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Herr Rimbel

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20.03.2008
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Herr Rimbel

Herr Rimbel sitzt am Fenster und liest Zeitung. Da steht:

Betrachtet man die Entwicklung von Auslandsumsätzen und Ausfuhr in den zurückliegenden Jahren im Zusammenhang, so zeigt sich zunächst, daß die jährlichen Gesamtausfuhren in den zurückliegenden zehn Jahren in einer Spanne von 25 bis 29% — im Durchschnitt waren es knapp 28% — über den jeweiligen Auslandsumsätzen des produzierenden Gewerbes liegen.

Herr Rimbel sieht aus dem Fenster und denkt nach. Hinter ihm durchtackt die antike Standuhr die nachmittägliche Stille. Herr Rimbel mag sie nicht sehr, aber Frau Rimbel hat sie von ihrer Erbtante geerbt und findet, das müsse man honorieren. Herr Rimbel versteht das nicht, doch er hat keine Lust, sich zu streiten.

Herr Rimbel schläft ein und träumt, die Standuhr wäre die Erbtante und ihre gewaltigen Perlenohrringe würden im Minutentakt unter ihrem ausgeleierten Doppelkinn zusammenschlagen. Unbeeindruckt wacht er auf, geht zur Uhr und hält das Pendel an. Während er sie betrachtet, beginnt die Waschmaschine unten im Keller kaum hörbar zu schleudern.

Herr Rimbel geht in die Küche, um Tee zu kochen. Dort angekommen setzt er sich jedoch auf einen Stuhl und betrachtet den Küchenkalender. Er heißt Die schönsten Teeservices. Herr Rimbel probiert eine Weile, im Geiste die Tage im Zahlengitter des Kalenders zu geometrischen Figuren zu verbinden. Nach dem neunundachtzigsten Quadrat fällt ihm der Blick auf den graugrünen Linoleumboden herunter, wo er ihn an der Fußleiste ruhen läßt.

Ein Kinderschrei von draußen läßt ihn leicht zusammenfahren. Er steht auf, geht ans Fenster und sieht hinaus, doch der Hof liegt leer und trüb im allmählich aufkommenden Dämmerlicht. Er entdeckt, daß eine Ansammlung von Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form hat wie die Krater auf dem Mond. Er seufzt, kocht sich den Tee und geht damit zurück ins Wohnzimmer.

Herr Rimbel sitzt am Fenster und sieht dem Tee beim Dampfen zu. Er fragt sich, wieviele Tassen Tee man bräuchte, um alle Werke Shakespeares zu dampfen, kommt aber zu keinem Schluß. Frau Rimbel kommt ins Zimmer und stellt ihm Kekse hin. Aus seinen Gedanken gerissen, im ersten Moment geistig derangiert, wird er ihrer gewahr und streichelt ihr den Rücken. Während sie miteinander schlafen, wird der Tee kalt, und eine Stubenfliege berüsselt emsig einen der Kekse.

 

Hallo Herr Skraave,

diese Geschichte von Herrn Rimbel gefaellt mir besser als die vom Shopping. Bei der hat mich der Anfang so verstoert, dass der Rest es kaum noch rausreissen konnte.
Aber Herr Rimbel erfreut ungemein: die Uhrentante, der fallende Blick und natuerlich ganz besonders die schoensten Teeservices. Und Herr Rimbel ueberrascht: Da er so am Fenster rumsitzt, dachte ich ihn mir als Rentner im Feinnrippshirt. Aber das waere ja bloss langweiliges Klischee. Herr Rimbel interessiert sich offensichtlich fuer Wirtschaftsartikel, die so kompliziert geschrieben sind, dass ich den Abschnitt zweimal lesen muss;er kennt die Mondkrater auswendig und moechte Shakespear bedampfen. Und am ueberraschendsten: Es schlaeft noch mit seiner Frau.

Alles zusammen, aussen und innen, sehr schoen

Gruss
feirefiz

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lord feirefiz,

daß Dir mein Stilleben gefällt, freut mich sehr. Die Grundidee dazu kam mir beim Weg zum Supermarkt und die Idee, das noch etwas auszubauen, kam mir einige Wochen später (gestern) beim Weg zum anderen Supermarkt. Irgendwas hab ich mit Supermärkten.

Zu Shakespeare: Er möchte Shakespeare nicht bedampfen. Dieser Teil ist eine Anspielung auf diese Sache mit den Affen und Shakespeare: Wenn man einen Affen an eine Schreibmaschine setzt und ihm unendlich viel Zeit gibt, tippt er irgendwann alle Werke von Shakespeare.

Zu meiner anderen Geschichte: Der Anfang ist arg, da hast Du recht, und man muß schon arg albern aufgelegt sein, damit man den mögen kann. (Aber dann macht er echt Spaß!)

Auf dann,
Skraave

 

„Während sie miteinander schlafen wird der Tee kalt, und eine Stubenfliege berüsselt emsig einen der Kekse.“

Hallo Skraave,

so stell ich mir das Verhalten des gealterten Monsieur/Herrn Arthur Rimbaud/Rimbel unter der Prämisse vor, er lebte heutigentags und wäre gemeinsam mit einer Frau alt geworden in Strazbourg/Straßburg. Als alter Geschäftsmann interessieren ihn Wirtschaftsnachrichten immer noch (übern Waffenhandel gibt’s offiziell keine Nachrichten) und als gewesener, aber erkalteter Vulkan von Dichter dampfte er Shakespeare beim Tee gerne ein. Alle nutzlosen Geräusche stören: das Ticken der Uhr, ein Schrei von draußen, die schleudernde Waschmaschine –

und wieder gefällt dieses Schlaglicht von Geschichtchen, und auch dieses ist richtig beschrieben: in seinem Alter streitet man sich grundsätzlich nicht oder aber grundsätzlich über alles, sofern man Lust drauf hat. Denn Rimbaud/Rimbel ist Hedonist, kein Epikuräer.

Wie beim „Shopping“ fällt der Gebrauch des „ß“ statt des doppel-s auf.

Warum im Traum der Konjunktiv als würde-Konstruktion daherkommt, ist nicht ganz klar. „Herr Rimbel schläft ein und träumt, die Standuhr wäre die Erbtante und ihre gewaltigen Perlenohrringe würden im Minutentakt unter ihrem ausgeleierten Doppelkinn zusammenschlagen.“ Etwas kürzer wäre „Herr Rimbel schläft ein und träumt, die Standuhr wäre die Erbtante und ihre gewaltigen Perlenohrringe schlügen im Minutentakt unter ihrem ausgeleierten Doppelkinn zusammen.“

Unglücklich die Formulierung, dass „er entdeckt, daß eine Ansammlung von Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form haben, wie die Krater auf dem Mond“, denn bezieht sich das Hilfsverb auf „eine Ansammlung …“, wäre ein „hat“ angebracht, in Gedanken bistu aber bei den Ölflecken (ohne Sammlung), dass ich vorschlag, lass die „Ansammlung“ weg, und es bleibt: „Er entdeckt, dass Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form haben, wie die Krater auf dem Mond.“

Eine stille, kleine Geschichte über einen trotz seines Alters „schrägen“ Typen. Mir gefällt’s schon wieder …

Gruß

Friedel

 

Zu Shakespeare: Er möchte Shakespeare nicht bedampfen. Dieser Teil ist eine Anspielung auf diese Sache mit den Affen und Shakespeare: Wenn man einen Affen an eine Schreibmaschine setzt und ihm unendlich viel Zeit gibt, tippt er irgendwann alle Werke von Shakespeare.

Das macht mir Herrn Rimbel noch interessanter. In Ermangelung von Affen bleibt einem ja haeufig nichts uebrig ausser dampfen.

In diesem Sinne

ff

 

Einen schönen guten Tag, Friedrichard.

Deine Kritiken zu lesen verlangt mir äußersten Einsatz ab, trotzdem freu ich mich natürlich drüber. Deine Interpretation ist mir eigentlich viel zu tief, trotzdem lese ich sie gern: Schließlich kann man ja immer so einiges über den Autor lernen, wenn man sich mal Gedanken macht.

So war das aber nie geplant. Ich wußte bis eben weder, wer Arthur Rimbaud war, noch was ein Epikuräer ist. So lerne ich nicht nur über den Autor, sondern sogar darüberhinaus.


Friedrichard schrieb:
Alle nutzlosen Geräusche stören: das Ticken der Uhr, ein Schrei von draußen, die schleudernde Waschmaschine
Nein, die stören nicht. Sie betonen vielmehr die Stille. Eine Stille, die eine Stimmung erzeugt, die, wenn ich sie beschreiben will, in dieser Geschichte da oben endet.


Friedrichard schrieb:
in seinem Alter streitet man sich grundsätzlich nicht oder aber grundsätzlich über alles, sofern man Lust drauf hat.
Ich habe das nicht als realitätsuntermauerndes Klischee gedacht, sondern eher um besagte Stimmung zu betonen. Herr Rimbel mag diese Stimmung und diese Stimmung ist sofort erloschen, sobald auch nur das leiseste Fünkchen Streit auftaucht.


Friedrichard schrieb:
Wie beim „Shopping“ fällt der Gebrauch des „ß“ statt des doppel-s auf.
Mir fällt wiederum immer noch der Gebrauch von ss statt ß auf, obwohl ich kaum noch was anderes in die Finger krieg.


Friedrichard schrieb:
Warum im Traum der Konjunktiv als würde-Konstruktion daherkommt, ist nicht ganz klar.
Das ist mir auch nicht klar. Aber ich hielt das wohl für eine gute Idee, an der ich auch jetzt noch nichts Schlechtes finden kann. Ist das grammatikalisch verkehrt?


Friedrichard schrieb:
Etwas kürzer wäre „Herr Rimbel schläft ein und träumt, die Standuhr wäre die Erbtante und ihre gewaltigen Perlenohrringe schlügen im Minutentakt unter ihrem ausgeleierten Doppelkinn zusammen.“
Obwohl es sich um Kurzgeschichten handelt, bin ich immer froh um jede Länge, die ich einbauen kann. Außerdem gefällt mir mein »würde« gefühlt besser. Trotzdem danke für den Vorschlag.


Friedrichard schrieb:
Unglücklich die Formulierung, dass „er entdeckt, daß eine Ansammlung von Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form haben, wie die Krater auf dem Mond“, denn bezieht sich das Hilfsverb auf „eine Ansammlung …“, wäre ein „hat“ angebracht, ...
Da hast Du ganz klar recht. Wird sofort korrigiert.


Friedrichard schrieb:
in Gedanken bistu aber bei den Ölflecken (ohne Sammlung), dass ich vorschlag, lass die „Ansammlung“ weg, und es bleibt: „Er entdeckt, dass Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form haben, wie die Krater auf dem Mond.“
Ich finde, ich bin eben gerade nicht bei den losen Ölflecken, sondern bei der Ansammlung der Ölflecken. Einzelne Ölflecken sehen aus wie alles mögliche. Hier geht es aber um die ganz bestimmte Anordnung der Ölflecken zueinander als Ganzes.


Dir, feirefiz, freilich auch einen schönen Tag.

feirefiz schrieb:
In Ermangelung von Affen bleibt einem ja haeufig nichts uebrig ausser dampfen.
Das schafft in mir Assoziationen zu einer zweihundert Jahre alten Affenmaschine, die durch den Urwald tuckert, wo's mehr Affen als Dampf gibt.


Alberne Grüße,
Skraave

 

Hallo Skraave!

Nach dem neunundachtzigsten Quadrat fällt ihm der Blick auf den graugrünen Linoleumboden herunter, wo er ihn an der Fußleiste ruhen läßt.
Ihm fällt der Blick runter? Die Formulierung finde ich ungünstig. Vielleicht eher: Nach dem neunundachtzigsten Quadrat fällt sein Blick auf den graugrünen Linoleumboden und bleibt an der Fußleiste ruhen.
wieviele Tassen Tee man bräuchte, um alle Werke Shakespeares zu dampfen,
Äh ... bitte? ;) Ich kann mir nicht helfen, aber das versteh ich nicht.

Ich kann nicht sagen, dass mir die Geschichte gefallen hat. Misslungen ist sie aber auch nicht. Ich würde sagen, sie ist angemessen. Die alltägliche Langeweile bzw. Routine, ich denke mal, das soll einen festgefahrenen Tagesablauf schildern, durch nichts individuell. Ich kann mir vorstellen, dass es bei Herr Rimbel (fast) ausnahmslos jeden Tag so abläuft. So fand ich die Geschichte nur aufgrund ihrer Kürze nicht langweilig, insofern ist sie schon gelungen. Wie will man Langeweile auch anders als durch Langeweile darstellen? Nett also, bleibt aber nicht im Gedächtnis. Dabei sieht man schon, dass du sehr gut mit Sprache umgehen kannst, das Bild mit der Standuhr hat mir zum Beispiel sehr gut gefallen.
Der Geschichte fehlt aber ein bisschen das, was sie erzählenswert macht. Ich denke, sowas könntest du auch sehr gut schreiben, also spannende Geschichten, die den Leser mitnehmen. Sicher, man kann über alles etwas schreiben, solange man es gut macht, und du hast es gut gemacht, aber es fragt sich dann, wozu man überhaupt schreibt. Ich hoffe du wirst aus meinen wirren Gedanken schlau.

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

Ha! Endlich reagiert mal jemand so, wie ich es mir beim Schreiben vorgestellt habe. Dafür danke und hallo, apfelstrudel.

apfelstrudel schrieb:
Ihm fällt der Blick runter? Die Formulierung finde ich ungünstig. Vielleicht eher: Nach dem neunundachtzigsten Quadrat fällt sein Blick auf den graugrünen Linoleumboden und bleibt an der Fußleiste ruhen.
Das klingt mir aber zu sehr so, als ob er den Boden und die Fußleiste betrachten würde. Aber das tut er nicht. Sein Blick fällt nicht so, wie ein Blick auf ein Buch fällt, das im Schaufenster besonders hervorgehoben dekoriert worden ist. Sein Blick fällt, weil er (der Blick) sonst nichts zu tun hat.


apfelstrudel schrieb:
wieviele Tassen Tee man bräuchte, um alle Werke Shakespeares zu dampfen,
Äh ... bitte? :) Ich kann mir nicht helfen, aber das versteh ich nicht.

Ich dachte mir schon, daß ich damit Probleme kriegen würde. Wie ich schon feirefiz erklärt hab, geht es hier um einen Bezug zu der Theorie, die besagt, daß ein Affe auf einer Schreibmaschine irgendwann alle Werke Shakespeares tippen würde, wenn er nur unendlich viel Zeit dazu hätte. (Den Wikipedia-Artikel hab ich oben verlinkt.) Und außerdem, fällt mir grade auf, ist das auch noch eine Anspielung auf die Scherzfrage, wieviele Ostfriesen/Blondinen/Elektriker man braucht, um eine Glühbirne auszutauschen.
Jedenfalls nimmt dieser Satz eine (für den Laien) völlig nutzlose aber lustige Weisheit und zieht sie weiter ins nutzlose und lustige, ohne dabei irgendwo hinzuführen. Ich finde, das paßt sehr schön zu der Stimmung.

apfelstrudel schrieb:
Die alltägliche Langeweile bzw. Routine, ich denke mal, das soll einen festgefahrenen Tagesablauf schildern, durch nichts individuell.
Hm. Darüber, wie Herrn Rimbels sonstige Nachmittage ablaufen, hab ich mir überhaupt gar keine Gedanken gemacht. Wenn ich mir ein Bild von der Mona Lisa ansehe, frag ich mich auch nicht, wie die wohl Weihnachten feiert. Aber das hab ich mir beim Schreiben auch gedacht, daß man die Geschichte prima als ... äh ... Text (langweiliges Wort) über die Langeweile sehen kann.


apfelstrudel schrieb:
Dabei sieht man schon, dass du sehr gut mit Sprache umgehen kannst, das Bild mit der Standuhr hat mir zum Beispiel sehr gut gefallen.
Vielen herzlichen Dank. (:


apfelstrudel schrieb:
Ich denke, sowas könntest du auch sehr gut schreiben, also spannende Geschichten, die den Leser mitnehmen.
Meine andere Geschichte (»Shopping«) ist ein Feuerwerk aus rasanter Handlung, messerscharf hervorgehobenen Helden und atemberaubenden Effekten. Gefällt Dir bestimmt.


apfelstrudel schrieb:
Sicher, man kann über alles etwas schreiben, solange man es gut macht, und du hast es gut gemacht, aber es fragt sich dann, wozu man überhaupt schreibt. Ich hoffe du wirst aus meinen wirren Gedanken schlau.
Wenn ich das richtig verstehe, magst Du lieber Geschichten mit Inhalt. Diese Geschichte hat so gut wie keinen Inhalt, also fehlt Dir was. Hab ich überhaupt kein Problem mit.
Mir, dagegen, ist der Inhalt von Geschichten ganz oft egal, und ich hab auch schon einige Bücher gelesen, an denen ich einen Mordsspaß hatte, ohne sie zu verstehen, einfach weil sie gut geschrieben waren.

Gruß,
Skraave

 

Hi Alter,

so ist das mit uns Ältern, ’n bisschen belesen und schon wird aus Rimbel Rimbaud und schon wieder muss man nachschau’n, wer das sei. Karl Kraus hat mal befürchtet, man werde Agamemnon mit angenommen und den Kyffhäuser mit Kaufhäusern verwechseln…

Aber im Ernst: ’s spricht doch für die Qualität des Textes, dass nicht nur die Intention des Autors als mögliche Interpretation verbleibt.

Was mir – selbstverständlich – leid tut ist die Anstrengung, die meine Kommentare verursachen. Aber natürlich ist der Satz schon wieder erstunken und erlogen. Zumindest ist er keine Wahrheit aus der Binse.

Und mit dem Konjunktief- was andern Recht ist etc.

Ein schönes Wochenende wünscht

Friedel

 

Lieber Skraave,

diese Erzählung finde ich großartig.

Herrn Rimbels Traum beeindruckt mich besonders, weil das Bild und das Geräusch darin so mächtig sind. Wie riesig müssen diese Erbtante und ihre Perlenohrringe sein, damit die Perlen im Minutentakt zusammenschlagen? Da will ich nicht dazwischengeraten. Es muß sich anhören (und anfühlen), als schlüge der Dicke Pitter zu Köln.
Der Todesschwung von Poes Inquisitionspendel ist ein Dreck gegen die Wahnsinnsstrecke, die diese Perlen zurücklegen müssen, und ich könnte schwören, daß Dir das beim Schreiben bewußt war.

Dann wacht er auf und hält einfach das Pendel an! Genau da: Auftritt die Waschmaschine.
Ich bin hin und weg von der Art, wie Du Geräusche einsetzt. Das vor allem macht die Bilder so stark und hat mich in der Geschichte gefangen; als hättest Du eine ungeheuerliche Zeitlupe, die es Dir ermöglicht, zu einem Schnappschuß, einem Stilleben (Dein Wort paßt so gut) Filmmusik zu machen, meine restlose Bewunderung dafür.

Auch wunderschön, wie die Sexualität hier auf der Bildfläche erscheint. Normalerweise kommt die ja im Négligé auf die Bühne, guckt verworfen um dunkle Ecken oder trägt z.B. ein Kleid und bringt bißchen Flamenco mit. Daß sie aber so unspektakulär auftritt und trotzdem so wärmt, habe ich selten gelesen. Ich glaube, es liegt daran, daß er ihren Rücken streichelt, als er noch halb in seinen Gedankenwelten ist.
Während Rimbels miteinander schlafen, sehe ich den kaltwerdenden Tee und die Fliege am Keks. Der Leser guckt Rimbels nicht beim Sex zu, und Rimbels machen beim Sex keinen Krach. Aber ich stelle mir vor, daß sie sich anlächeln und Frau Rimbel die Welten ihres Mannes kennt. Das berührt mich.

Jetzt will ich noch (hüstel) folgende Rechtschreibsachen loswerden:

Herr Rimbel probiert eine Weile, im Geiste die Tage im Zahlengitter des Kalenders zu geometrischen Figuren verbinden.
... zu verbinden

ungefähr dieselbe Form hat, wie die Krater auf dem Mond.
Da kommt kein Komma.

Während sie miteinander schlafen, wird der Tee kalt,
Das fette Komma fehlt bei Rimbels.

"Herr Rimbel" ist ein Fenster in eine andere Welt. Ein Paar Perlenohrringe unter dem faltigen Doppelkinn der Normalzeit.
Meine von Herzen kommende Empfehlung, falls Du über das Ändern von Formulierungen nachdenkst:
Laß' es bleiben.

Beste Grüße!
Makita (Zielgruppe)


P.S. Du bist bekennender Altrechtschreibler. Unser Geheimer Mittelsmann wird Dir auf Geheimem Wege die Orte und Zeiten unserer Geheimen Zusammenkünfte mitteilen. (Bitte knüll diesen Teil meines Kommentars zusammen und verschluck ihn JETZT.)

 

Hei Makita,

ein großes Lob an Dein Lob. Es bestärkt mich in meinen Hoffnungen auf einen angemessenen Literaturpreis. Dankeschön.

Daß Dir der Minutentakt aufgefallen ist, freut mich besonders. Ich kenn zwar weder den Pitter, noch Poes Inquisitionspendel, aber ich weiß, was Du meinst. Und ich war mir beim Schreiben keineswegs der Wirkung von diesem Wort bewußt. Mir geht’s da oft so wie Gott: Erst schöpfen, dann sehen, daß es gut ist.
Genauso beim Schluß. Der fiel mir ein, und ich fand ihn gut, ohne zu wissen, warum. Für sowas hat Gott ja den Leser geschaffen.

Hihi: Das fehlende ‚zu‘ sah ich, als schon zwei Kommentare eingegangen waren, ohne daß das jemandem aufgefallen wäre. Da hat mich die sture Lust gepackt, abzuwarten. Schön, daß ich an meiner Sturheit im nächsten Leben nicht mehr nagen muß.

Makita schrieb:
Skraave schrieb:
ungefähr dieselbe Form hat, wie die Krater auf dem Mond.
Da kommt kein Komma.
Da hab ich extra bei Wikipedia geguckt und glaubte, mich mit einem Vergleichssatz konfrontiert zu sehen. Weitere Recherchen ergeben zur Stunde, daß „Die Krater auf dem Mond“ kein vollständiger Satz ist, das Komma also tatsächlich weg muß. Schlußendlich bleib ich aber so schlau wie zuvor, erklärt man mir doch rundheraus, ein Satz sei praktisch alles, was Wortgefüge hat.
Um plausible und allgemeinstimmige Aufklärung würde ich mich sehr freuen.

Makita schrieb:
Skraave schrieb:
Während sie miteinander schlafen, wird der Tee kalt,
Das fette Komma fehlt bei Rimbels.
Das scheint wohl ein Partizip (Sachen gibt’s!) zu sein. Jedenfalls glaube ich Dir und werde das sofort ändern.

Makita schrieb:
Meine von Herzen kommende Empfehlung, falls Du über das Ändern von Formulierungen nachdenkst:
Laß' es bleiben.
Wie kommst Du denn auf die Idee, ich könne was ändern wollen?

Makita schrieb:
Ein Paar Perlenohrringe unter dem faltigen Doppelkinn der Normalzeit.
Obacht, sonst rutscht mir das Ding noch in die Philosophieabteilung.

Gutgelaunt kauend grüßt Dich herzlichst:
Skraave

 

„Er entdeckt, daß eine Ansammlung von Ölflecken auf dem Betonboden ungefähr dieselbe Form hat, wie die Krater auf dem Mond.“

Hallo Skraave,

wie das Meiste in Mitteleuropa (mit Ausnahme der Märkte, die sich ja bekanntermaßen selbst regulieren und „heilen“ [dass ich nicht lach!]) ist auch dieses Problem geregelt, ob plausibel und logisch ist dabei selbstverständlich eine andere Sache.

Werden nämlich gleichrangige Wörter/Wortgruppen durch bestimmte Konjunktionen verbunden, wird grundsätzlich k e i n Komma gesetzt. Vgl. unter K111, Duden Bd. 1, 24. Auflage, taucht unter Ziffer 10 „wie“ auf. Damit werden Versuche mit „Haupt/Nebensatz“, „voll- und unvollständigem Satz“ Spielerei, wenn auch eine hübsche.

Schöne Tage bis zu den Eisheiligen wünscht

Friedel

 

Guten Tag, Friedrichard.

Friedrichard schrieb:
Werden nämlich gleichrangige Wörter/Wortgruppen durch bestimmte Konjunktionen verbunden, wird grundsätzlich k e i n Komma gesetzt.
Das klingt so erfrischend einfach, daß ich es verstehen möchte. Wer bestimmt die Ränge unter den Wörtern? Woran erkennt man einen Wortrang, und nach welchen Kriterien muß er unter die anderen eingeordnet werden?
Leider sehe ich mich außer Stande, der Ehre einer Audienz bei Admiral Duden habhaftig zu werden, so ich solche Fragen stellen muß.

Eine gute Zeit bis zur nächsten Antwort,
Skraave

 

„Woran erkennt man einen Wortrang, und nach welchen Kriterien muß er unter die anderen eingeordnet werden?“, ist eine gute Frage,

lieber Skraave,

und auch wer den Rang „unter den Wörtern“ bestimme.

Nehmen wir ein Beispiel: Eindeutig nicht gleichrangig sind Adjektive, bei denen das erste das zwote näher bestimmt. Hier wird weder Komma noch Konjunktion gesetzt. I. d. R. aber bestimmt Dein Sprachgefühl oder besser das, was Du uns sagen willst, die Gleichrangigkeit der Wörter. Sagen wir

„wir blicken auf tiefer liegende schneefreie Hügel“ kann das genauso richtig sein wie
„wir blicken auf tiefer liegende, schneefreie Hügel“ [alternativ: „ … tiefer liegende und schneefreie …“]

Was ist der Unterschied?

Zu den tiefer liegenden schneefreien gehören auch höher gelegene schneefreie Hügel (ohne Komma/Konjunktion) oder die höheren Stellen sind schneebedeckt (Komma/Konjunktion).

Ich hoffe, Dir wurd' die Zeit bis zur Antwort nicht zu lang!

So viel oder wenig für heute

& gute Nacht

Friedel

 

Geschätzter Friedrichard,

ich sehe: Professionelle Kommasetzung ist nichts für Weicheier.

Was Dein Beispiel angeht, erinnere ich mich vage an meine Schulzeit. Die olle Knümann erklärte uns damals: „Wenn Wie-Wörter zusammengehören, wollen die nicht durch Komma getrennt werden!” Wenn man dann trotzdem eins setzte, machte sie „KWACK!“.
Aber da ging es ja um Aufzählungen, und hier haben wir es mit irgendwas anderem zu tun.

„Die Ölflecken haben dieselbe Form, wie die Krater auf dem Mond.“

Welche Wortränge soll ich da miteinander vergleichen? „Form der Ölflecken“ und „Krater auf dem Mond“? Ist die Ölfleckenform da nicht hochrangiger als die Mondkrater, weil es doch um die Ölfleckenform geht und die Mondkrater nur als Vergleich herhalten müssen?

Vom Artikel über Kommasetzung in Wikipedia hab ich folgenden Satz stibitzt:

„Sie arbeitete genauso lange, wie sie es vorgehabt hatte.“

Das ist doch haargenau dieselbe Anwendung, verflixt und zugeflaxt.

Danke für Deine Bemühungen und eine gesegnete Nachruhe,
Skraave

 

„Sie arbeitete genauso lange, wie sie es vorgehabt hatte“, ist eben nicht „dieselbe“ oder „haargenaue“ Anwendung wie „die Ölflecken …“

lieber Skraave,

schmeichel mir nicht zu viel,

und keine Ahnung, ob „professionelle“ Kommasetzung nix für Weicheier ist oder auch nicht. Lass einfach die „(un-)“Gleichrangigkeit weg und gehr davon aus, was Du sagen/beschreiben willst, nix anderes hat die „olle Knüfrau“ sagen wollen. Pfeif auf die Kultusminister (die’s garantiert nicht besser können als sonst wer hierselbst) und die Rechtschreibkommission (das gibt wieder ’nen Untersuchungsausschauss), mit der vormaligen Rechtschreibung, die Du ja anwendest, zumindest anzuwenden vorgibst pfeifstu eh auf die (ver-)Kohlsche Reform.

Also: „Die Ölflecken haben dieselbe Form, wie die Krater auf dem Mond“
oder
„Die Ölflecken haben dieselbe Form wie die Krater auf dem Mond“,

entscheidend ist m. E., ob Du „die Ölflecken“ allein mit denen der Mondkrater vergleichen willst oder etwa auch denen des Mars’oder der Venus oder – wie ekelhaft von mir – mit dem einen oder anderen Gebiss etc.

Ich hör schon einen Aufschrei der Entrüstung, wenn ich jetzt noch behaupte: Kommas werden auch gesetzt, dass der Vorleser das Atmen nicht vergesse, kurz & gut (schlecht?), sind Regieanweisungen. Was kann man anderes von einem deregulierten Betriebswirt erwarten, außer dass man Liechtenstein wg. gravierender Menschenrechtsverletzungen (welch ein Wortungeheuer!) boykocketieren wird …

Aber jetzt wird’ ich anstrengend, was nicht mehr sein muss …

Gute Nacht & moin

Friedel

Vielleicht erbarmt sich ja mal’n Grammatiker/Lehrkörper und gibt tatsächlich „professionellen Rat“.

 

Geduldiger Friedrichard,

über die letzten Tage hinweg hatte ich mich in eine Welt aus Bunt, Ereignisreich und Gemütlich zurückgezogen, um über die Kommafrage zu meditieren. Leider war’s da viel zu bunt, ereignisreich und gemütlich zum Meditieren. Die schiere Notwendigkeit eines Abschlusses zwingt mich jedoch zu einem Fazit:

1. Die Kommaregel von Wikipedia funktioniert: „Das Komma trennt Vergleichssätze, die mit ‚als‘ oder ‚wie‘ geteilt sind, wenn deren zu vergleichender Teil ein vollständiger Satz ist.“
2. „Die Ölflecken haben dieselbe Form wie die Krater auf dem Mond.“ — Hier entfällt das Komma, weil der zu vergleichende Teil nicht vollständig ist. Wichtig dabei ist, daß man die konservative Subjekt-Objekt-Prädikat-Regel anwendet, um sich der Vollständigkeit zu versichern; philosophische Gehirnspielereien mit Satzdefinitionen sind hier eitler Spaß.

So finden wir, daß man umformulieren könnte, wenn man denn ganz wild auf ein Komma ist. Beispielsweise: „Die Ölflecken haben dieselbe Form, wie die Krater auf dem Mond sie haben.“
Klingt halt scheiße.

Also erkläre ich das Kommaproblem hiermit für erledigt.

Mit illuminierten Grüßen an die Rechtschreibkommission, meine Mami und Allediemichkenn,
Skraave

 

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