sam hat beinahe die gleichen Dinge moniert, deshalb spare ich mir das. Es sind nur einige winzige Stellen, wo Du Deinen eigenen Erzählstil verlässt und dadurch die sowieso schon auf hohem Niveau geschriebene Geschichte ein klein wenig runterziehst. Vor allem der Einstieg ist mir ein wenig zu schwach im Vergleich zur restlichen Geschichte.

Hat mir sehr gefallen,
melisane

 

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