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Hel

Seniors
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12.02.2004
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Hel

Ich lernte Hel kennen, als wir zusammen drei Stockwerke, den Keller und den Dachboden eines Hauses im Zentrum meines Heimatortes in den Salzburger Bergen ausräumten. Das Auffälligste an ihm war die Geschwindigkeit bei allem was er tat. Er sagte etwa: "Hastdudiezimmerdahintenschonfertig?"
Ich musste oft nachfragen, weil ich ihn nicht gleich verstand.

Wie er mit der Axt in der Hand durch die Gänge lief, Zimmer stürmte und mit wenigen Schlägen alte Schränke zerstörte, war erschreckend. Wir trugen die Teile hinaus auf den Balkon und warfen sie von dort in den gemieteten Container, der vor dem Haus stand. Zwei Dutzend Türen aus dem Dachboden flogen vom Balkon im zweiten Stock hinunter. Manche drehten sich in der Luft. Manche schlugen hart am Rand auf.

Unser Vorarbeiter hieß Ernst, war 66 Jahre alt und sehr stark. Er sagte ständig, wir sollten aufpassen und nicht etwa jemanden, der zufällig unten vorbeiging, verletzen oder dem Bierlokal im Erdgeschoß die Scheiben einschlagen...

*​

Für unsere Erfrischung in den Pausen hatte der Besitzer des Hauses gesorgt. Die Rechnung lautete: Drei Mann mal zwei Tage Arbeit gleich zwei Kisten Bier.

Hels Schlund verschluckte Bier schneller als jeder Ausguss. Die Mengen, die er trank, veränderten seinen Stoffwechsel. Seine Anwesenheit war oft von gewaltigen Gasausbrüchen begleitet. Auch die Akne in seinem Gesicht war die des Alkoholikers.

Er sagte zu mir: "Du musst Bier trinken! Wenn du bei uns auf der Baustelle ein Cola trinkst..."
(Eine Handbewegung zeigte seine ganze Verachtung für dieses Getränk)
"... Dann jagen sie dich davon!"

Seine Baustelle war ein Tunnelprojekt im Tiroler Oberland. Im Urlaub verdiente er sich etwas dazu, wie eben an diesen beiden Tagen. Als wir vor unseren Bierkisten hockten, erzählte Hel von hundert Kilo schweren Platten, die er auf einem Gerüst herumgetragen hatte. Er war höchstens eins fünfundsechzig groß. Aber wenn man seinen Ausführungen zuhörte, wusste man: Er sagte die Wahrheit!

Seine politischen Ansichten waren bizarr. Was er über Hitlers Rolle in der Weltgeschichte, die Araber und andere Themen äußerte, verschlug einem erst einmal die Sprache. In praktischen Dingen war er vernünftig und unerbittlich, hatte selbstständig eine Autowerkstatt betrieben und passte genau auf, dass die Kellner seinen Bruder, der ein Lokal hatte, nicht durch falsche Abrechnungen betrogen.

Leider trank er viel zuviel...

*​

Bevor wir wieder an die Arbeit gingen, erzählte er von dieser Sache, die ihm in Innsbruck passiert war: Er lag schwer betrunken auf der Maria-Theresien-Straße. Da kam ein Polizist ("So eine richtig große, fette Sau") und versetzte ihm einen Tritt. Hel brauchte einige Zeit, bis er zu sich kam und ungefähr wusste, wo er war. Der Polizist wollte ihn noch einmal treten. Zu seinem Pech war Hel jetzt wach und knallte ihm die Faust auf die Nase, dass er rücklings hinfiel.

Bei der Schilderung dessen, was dann geschah, musste ich unfreiwillig assistieren.

Hel sagte: "Ich hab ihn dann nochmal gepackt und hochgerissen..."
Seine Hand schoss vor, fasste meine Jacke, zog mit ungeheurer Kraft an ihr.
"...und ihm noch eine reingehauen."
Jetzt näherte sich seine Faust meinem Gesicht. Mein Puls raste. Zum Glück ließ er mich los...

*​

Es gab eine Gerichtsverhandlung. Hel beteuerte, dass es einem so kleinen Mann wie ihm nicht möglich sei, "diesen Hundert-Kilo-Typen" einfach so hochzureißen und gleich wieder niederzuschlagen - noch dazu stark alkoholisiert.
Er sagte: "Frau Richterin! Wie der Kläger es schildert, kann es also nicht gewesen sein. Sehen Sie mich an! Ich wiege ja nicht einmal fünfzig Kilo."

Nüchtern und im Anzug machte er einen guten Eindruck.

Nach langem Hin und Her ließ die Richterin eine Waage holen. Geziert zog er die Schuhe aus, "damit das alles seine Richtigkeit hat", und stieg hinauf: Weniger als fünfzig Kilo!

Die Richterin sprach ihn frei.

 

Hallo berg,
habe deine Geschichte insgesamt gerne gelesen, besonders, weil sie gleich zu Anfang Spannung erzeugt und man schon auf der Hut vor Hel ist. Im zweiten Teil fällt m.M. nach die Spannung ab und es wirkt eher so, als wolltest du schnell zum Ende kommen. Es fehlt mir ein überraschendes Ende, etwas Ungewöhnliches vielleicht. Die 50 Kilo reichen mir da nicht und über den Freispruch kann ich mich nicht wirklich entrüsten.
LG;
Jutta

 

Hallo Jutta Ouwens, hallo kind,

Danke Euch beiden fürs Lesen!

@Jutta: Ja, hast recht: MIt dem Schluss könnte man noch etwas machen. Momentan ist er recht vorhersehbar.

@kind: Adverben sind pfui, darüber sind sich alle Autoritäten einig. ;) Das werde ich mir nochmals anschauen.

Freundliche Grüße,

"Berg"

 

Guten Tag, Berg!

Erst dachte ich ja, da kommt jetzt was Germanisches. Aber nein, der Held ist ein fieser Zwerg, der nur so seltsam heißt. Kürzt man Helmut oder Helge so ab? Nie gehört, den Namen.
Mir hat die Geschichte gefallen. Ich erkannte Menschen wieder, die auf Baustellen zu erleben ich das zweifelhafte Vergnügen hatte.
Schöner Gegensatz zu Hel: Der andere starke Mann, der bei der Kraftanwendung auch Verantwortung übernimmt und keine Scheiben eingeschlagen haben will.
Die Sprache gefiel mir auch. Ziemlich trocken, das paßt gut. Erzählton ohne Firlefanz.
Was mich stört, sind die vielen Leerzeilen. Und Sternchen!
Ich sehe ein, daß das Lesen am Monitor da leichter fällt, aber der Monitor ist nicht das Maß, und zu viel Weiß zwischen den Buchstaben ermüdet meine Augen.

verletzen, oder
da kommt kein Komma hin.

Warum muß die Rechnung in Kursiv und mit dem großen X stehen? Könnte man nicht ganz gemütlich und ohne Leerzeile schreiben:

"Die Rechnung lautete: Drei Mann mal zwei Tage Arbeit gleich zwei Kisten Bier"?

Nach "... ließ er mich los" und "... trank er viel zuviel" würde ein Punkt statt dreier besser aussehen. Wegen der Grundtrockenheit.

Ein paarmal fehlt der Abstand zwischen Wort und Dreipünktchen.

Seine Hand schoss nach vor
ist schräg. Nach vorn oder nur vor.
Wie er Kläger es schildert
der Kläger
gestand die Richterin ihm zu, eine Waage zu holen.
Unlogisch bzw. ungedrückt ausgeschickt. Sie läßt höchstens eine holen. Oder bringen. Er selber darf das sicher nicht.
Die Anzeige kam zum Stehen
ebenso. Die Nadel einer Anzeige/Waage kommt zum Stehen. Die Digitalanzeige kommt zum Stillstand, aber eigentlich können Anzeigen nur anzeigen oder kaputtgehen. Vorschläge:
"Die Nadel blieb knapp unter fünfzig Kilo stehen"
"Die Waage zeigte weniger als fünfzig Kilo (an)"
Oder Du schreibst: "..., und stieg hinauf: Weniger als fünfzig Kilo!"
Dann kann gar nix mehr schiefgehn.

Schöne Geschichte!
Liebe Grüße,
Makita.

 

Hallo Makita,

danke fürs Aufspüren sprachlicher Schludrigkeiten und die Verbesserungsvorschläge! Hab sie umgesetzt.

Ja, die Sternchen sollen dem Auge helfen, sich am Bildschirm festzuhalten. Schön sind sie nicht, aber meinen eigenen kurzsichtigen Augen helfen sie.

Hel heißt in Wirklichkeit Helmut und ich mag ihn. Schon komisch, dass er in diesem Text als kleiner Fiesling rüberkommt. ;) Was mich am echten Hel so erstaunt hat, war die Energie und Stärke in einem so kleinen Mann. Er ist sehr diszipliniert und arbeitet soviel, dass die meisten Normalsterblichen den Kopf über ihn schütteln würden - und säuft sich gleichzeitig in Grund und Boden.

Unlogisch bzw. ungedrückt ausgeschickt.
Du hast Talent für solche Wortspiele! :D

Lieben Gruß zurück,

Berg

 

Hallo Berg,

hab die Geschichte auch gern gelesen. Sie hat was Anekdotisches und mit dem trockenen Ton in Verbindung dann was leicht Kleistisches - das ist ein GROßES Kompliment! :) Mir hat da also nichts gefehlt, den Schluß mag ich sehr!
Was die Graphik betrifft, da schließe ich mich Makita an: Der Text ist zu kurz für sowas.

Gruß
Kasimir

 

Hallo Berg,

ich fands auch richtig gut. Hel ist an sich ein hervorragendes Sujet und die Sprache tut genau was sie soll, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Irgendwie kommt Hel mir bekannt vor und ich weiß jetzt nicht, ob ich ihm tatsächlich schon begegnet bin, oder ob er mir nur plastisch beschrieben ward.

Bei der Schilderung dessen, was dann geschah, musste ich unfreiwillig assistieren.

Hel sagte: "Ich hab ihn dann nochmal gepackt und hochgerissen..."
Seine Hand schoss vor, fasste meine Jacke, zog mit ungeheurer Kraft an ihr.
"...und ihm noch eine reingehauen."
Jetzt näherte sich seine Faust meinem Gesicht. Mein Puls raste. Zum Glück ließ er mich los...


Das fand ich besonders gut. Ich habe selbst eine Freundin, die Krankenschwester ist, und immer an mir vorführen will, wie sie Patienten gehandhabt hat, die sich im Nachhinein unrechtnmässig über Grobheit beklagten. "Guck mal, das tut doch gar nicht weh." Und immer muss ich zucken und fürchte mich.

Feine Geschichte!

lg
feirefiz

 

Hallo, Ihr drei, :)

@kind: Ich verstehe nicht, was Du mit diesem leider hast? Das Wort kommt exakt einmal im Text vor. Es ist ein Urteil des Autors. Was sollte es sonst sein? Von Kurt Lanthaler habe ich gehört, aber nichts gelesen.

@feirefiz: Danke! :) Jaja, das Vorzeigen am lebendigen Objekt ist weit verbreitet...

@Kasimir: Ebenfalls Danke! Auch Kleist würde sich sicher über Deinen Kommentar freuen, wenn er noch leben würde. ;)

An diesen beiden Tagen ist viel passiert. Die Episode mit der Gerichtsverhandlung war nur eben diejenige, die Hels Charakter am besten zeigt.

Freundliche Grüße vom

Berg

 

Hallo Berg,

Hm, der Anfang ist stark, sehr gut vorstellbar, wie sie da durch die Wohnung rennen, der Spruch mit den "gleich zwei Kasten Bier" und dieses "Wenn du da Cola trinkst"; das gefällt mir echt gut, wie du da die drei Personen aufbaust und das Setting - mit einer schönen, dezenten Erzählstimme -, was du mit denen dann anfängst, hat mich eher enttäuscht. Diese Anekdote halt, das ließ mich eher kalt. Ich hätte gern noch gesehen, wie's mit den 3 auf der Baustele weitergeht, "Gesehen", nicht nur "gehört".

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,

danke für den Hinweis (show don't tell). Ein paar von den Sachen, die sonst auf der Baustelle passiert sind, geben vielleicht Stoff für eine weitere Geschichte.

Hallo kind,

ich mag dieses "leider". Es gibt mir das Gefühl, ein mitfühlender Mensch zu sein. ;)

lg Berg

 

Hallo Berg,

ich fand die Geschichte insgesamt gut lesbar und unterhaltsam, aber das Ende lässt mich doch unbefriedigt zurück. Es endet einfach zu schnell. Das Ganze gleicht so einer Charakterisierung. Mir fehlt da eine Handlung, etwas was den Leser Hel in Aktion sehen lässt. So wird, wie ich finde, aus der Ferne von Hel erzählt: und er war so und so und dann dies und das, und dann wurde er freigesprochen...
Man weiß auch gar nicht warum der Erzäler von ihm berichtet, am Ende geht man einfach davon aus, dass er so halt ein ganz interessanter Typ war, aber mit dem Erzähler eigentlich nicht so richtig etwas zu tun hat. Spannender wäre es gewesen, wenn der Erzähler dann irgendwann selbst in Aktion tritt, sprich, wenn er sich von Hel zu irgendetwas verleiten ließe, oder wenn er mir Hel in einen Konflikt gerät...
Duchaus ausbaufähig.

mfg,

JuJu

 

Hallo Berg!

Auch ich fand Deine Geschichte ganz nett und hab sie gern gelesen. Allerdings könntest Du so manche Informationen ruhig streichen, dafür an anderen Stellen ausführlicher werden. Zum Beispiel:

Ich lernte Hel kennen, als wir zusammen drei Stockwerke, den Keller und den Dachboden eines Hauses im Zentrum meines Heimatortes in den Salzburger Bergen ausräumten.
Eigentlich ist es völlig egal, ob das Haus im Zentrum steht und ob es der Heimatort des Erzählers ist. Nur daß es in einem Ort in den Salzburger Bergen ist, ist wegen der weiteren Ortsangaben halb interessant.

Unser Vorarbeiter hieß Ernst, war 66 Jahre alt und sehr stark. Er sagte ständig, wir sollten aufpassen und nicht etwa jemanden, der zufällig unten vorbeiging, verletzen oder dem Bierlokal im Erdgeschoß die Scheiben einschlagen...
Warum sollte einen Leser das Alter des Vorarbeiters interessieren? Da er im weiteren Verlauf der Geschichte keine Rolle mehr spielt, ist auch sein Name nicht notwendig.

Seine politischen Ansichten waren bizarr. Was er über Hitlers Rolle in der Weltgeschichte, die Araber und andere Themen äußerte, verschlug einem erst einmal die Sprache.
Hier wiederum finde ich der Worte zu wenig: Du präsentierst eine Wertung, ohne auch nur ein Stück anzudeuten, wohin seine Meinung ging, warum es dem Erzähler die Sprache verschlagen hat. Das würde ich ausbauen oder streichen, denn so trägt es gar nichts zum Bild bei.

Bevor wir wieder an die Arbeit gingen,
Die Anekdote, die Hel erzählt, wirkt irgendwie wie eine hingeworfene Zusammenfassung des Erzählers, da würde ich Hel selbst samt Gestik zu Wort kommen lassen, es statt »Bevor wir wieder an die Arbeit gingen« direkt in die Erzählung einbauen. Du erzählst vom Arbeiten, dann machen sie Pause und Hel trinkt und erzählt. Wenn sie dann wieder an die Arbeit gehen, hättest Du die Möglichkeit für eine zweite Pointe, die sich aus der Arbeit heraus ergibt, sonst könnte ja die Anekdote auch für sich allein stehen und Du bräuchtest die Beschreibungen der Tätigkeit auf der Baustelle gar nicht .

Noch ein paar Kleinigkeiten:

»Manche drehten sich in der Luft. Manche schlugen hart am Rand auf.«
– das zweite »Manche« würde ich durch »andere« ersetzen und die beiden Sätze mit einem Beistrich verbinden.

»Unser Vorarbeiter hieß Ernst, war 66 Jahre alt und sehr stark. Er sagte ständig, wir sollten aufpassen und nicht etwa jemanden, der zufällig unten vorbeiging, verletzen oder dem Bierlokal im Erdgeschoß die Scheiben einschlagen...«
– sechsundsechzig ist kurz genug, um es auszuschreiben
– Vorschlag: nicht etwa jemand zufällig Vorbeigehenden verletzen
– Leertaste vor die drei Punkte (immer, außer die Punkte ersetzen einen Wortteil)

»Die Rechnung lautete: Drei Mann mal zwei Tage Arbeit gleich zwei Kisten Bier.«
– kein ganzer Satz nach dem Doppelpunkt, klein weiter: drei Mann …

»Auch die Akne in seinem Gesicht war die des Alkoholikers.«
– war die eines Alkoholikers, würde ich sagen

»"Du musst Bier trinken! Wenn du bei uns auf der Baustelle ein Cola trinkst..."
[…]
"... Dann jagen sie dich davon!"«
– Leertaste nach »trinkst«, und da der Satz dann fortgesetzt wird, geht es auch klein weiter: „… dann jagen …“ Außerdem würde ich die Zeilenumbrüche rausnehmen, da kein Sprecherwechsel stattfindet.

»Leider trank er viel zuviel...«
– auseinander: zu viel

»und stieg hinauf: Weniger als fünfzig Kilo!«
– klein: weniger


Liebe Grüße,
Susi :)

 

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