- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Hinter'm Baum
Hinter'm Baum
In einer kleinen Stadt im hohen Norden leben Nikolaus, Bernie und Dusty, alle drei im Lausbubenalter. Immer die besten Freunde, die durch dick und dünn miteinander gehen.
Wochentags, nach der Schule, als endlich die Hausaufgaben erledigt und anderes "Wichtiges" getan war, trafen sich die Freunde, um etwas zu unternehmen. Meistens gingen sie in den Park, um "Spiele" zu machen - Fußball, Steine werfen, wobei sie auch mal Ärger bekamen mit den Passanten, die hier spazieren gingen, Leute ärgern, naja, was halt Jungen in dem Alter so machen eben, aber heute war alles ein wenig anders als sonst ...
Nikolaus, Bernie und Dusty trafen sich wie immer im Park bei ihrem Treffpunkt am Baum, einer hohen Birke - eine Bank stand davor, auf der sie sich wie immer hinsetzen wollten, um zu bequatschen, wie der angefangene Nachmittag zu gestalten sei.
Jedoch die Bank hatte sich heute verändert und war seltsam gesprenkelt. Die Kinder sahen ungläubig hin, machten lange Gesichter, weil sie sich das nicht erklären konnten, beschlossen aber trotz allem sich hinzusetzen und - klebten fest.
"Auweia, was ist das denn?", rief Dusty, der Alteste der Freunde, mit ängstlicher und heißerer Stimme. Auch Bernie und Nikolaus sahen sich mit großen Augen an.
"Jetzt wird aber der Hund in der Pfanne verrückt", sagte Nikolaus hastig und aufgeregt, "das kann doch nicht sein, meine Hose klebt an der Bank und auch die Hände, nein, ich kann meine Hände nicht mehr hochheben!" - "Meine Hände kann ich auch nicht mehr wegnehmen", sagte Bernie leise und mit schreckgeweiteten Augen.
Dusty versuchte auch verzweifelt und mit aller Kraftanstrengung sich aus seiner Zwangslage zu befreien. Alle drei waren Gefangene dieser Bank. Die Hosen klebten fest, die Hände; sie zogen sich beim Hochziehen in langen Fäden wie Kaugummi immer länger und länger. Sie zogen und zerrten, versuchten verzweifelt aus ihrer mißlichen Lage zu entkommen, strampelten mit den Beinen, stapften mit den Füßen, bis der Staub aufwirbelte und sie fast nichts mehr sehen konnten, aber es war zwecklos, aus eigener Kraft konnten sie sich nicht mehr befreien.
Leute gingen vorbei und schüttelten ungläubig den Kopf, nahmen aber keine weitere Notiz von dem ganzen, dachten bei sich es sei ein dummer Jungenstreich und gingen ihrer Wege.
Jetzt bekamen es die Freunde mit der Angst zu tun. - "Wir kommen nicht mehr los!" - "Warum hilft uns denn niemand?", riefen sie fast gleichzeitig.
Oben im Wipfel des Baumes, der hinter der Bank stand, regte es sich - ein Wind kam auf - Sturm - ein Sausen und Toben folgte;
fürchterliches Gequietsche und dumpfes Dröhnen wechselten sich ab.
Sie saßen schlotternd und noch immer festgeklebt auf der Parkbank, niemand kam jetzt mehr vorbei und eine beängstigende Stille breitete sich aus. Es war sehr, sehr ruhig, keine Vögel, die in den Bäumen zwitscherten, kein Hund, der bellte, keine Menschen, die gesprächig oder auch lachend vorbeigingen, nichts, aber auch gar nichts regte sich mehr.
Die drei Freunde sahen sich nach allen Seiten um.
Da - auf einmal, hinter ihnen, eine schwarze Gestalt, direkt hinter dem Stamm des eigentlich sehr schmalen Baumes, fing eine Gestalt an, sich größer und größer und immer größer aufzubauen.
Ein riesiges gelbes Gesicht näherte sich ihnen. Haare klebten überall, grüne Augen in tiefliegenden Augenhöhlen sprühten feuergleich, eine große Hakennase saß mitten im Gesicht, das fahl und faltig aussah. Braune Zähne, riesengroß, klapperten immerzu und es roch süßlich, wie nach Verwesung. - Sie bekamen es gewaltig mit der Angst zu tun. Sie zitterten und bebten, ihre Zähne klapperten, fast wie die der schwarzen Gestalt.
Das Ungetüm kam ihnen gewaltig nahe. Seine knochigen, gelben Hände, mit den langen schwarzen Krallen fuhren den Freunden über den Kopf. Die Krallen verfingen sich in den Haaren der Kinder, so daß sie anfingen zu schreien. - "Meine Haare, meine Haare, laß meine Haare los, Du eklig-stinkendes Monster!", rief Nikolaus. Auch Bernie und Dusty schrieen auf das Monster ein, das sich jedoch nicht beeindrucken ließ.
Ein Schütteln und Frösteln überkam sie jetzt. Die Gestalt drohte und fauchte, niemand war in der Nähe, der ihnen hätte helfen können. Sie versuchten sich verzweifelt zu befreien, schafften es aber nicht; es gab es keine Möglichkeit, diesem Monster zu entkommen.
Die Zeit verging - eine unendlich lang erscheinende Zeit, so kam es ihnen vor, - es fing schon an zu dämmern, sie dachten an Zuhause, auch weil es Abendbrotzeit war.
"Ach, wäre das schön, jetzt zu Hause zu sein, gemütlich beim Essen zu sitzen!", sagte Bernie, auch Nikolaus stimmte zu.
"Ja", flüsterte Nikolaus, "eine schöne heiße Wurst mit Senf, nein zwei Würste, vielleicht sogar drei könnte ich jetzt verdrücken, wenn ich bloß keine solche Angst vor dem Monster hätte!" - "Also ich kann jetzt nicht ans Essen denken," sagte Dusty ganz leise, "dieses Ungetüm nimmt mir jeden Appetit, in jeder Situation denkst du immer nur ans Essen!"
Während sie kurz noch ans Essen dachten, was nur ein wirklich kurzer Moment war, versuchte das eklig-stinkende Ungetüm weiter und mit all seinen zur Verfügung stehenden Mitteln die Kinder zu erschrecken und anzugreifen. Es zerrte an den Haaren, packte sie im Genick, daß sie aufschrien, fauchte und brüllte aus voller Kehle.
Da, auf einmal - wie aus dem Nichts - kam ein kleiner schwarzer Hund angesprungen. Er schnüffelte, blieb kurz stehen, sah hoch, bellte aber nicht, und wollte schwanzwedelnd seines Weges ziehen.
Jetzt machte das Monster ein sehr ärgerliches Gesicht, weil es sich gestört fühlte und nicht damit rechnete, daß es jemand wagte, in seine Nähe zu kommen und überhaupt keine Angst zeigte.
Mit letzter Kraft und seinem ganzen Können versuchte es wieder zu fauchen, aber seine Stimme versagte jetzt, nur noch ein heiseres Krächzen kam aus seiner Kehle.
"Nanu, was war das?", dachte es, "Ich bin doch hier, um Angst einzujagen, und da kommt so ein kleines Etwas, wagt es mir ungeniert entgegenzutreten und zeigt nicht den blassesten Schimmer Angst, das lasse ich mir nicht gefallen!"
Jetzt zog es noch seine "letzten Schubladen" und versuchte zum Angriff überzugehen. Trotz aller Anstrengung konnte es aber nicht auf den Hund und auch nicht mehr auf die Kinder übergreifen, nicht einmal das Krächzen funktionierte mehr.
Die Verwunderung darüber, daß eine kleine Kreatur, ein Nichts in seinem Sinne, vor ihm keine Angst zeigte, hatte ihm die Kraft genommen.
Ein sanfter Wind wehte nun. Die Jungen saßen und staunten. Der Wind wurde jetzt etwas kräftiger und entwickelte sich zu einem Wirbel, der die Gestalt erfaßte und in sich aufnahm. Leise entschwand der kreisende Wind, der sich nach oben bewegte und sich immer weiter entfernte.
Die drei Freunde sahen auf den kleinen Hund, der vor ihnen auf und ab sprang. Jetzt sah die Parkbank, auf der sie saßen, aus wie immer; keine gesprenkelten Flecken mehr, auch die Hosen und Hände der Freunde klebten nicht mehr fest. Sie sahen sich verwundert an und staunend, mit offenem Mund, beobachteten sie das Geschehen.
Der Hund sprang davon, alles sah jetzt aus, als wäre nichts geschehen; Leute gingen vorbei, erzählten sich Alltagsdinge, lachten; Vögel zwitscherten, ein Lärmen und Toben wie an jedem anderen Tag auch, es war, als wäre nichts geschehen. - Hatten sie sich das etwa nur ausgedacht?
(M. H.)