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Hetzjagd
Pausenende. Zu kurz. Viel zu kurz. Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten bleibt ihr nicht.
Der nächste Patient kommt bald schon. Ein kleiner Junge, hatte mit angesehen, wie seine Eltern erschossen wurden.
Sie bereitet alles vor, die Gedanken nicht bei der Sache und doch alles perfekt, perfekt für den Patienten.
Sie schaut sich die Daten über ihn an und in ihrem Kopf sind wieder die Bilder, die Bilder von ihrem Sohn.
Tot. Zerfetzt. Der Zug. Das Blut. Sie beginnt zu weinen. Ihr fehlt etwas. Die Professionalität. Das ist ihre Arbeit und sie hat noch zu tun denkt sie.
Der Junge kommt hinein. Kalt der Blick und abgewandt. Interessiert an der Sitzung ist er nicht und das sieht man ihm auch an.
Sitzungsende. Feierabend. Die Fahrt nach Hause eine Qual und zuhause liegt er wieder betrunken auf dem Sofa.
Zu viele Probleme, der Sohn, der Mann, kaum noch Geld, und dann noch all die Patienten überlegt sie.
Wie soll sie das schaffen. Sie blickt nach draußen als ihr der Sonnenuntergang auffällt. Die Sonne lacht sie an.
5:00 Uhr. Arbeit. Vorbereiten. Wer ist der nächste Patient, was hat er und wie geht sie das Gespräch an.
Sie erinnert sich an den Sonnenuntergang und spürt die Wärme der Sonne, die durch das große Fenster scheint.
Eine Frau steht vor ihr. Völlig aus den Gedanken gerissen begrüßt sie die Frau herzlich.
Daten gibt es nicht, also bleibt nur die Frage nach dem Grund für die Sitzung.
Gewalt im Haushalt und Alkoholsucht beim Mann.
Wieder kommen die eigenen Probleme hoch. Professionalität. Keine Emotionen.
Gedanken vermischen sich und die Probleme von ihr und ihrem Patienten scheinen nun nicht mehr verschiedene zu sein, sondern 1 großes.
Zusammenbruch. Krankenhaus. Einen Monat Ruhe.
Da sie die Ruhe Zuhause halten darf, geht sie nach Hause.
Ihr Mann gänzlich ohne Interesse, liegt auf dem Sofa und fängt zu brüllen an.
Nach einer Woche, geht sie wieder Arbeiten. Geld wächst nun mal nicht an Bäumen denkt sie.
Tage vergehen und Patienten öffnen und schließen die Türe.
Sie hat viel Zeit zum Nachdenken. Über ihre Probleme, über ihren Sohn.
Wieder holt sie die Trauer ein und sie fängt zu weinen an.
Sie findet sich am Abend an ihrem Schreibtisch wieder.
Vor ihr eine Kündigung. Fehlende Arbeitsmoral und schlafen am Arbeitsplatz, so heißt es.
Eine Hetzjagd, scheinbar unendliche Probleme, die sie immer wieder an Schlaf und Ruhe rauben.
Ausgelaugt, seit Tagen nichts gegessen und kaum getrunken.
Zweiter Zusammenbruch. Krankenhaus. Dort muss sie erst mal bleiben.
Ihr Zustand bessert sie wieder, denken die Ärzte, sie darf wieder raus.
Nun denkt sie an alles, was war. Die Probleme ihrer ehemaligen Patienten und ihre eigenen kann sie nun nicht mehr unterscheiden.
Gedanklich eine gewaltige Mauer aus Problemen. Sie läuft umher und kommt an dem Bahnsteig an, an dem ihr Sohn umgekommen ist.
Die Gedanken wirbeln wirbelsturmartig in ihrem Kopf umher. Die Bilder im Kopf. Fuß vor Fuß. Einen Schritt nach dem anderen Richtung Gleise.
Man hört die Bahn. Bremsen quietschen. Sirenen ertönen.
Es wird ruhig und man hört nichts mehr während des Sonnenuntergangs.