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Hitze
Hitze.
Seit Wochen schon hatte es keine Erleichterung gegeben.
Die Bewohner des kleinen Städtchens hatten sich zunächst gefreut; wann hatte es das letzte Mal einen derartig schönen Spätsommer gegeben?
Nun allerdings wurde das Wetter zur Last.
Die Nachrichten verhießen keinerlei Änderung. In den umliegenden Gegenden hatte es heftige Gewitter gegeben, und selbst das kleine Städtchen war in einer Nacht von einem Regenschauer überrascht worden, doch auch der hatte nur eine kurzzeitige Abkühlung verursacht.
Beinahe waren sie dieses Wetters schon überdrüssig. Die Luft flimmerte förmlich.
Die Menschen hatten sich, wie so oft schon, ihrer veränderten Situation angepasst. Viele hatten irgendeine Art von Behältnis im Garten stehen, in das man entweder seine Füße tauchte oder sich gleich selbst hinein legte.
Die Eisverkäufe waren um über 300 Prozent hochgeschnellt. Früchte mit viel Wassergehalt verkauften sich ebenso gut wie alle Arten von Getränken, aber dafür war der Absatz von Süssigkeiten wie Schokolade rapide zurückgegangen.
Der Duft von Gegrilltem zog sich durch die gesamte Stadt. In jedem zweiten Garten zog eine Rauchwolke schnurgerade in den Himmel, man konnte Gelächter vernehmen und ein allgemeines Gemurmel der Menschen, die sich um die Feuerstelle herum versammelten, um einen schönen Abend zu verleben.
Es tobte ein ungewöhnliches Leben auf den Straßen, und die Menschen waren ungewöhnlich gekleidet. Viele hatten sich so leicht wie möglich angezogen, dabei jedoch darauf geachtet, nicht anzüglich zu wirken.
In der Schule nahm man nicht allzuviel Stoff durch, denn auch die Lehrer spürten den Druck der Hitzewelle, der auf ihnen lastete. Sie verspürten keinerlei Lust, sich übermäßig anzustrengen.
An den Nachmittagen verteilte sich die Bevölkerung an die umliegenden Seen, und tatsächlich war auch das Wasser einiger Quellseen schon derartig warm, dass es nur noch eine nominelle Abkühlung darstellte.
Langsam verbreitete sich ein allgemeines Stöhnen.
Gutes Wetter hin oder her, wenn einem die Schweißperlen herunterliefen während man sich lediglich damit beschäftigte, dazusitzen, dann wurde das am 19. Tag in Folge doch nervig und auch eklig.
Eigentlich war keiner mehr in der Lage, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Im Gegensatz zu den Unwettern in den umliegenden Gegenden schien es heißer zu werden. Selbst die Nächte, die in den Tagen zuvor eine wohltuende Kühle verbreiteten, wandelten sich zu Boten der Hitze.
Schon war es soweit, dass erste Schulen ein generelles Hitzefrei bis zum Ende der Woche aussprachen, falls sich bis dahin kein kühleres Wetter zeigen sollte.
Eine leichte Änderung der Situation zeichnete sich ab, als die ersten Pflanzen begannen zu verdorren und zu vertrocknen.
Mit dem Sterben der Pflanzen -dem die Menschen nichts entgegensetzen konnten, denn die Reserven der Stadt waren kurz davor, sich zu erschöpfen- schien sich auch eine Änderung im Verhalten der Menschen zu manifestieren.
Hatte man sich vorher träge zurückgehalten, um nicht sofort wieder zu schwitzen, so wurde man jetzt aggressiv und gereizt.
All dies war nicht sonderlich erstaunlich; die meisten schliefen bei der Hitze schlecht und waren müde, und die schwüle Luft, die auf allerlei Gemüter schlug, tat ihr Übriges.
Wann es geschah, darüber besteht keine Klarheit. Fest steht, dass zwei Nachbarn einen Streit vom Zaun brachen.
Sie waren eigentlich gute Freunde gewesen, doch irgendeine Kleinigkeit schien sie derart in Rage versetzt zu haben, dass Rationalität aussetzte und sinnloser Gewalt Platz machte.
Wäre ein solcher Streit unter anderen Umständen nicht viel mehr als ein zwar nicht schöner aber relativ unbedeutender Zwischenfall gewesen, so löste er diesmal eine Welle der Gewalt aus. Die Menschen begannen, sich auf offener Straße zu prügeln. Autos wurden angezündet, Schaufenster eingeschlagen, ganze Straßenzüge verwüstet.
Es herrschten beinahe bürgerkriegsähnliche Zustände, denen die Polizei des einst friedlichen Ortes nicht viel entgegensetzen konnte, denn sie war nicht vorbereitet.
Zur Eskalation kam die Situation, als es den ersten Toten gab. Eine alte Dame, die gestürzt war, als alle panikartig die Fluch ergriffen, nachdem in einem Supermarkt ein Feuer ausgebrochen war.
Statt eine heilsame Schockwirkung zu erzielen, setzte ihr Tod Emotionen frei, die noch immer ihresgleichen suchen. Jeder schlug wahllos jeden, der in den Weg kam. Blut spritzte, als einem der Schädel mit einer Eisenstange eingeschlagen wurde. Die eingesetzten Wasserwerfer verteilten kleine Stückchen Gehirn in der Gosse, und erste Feuer hier und dort deuteten den weiteren Lauf der Katastrophe an.
Es gab weitere Tote, und jeder Mensch der gestorben war, schien dadurch die Masse noch weiter anzuheizen.
Wer in sein Haus flüchtete, war gefangen, als man mit Steinen die Scheiben einwarf und die Häuser stürmte.
Es war ein unglaubliches Bild der Zerstörung, und ratlose Politiker sowie Forscher beteuern noch immer, es sei eine Situation gewesen, die man nicht einmal in den kühnsten Träumen für möglich gehalten hatte.
Es war, als hätte eine fremde Macht die Menschen ergriffen, die nicht mehr wussten, was sie taten.
Mittlerweile brannten ganze Stadtteile, und die Feuerwehr war machtlos, denn die Straßen waren verstopft.
Die Schreie der Menschen, die in der Feuerhölle gefangen waren, hallten durch die Gassen. Wer ein Auto besaß, versuchte zu flüchten, doch es gab kein Entrinnen. Immer schneller drehte sich die Spirale der Gewalt, immer heißer wurde es.
Das totale Chaos war ausgebrochen, der Super- Gau, den man für unmöglich gehalten hatte.
Die Menschen kamen jetzt reihenweise um; wen das Feuer nicht erwischte, den ereilte des Nachbarn Axt.
Es roch in den Straßen nach Kupfer, und der einst helle Asphalt hatte sich dunkelrot gefärbt.
Endlich war es soweit, und es legte sich eine Ruhe über die Stadt, die schon beinahe gespenstisch wirkte.
Es war bis auf dem Prasseln der Flammen absolut ruhig. Leichen lagen auf den Straßen, in den Gärten, zwischen
den Scherben ihrer zerschmetterten Wohnzimmerfenster.
Doch es gab niemanden mehr, der sich darüber entsetzen konnte, denn es war niemand mehr da, der überhaupt Entsetzen verspürte.
Die 4000 Bewohner des Städtchens hatten sich alle gegenseitig umgebracht.
Eine tiefblaue Wolkendecke legte sich über den Ort des Schreckens.
Die ersten dicken Regentropfen fielen auf den staubigen Boden.