Hunger
Ich enthüllte meinen schweren, trägen, vollen Körper.
Ich blickte in den Spiegel und sah meine Brust an. Das Auge, eingerahmt von Rosen, starrte alles an außer mich.
Ich ging in die hintere Ecke, in die dunkle, reinigende Höhle.
Ich stieg hinein in die Höhle, hob das eine Bein, das andere folgte. Meine Hand öffnete den Hahn, es lief, schloß die Tür. Ich fühlte mich wohl, so allein in der dunklen Ecke, als sei ich wieder in der Geborgenheit meiner Mutter. Ungestört, unbekannt und unberührt. Ich sehnte mich danach.
Die kleinen Küsse prasselten auf meinen schweren, trägen, vollen Körper, sie wärmten ihn. Sie umarmten ihn und nahmen bei jeder Berührung etwas von ihm mit. Stück für Stück sammelten sie etwas auf, die Wärme gelang bis ins Innerste. Alles löste sich, lief herunter wie dicker, schwarzer Sirup. Der Abfluss fing jeden Tropfen auf, trank genüsslich. Ich wartete in der Hoffnung, dass ich mich auflöse, dass mich der Abfluss aufnimmt, ich für eine Zeit verdünnisiert bin und ich wieder zu mir werde.
Alles, was mich füllte, wurde mitgenommen, umarmt von der Wärme, berührt von den Küssen. Das vertraute aber entfernte und unerreichbare Gefühl erreicht mich wieder in der Leibesmitte meiner liebenden Hälfte zu sein. Eingenommen von der Liebe, genährt von der Liebe, alleine mit der Liebe im Schoße meiner Mutter. Es herrscht aber kein Gefühl von Liebe in mir, alles wurde weggespült. Ich suchte nach etwas, fand aber nichts.
Ich trocknete mich in weißer Baumwolle, hüllte mich in weißem Frottee, benutze weiße Creme. Das Auge auf meiner Brust, eingehüllt von Weiß, erblickte mich noch immer nicht. Leere und Sehnsucht überkam mich. Ich sehnte mich nach seinem Blick, nach seinem wachenden, liebkosenden Blick.
Mein Körper war leicht, leer und warm. Er musste gefüllt werden.
Ich lag auf weißem Leinen, schaute an die Decke, Hunger machte sich breit. Ich schlug das Buch auf, suhlte mich auf den Seiten in den Absätzen, Zeilen, Sätzen, Wörtern, Buchstaben. Der Hunger wurde gesättigt, die Sattheit reichert sich an. Goldener Honig füllte mich, genau wie das goldene Licht neben mir, welches den Raum füllte. Umhüllt und gefüllt von Gold aber nicht von Liebe. Der Schlaf übermannte mich, legte seine großen Händen über mich, drückte mich ins Weiß. Ich fiel ins Schwarze.
Meine Hände gruben sich in ihn hinein, in die zähe, schwere Masse. Ich gab Liebe dazu. Die Masse wurde voller, gewann an Fülle, wurde zäher. Die Fülle blieb an mir haften, durchnässt von Liebe, gierig nach Liebe. Ich wollte mich von ihm lösen.
Tobsucht kam aus dem Innersten, aus dem hintersten, tiefsten Winkel. Ich wollte ihn loslassen, ihm die Liebe entziehen, vor ihm flüchten. Das, was mein war, wollte ich zurück, für mich, nur für mich.
Meine Hände wollten los, weg von ihm. Sie gruben sich mehr und mehr hinein, er grub sich mehr und mehr in mich hinein. Die Tobsucht von ihm bedeckt, erstickt, abgewürgt.
Ich gab mehr Liebe dazu, er füllte sich, umarmte meine Arme, umarmte mich. Die Tobsucht wird zu Wollust.
Er ummantelte mich, umarmte mich, küsste mich, roch mich, schmeckte mich, drang in mir ein; er liebte mich. Er berührte mich, schaute mich an.
Er erkannt ihn, mich.
Die Liebe, die ich ihm gab, gab er mir zurück.
Das, was mein war, was wieder mein sein sollte, war nun für ihn.
Er nährte mich, ich nährte ihn.
Er füllte mich, ich füllte ihn.
Er erkannte mich, ich erkannte ihn.
Die Sonne brach durch die weißen Tücher, übergoß mich mit ihren Liebkosungen. Mein Körper hatte ihre Wärme aufgenommen und löste ein Gefühl von Wonne aus.
Ihre Wärme gesellte sich zu seinen Überresten. Ich wollte ihn wieder zurück, ihm wieder Liebe geben, die ich nicht hatte. Ich wollte seine Liebe, die er nicht hatte, die es nicht gab.
Wo ist er?