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Heute Abend

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24.08.2007
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Heute Abend

Heute Abend jogge ich nicht wie sonst durch den Wald. Gewiss, meine Füße finden leicht ihren Rhythmus, sie brauchen mich nicht und lassen meinen Gedanken die Freiheit, den langen schneckengleichen Weg aus dem Alltag bis tief hinein in meine Mitte zu fließen; doch heute Abend ist es anders, ist es mehr, denn ich laufe nicht nur in mich hinein, ich bin auch auf der Suche.

Ich suche nach dem, den mir die Wissenden für die späte Abenddämmerung des 18. August vorausgesagt haben. Noch ist es zu früh, ihn zu finden, noch hat der Himmel sein gläsernes Blau nicht verschattet, nur im Wald hat die Dämmerung schon kleine Nester in das Unterholz gebaut.

Als ich die abgeernteten Felder erreiche, blicke ich erwartungsvoll hinauf, kann ihn jedoch nirgends entdecken. Zu früh, sage ich zu mir, du hast dich in der Zeit geirrt. Nichts ist schlimmer als der falsche Zeitpunkt. Zu früh, zu spät, und alles ist vergebens.

Zwei Frauen in Sportkleidung, auf dem Nachhauseweg mit ihrem Hund, reißen mich aus meinen Gedanken. Ihre Stimmen lassen die Kuppel aus Stille zersplittern, die sich über dem Zirpen der Grillen gewölbt hatte. Ich bleibe abrupt stehen, drehe mich rasch zu ihnen um.

Und genau in diesem Augenblick sehe ich ihn, höher, größer, heller, als ich es je vermutet hätte – Jupiter, Gott der Weisheit, der schönste der Planeten. Ich halte den Atem an, verharre jedoch nur kurz, denn ich fühle drei Augenpaare fragend auf mich gerichtet. Langsam gehe ich weiter bergauf, bis zu der Stelle ganz oben im Feld, an der mein Gesicht fast den Himmel berührt. Hier bleibe ich ruhig stehen und schaue zu ihm auf. Lange schaue ich ihn an, fühle sein Licht auf meiner Haut, lasse es durch meine Pupillen strömen: Licht des Jupiter, durch die Tiefen des Universums gereist, und ein klein wenig davon kommt zu mir.

Ich stehe im Feld, allein, und betrachte den fernen schönen Planeten. Ein leichter Wind kühlt meine Haut, große dunkle Vogelschwingen über dem Feld, Grillengezirp, ein Duft nach Heu. Im Osten, über dem Taunusrand, schwebt ein orangeroter Mond.

 

Hallo Enigma,

nachdem ich mir deinen Text jetzt vier oder fünfmal durchgelesen habe, frage ich mich, warum du nicht einfach schreibst:

"Ich gehe auf einen Hügel und schaue mir den Jupiter an."

Das wäre kürzer, prägnanter und würde dasselbe aussagen.

Schöne Grüße,

yours

 
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Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank für Eure Reaktionen.

Ich habe das Kind zum Einschlafen gebracht ... genial ... das ist doch das, wonach sich viele Mütter vergeblich sehnen... Ich sollte den Text als Gute-Nacht-Geschichte veröffentlichen und würde den Pulitzer-Preis dafür bekommen ... Ruhm - Reichtum - Macht... träum...

Zu Deinem ersten Beitrag, liebes Kind: ich hatte meine Augen dabei. Die genügten vollkommen, denn Jupiter ist das hellste Objekt am frühen Abendhimmel, zumindest so lange, bis der Mond kommt - aber die beiden lassen sich relativ leicht unterscheiden, zumindest von Astronomologen.

Liebe frische Luft, die Handlung ist nicht nur dürftig, wie Du sehr richtig bemerkst, sie ist schlicht nicht vorhanden. Über die Protagonistin hingegen erfährt man eine ganze Menge, finde ich... "Was Du in der Sekunde ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zu Dir zurück", sagt Schiller, und die Griechen sprechen gar vom "kairos", vom glückverheißenden Augenblick, in dem alles, und ohne den nichts gelänge. Jupiter ist leichter identifizierbar, wenn man ihn in der Dämmerung als erstes Himmelsobjekt aufscheinen sieht. Kurze Zeit danach waren Wolken vor Jupiter, aber da wusste ich schon, wo er zu suchen ist, und konnte ihn später leicht wiederfinden. Etwas Besonderes ist nicht an meinem Lieblingsplaneten - deswegen steht die Geschichte ja auch unter "Alltag".

Hallo yours truly: genau. Du hast vollkommen recht.

Liebe Grüße euch allen
enigma

 

hallo enigma,

"Joggen mit Schiller" fand ich besser. Das hier - "Joggen mit Jupiter" würde ich es nennen - finde ich trotz der tiefe Bedeutung verheißenden Sprache ;) belanglos. Wozu wird das erzählt, frage ich mich?

Gruß
Kasimir

 

Hallo enigma!

Ich hab im Urlaub die Jupitermonde gesehen. Das fand ich irgendwie aufregender als die Geschichte, ich meine, nur den Jupiter sehen, ja und? Die Sprache ist schön und die Geschichte ist es natürlich auch, aber eigentlich kann ich dann dazu nur die Schultern zucken. Ich bin nicht dafür, dass jede Geschichte eine tiefe Bedeutung haben muss, deshalb geht das schon in Ordnung, zumal sie auch nicht lang genug ist, um zu langweilen. Aber im Gedächtnis bleiben wird sie mir auch nicht. ;)

Eins nur:

Ich ziehe den Atem ein,
Klingt komisch. Ich halte den Atem an, fände ich besser.

Liebe Grüße,
strudel

 

Ich find's gut. Wenn die Geschichte für mich auch eindeutig nach Romantik gehört. Belanglos ... intim, würde ich's nennen.
Da sucht jemand Einklang und Frieden mit sich selbst im Trost darin, Teil des größtmöglichen Zusammenhangs zu sein. Es ist nicht die Schuld der Geschichte, dass durch Postkarten jegliches Naturidyll verkitscht wurde; ich mag sie einfach gern.
Durchaus auch eine attraktive Protagonistin. Hat was.

Liebe Grüße
Quinn

 

Salü enigma,

eine malerische, mit feinem Pinsel gestaltete Betrachtungs-Geschichte.

Die segensreichen Attribute dieses Gottes, der bei den Griechen Zeus hiess, bei den Babyloniern Marduk, von den Römern zu Jupiter wurde und uns nun am Himmel erscheint, muss ich Deiner stillen Betrachtung nicht vermissen. Ja, sie drängen sich in Deiner schlichten Schreibweise aus meiner Erinnerung in den Vordergrund, weil ich mich mal sehr intensiv damit beschäftigt habe.

Jupiter: Er steht mythologisch zwischen den aggressiven Göttern Mars und Saturn als gütiger und begütigender Ausgleich. Und so denke ich, zeigt Deine Protagonistin, was sie sucht und schliesslich auch findet.

Ob dies in Deiner Geschichte noch Platz hätte? Ob es wichtig wäre, dem Raum zu geben? Mir genügt es auch so! Ich wollte Dir nur mitteilen, was sie bei mir auslöste :)

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hallo enigma,

mir fehlt auch etwas in deiner Geschichte. So bewegt sie mich nicht wirklich. Schön geschieben, aber letztlich passiert auch nichts. Kann das Gefühlswelt der Prot. schon nachvollziehen, aber dann endet es schon, und ich frage mich wie der Jupiter wohl aussieht und dann, naja...

mfg,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Für JuJu, Nachtschatten und all die anderen, die sich wünschen, dass in der Geschichte etwas passiert:

Heute Abend jogge ich nicht wie sonst durch den Wald. Gewiss, meine Füße finden leicht ihren Rhythmus, sie brauchen mich nicht und lassen meinen Gedanken die Freiheit, den langen schneckengleichen Weg aus dem Alltag bis tief hinein in meine Mitte zu fließen; doch heute Abend ist es anders, ist es mehr, denn ich laufe nicht nur in mich hinein, ich bin auch auf der Suche.

Ich suche nach dem, den mir die Wissenden für die späte Abenddämmerung des 18. August vorausgesagt haben. Noch ist es zu früh, ihn zu finden, noch hat der Himmel sein gläsernes Blau nicht verschattet, nur im Wald hat die Dämmerung schon kleine Nester in das Unterholz gebaut.

Als ich die abgeernteten Felder erreiche, blicke ich erwartungsvoll hinauf, kann ihn jedoch nirgends entdecken. Zu früh, sage ich zu mir, du hast dich in der Zeit geirrt. Nichts ist schlimmer als der falsche Zeitpunkt. Zu früh, zu spät, und alles ist vergebens.

Zwei Frauen in Sportkleidung, auf dem Nachhauseweg mit ihrem Hund, reißen mich aus meinen Gedanken. Ihre Stimmen lassen die Kuppel aus Stille zersplittern, die sich über dem Zirpen der Grillen gewölbt hatte. Ich bleibe abrupt stehen, drehe mich rasch zu ihnen um.

Und genau in diesem Augenblick sehe ich ihn – doch ist das wirklich Jupiter? Er sieht nicht aus, wie ich ihn aus den Büchern kenne. Da wäre er nur ein Lichtpunkt am Abendhimmel gewesen, und jeder, der nicht gezielt nach ihm suchte, hätte ihn für einen beliebigen Stern halten können. Ich jedoch sehe ein mittelgroßes, in Regenbogenfarben schillerndes Himmelsobjekt, viskos, fast wie eine Seifenblase. Es blickt mich an. Natürlich kann ich keine Gesichtszüge erkennen, trotzdem ist mir klar, dass er mir direkt in die Augen schaut, und ich fühle genau: er lächelt mir zu. Während ich noch versuche, meine verwirrten Gedankengänge zumindest rudimentär zu ordnen, schwirren drei Lichtblitze in meine unmittelbare Umgebung, und die abendliche Stille der friedlich daliegenden Kornfelder ist wieder hergestellt. Drei kleine Aschehäufchen werden von einem scharfen Luftzug ins Feld geblasen. Der arme Hund, denke ich noch kurz, er hat doch überhaupt nichts gesagt; wende meinen Blick jedoch sofort wieder zu Jupiter hinauf. Er zwinkert mir zu.

„Was war denn das jetzt??“, denke ich sprachlich relativ wenig elaboriert, was auf Grund der Situation jedoch verzeihlich sein möge. Warum lebe ich noch? Warum liege ich nicht ebenfalls als Ascheflöckchen auf der Wiese, wie die beiden Spaziergängerinnen und der Hund? Warum hat er mich verschont, und vor allem: warum hat er mir zugezwinkert? Wenn die Gefühle versagen, sollte man die Logik zuschalten. Wusste er etwa, dass mir banale menschliche Äußerungen auf meinen stillen abendlichen Streifzügen missfallen? Reagierte er darauf auf seine für unsere Moralbegriffe vielleicht etwas unkonventionelle Weise? Wollte er mir am Ende gar einen Gefallen tun?

Ich beschließe, ihn zu testen, betrachte sinnend einen alten Apfelbaum am Wegesrand und denke dabei an stille Winterabende mit Apfelmus und Brennholz. Nichts geschieht. Ich warte eine Weile, schaue dann wieder nach oben, aber das einzige, was ich feststellen kann, ist eine leicht erhobene Augenbraue. Er scheint noch näher gekommen zu sein, und ich sehe, wie die schillernde Oberfläche der Seifenblase sich kräuselt. Lacht er mich etwa aus?

Er ist ziemlich groß geworden inzwischen, füllt schon fast die Hälfte des Himmels. Vom Tal herauf höre ich Schreie und lautes Hupen. Eine Sirene heult. Irgendetwas scheint passiert zu sein in meinem sonst so stillen Heimatdorf. Vielleicht brennt es irgendwo, denke ich, aber das darf mich jetzt nicht interessieren, ich bin hier mit Jupiter auf dem Hügel und möchte diese ungewöhnliche Begegnung gerne weiter auskosten. Morgen könnte der Himmel wieder bewölkt sein, und dann? Astronomische Beobachtungen darf man niemals aufschieben. Ganz gleich, was geschieht, man darf sich nicht ablenken lassen. Diszipliniert geht mein Blick zum Himmel zurück. Was wird Jupiter wohl als nächstes tun? Zügig scheint er näher zu kommen.

Im Dorf muss doch etwas anderes passiert sein, denn ich höre Autos starten, hupen, und aus dem Augenwinkel sehe ich Autos, Fahrräder und Fußgänger auf dem Weg Richtung Stadt. Die Szenerie erinnert mich an die Staus am Morgen, die ich gerne meide, lieber etwas früher oder etwas später losfahre. Doch heute Abend ist es anders. Die Fahrzeugreihe wirkt ungeordnet, und manche scheinen die Verkehrsregeln nicht einhalten zu wollen. Menschen ohne eigenes Fahrzeug warten nicht wie sonst gelassen auf den Bus, dessen Verspätungen sie gewohnt sind, sondern machen sich zu Fuß auf. Einige tragen Haushaltsgegenstände bei sich. Das Ganze wirkt eher wie eine panische Flucht, eine, die man nie in der Realität, jedoch relativ häufig im Fernsehen sieht.

"Wo wollen sie nur alle hin", überlege ich und bin recht froh, hier auf dem stillen, friedlichen Hügel zu sein, denn zu lärmenden Menschenmassen fühle ich mich in aller Regel nicht hingezogen. Mein Jupiter füllt inzwischen schon den gesamten Himmel aus, schillernd, regenbogenfarbig, schön. Er bewegt sich stetig auf die Erde zu, wirkt dabei völlig gelassen, ausgeglichen, so, als wisse er genau, was er tue. Ruhig schaue ich zu ihm hinauf und warte.

Der Lärm, die Menschen, alles bleibt weit unter uns zurück. Es ist still. Am Himmel gibt es nur noch Jupiter, auf der Erde nur noch mich. Glücklich lächle ich zu ihm hinauf.

Er ist da. Das letzte, was ich noch mit meinen Augen sehe, ist das Zentrum des Great Red Spot.

;-)))

enigma

 

Wow und Hallooo enigma,

warum nur verbirgt sich diese Geschichte so heimlich unter der anderen??

Der arme Hund, denke ich noch kurz, er hat doch überhaupt nichts gesagt; :lol:

Da kann ich Kasimir nur Recht geben! Ab damit nach 'Seltsam'!

Echt: Gern gelesen.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Das ist jetzt aber nicht euer Ernst, oder? Das hab ich heute morgen in ein paar Minuten ohne Nachzudenken in die Tastatur gekloppt, und an meiner wirklichen Jupiterbeobachtung habe ich ewig lange gearbeitet...


:heul:

enigma

 

Das ist jetzt aber nicht euer Ernst, oder?

Doch, das ist mein Ernst! Vielleicht gerade weil Du sie so aufs Papier geschletzt hast, liest sie sich so flüssig und charmant. Das ist wohl das, was man einen Wurf nennt. Ich weiss auch immer nicht, wieso ich monatelang an einer Geschichte herumbasteln kann und dann gelingt eine andere in einer Stunde. Vielleicht liegt es am Kritiker im Hirn. Wenn der mal wegguckt, gelingt so manches ...

Ehrlichste Grüsse!

 

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