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Hexen
Eine Hexe zu sein hat schon seine Vorteile, dachte sich Vivica, als sie sich mit einer Handbewegung und einem Augenzwinkern eine Cola aus dem Kühlschrank zufliegen ließ. Sie war bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: Filme schauen. Und seit es das Internet gibt, musste sie zum Filme ausleihen nicht mal mehr aus dem Haus. Diese Faulheit und die Tatsache, dass sie für nichts aufstehen musste, hatten bei Vivica zu einem kleinen Gewichtsproblem geführt, aber wen interessiert schon so etwas Profanes wie Übergewicht, wenn man Telekinese beherrscht.
Es klingelte an der Tür.
„Guten Tag. Ich hätte da einen Auftrag für Sie.“
Vivica blickte die fremde Frau verwirrt an: „Einen Auftrag?“
„Ja, Sie sind doch eine Hexe und Sie sollen etwas für mich erledigen.“
„Aha.“
„Sie sollen jemanden für mich umbringen.“
„Ich kann doch niemanden umbringen!“
„Können Sie doch, Sie sind doch eine Hexe“
„Und wenn ich es nicht tu?“
„Dann werde ich Sie umbringen lassen.“
„Wie gesagt, ich bin eine Hexe, dann könnte ich Sie eher umbringen, bevor Sie irgendjemanden einen Auftrag erteilen können.“
„Na dann ist es ja egal, ob Sie mich umbringen oder jemanden für mich umbringen, mit dem kleinen Unterschied, dass ich Sie bezahlen würde.“
„Na gut.“
Eine Hexe zu sein hat schon seine Vorteile, dachte sich Amy, als sie mit einer Handbewegung und einem Augenzwinkern den überquellenden Mülleimer verschwinden ließ. Der äußere Schein war Amy schon immer sehr wichtig, sie war nur zu faul sich um den ihrer Wohnung zu kümmern, sie kümmerte sich lieber um ihre Haare und ihr Make-up und räumte magisch auf. Dieses eigenwillige Aufräumen hatte ihr schon einige blaue Flecke beschert, da sie Dinge zwar unsichtbar machen, sie aber nicht verschwinden lassen konnte. Aber wen interessiert schon so etwas Profanes wie blaue Flecke, wenn man Devisualisierung beherrscht.
Es klingelte an der Tür.
„Ich mache es kurz: Ich weiß, dass Sie eine Hexe sind und Sie sollen jemanden für mich aus dem Weg räumen, zwei Jemande um genauer zu sein.“
„Zahlen Sie?“
Der Mann zog lässig eine Augenbraue hoch: „Selbstverständlich!“
„Okay, kommen sie herein.“
Vivica bot der fremden Frau einen Platz auf ihrem Sofa an: „So und jetzt erzählen Sie mal, was hat er oder sie denn verbrochen?“
„Ich habe nicht gesagt, dass er ein Verbrecher ist.“
„Okay, es ist also ein Er“
„Jetzt hören Sie um Gottes Willen auf, einen auf Meisterdetektivin zu machen!“
„Ist ja schon gut, dann rücken Sie endlich mit der Sprache raus.“
„Sie sollen meinen Mann umbringen, er besitzt ein Vermögen und davon werden Sie dann einen Teil bekommen, wenn ich es erbe. Mein Mann ist fett, faul und langweilig, als Ehemann ungeeignet, aber eben reich.“
„Sie sollten niemanden wegen Übergewicht diskriminieren.“
„Sonst was?“
„Sonst werde ich ihren Mann nicht umbringen.“
„Dann werde ich Sie umbringen lassen.“
„Wie gesagt, ich bin eine Hexe, dann könnte ich …“
„Schön, bringen Sie einfach meinen faulen und langweiligen Mann um.“
„Faulheit ist aber doch kein Grund dafür.“
„Verdammt sind Sie anstrengend, dann eben ganz einfach: Sie sollen meinen Mann töten!“
„Ist ja gut. Und wie soll ich das ihrer Meinung nach anstellen?“
„Das ist ja wohl offensichtlich, Sie können etwas, was sonst niemand kann, also sorgen Sie dafür, dass mein Mann vom Dach ,springt’. Er arbeitet in einem großen Bürogebäude und nach Feierabend geht er immer eine auf dem Dach rauchen.“
„Er raucht auf dem Dach?“
„Fällt ihnen ein Grund ein, warum ich das sonst gesagt hätte?!“
Amy kickte einen unsichtbaren Haufen Dreckwäsche zur Seite, der irgendetwas ebenfalls unsichtbares traf, was klirrend auf dem Parket zerbrach. Der fremde Mann ließ ein gleichgültiges Schnauben hören: „Tritt sich fest.“ Amy schob ihn ins Wohnzimmer weiter und setzte sich mit ihm an den Tisch: „Nun, ich hoffe Sie sind sich bewusst, dass sich meine außergewöhnlichen Fähigkeiten ausschließlich auf das Unsichtbarmachen von Dingen beschränken.“
„Natürlich und genau das ist es, was ich will.“
„Fein. Um wen geht es?“
„Der erste Jemand ist meine Frau, sie ist nur hinter meinem Geld her, ein richtig dummes, verzogenes Gör. Ich weiß, dumm bumst gut, aber wenn man genug Geld in der Tasche hat, sind viele Frauen bereit, dumm zu sein.“
„Lässt sich erledigen. Und der zweite Jemand?“
Vivica hatte in ihrem Leben eigentlich nie vorgehabt, jemanden umzubringen, doch jetzt, wo sie sich dazu bereit erklärt hatte, wollte sie es auch mit dem nötigen Stil erledigen. Sie kaufte sich einen schwarzen Catsuit und guckte sich sämtliche Filme an, bei denen es um Auftragskiller ging. Bald schon würde sie nicht mehr sparen und arbeiten müssen und könnte ihre ganze, wertvolle Zeit dazu verwenden, sich die Augen viereckig zu gucken.
Sie wollte sich konzentrieren und einen Plan machen, schließlich machen ausgeschlafene Doppelagenten das so. Und bei nichts konnte man sich so gut konzentrieren, wie bei einer leckeren Käsepizza. Dummerweise hatte ihr Lieblingsitaliener keinen Lieferservice.
Vivica ging also ins Restaurant und setzte sich gerade vorsichtig auf einen winzigen Stuhl, als ein kleiner Junge hinter vorgehaltener Hand am Nachbartisch zu seiner Mutter flüsterte: „Schau mal Mami, das Walross da drüben.“ Die Mutter legte empört die Hand ihres Sohnes auf den Tisch: „Das sagt man nicht. Das ist eine dicke Frau.“
Vivica war bestürzt, redete man etwa so über die neue Catwoman?! Mit einem Augenzwinkern und einer Handbewegung fegte sie die Lasagne der Mutter vom Tisch und ließ sie dem Jungen direkt ins Gesicht fliegen. Dieser schrie natürlich sofort los und die Mutter sah Vivica bestürzt an. Das war der Moment für wahre Coolness. Was dem Zorro sein Z, würde ihr V werden. Sie griff sich die Salatgabel und verschmierte mit Schwung die Soße auf dem Pulli des Jungen zu einem V: „Tja, so eine wahrlich zauberhafte Kampfamazone haben sie wohl noch nie gesehen, was?! Ober, packen Sie mir meine Pizza ein, ich gehe!“
Sie stellte sich die Helden und Heldinnen aus ihren Lieblingsfilmen vor, selbst die hätten keinen lässigeren Auftritt hinlegen können.
Erhobenen Hauptes stolzierte Vivica aus dem Restaurant, während der Kellner teilnahmslos etwas von 7,80 € grummelte.
Es war der Mittag des nächsten Tages und Amy traf sich mit ihrem Klienten zum Lunch. Er stopfte sich zufrieden ein Sandwich in den Mund, während Amy Bericht erstattete: „Es sieht aus, als hätte sich ihre Frau in Luft aufgelöst, spurlos verschwunden. Die Arme schien mir ganz schön daran zu knabbern zu haben, dass sie ihr perfekt geschminktes Gesicht nicht mehr im Spiegel bewundern kann.“
„Großartig, genau das wollte ich haben.“
„Und wer ist nun der zweite Jemand?“
„Die Person, die von meiner Frau darauf angesetzt wurde, mich umzubringen.“
Vivica spazierte Pizza essend durch den Stadtpark und überlegte, wie ihr neues Leben wohl aussehen würde, Gott und sein olles Frankreich würde dagegen einpacken können. Während sie versuchte, die Käsefäden auseinander zu ziehen und sich ein Stück Pizza in den Mund zu schieben, rempelte sie aus Versehen eine Person an: „Oh, Entschuldigung, sie waren für mich wohl grade irgendwie unsichtbar.“
Die Frau vor Vivica drehte sich um und funkelte sie böse an.
„Amy, ups, wenn ich das gewusst hätte, welch doppeldeutige Aussage, das mit dem Unsichtbarsein was?!“
„Wahnsinn, ich pack mir gleich was von dem Witz in meine Vesperbox ein, damit ich morgen noch was davon habe. Oder noch besser, ich leih mir deine Pizzaschachtel da aus.“
Amy riss Vivica die Pizzaschachtel aus der Hand, machte sie mit einer Handbewegung und einem Augenzwinkern unsichtbar und ließ sie auf den Boden fallen: „Tja, das Auge isst mit, was?!“
Amy stolzierte davon, während Vivica mitten auf dem Weg stehen blieb. So konnte man das noch nicht mit einer magischen Agentin machen, sie kochte und schrie vor Wut: „MEINE PIZZA!“
Es kam etwas weinerlicher rüber, als sie es beabsichtigt hatte. Essen und Filme waren ein wunder Punkt bei ihr und zu wissen, dass ihre geliebte Käsepizza da irgendwo auf dem schmutzigen Boden lag, machte sie genauso traurig, wie wenn jemand eine DVD mit kreisenden Bewegungen reinigte.
Die Passanten drehten sich nach der scheinbar verwirrten Frau um, die da allein und offensichtlich ohne Pizza im Park stand und schrie. Ein besonders lässig pubertierender Skateboarder und seine Clique fuhren langsam an ihr vorbei: „Die Pizza ist in der Pizzeria Schwester, die du offensichtlich grade verschlungen hast.“
„Yo Alter, geil gesagt, zeig’s der Futterwanne!“
Dank einer Handbewegung und einem Augenzwinkern fuhr die ganze Clique urplötzlich in den Graben und ihr Sprecher direkt gegen einen Baum.
Teeniefilme waren auch noch nie ihre Lieblingsfilme gewesen, Freddy Krüger konnte da schon eher punkten.
Von einer neuen Welle des grenzenlosen Selbstbewusstseins überschwemmt, ging Vivica ihren genialen Plan noch einmal genau durch.
Es war kurz vor sieben Uhr, Feierabendzeit und Vivica wartete auf dem Dach. Ihr Herz raste, hoffentlich würde alles so klappen, wie sie sich das wünschte. Um Punkt sieben Uhr öffnete sich die Tür vom Treppenhaus und Amy kam heraus.
„Ach du scheiße!“
Vivica wirbelte herum, Amy starrte sie mit offenem Mund an
„Was ist?“
„Ich war nicht darauf gefasst, ausgerechnet dich hier zu treffen. Schon gar nicht in einem Catsuit."
„Ach laber nicht rum, du traust dich doch nie mich anzugreifen.“
„Aber jetzt werde ich dafür bezahlt, dann lohnt es sich wenigstens.“
Nach einer Handbewegung und einem Augenzwinkern war von Vivica nichts mehr zu sehen und Amy ging zufrieden ins Treppenhaus zurück. Eine Minute später kam Amys Auftraggeber durch die Tür und zündete sich eine Zigarette an: „Vivica, bist du noch hier?“
„Gleich neben dir.“
„Danke, dass du mich nicht umgebracht hast.“
„Hätte ich nie getan.“
„Ich weiß.“
„Kommst du morgen vorbei? Herr der Ringe eins bis drei plus Bonusmaterial?“
„Selbstverständlich, hast du dich auch um meinen Vertrag mit Amy gekümmert?“
„Eine Handbewegung und ein Augenzwinkern und das Ding brannte wie Zunder.“
„Sehr schön, weißt du, ich hasse oberflächliche Menschen.“
„Ich auch.“
Zufrieden und glücklich ging Vivica nach Hause. Endlich hatte sie ihre Ruhe, sie musste sich keine Gedanken darüber machen, wie sie aussah und konnte den ganzen Tag auf der Couch herumhängen.
Freiwillig hätte Amy, diese eingebildete Ziege mit ihren glatten Haaren und ihrer perfekten Silhouette, ihr nie dabei geholfen und jetzt hatte sie gleichzeitig dieser eitlen Ziege auch noch einen gehörigen Denkzettel verpasst: Mit der ausgefuchsten Doppelagentin Vivica sollte man sich nicht anlegen und Aussehen ist sowieso zweitrangig. Das lernte jetzt auch die ätzende Frau, die ihr ihren vermeintlichen Auftrag gegeben hatte. Trotz Wanst, war sie, Vivica, viel schlauer.
Auf dem Heimweg ließ Vivica mit einer Handbewegung und einem Augenzwinkern ihre Wampe wabbeln und niemand, aber auch gar niemand konnte das sehen.