Historische Romane - welche sollte man lesen, welche nicht?
Hallo,
mir ist gerade aufgefallen, dass es solche Threads für haufenweise Genres gibt, nur für historische Romane nicht.
Ich habe in einer Woche Krankenhaus haufenweise historische Romane gelesen, von denen einer gut war. Das hat mich dazu inspiriert, diesen Thread hier zu gründen. Würde mich über weitere Meinungen freuen. Ich dachte mir, wir könnten hier dos und don'ts austauschen und Kritiken/Zusammenfassungen/etc posten - es interessiert mich dann doch, warum ein historischer Roman gut sein soll und warum nicht.
Ich fang mal an:
"Der Medicus" (Noah Gordon). Historischer Roman, den man unbedingt lesen sollte. Klassiker des Genres. Der junge Rob J. Cole wird zum Waisen, als seine Eltern sterben. Alle seiner Geschwister werden in der Nachbarschaft "verteilt", er bleibt als Einziger übrig. Als er sich schon im Armenhaus enden sieht, kommt ein fahrender Bader daher und nimmt ihn als Gehilfen an. Rob erlernt den Beruf des Baders, fühlt sich aber zu Höherem berufen. Er möchte an der Universität in Medina bei ibn Sina persönlich Medizin studieren...
Gut, weil: Die mittelalterliche Welt wird gut und plastisch dargestellt. Man bekommt einen farbigen Einblick in das Leben der damaligen Zeit und vor allem die Welt der Medizin, die sich von der heutigen doch sehr unterscheidet.
"Der Schamane", siehe oben. Auch noch empfehlenswert.
Gleicher Autor, gleiches Spiel - wieder ein Arzt, dieses Mal im Amerika der Kolonialzeit.
Rebecca Gable - gesammelte Werke. Sehr empfehlenswert. Locker geschrieben, farbig, handwerklich gut bis sehr gut, keine Tempus- oder Kommafehler, die mir beim Lesen aufgefallen wären, ein plastisches Bild der Zeit, sympathische Gute und nachvollziehbar gezeichnete Böse. Fast keine Klischees.
In "das zweite Königreich" wird der junge, angelsäschsische Caedmon bei einem Wikingerüberfall zum Krüppel. Sein Vater wird von Harold Godwinson persönlich gebeten, einen seiner Söhne, die wegen ihrer normannischen Mutter alle französisch sprechen, als Übersetzer mit nach Frankreich zu schicken, weil er in einer diplomatischen Mission dort hin muss. Caedmon bleibt gegen seinen Willen in der Normandie und findet sich plötzlich an der Seite des William the Conqueror wieder, der mit ihm als Übersetzer England erobern will. Das WtQ zunehmend wahnsinniger wird, erleichtert seine Aufgabe als Vermittler nicht.
In "das Lächeln der Fortuna" führt sie das Geschlecht der Waringhams ein: Der junge Robin of Waringham verliert seinen Erbanspruch, als sein Vater als Verräter hingerichtet wird. Er läuft aus dem Kloster weg und verdingt sich im Gestüt, das zu Waringham gehört, als Stallknecht. Der Sohn des neuen Earls macht ihm das Leben zur Hölle, und so treibt er Robin irgendwann aus dem Gestüt. Leider ist es hörigen Bauern verboten, die Scholle zu verlassen, an die sie gebunden sind, und als Robin auf dem Weg nach Nirgendwo ausgerechnet Mortimer of Waringham in die Hände läuft, bleibt ihm nichts anderes übrig, als diesen k.o. zu schlagen. Da er mit wichtigen Neuigkeiten für den König reist, zwingt sein Gewissen Robin jedoch dazu, diese abzuliefern - er muss Mortimers Rolle annehmen.
Danach kommt "der König der purpurnen Stadt", ein Porträt des mittelalterlichen London. Der junge Jonah erbt von seiner Großmutter einen Haufen Geld, der es ihm ermöglicht, sich als Tuchhändler selbstständig zu machen. Da er noch nicht einmal mündig ist, setzt die Gilde ihm einen Vormund vor die Nase. Dann ist da noch sein Vetter, bei dem Jonah nach dem Tod seines Vaters gewohnt hat und der ihn ständig drangsaliert hat. Intrigen und Jonahs unerfüllte Liebe zur Königin erschweren ihm das Leben. Interessant für alle, die schon immer einmal wissen wollten, wie der Tuchhandel im Mittelalter eigentlich funktioniert hat (und für alle anderen auch).
In "die Hüter der Rose" greift Rebecca Gable ihre Waringhams wieder auf. Der junge John läuft von zu Hause weg, weil er glaubt, dass sein Vater Robin ihn ins Kloster stecken will. Er flieht an den Hof des Königs, wo er rasch aufsteigt. Als der König stirbt, wird John der Vormund seines Sohnes, der zu diesem Zeitpunkt noch ein Baby ist. Sofort brechen die Intrigen los, der König ist noch ein Kind und skrupellose Adelige greifen nach dem Thron. Außerdem: die Geschehnisse um die Jungfrau von Orleans aus englischer Sicht.
Ich habe alle vier Bücher geradezu verschlungen. Ziemlich dicke Wälzer. mMn kein verschwendetes Geld.
"Im Schatten des Klosters" von Richard Dübell
Im Kloster zu St. Albo kommt der Schädel des gleichnamigen Heiligen abhanden. Bruder Ulrich soll die Reliquie wiederbeschaffen. Dazu stellt ihm das Kloster den Mailänder Rinaldo an die Seite, der ihm helfen soll. Die beiden dringen in die Gassen Kölns vor, wo sie die Reliquie wiederbeschaffen sollen. Aber das Ganze ist nicht so leicht wie es sich anhört, weil das Köln jener Zeit voller Leute ist, die versuchen, ihre eigene Großmutter als Reliquie zu verschachern. Durch Rinaldos geschickte Pläne blickt Ulrich bald nicht mehr wirklich durch...
Das Buch ist herrlich komisch. Nicht einmal der gebrochen Deutsch redende Italiener nervt. Teilweise ist das Buch ernst, teilweise wirkt die rührende Naivität des Protagonisten wie Slapstick. Da ich Slapstick nicht besonders mag, ist die Tatsache, dass ich vor Lachen fast aus dem Bett gefallen bin beim Lesen, ein ziemlich großes Lob.
"Wir sind das Salz von Florenz" von Tilman Röhrig
Mal im Ernst, der einzige Grund, warum jemand dieses Buch lesen sollte, ist, um hinterher zu wissen, wie er es nicht machen soll. Der Plot ist grundsätzlich interessant, aber es gibt zu viel davon. Die junge Laodomia soll nach Florenz verheiratet werden, es gibt haufenweise deMedici, da ist der Papst in Rom, und schließlich kommt auch noch Girolamo Savonarola drin vor, interessanterweise hat Laodomia ihm in seiner Jugend das Herz gebrochen. Aus diesen glänzenden Anfangsvoraussetzungen schafft Herr Röhrig einen Haufen konfuser "tell, bloß nicht anfangen, hier ein richtiges Buch zu schreiben"-Schnipsel, die dann auch noch so sortiert sind, dass eventuell mühsam heranmotiviertes Interesse ganz schnell wieder zerdeppert wird... Finger weg von diesem Buch. Wirklich. Es ist keins. Habe kein Geld dafür ausgegeben, hätte mich aber geärgert, wenn ich das getan hätte.
"Der Stunden Sammler" von Maren Winter (auch "der Stundensammler", das steht da aber nicht)
Im Jahre 1492 haut Duodezfürst 1 Duodezfürst 2 eins auf die Nase. Dabei kommt dem jungen Severin in Nürnberg seine Adoptivfamilie auf grausame Art und Weise abhanden. Er versteckt sich in der Turmuhr und macht diese dabei kaputt. Daraus erwächst ein Komplex, und Severin ist der Meinung, er müsse der Zeit ein neues Zuhause bieten. Er erfindet schließlich die Taschenuhr.
Der Schinken ist etwa so verschwurbelt wie die Grammatik im Titel. Der Prot hat ein gestörtes Verhältnis zur Zeit, ebenso wie die Autorin zur richtigen Ausarbeitung der Szenen. Teilweise sind da echte Perlen versteckt, allerdings zwischen seitenweise Schund. Der Verlauf der Story ist dabei bestenfalls merkwürdig, die Figuren wechseln ohne erkennbaren Grund ihre Motivation und ihren gut/böse-Status (ähnlich wie die Königin der Nacht bei Mozart), und der Plot ist im Nachhinein zwar nachvollziehbar, beim Lesen selbst aber bestenfalls verwirrend. Ich würds nicht kaufen.
"Das Buch in dem die Welt verschwand" von Wolfram Fleischhauer
Kommafehler im Titel, dachte ich, das kann ja nur Murks werden. Aber das Buch hat mich - zunächst - positiv überrascht: Der Lizenziat Nicolai Röschlaub (oder so ähnlich) wird auf die Burg des Grafen gerufen, weil dieser in der Bibliothek sitzt und verboten hat, dass sich ihm jemand nähert. Nun hat der kranke Graf aber seit zwei Tagen nichts mehr gegessen, und man braucht einen Arzt, um per Ferndiagnose den Ernst der Situation zu bestätigen. Der Graf ist tatsächlich tot, vergiftet - und dann taucht auch noch ein obskurer königlicher Gesandter auftaucht und Nicolai für viel Geld einen Job anbietet, um diesen Fall zu untersuchen, wird die ganze Sache sehr nebulös. Auf dem Weg finden sie eine schwer traumatisierte junge Frau, die... ja, was eigentlich?
Plötzlich ist die Rede von Illuminaten, Geheimbünden, Sternenstaub, der Beherrschung der Welt, einer mysteriösen Krankheit, die durch ein Gift verbreitet wird, Kants Ideen und diverser halb ausgegorener philosophischer Konzepte, die sich mit der Verteilung ebenjener Ideen beschäftigen. Aus dem Nichts tauchen Figuren auf, die der Leser nur noch anhand ihrer obskuren Nachnamen unterscheiden kann, und Handlungsstränge, die er gar nicht mehr unterscheiden kann. Am Schluss gibt es ein "überraschendes Ende", das die Plotstränge mit der Nachvollziehbarkeit eines Gordischen Knoten miteinander verbindet. Schade. Das Buch hatte so gut angefangen.
Ring frei für euch...