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Herr Rimbel
Herr Rimbel sitzt am Fenster und liest Zeitung. Da steht:
Betrachtet man die Entwicklung von Auslandsumsätzen und Ausfuhr in den zurückliegenden Jahren im Zusammenhang, so zeigt sich zunächst, daß die jährlichen Gesamtausfuhren in den zurückliegenden zehn Jahren in einer Spanne von 25 bis 29% — im Durchschnitt waren es knapp 28% — über den jeweiligen Auslandsumsätzen des produzierenden Gewerbes liegen.
Herr Rimbel sieht aus dem Fenster und denkt nach. Hinter ihm durchtackt die antike Standuhr die nachmittägliche Stille. Herr Rimbel mag sie nicht sehr, aber Frau Rimbel hat sie von ihrer Erbtante geerbt und findet, das müsse man honorieren. Herr Rimbel versteht das nicht, doch er hat keine Lust, sich zu streiten.
Herr Rimbel schläft ein und träumt, die Standuhr wäre die Erbtante und ihre gewaltigen Perlenohrringe würden im Minutentakt unter ihrem ausgeleierten Doppelkinn zusammenschlagen. Unbeeindruckt wacht er auf, geht zur Uhr und hält das Pendel an. Während er sie betrachtet, beginnt die Waschmaschine unten im Keller kaum hörbar zu schleudern.
Herr Rimbel geht in die Küche, um Tee zu kochen. Dort angekommen setzt er sich jedoch auf einen Stuhl und betrachtet den Küchenkalender. Er heißt Die schönsten Teeservices. Herr Rimbel probiert eine Weile, im Geiste die Tage im Zahlengitter des Kalenders zu geometrischen Figuren zu verbinden. Nach dem neunundachtzigsten Quadrat fällt ihm der Blick auf den graugrünen Linoleumboden herunter, wo er ihn an der Fußleiste ruhen läßt.
Ein Kinderschrei von draußen läßt ihn leicht zusammenfahren. Er steht auf, geht ans Fenster und sieht hinaus, doch der Hof liegt leer und trüb im allmählich aufkommenden Dämmerlicht. Er entdeckt, daß eine Ansammlung von Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form hat wie die Krater auf dem Mond. Er seufzt, kocht sich den Tee und geht damit zurück ins Wohnzimmer.
Herr Rimbel sitzt am Fenster und sieht dem Tee beim Dampfen zu. Er fragt sich, wieviele Tassen Tee man bräuchte, um alle Werke Shakespeares zu dampfen, kommt aber zu keinem Schluß. Frau Rimbel kommt ins Zimmer und stellt ihm Kekse hin. Aus seinen Gedanken gerissen, im ersten Moment geistig derangiert, wird er ihrer gewahr und streichelt ihr den Rücken. Während sie miteinander schlafen, wird der Tee kalt, und eine Stubenfliege berüsselt emsig einen der Kekse.