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Holst Du Mir Zigaretten?
„Holst du mir Zigaretten?“
Paul wollte es sich gerade in seinem Fernsehsessel bequem machen. Er blickte böse auf Jenni, seine Angetraute, die lässig auf der Couch herumlungerte. Er schnaufte ungehalten.
„Stell dich doch nicht so an, Schatz. Und schau nicht wie der Schnauzer von Hallers nebenan! Also, sei so lieb und hol mir die Glimmstängel!“
„Das ist doch alles Kacke!“, entfuhr es ihm. Eigentlich sollte er sich einfach hinsetzen, doch, das machte er im Grunde nie. Würde er sitzen bleiben, würde Jenni den ganzen Abend nörgeln und einen auf beleidigt machen.
Er ging zur Tür.
„Das ist lieb, Knurrhahn“, sagte sie lächelnd und zappte mit der Fernbedienung durch das abendliche Fernsehprogramm.
Für Paul erübrigte sich eine Antwort. Ein Hohn! Er rauchte nicht einmal. Und seiner Perle konnte er es nicht abgewöhnen. Er holte ihr sogar diese Teerstangen. War das Liebe?
Ein Blick durch die Haustür gewährte ihm die Aussicht auf einen diesigen Abend. Dunkelheit kroch durch die Straßen des Baugebietes und ließ ihn ob dieser Ungemütlichkeit frösteln. Er holte von der Garderobe seine Jacke; ein Griff in die Innentasche gab ihm Gewissheit, dass seine Geldbörse darin steckte. Vier Euro waren da garantiert drin. Da er regelmäßig Zigaretten ziehen musste, war diese Menge an Kleingeld immer vorhanden. Im Prinzip wäre es vernünftiger gewesen, eine Stange Zigaretten im Wohnzimmerschrank zu bunkern. Das würde ihm dann diese allabendlichen Ausflüge ersparen. Beim nächsten Mal. Beim nächsten Einkauf würde er daran denken. Oder auch nicht.
Seine Hände in die Jackentasche gesteckt stand er vor dem Haus und atmete tief durch. Die feuchte Luft legte sich klebrig auf seine Lungen und er musste husten.
„Scheiß Wetter“, knurrte er und ging in Richtung Zigarettenautomat, der am anderen Ende der Straße an einer geschlossenen Kneipe hing.
Müde schlurfte er über das Kopfsteinpflaster und hing seinen Gedanken nach. Eine Melodie entstand in seinem Kopf und nach wenigen Sekunden trällerte eine innere Stimme dieses Lied von Udo Jürgens, in dem es irgendwie um New York oder Hawaii, von vorhandenen Zwängen und so fort ging. Er begann die Melodie zu summen.
Mann, Mann, dachte er grinsend. Was würde meine Alte sagen, wenn ich nicht mehr zurück kommen würde? Einfach verschwinden würde. So, wie Udo es besungen hatte?
Er hielt in seinen Schritten inne und starrte zurück zu seinem kleinen Reihenhaus. Die Büsche und Bäume davor wankten leise im Nieselregenwind.
Ich sollte es tun! Wie oft habe ich schon daran gedacht, nicht mehr zurück zu kehren? Wie oft?
Eigentlich dachte er fast jeden Abend daran, wenn er sich auf den Weg zum Zigarettenautomat machen musste.
Ach, nur Träume, dachte er resignierend und schlich weiter. Ihm fiel auf, dass er nur seine Hauslatschen trug. So war er, zu blöd zum Abhauen!
Wieder blieb er stehen. Sein Blick fixierte die Hausschuhe.
So schlecht sehen die gar nicht aus. Sind bequem. Ich könnte mir ein Taxi rufen, zum Bahnhof fahren, von dort zum Flughafen und dann nach New York!
New York! Der Liedtext kroch durch seine Gehirnwindungen. Warum nicht?, dachte er, plötzlich voller Tatendrang. Ich habe genug Geld in der Tasche und meine Kreditkarten sind auch dabei. Warum nicht einen Abstecher nach New York? Obwohl – er blickte wieder auf seine Hausschuhe – lieber würde ich nach Buenos Aires fliegen oder Sydney. Das wäre voll cool!
Erst jetzt bemerkte er, dass er den Zigarettenautomaten schon etliche Meter hinter sich gelassen hatte, ohne eine Schachtel zu ziehen. Ihm wurde bewusst, dass Jenni garantiert vom Fernseher aufblicken und ihn vermissen würde. Schließlich plagte sie der Lungenschmacht!
Nur einmal losfliegen. Ich könnte nach zwei Tagen wieder hier sein! Einfach so. Und ihr Zigaretten aus Australien mitbringen...
Er lachte laut auf.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Die kratzige Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er erschrak bis ins Mark, denn er hatte sich als alleiniger Mensch in seiner Umgebung gefühlt.
Vor ihm stand eine schlanke Gestalt, vielleicht ein Meter und siebzig groß. Seltsamer Weise konnte Paul nicht sagen, ob vor ihm ein Mann oder eine Frau stand!
„Wer ... was ... sind ... äh, wollen Sie?“, fragte er stockend.
„Mein Name ist Xenturion!“
„Ah, ja!“
„Ich habe Sie gesucht, Paul.“
Paul stockte der Atem. Diese schemenhafte Gestalt flößte ihm Angst ein, er fühlte, wie sich Schweiß in seinen Achselhöhlen und im Nacken sammelte und seine Haut zum Jucken brachte.
„Sie müssen keine Angst haben, mein Freund. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen Kommen Sie!“
Paul nickte nur und wunderte sich, dass er dem – oder der? – Fremden folgte. Einfach so. Als er dann noch zum großen Bolzplatz kam, der hinter hohen Bäumen versteckt lag, gewahrte er die Umrisse eines hohen Gerätes oder Gebäudes. Aber, auf dem Ascheplatz hatte eigentlich nichts zu stehen.
Der Nieselregen hatte sich verstärkt und so konnte Paul erst beim Herantreten erkennen, dass es sich um eine Fliegende Untertasse handeln musste.
Das Teil sah aus wie ein umgestülpter Suppenteller auf acht Spinnenbeinen! Klar. Würde Jenni hier stehen und das sehen, musste sie glauben, dass sie eine Halluzination aufgrund ihres Nikotinkonsums erlitt.
„Folgen Sie mir, Paul. Es wird das Erlebnis Ihres Lebens“.
Irgendetwas zischte und eine Öffnung entstand vor ihnen in diesem Riesengeschirr. Eine Rampe fuhr vor ihnen nieder und lud zum Eintreten.
Der Mann, der eigentlich nur Zigaretten holen und einen Abstecher nach Sydney machen wollte, folgte dem seltsamen Wesen ins Innere der Schüssel.
Mit großen Augen stand Paul in einem Raum der voll von blinkenden Armaturen und große Bildschirme war.
„Sie wollen doch die Welt sehen, Paul!“, sagte das Wesen und deutete mit dem rechten Arm auf die Monitore. Dort waren die Hauptstädte der Welt abgebildet.
„Äh, ja, woher...?“
„Wir können Gedanken lesen!“
Ha! Paul schien diese Antwort nur logisch. Klar doch, Ufonauten konnten immer Gedanken lesen. Was auch sonst.
So sagte er nur: „Also, klar. So einen Abstecher nach Sydney...“
„Kein Problem“.
Paul spürte eine leichte Veränderung mit dem Ufo. Es kam in Bewegung. Auf einem der Bildschirme erkannte er die Siedlung, in der er lebte. Sie versank rasend schnell unter dem Blick des Betrachters.
„Fliegen wir nach Sydney! Nehmen Sie Platz!“
Ein Sessel entstand in der Mitte des Raumes und Paul hockte sich hinein. Was macht jetzt wohl Jenni?, fragte er sich. Alles erschien ihm irgendwie unwirklich. Träumte er?
„Sie wartet auf Sie!“, antwortete der – die – Fremde. Paul wandte erschrocken den Blick von den Monitoren, die einen wilden Flug über das Meer zeigten.
„Wir können doch Gedanken lesen...“
Paul wagte nicht, sich zu bewegen. Er blickte wieder auf die Monitore und schon erkannte er die Skyline von Sydney, gekrönt vom AMP Tower von Sydney, der 300 m in die Höhe ragte.
„Wow“, entfuhr es ihm. Schnell wechselten auf den Bildschirmen die Bilder. Immer neue Szenen tauchten dort auf, die verschiedensten Perspektiven. Faszinierend, jubelte er innerlich.
„Wollten Sie nicht auch nach Buenos Aires?“
„Ja, aber...“
Eigentlich hatte er durch die Straßen Sydneys laufen wollen, aber das Alien ließ ihm dazu keine Zeit. Schon jagte das Fluggefährt über den Ozean. Richtung Argentinien.
Von dort aus ging es nach Hawaii. Nach New York. Peking, Tokio und sogar Moskau folgten.
Paul betrachtete die Bilder wie versteinert von seinem Sessel aus.
„Wir sind wieder zu Hause!“, klang die kratzige Stimme in seinen Ohrmuscheln. Jetzt erst merkte er, dass er Sabber auf den Lippen hatte und Speichel von seinem Kinn troff.
„Zu Hause?“, krächzte er.
„Ja, Paul. Sie müssen wieder aussteigen!“
„Aber, ich, ich wollte doch...“
Das schemenhafte Gesicht hing fast eine Handbreit vor ihm. Er konnte auf diesem Kopf immer noch nichts erkennen. Ein gesichtsloses Wesen. Halt ein Schemen in Menschengestalt.
„Sie wollten durch diese Städte wandern, ich weiß.“
„Warum durfte ich dann nicht aussteigen?“
Der Fremde zuckte in menschlicher Manier die Schultern.
„Ging nicht. Ich habe keine Zeit mehr. Sie müssen wissen, dass ich noch eine gute Tat offen hatte in meinem Partnerschaftszirkel.“
„Gute Tat?“ Paul verstand gar nichts.
„Ja, ich habe Sie ausgesucht Paul, weil ich Ihre Gedanken weit entfernt empfangen konnte, ihre Sehnsucht durchflutete mich regelrecht. Ich bekam Mitleid.“
„Mitleid? Was soll das?“ Wütend erhob sich Paul und schob die Gestalt von sich. „Ich brauche kein Mitleid. Ich wollte nur Zigaretten holen und hing so meinen Gedanken nach...“
„Schon,“ erwiderte der Ufonaut, „aber trotzdem erschien es mir passend, Ihren Wunsch wenigstens ansatzweise zu erfüllen. Sie sollten so viele fremde Städte wie möglich sehen, bevor...“
„Das hätte ich auf meinem PC im Internet genauso haben können, Mann! Ich habe eine Flatrate!“
Paul stockte.
„Bevor was?“
Mit zusammen gekniffenen Augen starrte er das fremde Wesen an.
Dieses winkte nur ab. Hinter Paul öffnete sich eine unsichtbare Tür und Nieselregen wirbelte in die Kabine.
„Gehen Sie zu Ihrer Frau, Paul. Sie haben noch fünfzehn Minuten. Kaufen Sie ihr die Zigaretten.“
„Fünfzehn Minuten?“
„Ja, Paul, dann wird in ihrem Sonnensystem eine Antimateriebombe einschlagen. Puff und aus! Unsere Gegner vermuten uns in diesem Raumsektor seit vielen Jahrzehnten und wir haben erfahren, dass sie vor einigen Jahren eine Antimateriewaffe auf den Weg gebracht haben um unseren Stützpunkt hier zu vernichten. Ich muss also verschwinden. Meine gute Tat ist getan. Leben sie wohl.“
Paul stolperte die Rampe hinunter und fiel auf die harte Asche des Fußballfeldes. Hinter ihm erhob sich das Ufo und verschwand im abendlichen Himmel.
Der Mensch starrte hinterher, unfähig sich zu bewegen.
Dann dachte er an die Prophezeiung des Wesens, zweifelte keineswegs an dessen Worten und erhob sich, um zum Zigarettenautomaten zu rennen, zog dort Jennis Lieblingssorte und hetzte nach Hause.
Mit zitternden Fingern öffnete er die Haustüre und stürmte ins Wohnzimmer.
Jenni saß immer noch auf der Couch und schaute auf Deutschlands blondgelockten Lieblingsmoderatoren, der irgendwelche blödsinnigen Wetten moderierte.
„Hey Schatz,“ sagte sie nur und blickte kurz auf. „Hast du die Zigaretten?“ Sie hatte ihn noch nicht vermisst!
Paul warf sich neben Jenni auf die Couch, legte den rechten Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. Die Zigaretten legte er ihr in den Schoß.
Verblüfft lächelnd ob seiner Reaktion sah sie ihm in die Augen.
Dort erblickte sie Tränen.
Paul flüsterte mit fliehenden Lippen: „Ich liebe dich, Jenni!“
Dann küsste er sie. Von seiner wilden Attacke überrascht, wehrte sich seine Frau nicht und genoss plötzlich die wild-zärtlichen Lippenangriffe.
So hatte er sie schon lange nicht mehr geküsst.
Nur die Tränen, die auf ihre Wangen rollten, irritierten sie ein wenig.
ENDE
Werne, 24.07.05/31.07.05