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Danke @rainsen! Großen Dank auch an @Friedrichard und @Silvita!
Hundefreundinnen
Vor uns lag ein sonniges, hundefreies Wochenende an der Ostsee. Die Sonne knallte auf das Autodach und ich freute mich mit Sofie, meiner neunzehnjährigen Nichte, am Strand zu chillen und hemmungslos zu shoppen. Einzig Sofies Tasche störte mich, von der sie sich nicht trennen konnte.
Die Hundetasche. Ein pinkfarbenes Etwas mit einer Öffnung an der Vorderseite, aus der früher Joy vorwitzig herausschaute, Sofies Zwerghündin. Ehe sie vor ein paar Wochen spurlos verschwand. Es befremdete mich, die verwaiste Tasche zu sehen. Für Bücher oder Ähnliches war sie ungeeignet. Und obwohl Joy jeden zweiten Tag gebadet hatte, roch ihr mobiler Rückzugsort wahrscheinlich immer noch nach Hund.
Ich fragte mich, warum ein Teenie eine leere Tasche mit sich rumschleppen musste. Das Ding lag auf dem Rücksitz neben Sofies Laptop und ihrer Kameraausrüstung. Ich kutschierte meine Nichte, während sie unaufhörlich in die Tasten hämmerte. Eine Beauty-Bloggerin in ihrem temporären Büro. Keine Ahnung, was ich verstörender fand: Dass sie zwischendurch den Stoff streichelte, als wäre er lebendig oder es wagte, ihren Kopf tief in die Stinketasche zu stecken. Was sah sie am Taschengrund? Treuherzige Knopfaugen?
Trotz allem war ich froh, Sofie ohne ihren zittrigen Vierbeiner für mich zu haben. Ich freute mich auf entspannte Mädelstage, an denen wir ohne kritische Blicke abends unsere Shopping-Beute auf dem Hotelbett ausbreiten konnten. In meinem Fall Sammeltassen, die ich in Vintage-Läden erbeutete. Ohne störenden Hund fühlte ich mich in Porzellan-Revieren viel sicherer.
Auch wenn ich heimlich froh war über Joys Verschwinden, fragte ich mich unaufhörlich, was mit ihr passiert war. Ich hatte meiner Schwester versprochen, nicht nachzufragen. Sofie schien in diesem Punkt immer noch empfindlich zu sein und schwieg.
War Joy weggelaufen? Ich hätte es ihr nicht verdenken können. Immerhin wollte auch ein winziger Hund ein richtiges Hundeleben führen. Ein Tier-Diebstahl? Joy besaß als prominente Pomeraniandame einen eigenen YouTube-Kanal. The Beauty and the Cutie. Joy protestierte kaum, wenn sie gebadet wurde und saß anderthalb Stunden regungslos in der Hand, um mit einer Nagelschere frisiert zu werden, die gefährlich nah an ihren vorstehenden Augen vorbeischnippte. Was tat man nicht alles für den richtigen Look? Für einen waschechten Teddy Bear Style? Joy schien tatsächlich jedes Shooting zu genießen und Sofie lud ständig neue, ach-so-süße Hunde-Pics hoch.
Joy als winziger Welpe in einer Tasse sitzend, ein Bild, das die meisten Likes bekam. Joy war eben ein richtiger Teacup. Joy als Hundelady im pinkfarbenen Hundekleidchen. Wie konnte man Hunde nur anziehen?
„Du schaust mich so vorwurfsvoll an. Ich habe Joy nicht verschenkt, weil sie mir zu groß wurde“, sagte Sofie und schmollte. Ich fühlte mich ertappt und zuckte zusammen. Mir war nicht klar gewesen, dass sie mich ebenfalls beobachtet hatte. Nun holte sie ihr Smartphone aus der Tasche, sog ihre Wangen ein und machte ein professionelles Duckface. Für eine Freundin oder ihre Follower. Ich hoffte, dass sie keine Urlaubsbilder über uns postete.
Sofie neigte schon als kleines Mädchen zur permanenten Selbstbespiegelung und das würde noch ihr Untergang sein. Ein wenig verdächtigte ich Sofie, nur traurig zu sein, dass ihr Hunde-YouTubekanal verstummte. In den ersten Tagen nach Joys Verschwinden waren die Aufrufzahlen durch die Decke gegangen, aber jetzt wurde es ohne neue Bilder von Joy langsam ruhiger. Immerhin fand Sofie Zeit, um mit mir wegzufahren. Der Ostseetrip war ihre Idee gewesen und ich freute mich auf gemeinsame Unternehmungen, fast wie in alten Zeiten, bevor Zwerghunde Sofies Leben durcheinanderbrachten.
Die Stille zwischen uns war angespannt und um mich etwas abzulenken, machte ich das Radio an.
„Schon wieder ist eine Influencerin verschwunden.“ Der Radiomann legte viel Betroffenheit in seine Stimme. Das war er nicht nur seinem jungen Publikum schuldig. Sofie blickte auf und spitzte die Ohren wie eine Hündin. Das war jetzt die sechste Beauty-Bloggerin, von der die Welt plötzlich nichts mehr hörte. Keine Postings. Kein Video. Kein Lebenszeichen. Alles „Hundefreundinnen“. Genauer: Minidog-Frauchen. Sofie kannte sie alle. Alina von „Dog-Street“. Isi, eine zierliche, dreifache Mini-Chihuahua-Mama mit Glitzergrinsen und bemerkenswertem Tassendesign, weshalb ich sie mir gemerkt hatte und Loreena, die sicherlich im Real Life anders hieß und ihren Tea Cup Yorki über giftgrünen Kunstrasen tapsen ließ, damit er ihr gehäkelte Nelken apportierte. Alle Mädels liebten Pink. Sofie machte da keine Ausnahme. Auch wenn es bei ihr auf gewisse Weise sophisticated aussah, wie die rosafarbenen Knochen, die sich in ihrem Ohrloch kreuzten.
„Jetzt auch noch Vanessa“, hörte ich Sofie hinter mir murmeln. Dann bearbeitete sie ihr Smartphone weiter. Ihre pinkfarbenen Kunstnägel klickten noch unerbittlicher und verursachten mir Kopfschmerzen. Normalerweise würde ich protestieren, aber etwas an Sofie schien verändert zu sein.
Ich betrachtete sie im Rückspiegel genauer. Ihre Stirn krauste sich unmerklich.
Lag vielleicht doch etwas Betroffenheit dahinter?
„Was ist nur mit den Mädels passiert?“, wagte ich zu fragen.
„Was soll nur mit ihnen passiert sein?“, äffte Sofie mich nach und verdrehte die Augen. Einen Moment lang sah ich einen Anflug von Angst, richtiger Angst, den Sofie schnell wegklimperte, als unsere Blicke sich im Spiegel begegneten.
Ihre Hypnose-Drama-Waterproof Mascara würde allem standhalten. Jedem Drama, falls Vanessa etwas Schlimmes passiert sein sollte ... oder Joy. Falls Sofie überhaupt weinen würde. Sie war immer so cool, so unverletzbar.
„Vielleicht haben sie endlich eingesehen, dass das wirkliche Leben viel spannender ist.“
„Und vielleicht siehst du endlich ein, dass an dir schon lange nichts mehr spannend ist.“
Sofie gab sich Mühe, mich besonders herablassend anzuschauen. Im Spiegel erschrak ich über meinen müden Blick. Nicht einmal die beste Wimpernzange der Welt könnte ihm neuen Schwung verleihen. Vom Rest ganz zu schweigen.
Ich atmete tief durch.
Lass dich nicht provozieren.
Das ist nur eine Phase. Vielleicht kann Sofie nicht anders.
Vielleicht kann sie ihre Gefühle nicht anders ausdrücken.
Sofies Hundetasche erschien mir noch unheimlicher. Sie versteckte den Kopf jetzt komplett in ihr und tauchte gar nicht mehr aus den Untiefen hervor.
Ein gedämpftes Geräusch drang aus ihr.
Es klang wie ein Schluchzen. Oder war es ein mühsam unterdrücktes Lachen?
Ich wurde aus Sofie nicht mehr schlau. Seit Joy weg war, hatte sie sich sehr verändert.
Weinte sie tatsächlich?
Das wäre ein gutes Zeichen.
Vielleicht wollte sie nicht, dass ich ihre Tränen sah. Nicht Tränen, die sie um den Hund vergossen hatte, sondern um ihre Freundinnen. Um Alina und Isi und Loreena und die anderen zwei, deren Namen ich mir nicht merken konnte. Die Sofie im Real Life nie gesehen hatte, aber von denen sie dank Youtube und Instagram jedes Detail kannte. Und jetzt Vanessa.
Was sollte ich machen? Sofie trösten? Aber sie war aus dem Alter heraus, dass Tanten-Trost weiterhalf.
„Weißt du was, ich könnte jetzt etwas frische Luft gebrauchen.“ Ohne Sofies Meinung abzuwarten, parkte ich an der Küstenstraße und sah großzügig darüber hinweg, dass Sofie auch hier auf ihrer Tasche bestand.
Die wenigen Leute am Strand hielten das pinkfarbene Monster vielleicht für ein hässliches Strandaccessoire. Aber da täuschte ich mich. Sie schauten das Ding abfällig an und an ihrem erkennenden Blick fiel mir auf, dass wir am Hundestrand gelandet waren, lange bevor ich sie sah: Richtige Hunde, die mit stabilen Knochen über echten Sand tollten und sich an der Wasserlinie nass machten und nicht wie winzige Hundchen mit überdimensioniertem Kopf über giftgrünen Kunstrasen wackelten, um ihrem Frauchen Stoffblumen zu apportieren.
„Hey, pass auf“, herrschte ein junger Mann mit Dreadlocks Sofie an. „Pass auf, dass dein Mini-Hund nicht von den richtigen aufgefressen wird!“
Und sein nasser Labrador schob sich an Sofie vorbei, so dass ihre weiße Hose fleckig wurde. Sie bemerkte es nicht einmal.
„Das ist unser Strand!“, schrie er ihr hinterher.
Und sein Hund jagte hinter Sofie her, als wollte er jedes Wort unterstützen.
War Sofie tatsächlich eine Tierquälerin, die am Hundestrand nichts zu suchen hatte?
Ich war mir unsicher.
Und vielleicht plagte auch Sofie das schlechte Gewissen. So schweigsam hatte ich sie noch nie erlebt.
Was ging nur in ihr vor?
Ein warmes Gefühl stieg in mir hoch und am liebsten hätte ich sie tröstend in den Arm genommen.
Wind kam auf und ließ Sofies Haare flattern, was ihr besser stand als jede Styling-Idee auf Instagram. Könnte sie doch immer so sein, so natürlich. Ich sah, dass Sofie - wie Joy - richtiges Wetter nicht gewohnt war und ihre Hände blau wurden. Sie fror und über uns flogen die Möwen unruhig, als ob ein Unheil bevorstände. Der Landregen kam schneller als gedacht. Wir entkamen ihm, bevor er unsere Kleider völlig durchnässte.
Das Auto war unsere Schutzburg, unser Kuschelkörbchen und wir waren froh, als wir uns in die Sitze fallen ließen. Sofie soufflierte mir den Weg. Als Bloggerin war sie eine Strategin mit endlos langer To-Do-Liste und einem Talent für neue Orte, die sie akribisch vor jeder Reise recherchierte.
Wir bogen in eine Stichstraße ein, die zum Binnenhafen am Bodden führte.
Aber die Location, die Sofie für uns ausgesucht hatte, lag nicht am Wasser.
„Hier ist es“, rief Sofie, plötzlich hellwach. Ihre Augen blitzten wie schon lange nicht mehr. „Es wird dir gefallen! Ein Geheimtipp von Alina und Isi.“
Der Gedanke an die beiden vermieste mir etwas die Laune, aber ich ließ mir nichts anmerken. Hoffentlich landeten wir nicht in einem Pink Paradise, wo die Tortenstücke fotogen mit zentimeterhoher Icing-Schicht auftrumpften.
Aber ich hatte Glück.
Das kleine Café lag etwas zurückgesetzt neben dem Buddelschiffmuseum und wäre mir nie aufgefallen. Vielleicht war es eins dieser improvisierten Vintage-Läden, die quasi über Nacht aufmachten.
Altmodische Glöckchen bimmelten, als wir eintraten.
Kaffeeduft mischte sich mit dem von Frischgebackenem. Sammeltassen, wohin ich nur blickte. Sammeltassen! Mit handgemalten Preisschildern. Ich war im Tassen-Himmel!
„Ich wollte dich überraschen“, sagte Sofie und nahm mich in den Arm, was sie selten machte. The Dog‘s Cup ist echt die Adresse für Omatassen. Und sie sehen in echt noch geiler aus als auf Isis Fotos.“
Ich war sprachlos. Mit solch einer Auswahl von altem Porzellan der Vierziger und Fünfziger hätte ich nie gerechnet. Das Café war ein Museum!
„Das ist mega!“ Ohne zu überlegen, zog ich Sofie enger an mich, was sie sich tatsächlich gefallen ließ.
„Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich war in den letzten Monaten immer so gestresst“, meinte Sofie. „Und der Ausflug soll eine kleine Wiedergutmachung sein.“
Wiedergutmachung? Sollte ich ihr glauben? War Sofie vielleicht doch nicht so egozentrisch, so selbstbezogen, wie ich und ihre Mutter dachten?
Begeistert sah ich mich um.
„Aber vorher wollen wir erst mal den Kuchen testen“, sagte Sofie und nahm sich die Teekarte. „Fühl dich eingeladen!“
Ich war verblüfft. Sofie hatte mich noch nie eingeladen, obwohl sie als Beautybloggerin seit zwei Jahren im Geld schwamm. Bisher hatte sie immer auf mich herabgesehen, weil ich als Grafikerin tolle Designs erstellte, aber in drei Monaten nicht einmal so viel verdiente wie sie in einer Woche.
Wir waren die einzigen Gäste.
Die Cafébesitzerin kümmerte sich um uns, als hätte sie seit Jahren niemanden bewirtet.
„Wow, der Streuselkuchen schmeckt mega!“ Sofie kaute mit offenem Mund, was sie zuletzt als Kind gemacht hatte.
Und dann machte sie etwas, was mich total überraschte.
Sie verschlang drei Kuchenstücke hintereinander!
Das musste ich gleich meiner Schwester erzählen. Ein Ereignis historischer Dimension!
Schon als Kind war Sofie auf Diät und selbst in ihre Schultüte durfte nur Clean Eating.
Nun umschlangen ihre Finger die handbemalte Teetasse, um sich daran aufzuwärmen. Selbst für eine Jumbotasse war sie überraschend groß und Sofie lächelte still vor sich hin.
Ein merkwürdiges Lächeln.
Ein Ausdruck voll heimlicher Vorfreude.
Ihre Finger sahen nicht mehr blau aus, sondern leicht rosa. Die Hitze des Tees schien ihr nichts auszumachen.
Mir fiel der Groschen nicht gleich, aber dann umso heftiger.
Und es schmerzte mich, dass Sofie mich schon wieder reingelegt hatte.
In diese Vintagetasse passte ein Teacup Dog hinein. Auch wenn es nur ein kleiner war.
„Hey, Sofie. Es ist nicht das, was ich denke oder?“ Meine Stimme klang härter als beabsichtigt. So kam ich nicht weiter. Aber ich war so enttäuscht.
Sofie hob den Blick. Und mir wurde alles klar.
Sie wollte so einen Hund. Und zwar sofort!
Da war er, dieser spezielle Blick, den sie immer hatte, wenn sie Hundebabyvideos sah. Ihre Nasenspitze krauste sich.
Als ob sie witttern würde, dass Hundebabys sich in der Nähe befanden, aber es duftete nur nach Streuselkuchen. Und nicht nach Hund oder nassem Hund, was an diesem Regentag wahrscheinlicher wäre.
Sofie wusste, dass ich sie durchschaut hatte, und gab sich keine Mühe mehr, etwas zu verbergen. Weder ihren Unmut, noch ihre Ungeduld. Und in ihren Augen glitzerte eine kalte Härte, die mich zusammenfahren ließ.
Stell dich mir nicht in den Weg! Du wirst es bereuen.
Lustlos stocherte sie mit einem Kandisstick in ihrer Riesentasse umher und wog diese in ihren Händen, als hielte sie schon einen Hund in der Hand.
Einen Moment lang stellte ich mir vor, der arme Hund säße tatsächlich darin.
Ein Winzling in heißem Tee.
Und Sofie würde ihn ungerührt anschauen.
Ich versuchte, das Bild zu verscheuchen.
Aber es quälte mich weiterhin, genauso wie der Blick des Dreadlock-Manns vom Strand.
Seine Augen waren wie Wurfmesser, die Sofie und mich lange verfolgt hatten.
„Ist was?“, fragte Sofie. „Du schaust so komisch.“
„Komisch? Die ganze Situation ist mehr als komisch!“ Ich merkte, wie sich meine Stimme hob und nicht mehr kontrollieren ließ. „Wir fahren hier hin und du hast nichts anderes vor als ....“
Weiter kam ich nicht.
Die Cafébesitzerin schaute strafend und ich schämte mich, an diesem so kuscheligen Ort so ein Theater zu machen.
Sofie nutzte die Gelegenheit und verschwand aufs Klo.
Und tauchte nicht wieder auf.
Minuten vergingen. Eine halbe Stunde. Langsam machte ich mir Sorgen. Und vielleicht schloss das Café bald.
Nicht, dass Sofie schlecht war.
Ich machte mir Sorgen.
Ich hätte ihr nicht trauen sollen. Sie wollte doch sonst nie Süßes.
Ich stand auf, um nachzusehen.
Auf dem Klo war sie nicht. Das beunruhigte mich. Wie sollte ich ihrer Mutter erklären, dass sie verschwunden war?
Was wollte Sofie an diesem Ort?
Hier gab es nur Kuchen und Tee.
Durch die Tür konnte sie nicht geflohen sein. Die Türglöckchen hätten sofort Alarm geschlagen.
Vielleicht war es nur eins von Sofies Ablenkungsmanövern, denen ich in den letzten Jahren zu oft zum Opfer fiel und sie lachte sich heimlich über mich tot.
Oder sie kotzte woanders.
Die Inhaberin kam, ihr Gesicht in besorgte Falten gelegt, die sie mindestens fünfzig Jahre älter machten. Ihre Haut sah so wächsern aus, dass ich staunte, dass sie sich überhaupt noch bewegen konnte.
„War der Kuchen nicht in Ordnung?“
Hier ist nichts in Ordnung, wollte ich am liebsten entgegnen.
Vielleicht steckte sich Sofie gerade einen Finger in den Hals und kotzte eine Mischung aus Streuseln und Kirschen draußen im Garten aus, aber das wollte ich ihr nicht sagen. Sofie war neunzehn und ich nicht mehr für sie verantwortlich. Ihre anorektische Phase war schon seit sechs Jahren „offiziell“ vorbei.
„Sie müssen lernen, Ihre Tochter loszulassen“, sagte sie mit sanfter Stimme, die sich vielleicht ändern würde, wenn sie Sofie zwischen ihren Himbeerbüschen entdeckte.
Aber ich hatte keine Lust, sie zu korrigieren.
Sollte sie ruhig glauben, dass Sofie meine Tochter war.
Und im Garten wollte ich auch nicht nachschauen.
Ich wusste, dass Sofie in der Nähe war. Das reichte mir. Genauso wie ihre Spielchen. Ich beschloss, mich an diesem Wochenende nicht mehr provozieren zu lassen.
„Wollen Sie sich inzwischen die Tassen näher anschauen?“
„Was für eine tolle Idee!“, flötete ich, insgeheim froh über etwas Ablenkung, und schenkte ihr mein begeistertes Lächeln.
Es gab einen Hinterraum, der noch musealer wirkte. Dunkle Vitrinen, in denen kleine Lämpchen Tassen wie Museumsexponate inszenierten. Eine Orgie aus Samt, Plüsch, Porzellan.
Die Frau verschwand dezent, damit ich mich in Ruhe umschauen konnte.
„Ich werde mich erst mal um meine Hunde kümmern“, sagte sie noch mit einem unergründlichen Lächeln. „Die brauchen gleich ihre Mahlzeit.“
Sie hatte einen merkwürdigen Blick wie der Mann vom Strand.
Aber so waren sie, diese Tierfreunde.
Tiere sind besser als Menschen. Und wahre Tierliebe kannte keine Grenzen.
Ich fragte mich, was sie ihren Lieblingen zubereiten würde.
Und Sofie?
Die sollte zusehen, wie sie nach Hause kam. Sie hatte sich oft über mich lustig gemacht.
Aus dir wird nie etwas! Dir fehlt das richtige Money-Mindset! Mein Einkommen ist viel höher als deins!
Nun, das konnte sie jetzt beweisen! Geld genug hatte sie ja.
Es war das letzte Mal, dass ich auf Sofie hereingefallen war! Und die Ostsee konnte ich mir auch allein ansehen. Da brauchte ich weder Nichte noch Hund.
Apropos Hund.
Viele Sammeltassen reflektierten das Hundesujet.
Da gab es Tassen mit Goldrand und stacheligen Blumenranken, die sich um handgemalte Medaillons schmiegten. Wo listige Affen auf Schaukeln hockten und Hunde mit entblößten Lefzen zierliche Katzen jagten.
Zwischen den Tassen gab es kleine Hundeskulpturen.
Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Meine Wohnung platzte aus allen Nähten und ich hatte mir geschworen, eine Tassendiät zu machen. Keine neue Tasse sollte mehr ins Haus kommen.
Nun ja, ein paar Gedecke schon. Das Sofie so gemein sein konnte!
Ich wollte am liebsten alle Tassen mitnehmen.
Da waren historische Tassen dabei, die ein Vermögen kosten mussten.
Handbemalte Tassen, alte Sammlerstücke in Delfter Blau mit Tulpen, Windmühlen und Schiffen, die dem Untergang geweiht waren. Ich dachte an Hunde, die auf dem Schiff monatelang in sengender Hitze über den Ozean Richtung Kolonie fuhren und als letzte überlebten, weil sie sich im Schrank versteckten, wenn Piraten die Seemannschaft niedermetzelten.
Da waren Tiere mit echten Haarschleifen, keine üblichen Hundeschleifen.
Besonders makaber fand ich einen schwarzen, ausgestopften Minihund mit einer schwarze Locke, die mit einer glitzernden Haarnadel ins dunkle Fell gesteckt war.
Das sah aus wie echtes Menschenhaar! Die Locke wirkte, als steckte sie seit einem Jahrhundert auf dem Hundeköpfchen.
Schon in viktorianischer Zeit hatten die Menschen etwas übrig für Schrumpfhunde und Grusel.
Schrumpfköpfe waren das eine, das konnte man noch als kurioses Sammelstück verbuchen, aber diese winzigen Hunde ...
Mir lief es kalt den Rücken hinunter.
Und doch war ich fasziniert. Ein echtes Gothic-Mädchen, wenn auch vierpfotig. Und Sofie hätte auf jeden Fall ein Foto gepostet. Ich sah mich um und entdeckte weitere ausgestopfte Hunde.
Gab es früher schon Pomeranians? Das musste ich Sofie unbedingt fragen.
Ich befand mich im verrücktesten, kleinsten Museum, das ich je gesehen hatte.
In der abgefahrensten Zoohandlung der Welt. Wenn man von einer Zoohandlung sprechen konnte. Immerhin waren diese Tierchen ausgestopft.
Ein Overkill für Sammeltassen-Fetischistinnen und passionierte Teacup-Freundinnen. Kein Wunder, dass es Isi und Alina hier hergezogen hatte. Auch ich war fasziniert, wie es sich für eine echte Tassionista gehörte.
Schon pervers. Zumindest etwas pervers. Aber sind wir nicht alle ein bisschen weird?
Im Gegensatz zu anderen konnte ich dazu stehen.
Und wer wusste, welche Abgründe sich hinter den harmlosen Gesichtern dieser Tierfreunde auftaten?
Der Mann vom Hundestrand hatte eine überzeugende Kostprobe geliefert, auch wenn seine Dreads sexy waren.
Und diese Cafébesitzerin konnte sicherlich auch anders, wenn man ihren Lieblingen zu nahe kam.
In dem Punkt waren sie alle gleich – diese Tierschützer.
Aber konnte man als Hundefreundin ausgestopfte Hunde sammeln?
Da gab es winzige Poodles im Smoke Farbschlag, die ihre glanzlosen Kulleraugen auf mich richteten und ihre Pfoten auf dem Tassenrand abstemmten. Sie sahen aus, als ob sie tanzten, eine eingefrorene Pose für die Ewigkeit.
Fast schien es, als würden sich manche unmerklich bewegen.
Ich fühlte mich unbehaglich, als würde ich heimlich beobachtet.
Hey, reiß dich zusammen! Das sind nur staubige, tote Tiere.
Und doch wollte ich nur noch eins: raus aus der morbiden Enge.
Fast wäre mir die eigentliche Sensation entgangen: Die Abteilung mit den richtigen Schrumpfhunden.
Sie waren kleiner als eine Tafel Schokolade.
Was für Cuties, hätten Isi und Alina geseufzt. Und gegen meinen Willen fand ich sie niedlich.
Hatte man in früherer Zeit Mini-Mini-Teacups gezüchtet?
Mein Herz schlug vor Aufregung schneller. Das musste ich Sofie zeigen. Ein bisschen verstand ich jetzt ihre Leidenschaft.
Auch wenn sie etwas wirklich Abseitiges hatte.
Ich nahm eine Tasse aus dem Schrank mit einem winzigen Mops, dessen vorstehende Augen so aussahen, als ob sie platzen könnten.
Leise Musik setzte ein, wie von einer Aufziehuhr.
Hundeköpfchen um mich herum wackelten fast unmerklich im Takt. Synchron, wie ein Minihund-Ballett. Und die Hunde fingen tatsächlich an zu tanzen. Aber vielleicht wollten sie nur aus der Tasse entkommen. Ihre glänzenden Knopfaugen stierten mich an und doch an mir vorbei.
Vorwurfsvolles Scharren auf Porzellan. Wie winzige Krallen, die verzweifelt an der teilnahmslosen Glätte ihres Tassengefängnisses hinunter rutschten. Und gerade im Abebben, jagte mir das Kratzgeräusch unangenehmste Schauder über den Nacken.
Das sind keine ausgestopften Tiere, versuchte ich mich zu beruhigen. Sondern nur lebensecht wirkende Spielzeughunde, deren Knopfzellen plötzlich unter der Fellbrust schwächelten und die sich deshalb nur noch langsamer bewegen konnten.
Hunde, deren Leben nach und nach verlosch.
Aber ihre Bewegungsunlust wurde durch ihren Blick gestraft, der es mir noch kälter den Rücken runterrieseln ließ.
Das waren keine liebevollen, rührenden, treuherzigen Hundeblicke.
Sondern in ihnen lauerte etwas, das ich nicht näher beschreiben konnte.
Etwas Unheimliches.
Etwas Böses, als wollten sie sich für etwas rächen.
Ich musste an den süßen Spielzeug-Hund denken, den ich als Kind besaß. Seine Augen glühten in der Dunkelheit und schauten mich trostvoll an, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, weil mein Bruder mir wieder gemeine Gruselgeschichten erzählt hatte.
Und das Hündchen tröstete mich jede Nacht, bis mein Bruder es einmal gemeinerweise aufschraubte und mir am nächsten Tag die zerbrochenen Glühbirnchen samt Batterie in die Hand drückte, bis sie blutete. Blut, das sich aus dem Stoff-Fell nicht mehr herauswaschen ließ.
Und nun hämmerte mein Herz vor Angst schneller, ein Déja Vu, als ich bei meinem Mops ebenfalls Blutstropfen im hellen Fell entdeckte. Blut, dass im Laufe der Jahre nicht verblasst war, sondern frisch glänzte. Als hätte er vorhin eine Mahlzeit gehabt. Vor Schreck ließ ich die Tasse samt Hund fallen.
Mit meinen routinierten Jongleurshänden hätte ich das Schlimmste verhindern können.
Aber ich war abgelenkt.
Der Minihund drehte sich wie ein losgelassener Peitschenkreisel. Bis es Pling machte. Nicht ein erlösendes Pling-Pling, sondern ein langgezogenes, helles Jaulen. Hoffentlich hatte sich der Minihund nicht alle Knochen gebrochen. Bei Teacups waren sie wie aus Glas.
Ich wagte kaum, nach unten zuschauen. Kein museal-weicher Teppich würde den Mops retten.
Kalte Metzgereifliesen starrten mich vorwurfsvoll an.
Und zwischen den Scherben hockte der Hund, scheinbar unverletzt.
Leise atmete ich auf, aber meine Erleichterung währte nur Sekunden.
Waren seine hervorquellenden Augen noch okay? Für einen Zwerg wie ihn die unfallträchtigste Schwachstelle.
Oder waren seine Mopsaugen wie matte Glühbirnen zersprungen?
Doch das Licht in ihnen schien nicht erloschen zu sein, was mich zunächst beruhigte, bis mir die geplatzten Äderchen auffielen, die an der nasenwärtigen Innenseite seiner Hornhaut ein feines Krakelee bildeten.
Das ist nur Porzellan, dachte ich, um mich zu beruhigen. Früher konnte man alles besser. Sogar Tieraugen imitieren. Auch wenn die Äderchen etwas zu wütend pulsierten.
Seine Augen röteten sich noch mehr. Als ob etwas Blut durch feinste Risse quoll und den Augapfel in zartes Rosa tauchte.
Instinktiv taten meine eigenen Augen weh.
Hatte der Kleine Schmerzen?
Was sollte ich nur machen?
Ihn tröstend in die Hand nehmen, ihm beruhigend das Fell streicheln?
Doch etwas hielt mich zurück. In den Kulleraugen glühte etwas Unheilvolles.
Sofie würde mich auslachen, wenn sie mich sehen könnte. Dabei war sie selbst die größte Schisserin. Vor echten Hunden hatte sie richtig Angst, auch wenn sie das nie zugab.
Dieses Hundchen würde sich auch von Sofie nicht anfassen lassen. Oder wie Joy gar anziehen lassen.
Obwohl dieser Hund reglos vor mir saß, jagte mir gerade seine Stille mehr Angst ein als jedes Knurren.
Und das Pulsieren in seinen Augen hatte etwas leicht Dämonisches.
„So ein Quatsch“, ermahnte ich mich. „Das ist nur ein täuschend echter Spielzeughund.“
Mir wurde schwindelig und unangenehm warm in diesem Gruselkabinett. Ich würde gleich nach draußen flüchten, den letzten Sonnenschein genießen.
Ein Mann tauchte auf, der in diesem Museum unpassend grobschlächtig wirkte. Sein Kopf war rasiert und seine Schürze voller Flecken, die nichts Gutes verhießen. Der Koch des Cafés? Er war vielleicht Anfang dreißig mit sehr hellen, weit auseinanderstehenden Augen und kräftigen, tätowierten Armen. Würde Sofie ihn attraktiv finden?
„Was ist hier los?“, rief er ungehalten. Als er mich entdeckte, bemühte er sich, eine Spur höflicher zu sein, was ihm nicht gelang. Er gehörte zu den Typen, bei denen sich jeder Versuch, höflich zu klingen, wie eine Beleidigung anhört.
Seine Stimme konnte er nicht so gut kontrollieren, wie er annahm.
„Mir ist die Tasse aus der Hand gefallen“, sagte ich leise. Dass ich mich vor seinem Hundchen erschreckt hatte, gab ich lieber nicht zu. „Für den Schaden komme ich selbstverständlich auf.“
Rasch bückte ich mich, bevor sein Blick mich traf, und versuchte ein paar Scherben aufzusammeln, die unter die Vitrine gefallen sein mussten. Was war unangenehmer? Seine wachsamen Augen, die mich mitleidlos durchbohrten, als ich den Staub durchsuchte oder die seines Hundes? Der Kleine bewachte die Reste der Porzellantasse wie seinen Knochen.
Doch das wirklich Abscheuliche spürte ich nicht im Rücken.
Es lag direkt vor mir.
Unter der Vitrine.
Eine Scherbe, die aussah wie ein abgebrochener Eckzahn. Mit etwas angetrocknetem Blut, auch wenn ich das im Dunkeln schlecht beurteilen konnte.
Ansonsten handelte es sich um einen überraschend sauberen Zahn. Kein gelblicher Hundezahn. Auch Joy hatte weiße Zähne gehabt. Und eine eigene Zahnbürste. Damit sie nicht aus der Schnauze stank, wenn es darauf ankam.
Beim Küsschengeben.
Und im staubigen Schatten glitzerte etwas an dem Zahn, das mir bekannt vorkam.
„Hören Sie sofort auf!“ Der Tonfall des Mannes wurde härter. So unmissverständlich wie ein Kommando in der Hundeschule.
Ich gehorchte, obwohl ich gern noch länger hingeschaut hätte. Was war das nur unter dem Schrank?
Nur eine Scherbe, die zufällig aussah wie ein Zahn? Tat ein ausgebrochener Zahn weh? Warum hatte ich vorhin die Tasse samt Hund nicht auffangen können?
So musste der Mops wegen mir still leiden. Ich kam mir noch gemeiner vor als meine Hundefreundinnen, deren Vorliebe für glitzernden Partnerlook sich offensichtlich nicht nur auf Haarschleifen beschränkte.
Und auch um Sammeltassen und Tee mit Rum würde ich zumindest diesen Sommer einen Bogen machen.
Rasch drehte ich mich um und stand mit einem Satz auf.
„So weit soll es noch kommen“, fügte er versöhnlicher hinzu, „dass unsere Gäste bei uns putzen müssen.“
„Aber...“, unterbrach ich mich selbst, als ich verstand, dass jede Erklärung alles verschlimmern würde.
„Nicht weiter schlimm“, murmelte er und hob den verängstigten Hund vom Boden und nahm ihn in seine Pranken.
„Wollen Sie nun eine Tasse kaufen?“, fragte er in drohendem Tonfall, der klar signalisierte, dass er mich sofort loswerden wollte. „Oder lieber doch einen Teacupdog?“, wobei er alle Verächtlichkeit auf das letzte Wort legte.
„Nur eine Tasse“, beeilte ich mich zu antworten, und versuchte, ihn nicht näher anzuschauen. Es fiel mir schwer, meinen Blick von seiner Unterarmtätowierung zu lösen, wo ein überdimensionierter Pudel eine Frau am Halsband hinter sich herzog.
Viel mehr hinter sich her schleifte.
Was für eine Tätowierung!
Sie war so ausnehmend hässlich, dass ich ein zweites Mal hinsehen musste.
Brüste und Bauch waren aufgeplatzt und die Gedärme folgten der unbekannten Frau wie ein seltsames Ornament.
Weird.
Ich gab mir Mühe, mein Unbehagen zu verbergen.
Nichts wie raus!
Aber noch musste ich mit dem Perversen hier allein sein und hoffte, dass er meine Angst nicht witterte.
Witterte wie ein zu allem bereiten Raubtier.
Was sah er in mir?
Eine mittelalte Frau, die ihre beste Zeit hinter sich hatte?
Und statt eines Lovers arme, kleine Hunde in ihr Bett nahm?
Um diese stundenlang mit Kunstfingernägeln zu bearbeiten?
War ich in seinen Augen auch eine von diesen – Hundequälerinnen?
Wie sollte ich ihm klar machen, dass ich anders war?
Dass ich damit nichts zu tun hatte?
Ich dachte an Sofie.
Was würde sie jetzt machen?
Und ich versuchte, ebenso unbeteiligt zu wirken wie sie.
Ein cooles Pokerface, das alle Gefühle sicher verbarg.
Egal, wie es dahinter aussah.
Und plötzlich sehnte ich mich nach Sofie wie schon lange nicht mehr.
Wo war sie jetzt?
Was machte sie gerade?
Und wenn wir beide erst mal raus waren aus diesem Laden, aus diesem schrecklichen Dorf, weit weg von Meer und hässlichem Hundestrand würden wir zu einer Tankstelle fahren, eine Flasche Prosecco holen und uns sinnlos besaufen. Sofie richtig und ich nur ein bisschen. Und dann würden wir uns totlachen über diese Tierschützer.
Über Mr. Dreadlocks und diesen Verrückten.
Aber noch war es leider nicht so weit.
Überraschend zärtlich nahm dieser Charmebolzen sein Hundchen in die Hand und kraulte ihm den Rücken. Seine Hände, mit den schwarzen tätowierten Ringen an allen Fingern, sahen gefährlich aus.
Der Hund genoss sichtlich die Streicheleinheiten und bekam ein glückliches Hundegrinsen wie Joy früher, wenn sie nach dem Baden in ein pinkfarbenes Frotteehandtuch gesteckt wurde.
Auch bei dem Mops schaute ein Zahn vorwitzig heraus, was bei ihm aber nicht süß aussah, sondern eher fies.
Aber fies war besser als Hundehaarschleifen.
„Streicheln Sie ihn lieber nicht“, sagte sein Herrchen mit einem warnenden Unterton.
„Das habe ich nicht vor“, entgegnete ich.
Von Hunden hatte ich erst mal die Nase voll.
„Das sind keine Spielzeughunde für verrückte Influencerinnen“, meinte er. „Die Hunde sehen harmloser aus, als sie sind. Man sollte Hunden nicht ihren Stolz nehmen und die Schwächsten mit den Schwächsten kreuzen.“
Dabei drückte er seinen massigen Rücken durch, als ob ich auch ihm seinen Stolz nehmen wollte. Und seine Augen bohrten sich in meine, als wollte er betonen, dass sie wie ein Bohrhammer in mich hineinjagen würden. Ungehindert. Ungebremst. Wenn ich nicht tat, was er wollte. Wenn ich ihm nicht Respekt zollte. Oder wenn ich es gar wagen sollte, in ihm einen Loser zu sehen.
Nein, ein Loser war er nicht.
Nur ein Hundefreund. Ein großer Hundefreund, der mich vor ein Rätsel stellte.
Ein Rätsel, das ich nicht unbedingt lösen wollte.
„Aber sie verkaufen doch selbst Hunde“, sagte ich vorsichtig, aber bestimmt. Ich wollte ihn nicht reizen. „Oder sind das hier alles Spielzeughunde?“
Der Mops schien noch mehr zu grinsen und ein weiterer Eckzahn blinkte aus der Schnauze. Mit einem Tropfen Blut darauf. Und als er gähnte, entdeckte ich, dass er noch alle Zähnchen besaß.
Zähnchen, mit denen er rasierklingenartig die Haut aufschlitzen könnte.
Zähnchen ohne Glitzersteinchen.
Seine Knopfaugen funkelten dafür umso gefährlicher im matten Licht.
Was sollte ich machen?
Bloß nichts wie weg, aber meine Beine gaben plötzlich nach.
Was war bloß mit mir los?
Die Hitze in dem Laden?
Oder nur ein paar harmlose Hitzewallungen?
Ich konnte nichts machen und sank auf den Boden.
Oh my God.
Oder hatte man mir vorhin etwas in den Kaffee getan? Oder in den Streuselkuchen?
Dass ich Dinge sah, die wirklich strange waren. Wie tanzende Poodles ... oder Hundezahndiamanten.
Doch nie hatte es mir so gut geschmeckt.
Wie in diesem Hundecafé des Grauens.
„Bleiben Sie ruhig, es ist bald vorbei.“ Die Stimme des Mannes klang sanft, als spräche er zu einem Hund.
Ich lag auf dem Boden und hörte im Hintergrund ein Knochenknacken. Was waren das für Geräusche?
„Das ist nur die Fütterung unserer Raubtiere“, erklärte er mit hundsgemeinem Grinsen, als hätte er meine Gedanken erraten. „Meine Mutter kümmert sich immer so liebevoll um alles.“
Und ich entdeckte im Nebenraum winzige Hunde, die sich um einen Knochen stritten, und um etwas, das wie ein Finger aussah. Ein Finger mit einem langen Kunstnagel, wie aus Isis und Alinas Beautyblog.