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Ich bin der Käferkönig

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22.10.2011
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Ich bin der Käferkönig

Erst war es nur die Zeichnung auf der Sprühflasche, die mir auffiel: Ein gigantischer, roter Totenkopf fraß ein Käferchen. Ich fand das ungerecht.
Und meine Mutter natürlich, die war eine Schau, wenn sie nach der Flasche griff. Sie verwandelte sich in eine Walze, ja, eine echt gefährliche Mutterwalze, die quer durch das Haus stampfte und Käfer vergaste. Sie merkte nicht einmal, dass ich hinter ihr herschlich. Die ersten Male interessierte mich nur das Gezappel der Käfer, weil sie so lustig mit den Beinchen winkten. Einmal wollte ich sie zu einer Strampelkette binden und die meiner Schwester umhängen. Aber genau da, als ich einen der Käfer hochhob, entdeckte ich seine Augen.
In einem Buch habe ich gelesen, ein Käferauge sehe aus wie Glasbausteine. Das ist Quatsch. Ganz tief drin, man muss nur genau schauen, da ist so ein Punkt. Wie ein winziger Schacht, der immer enger wird, und ins Innere des Käfers führt. Dieser Punkt ist das Käferauge.
Mich erinnerte der Punkt an die Augen von Fred, meinem Bruder. Da mochte ich es nicht mehr, wenn die Käfer auf dem Boden zappelten, bis sie starben.

„Theo!“ Ich drehte mich um. Die Stimme meiner Mutter klang, als hätte ich ihr was Glibbriges in den Kaffee geschüttet. „Lass die Küchenschaben liegen. Das ist widerwärtig.“
„Ich tu sie nur raus, Mama.“ Ich hielt den Käfer hoch und lachte. Ganz laut und prustend, als kitzelte einen jemand wie wild. Halt einfach Freds Lachen. Zum Glück klappte es, Mama haute ab und übersah die Schachtel hinter meinem Rücken. Meinen Käferkrankenwagen. Wenn sie den entdeckt hätte, ohje, das Gekeife wäre endlos, was ich für ein Kind bin, von wem ich sowas hätte, von ihr jedenfalls nicht.
Beim Hinausgehen hörte ich noch: „Und sag nicht immer Mama zu mir, Katharina sollst du sagen. Ist das denn so schwer zu merken?“
Ja, das war es, aber das wiederum konnte Mama sich nicht merken.
Der Käfer in meiner Hand zappelte. Falls Käfer ihre Mütter kennen, dachte ich, dürfen sie bestimmt Mama sagen. Ich ließ die Tür ein bisschen zu fest zufallen und tat, als liefe ich in den Garten. Kurz vor der Haustür huschte ich zweimal nach links, drehte mich um die eigene Achse und murmelte den Findespruch: „Links, links, rundherum.“ Zwei spitze i, zwei runde u. Klare, gute Wörter. Immer, wenn ich das genau so machte, fand ich Freds Zimmer. Diesen Raum verpestete Mama nie. Früher, vor den Käfern, war sie jeden Tag hier gewesen, doch jetzt hatte sie ihn vergessen.
Kein Wunder in einem Haus, das ständig seine Wände verschob. Vor einem Jahr, kurz nachdem Fred gestorben war, hatte ich mir deswegen oft in die Hose gemacht, denn jedes Mal, wenn ich zum Klo wollte, erhob sich vor mir eine neue Mauer. Meine Schwester behauptete, ich würde lügen, und nannte mich Pisshorst. Sogar in der Schule. Aber es war wirklich so. Wie in dem Labyrinth auf dem Jahrmarkt von Mehrendorf, wo ich mit meiner Klasse war. Da mussten mich die Besitzer rausholen, weil ich als einziges Kind nicht hinausfand. Meine Lehrerin schämte sich, weil ich so blöd bin, aber ich kann nichts dafür. Ich kann super Kopfrechnen, aber gegen Wände habe ich keine Chance. Und in die Schule geh ich seit zwei Monaten sowieso nicht mehr.

Das Bett in Freds Zimmer war immer noch bezogen mit Eintrachtbettwäsche. Am Bettgalgen hing Kumpel, das Stoffskelett. So hatte Fred es getauft. Eigentlich sah alles aus wie früher.
Ich setzte mich auf den Boden, breitete ein Tuch über meine Beine und setzte den Käfer darauf. Er sah platt aus, irgendwie gequetscht. Dann öffnete ich die Schachtel. Ich legte die zuckenden Käfer nebeneinander, fuhr mit einem feuchten Taschentuch über die Panzer und entfernte jedes Stäubchen. Das mochten sie. Einmal hatte ich dafür Zeugs aus einer Flasche von meiner Mutter geklaut, Davidoff stand darauf. Eigentlich wollte ich, dass die Käfer meiner Mutter ein bisschen verzeihen, aber den Davidoffkram mochten sie gar nicht.
Die Käfer torkelten über meine Beine, erst langsam, dann wurden sie emsiger und schneller, huschten in dunkle Ecken und verschwanden schließlich unter einer Fußleiste. Nur der flache Käfer blieb liegen.
Manchmal, wenn ich sitzen blieb, als wäre ich tot, kehrten sie zurück. Sie tasteten sich auf meine Beine, wurden mutiger und tanzten hoch zu meinem Gesicht, kitzelten und ziepten; manchmal tat es sogar weh. Aber das machte mir nichts.
Ich holte ein Wurstpäckchen aus der Hosentasche und eine Puppenflasche Bier und verteilte alles in zwei Schälchen. Wenn die Schaben Hunger bekamen, konnten sie essen und Bier beruhigt nach einer Aufregung, das sagte mein Vater auch immer, wenn er nach der Arbeit nach Hause kam. Vielleicht wollten sie auch ein wenig an ihrem toten Schabenbruder naschen.
Dann lehnte ich mich zurück und dachte an die Augen der Käfer - und an Fred. Die Erwachsenen sagen, ich wäre bei ihm gewesen, als er starb, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Nur noch, dass ich meine Mutter rief, weil der Fred komisch aussah. Sie führte einen Affentanz auf, dann kam der Krankenwagen. Aber es nützte nichts mehr. Ich hätte ihnen das gleich sagen können, denn in den Augen von Fred lag Schmerz. Schon lang. Ich weiß nicht, was der Fred hatte und warum jeden Tag Pfleger kamen, irgendwas haben sie mir erklärt, aber schlechte Wörter merke ich mir nicht. Und das, was der Fred hatte, war ein sehr schlechtes Wort.
Ich nahm Kumpel auf meine Knie. „L“ sagte ich, „Leuk“, ich drückte Kumpel ganz fest, doch das verfluchte Wort wollte einfach nicht weg von mir. Irgendwann lag auf meinem Schoß eine klumpige Stoffhülle, eklige, gelbe Flocken bedeckten mein Shirt. Ich sprang auf und drosch das Wort gegen die Wände. Mindestens zweimal für jeden Buchstaben, egal, wie weh das tat, und noch einmal dazu. Für Kumpel. So fest ich konnte. Die Schläge klangen satt, dunkel. Nur an der Wand, unter der die Schaben verschwunden waren, mischte sich ein Ping in den Ton, ganz fein, aber ich hörte es. Ping. Ich riss an der Tapete, schabte und kratzte, zum Vorschein kam Holz. Ich holte einen Hammer und eine Lampe, schlug ein Loch und spähte hinein. Vor mir lag ein Hohlraum voller lichttanzender Flusen und huschender Schatten. Und voller Rohre. Bestimmt führten sie durch das Haus, verbanden die Räume, vielleicht die ganze Stadt. Ich erweiterte die Öffnung und schlüpfte vorsichtig an ein paar scharfen Zacken vorbei in das Innere. Ich legte meinen Kopf an eines der Rohre. Gut fühlte sich das an, ganz warm, tausend trippelnde Beinchen knisterten hinter dem Metall. Waren das die Käfer, die ich vor meiner Mutter gerettet hatte? Ich blieb still und lauschte. Und dann erzählten die Käfer. Von damals. Und von Fred.

Später klaute ich eine Decke und befestigte sie vor meiner Haushöhle. „Du bist mein Versteck“, sagte ich. „Nein, du bist unser Versteck. Meins und das von Fred.“

*

Im Garten stand meine Mutter, sie unterhielt sich mit meiner Tante. Ich mochte die Tante, sie trug immer bunte, weite Röcke, in die man sein Gesicht vergraben konnte.
Ich ging zu den beiden hin, um ein wenig Unterhaltung zu haben. Außerdem hatte ich den Namen Fred gehört. Ich zupfte meine Tante am Rock und sagte: „Der ist doch hin, der Fred. Schon lang.“ Die Lippen meiner Tante schürzten sich zu einem erschrockenen, kleinen Zelt, sie fasste nach dem Arm meiner Mutter. Die schloss die Augen, öffnete sie wieder, schlug mir ins Gesicht und rannte weg.
Ich musste lachen, weil mein Kopf so wackelte.
Die Tante fasste nach meiner Hand, setzte sich aufs Gras und zog mich zu sich herunter. Einfach so. „Komm mal“, sagte sie. Ich schmiegte mich mit dem Rücken an ihren warmen Bauch.
„So kannst du das nicht sagen, Theo. Man sagt, er ist tot.“
„Aber ich mag das Wort nicht. Außerdem sagt die Mama auch immer, der ist hin, wenn ein Käfer stirbt, und dann lacht sie sogar, dabei mag ich die Käfer.“
Hinter mir kollerte es wie von einem Vogel, ich drehte mich um, aber es war nur die Tante.
„Glaubst du, ich bin schuld an Freds Tod?“
„Natürlich nicht, wie kommst du denn auf sowas?“
„Die Mama denkt das. Seit der Fred hin ist … “,
„Tot.“
„Jedenfalls guckt sie mich gar nicht mehr lieb an.“
„Das stimmt nicht. Die Mama hat dich sehr lieb. Du erinnerst sie nur an Fred. Und das macht sie traurig. Schuld warst du an gar nichts. Du warst einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Und jetzt kann die Mama das nicht vergessen. Irgendwann wird das wieder.“
„Aber wenn ich zur falschen Zeit am falschen Ort war, dann war ich doch richtig.“
„Kindskopf.“
Sie strich mir über die Haare, mit der anderen Hand zupfte sie am Saum ihres Rocks. „Theo“ sagte sie und noch einmal „Theo“, dann schwieg sie kurz, und setzte erneut an. Wie Erwachsene das tun, wenn sie unbedingt was wissen wollen. Sie pumpen dann; wie meine Käfer. Während die Tante also pumpte, zählte ich die Fleckchen auf ihrem Arm. Als ich bei dreiundzwanzig war, schaffte sie es.
„Warum hast du eigentlich deine Lehrerin gehauen? Du mochtest sie doch.“
„Ja.“
„Warum dann? Du warst doch toll in der Schule. Haben die Kinder dich geärgert?“
„Das ist ein Geheimnis.“
„Oh. Ein Geheimnis. Das kann man natürlich nicht verraten.“
„Nein.“
„Kann man das auch kleinen Katzen nicht verraten?“
„Kleinen Katzen?“
„Ja. Ich hab eine dabei. Die hört gern Geheimnisse. Und sie kann nichts weitererzählen.“

Auf dem Rücksitz stand ein Korb mit einem rotweißkarierten Tuch. Wie ein Picknickkorb, nur steckte darin statt fiesem Krümel-Ei ein Kätzchen. Gerade, als es mich anschaute, fiel ein Lichtstrahl auf sein braun gepunktetes Fell. Es hatte keinen Schwanz, nur einen Stumpf.
„Was hat die Katze gemacht?“
„Sie hatte einen Unfall. Und jetzt hat sie kein Zuhause mehr.“
„Arme Katze, komm her.“ Ich nahm sie auf den Arm, kitzelte sie mit den Fingern unter dem Köpfchen und schnalzte mit der Zunge. Wenn man das ganz zart macht, als wollte man Kekse am Gaumen ankleben, werden die Tiere ruhig. Ich streichelte die Katze, bis ihre Haare knisterten, ihr Köpfchen vor und zurückruckte und sie sich an meine Finger schmiegte.
„Magst du ihr erzählen, wie das in der Schule war?“
„Das ist aber nur für die Katze.“
„Klar.“
„Ich hab keinen Bock auf Müllrechnen.“
„Müllrechnen?“ Die Stimme klang nach Tante, die einen auf Katze machte. Aber egal.
„Ja, Müllrechnen ist scheiße. 94 geteilt durch drei ist 31. Bleibt eins Rest. Reste sind scheiße.“
„Wieso denn?“
„Die werden weggeschüttet.“
„Aber …“
„Wir zum Beispiel sind mit dir fünf, seit der Fred weg ist. Fünf geteilt durch zwei bleibt eins Rest. Das bin ich.“
Meine Tante schwieg. Ich glaube, sie verstand, dass man da nicht mehr in die Schule gehen konnte, auch wenn man vorher das Kopfrechnenkind war.
„Hmm“, die Tante beugte sich zu mir herunter und zog ihre Nase kraus. „Ich glaube“, sagte sie, „deine Lehrerin hat was vergessen. Das Müllrechnen, das heißt eigentlich Division. Und die wichtigste Division ist immer die durch sich selbst. Mach mal.“
„Du meinst bei uns? Fünf durch fünf?“
„Ja.“
„Das gibt eins.“
„Ganz genau. Das gibt immer eins, egal, welche Zahl du nimmst. Eins ist die allerwichtigste Zahl von allen. Eins heißt nämlich eine Portion Glück. Und du bist eine besonders süße Portion Glück.“
Der Katze gefiel das, so sehr schmiegte sie sich an meine Brust.

Über Mutters Augen klaffte eine tiefe, waagrechte Falte. Sie sah mich nicht an, sondern sprach nur zu meiner Tante. „Das war also deine gute Idee? Und was sollen wir jetzt damit?“ Die Katze auf meinem Arm wurde unruhig. Vielleicht wollte sie nicht „Damit“ heißen?
„Lass ihn doch, Liebes. Wenn es nicht klappt, hol ich die Katze wieder. Ich hätte sie sowieso aus dem Tierheim mitgenommen.“
„Aber so ein hässliches Vieh.“
„Mama, sie kann dich doch hören.“ Die Katze miaute und strampelte, hieb ihre Krallen tief in meinen Arm, dass es blutete, sprang auf den Boden und witschte zwischen den Beinen meiner Mutter hindurch.
„Siehst du, da geht es schon los.“ Mutter packte mich an der Hand. „Sie ist viel zu klein, da darf man nicht so zulangen.“
Sie tat, als läge ihr an der Katze, aber ihre Stimme klang scharf, so scharf, als wollte sie damit etwas abschneiden.
„Schon gut Mama, ich kümmere mich um die Katze. Bestimmt.“
Und schon rannte ich der Katze hinterher. Mutter mochte einfach keine hässlichen und kaputten Dinge. Die waren wie Reste. Sogar den Lieblingsbierkrug von meinem Vater hatte sie weggeworfen; bloß wegen ein paar Macken.

Am Nachmittag hatte ich die Katze unter meinem Bett hervorgelockt, sie Rudi getauft, sie gefüttert und mit einem Papierball durch das Haus gelockt. Ganz schön schwer war das, aber irgendwann folgte sie mir überall hin. Sogar in Freds Zimmer.
„Rudi, das darfst du nicht“, sagte ich, als die Katze einen lahmen Käfer quer durch den Raum schleuderte. Lustig sah das aus. Aber ich mochte es trotzdem nicht, denn der Käfer war ja noch krank.
„Nein!“, sagte ich, als die Katze einen Buckel machte. Sie zuckte zusammen. Sanfter fuhr ich fort: „Der Käfer ist doch kein Papierball, der ist dein Bruder. Du musst ihn lieben.“
Ich hob den Käfer auf und setzte ihn neben die Fußleiste, da konnte er sich in das Röhrengewirr retten. Die Katze folgte mir. Sie sah mich an, blickte auf den Boden, und bevor ich reagieren konnte, vergrub sie die Zähne in den reglosen Käfer und schüttelte ihn hin und her.
Ich schnappte die Katze, hielt sie fest, so sehr sie auch kratzte und biss, und hebelte ihr den Käfer aus dem Maul. Endlich ließ sie ihn los, aber ihr Gesicht sah jetzt ein bisschen schief aus. „Das darf man nicht, Rudi“, sagte ich, und fuhr über die blutigen Striemen auf meiner Hand, „das musst du dir merken. Hier wohnen die Käfer.“ Die Katze röchelte, dann wurde sie still. Ich weinte, denn der Käfer würde keinen Mucks mehr tun.

*

Ich hatte mich unter den Tisch im Esszimmer geschlichen. Dort konnte ich bei den anderen sein, ohne dass die mich sahen oder fühlten.
Unter dem Tisch waren die Menschen anders. Manchmal blitzte Haut zwischen den Strümpfen und der Hose. Bei Männern waren Haare dran. Manchmal wollte ich gern in das Hautstückchen beißen und die Haare auf der Zunge spüren.
Wenn Mama das Rasieren vergessen hatte, bedeckte Kükenflaum ihre Beine, das sah hübsch aus.
Die Stimmen der Erwachsenen klangen gedämpft.
„Ich habe die Katze gefunden.“
„Hmmm.“ Das war mein Vater.
„Sie ist tot.“
Ein Zischen, wie wenn jemand scharf einatmete. Ich mochte das nicht, danach geschah immer was Schlimmes.
„Was ist passiert?“
„Theo. Dieses Kind zerstört alles, was es in die Finger kriegt. Er ist krank.“ Ich hörte ein Glucksen, wusste nicht, ob meine Mutter lachte oder weinte.
„Ich habe einen Freak geboren.“
„Freak“, ich dachte das Wort vor mich hin. Es hatte ein i, ein schön langes, rolliges i, trotzdem klang es hässlich.
„Du weißt doch gar nicht, wie das genau war. Und Freds Tod, das muss er auch erst mal verarbeiten.“
„Verarbeiten. Es gruselt mich, wenn ich ihn sehe. Er sieht Fred so ähnlich, er lacht sogar wie er. Und gleichzeitig ist er völlig anders. Alles macht er kaputt mit seinen großen, schweren Händen und seinen Wutanfällen. Wer weiß, was er gemacht hat, als er in Freds Zimmer war.“
„Hör auf. Er ist ein Kind.“
„Ein Kind.“ Sie schnaubte. „Ein Kind, das Katzen das Genick bricht.“
Dann schwiegen sie. Man hörte nichts, noch nicht mal ein Schlürfen oder das Rücken einer Schüssel. Als ob selbst das Essen nachdachte.
„Er muss aus dem Haus. Ich kann ihn nicht mehr ertragen. Oder ich geh. Wenigstens ein paar Tage.“
Mein Vater schwieg. Nach einer schier endlosen Pause sagte er: „Was hast du mit der Katze gemacht?“
„Weggeworfen.“

*

„Was ist ein Freak, Mama?“
Ich fasste meine Mutter an der Hand. Vorsichtig, damit sie sich nicht erschreckte. Sie schüttelte mich ab, dann beugte sie sich zu mir herunter, als wollte sie ihre Reaktion zurücknehmen.
„Was?“
„Ich habe euch gehört, den Papa und dich. Du hast gesagt, ich bin ein Freak.“
Die Augen meiner Mutter irrten zwischen mir und der Wand hin und her. Ein richtiger Augentanz war das, als müsste sie über die Antwort nachdenken, dabei wusste sie bestimmt ganz genau, was ein Freak war.
„Ich will hier bleiben.“ Immer noch irrten die Augen meiner Mutter zwischen mir und dem Bild hin und her. Ich drehte mich um, aber da war nur ein altes, blödes Familienbild.
„Mama, warum willst du mich fort haben?“
„Man überlegt sich mal was unter Erwachsenen. Woher weißt du das überhaupt?“
„Ich kann nicht fort. Wenn ich weg bin, tötest du die Käfer.“
„Mein Gott“, meine Mutter atmet scharf ein, „schon wieder. Das ist Ungeziefer, widerliches Ungeziefer. Du sollst die Viecher nicht anfassen, nicht mit ihnen spielen, gar nichts. Wenn du weg bist, kommt der Kammerjäger, der räuchert sie endlich aus.“
„Warum Mama? Weil sie hässlich sind?“
„Ja, und ungesund.“
„Bin ich auch ungesund?“
„Natürlich nicht.
„Du hast aber gesagt, ich wär krank. Das ist dasselbe wie ungesund.“
„Jetzt hör auf. Dein Vater und ich wollen dir nur helfen.“
„Aber ich will nicht weg.“
„Das sehen wir dann.“
Um uns herum war es ruhig.
„Hast du den Fred auch ausgeräuchert, weil er ungesund war?“ Meine Mama wurde starr. Wieder griff ich nach ihrer Hand. Dieses Mal ließ sie es geschehen. „Mama, du musst sie nur kennen lernen.“
„Was?“
„Komm, sie wissen alles über Fred.“
Ich zog meine Mutter hinter mir her. Zweimal links, einmal rundherum. Ganz leicht ging das. Jemand hatte Stoffbällchen in die Kleider meiner Mutter gesteckt und nun war sie eine Schlenkerpuppe.
Vor der Tür scheute sie zurück, doch dann folgte sie.
„Du weiß doch, dass dieser Raum tabu ist?“
„Aber hier kann man sich an Fred erinnern.“
„Ja. Hier lag er die letzten zwei Jahre.“ Die Stimme meiner Mutter war weich. „Bis dann auf einmal alles vorbei war.“
Sie schaute mich an, Verwunderung lag in ihrem Blick und etwas Komisches, etwas, das ich am liebsten an eine Wand geklopft hätte.
„Hier wohnen jetzt die Käfer“, sagte ich schnell.
„Was redest du? Käfer?“
„Ich zeigs dir Mama, sie sind nicht schlimm, du musst sie nur kennen lernen. Sie wissen alles von Fred.“
Mutter schob mich zur Seite. Dann entdeckte sie den Vorhang. „Was hast du gemacht? Schon wieder so ein Unsinn.“
„Das ist kein Unsinn, das ist ein Versteck. Meines und das von den Käfern. Da drin kann man alles hören, die Geräusche im Haus und das Wasser und Stimmen. Und Fred. Ich muss nur den Käfern sagen, dass sie von ihm erzählen. Das machen sie bestimmt, ich bin nämlich der Käferkönig. Ich kann es ihnen befehlen. Kletter rein, bitte, du wirst merken, wie schön das ist.“
Ich schob sie auf den Vorhang zu, meine Mutter ließ sich von mir nach vorne schieben, sie duckte sich sogar, als sie zu dem Vorhang kam. Ich hob ihn hoch, doch plötzlich, mit einem Ruck, zerrte sie die Decke herunter, dass die Nägel, mit denen sie angebracht war, aus der Wand sprangen.
„Was soll der Mist?“
„Das darf man nicht, es muss dunkel sein.“ Mein Atem tat weh, wie wenn ich ganz schnell renne und mir schwarz vor Augen wird. „Mama, guck doch. Nur einmal!“ Ich stieß sie vorwärts. Wenn sie erst im Versteck war, hörte sie die Käfer, und dann würde alles gut werden. Ich stieß noch einmal. Es knackte. Mama war gegen einen Holzzacken geprallt, dann gegen ein Rohr, noch einmal knackte es, aber ich sah nur ein kleines bisschen Blut.
„Das ist gleich wieder vorbei, Mama, du musst nur singen. Heile, heile Mausespeck, in hundert Jahrn ist alles weg. Dann tut's nicht mehr weh.“
Ich stieß sie vollends hinein in die Höhle. Als ich die Decke wieder anbrachte, regte sie sich und schnaufte, aber dann war sie ruhig. „Mama“, sagte ich, „ich bin froh, dass es dir gefällt. Du musst nur warten. Ekel dich nicht, wenn die Käfer kommen. Du wirst sehen, das kitzelt ganz wunderschön.“

*

Ich saß wieder unter dem Tisch. Die Schuhe meines Vaters waren ungeputzt. Links von ihm flegelten die Flipflops meiner Schwester. Und dann Hosenbeine. Erst verstand ich gar nicht, wer das war, aber dann redeten die Hosenbeine und gehörten meiner Tante. Ihre Stimme klang langsamer als sonst. „Was sagt die Polizei?“
„Sie sagen, sie gehen der Sache nach, zwei Tage ist sie jetzt weg.“
„Vielleicht wollte sie wirklich nur mal raus.“
„Aber sie hat mir nichts hier gelassen, keinen Brief, nichts.“ Die Stimme meines Vaters wurde leise. „Ich habe Angst um sie, sie war so depressiv.“
Depressiv. Zu viele Es. Ich fand, meiner Mutter ging es gut. Vorhin erst hatte ich sie gesehen. Da lag sie in Freds Versteck. Ihr Kopf schmiegte sich an eines der Rohre. Ich schmiegte mich daneben, lauschte und ließ mich trösten durch das Getrippel Tausender kleiner, harter Leiber. An dem Mund meiner Mama saß ein Käfer. Vielleicht schenkte sie ihm ihre Spucke. Oder er erzählte ihr von Fred.

 

Liebe/r RiminyCricket

schön, dass es dich zum Käferkönig verschlagen hat. Und ja, der Name passt genau zu meiner Geschichte. Wie bist du denn auf den süßen Nick gekommen?


Wirklich eine super Geschichte! Mir gefällt, wie sich da kindliche Unschuld mit gewalttätigen Wahnsinn vermischt und zwar so langsam und unaufgeregt, dass ich einfach weiterlesen musste. Oft habe ich erst nach einem Moment später richtig gemerkt, welche Ungeheuerlichkeit sich gerade zugetragen hat.
Hehe. Ja, das liegt an dem Tonfall.


Die Spannung zwischen der einfachen, kindlichen Sprache des Erzählers und dem Inhalt gibt dem Text eine düstere, manchmal traumhafte Komponente. Das finde ich wirklich sehr gelungen.
Klar, an manchen Stellen erhält der Text das, weil er auch so sehr in dieser eigenartigen Parallelwelt spielt. wo man nur Käfer lieben kann, weil bei der Mama es schwierig ist .

Über deinen Kommentar zu der Stelle mit dem Glibber bin ich recht dankbar, denn diese Stelle hatte ja auch Kritiker. Und da kommt man natürlich ins Zweifeln irgendwann. Also bin froh über deine Rückmeldung. erleichtert mir die Einschätzung.

Hier fände ich einen konkreteren Vergleich auch besser. Zum Beispiel was will sie abschneiden? Mit was? Ich denke, dass so der Erzähler Theo auch noch etwas genauer beschrieben werden könnte, indem ein Link zu seinem Alltag hergestellt wird.
Darüber muss ich nachdenken. Mir gefällt die Stelle immer noch ganz gut.

Irgendwie gefällt mir das Wort "Freak" nicht besonders, aber das ist ja Geschmackssache. Und es muss ja ein Fremdwort oder eher ungebräuchlich sein, damit es Theo nicht verstehen kann, aber in der heutigen Zeit finde ich es etwas zu wenig stark, für die Gefühle der Mutter.
Ich hab mir das gut überlegt, welches Wort ich sie benutzen lasse. Und Scheusal oder Missgeburt o.ä.wären viel zu stark.

Auf jeden Fall ein sprachlich wie inhaltlich sehr gelungener Text. Konnte gar nicht mehr aufhören mit lesen.
Das freut mich sehr.
Vielen Dank für deinen Besuch und für dein Feedback. Bist ja auch noch nicht lange da, da finde ich es total schön, wenn jemand selbst kommentiert und nicht nur kommentieren lässt.
Also denn mal auf ein Willkommen hier.
Und vielleicht liest man sich ja bei deiner Geschichte? Bin eigentlich vorsichtig geworden bei Neuusern, aber wenn jemand sich die Mühe macht, selbst mal zu kommentieren, da schnüffel ich doch glatt mal zum Dank in deine Geschichte rein. Beim nächsten Kaffee. Aber versprechen kann und tu ich nix. Gell?

Liebe/r Riminycricket vielen Dank noch mal für deinen Besuch.


Liebe Grüsse
Novak

 

Hallo Novak,

es ist schon so viel zu deiner wunderbaren Geschichte gesagt worden, ein kleines bisschen "Senf" möchte ich jetzt auch noch dazu geben. Ich finde es besonders tragisch, dass die Mutter, die die ganze Zeit so hartherzig rüberkommt, in dem Moment ihr Schicksal besiegelt, als sie zum ersten Mal auf ihr Kind eingeht und weich wird. Denn so empfinde ich sie in der letzten Szene, gebrochen und tief verunsichert.

„Hast du den Fred auch ausgeräuchert, weil er ungesund war?“ Meine Mama wurde starr. Wieder griff ich nach ihrer Hand. Dieses Mal ließ sie es geschehen. „Mama, du musst sie nur kennen lernen.“
„Was?“
„Komm, sie wissen alles über Fred.“
Ich zog meine Mutter hinter mir her. Zweimal links, einmal rundherum. Ganz leicht ging das. Jemand hatte Stoffbällchen in die Kleider meiner Mutter gesteckt und nun war sie eine Schlenkerpuppe.

Wie es ihm gelingt sie so brutal zu treffen. Hier stößt er sie schon ins Dunkle. Man ahnt, warum sie vorher gegen ihn kämpfen muss.

Sie schaute mich an, Verwunderung lag in ihrem Blick und etwas Komisches, etwas, das ich am liebsten an eine Wand geklopft hätte.

Sie schaut ihn zum ersten Mal "richtig" an. Vorher scheint ihr Blick immer derselbe zu sein, mit dem sie die Kakerlaken ansieht. Die ganze Zeit wehrt sie ihn ab und als sie sich auf ihn einläßt, bringt er sie um. Und in seinem verqueren Denken ist er endlich mit seiner Mutter vereint. Möglicherweise wäre es nicht so weit gekommen, wenn es ihr vorher gelungen wäre ihn zu mögen. Aber möglicherweise hat sie auch genau diese Bedrohung in ihm gespürt. Die Angst der Mutter vor ihrem eigenen Kind, das erscheint mir noch ein recht unverbrauchtes Thema.

Und ich finde es durchaus denkbar, dass so ein blöder Sturz tödliche Folgen haben kann.

Echt, eine beeindruckende Geschichte, auch noch nach mehrmaligem Lesen.

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe Chutney

wenn jemand einen so schönen Kommentar schreibt, darf und soll er doch gerne noch ein bisschen Senf beisteuern, dann wird es würziger.

es ist schon so viel zu deiner wunderbaren Geschichte gesagt worden, ein kleines bisschen "Senf" möchte ich jetzt auch noch dazu geben. Ich finde es besonders tragisch, dass die Mutter, die die ganze Zeit so hartherzig rüberkommt, in dem Moment ihr Schicksal besiegelt, als sie zum ersten Mal auf ihr Kind eingeht und weich wird. Denn so empfinde ich sie in der letzten Szene, gebrochen und tief verunsichert.
Über dieses Zitat habe ich mich nämlich wahnsinnig gefreut, weil ich selbst die Mutter je auch so gesehen und erlebt haben wollte. Sie ist unmöglich, klar, einige haben sie nur als böse erlebt, was sie auch ist. Aber eben auch als verzweifelt und auch als bemüht, ihre Abneigung gegen ihn nicht so völlig zu zeigen. So als ob sie sich bemühen würde, nicht so völlig aus ihrer Rolle als Mutter herauszufallen. Vorher zum Beispiel, als Theo kommt und sie an der Hand fassen will, da schüttelt sie ihn instinktiv ab, nimmt dies selbst aber auch wahr und beugt sich zu ihm, als wollte sie die Geste zurücknehmen. Ja, und danach, da trifft er sie mit seiner Bemerkung über das Ausräuchern. Und sie hört ihm tatsächlich zu. ich hab mich einfach sehr gefreut, dass du das bemerkt hast.
Sie schaut ihn zum ersten Mal "richtig" an. Vorher scheint ihr Blick immer derselbe zu sein, mit dem sie die Kakerlaken ansieht. Die ganze Zeit wehrt sie ihn ab und als sie sich auf ihn einläßt, bringt er sie um.
Ja, das stimmt, ich habe diesen Zusammenhang nie so explizit gesehen, aber du hast recht, man kann die Geschichte auch aus diesem Blickwinkel heraus lesen.
Aber möglicherweise hat sie auch genau diese Bedrohung in ihm gespürt. Die Angst der Mutter vor ihrem eigenen Kind, das erscheint mir noch ein recht unverbrauchtes Thema.
Ja ein unverbrauchtes und verzwicktes Thema. Das stimmt.

Liebe Chutney, ich habe mich sehr gefreut, dass du die Geschichte gelesen und sie kommentiert hast, nach so vielen Kommentaren ist das ja nicht immer selbstverständlich. Und noch weniger selbstverständlich ist, dass du diesen spannenden Aspekt gesehen hast. Ich musste richtig bisschen nachdenken, ob ich überhaupt Romane kenne, die das Thema Angst der Mutter vor ihrem Kind behandeln, mir ist nichts eingefallen.

Bis die Tage und viele Grüße von Novak

 

Liebe Novak,

mein persönliches Ideal ist, vor dem Kommentieren einer Geschichte immer alle bisherigen Kommentare lesen, damit ich nicht Sachen wiederhole, die schon zig mal gesagt wurden, oder halt auch sagen kann: ich sehe das genauso wie x oder anders als y. Aber es gibt grade zeitlich nicht so viel Spielraum, wie ich gern hätte, und wenn ich versuchen würde, mit den Kommentaren zu dieser Geschichte mitzuhalten, dann käme ich vielleicht irgendwann Mitte 2018 mal dazu, meinen eigenen Kommentar zu schreiben. Du kannst bestimmt damit leben, wenn sich etwas wiederholt, weil es eh hauptsächlich Lob ist. :)

Die Geschichte ist nicht mein Favorit unter deinen Horrorgeschichten, aber trotzdem sehr sehr gut, wunderbar abgründig, verdientermaßen empfohlen.

Es gibt drei Punkte, die ich gerne dazu loswerden will, die ersten beiden sind großes Lob, der dritte eine kleine Kritik.

Punkt eins: Ich finde die Geschichte ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass kein Thema tabu sein muss, wenn man genügend Fingerspitzengefühl hat.

Die ... ich sage mal "Tradition" in Horrorgeschichten, Menschen mit psychischen Störungen zu einer Angstfigur zu machen, ist nicht grade unproblematisch.
Was natürlich nicht bedeutet, dass man das nicht darf, weil sonst die Political Correctness-Polizei kommt, oder dass man ein schlechter Mensch ist, wenn man das macht.
Aber halt schon, dass wenn man es ungeschickt oder gedankenlos macht, meistens Mist herauskommt, der durchaus Schaden in der echten Welt anrichten kann (in der Menschen mit psychischen Problemen in der Regel nicht als Kettensägenmörder in Erscheinung treten, dafür aber häufiger als der Durchschnitt Opfer von Gewalt werden).

Und dir gelingt es hier sehr gut, diese Klippe zu umschiffen. Der Theo ist zwar auf seine Art ziemlich beängstigend - aber hast es geschafft, zu zeigen, dass er kein Monster ist, sondern ein liebenswertes Kind. Ich mag vor allem sehr gerne, wie er mit Wörtern und Zahlen umgeht.

Punkt zwei: Die Käfer finde ich ziemlich genial.
Wenn man die im Haus hat, weiß man, irgendwas ist nicht in Ordnung, irgendwo rottet etwas vor sich hin. Die mit Gift vollzusprühen ist die Bekämpfung eines Symptoms, die wird man nicht los, wenn man nicht bereit ist, sich mit der tieferliegenden Ursache auseinanderzusetzen. Menschen, die besonders viel Wert darauf legen, alles unter Kontrolle zu haben, haben oft Angst vor Insekten und Spinnen. Kein Wunder, die krabbeln überall herum und haben viel mehr Beine, als man es von anständigen Tieren gewohnt ist. :)

Und deshalb reichen so ein paar kleine Tierchen schon aus, um ganz viel über die Mutter und über Theo und das Verhältnis der beiden untereinander ans Licht zu bringen.

Ich denke nicht, dass die Käfer in der Geschichte nicht real sind, aber von ihrer Funktion im Text her sind sie halt noch ein bisschen mehr als "nur" gewöhnliches Ungeziefer, die haben noch ein paar Extra-Bedeutungsebenen. :)

Punkt drei: Es war mir diesmal an ein paar Stellen zu dick aufgetragen. Du hast immer sehr schöne Szenen drin, die Figuren plastisch und liebenswert machen, und die finde ich auch hier größtenteils sehr gelungen. Aber an machen Stellen habe ich das Gefühl, die sind ... nicht ganz rund. Das ist natürlich nur Bauchgefühl und nur subjektiv, aber ich versuche mal rauszuarbeiten was ich meine.

„Ganz genau. Das gibt immer eins, egal, welche Zahl du nimmst. Eins ist die allerwichtigste Zahl von allen. Eins heißt nämlich eine Portion Glück. Und du bist eine besonders süße Portion Glück.“

Die Tante hat Theo sehr gern und ist sehr darum bemüht, ihm zu helfen, das kommt in dieser Szene wirklich schön zum Ausdruck. Aber dieser Teil des Dialogs, der gefällt mir nicht. Das ist mir zu süßlich.

Wenn Mama das Rasieren vergessen hatte, bedeckte Kükenflaum ihre Beine, das sah hübsch aus.

Der Theo ist ein merkwürdiges Kind. Aber eigentlich beobachtet er sehr präzise. Und deswegen finde ich die Beschreibung als "Kükenflaum" unpassend - ich finde, das opfert die Präzision, nur um originell zu sein. Jedenfalls, wenn ich das Rasieren vergesse, kriege ich kleine schwarze Käferborsten am Bein. Kann man hübsch finden oder nicht, aber der Vergleich mit einem Küken drängt sich jedenfalls nicht auf.

Das sind beides Stellen, die vielleicht ein bisschen zu sehr einen auf "niedlich" machen. Das brauchst du nicht. Der Theo wächst einem auch so ans Herz. :)

Grüße von Perdita

 

Liebe Novak,

eine faszinierende Geschichte hast du da geschrieben - Kompliment! Besonders dein Einfühlungsvermögen gegenüber Theo ist ein essenzieller Part hier, warum die Geschichte so gut funktioniert.
Es stimmt: Kinder können grausam sein. Aber Kinder sind eben auch noch sehr unschuldig in vielen Dingen. Und was passiert, wenn man "Grausamkeit" mit kindlicher Unschuld kombiniert, das hast du ganz wundervoll dargestellt.
Besonders die Dialoge haben der Story Leben eingehaucht, die sind dir wirklich super gelungen!

Einen schönen Abend und liebe Grüße,

Jana

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Perdita

bevor ich wegfahre, will ich dir aber unbedingt noch antworten. Das wäre ja was, wenn ein Komm von dir unbeantwortet bliebe. Neee, das geht nicht.

mein persönliches Ideal ist, vor dem Kommentieren einer Geschichte immer alle bisherigen Kommentare lesen, damit ich nicht Sachen wiederhole, die schon zig mal gesagt wurden ... und wenn ich versuchen würde, mit den Kommentaren zu dieser Geschichte mitzuhalten, dann käme ich vielleicht irgendwann Mitte 2018 mal dazu, meinen eigenen Kommentar zu schreiben.
Hehe, das kannst du laut sagen. Oder schreiben.

Die Geschichte ist nicht mein Favorit unter deinen Horrorgeschichten, aber trotzdem sehr sehr gut, wunderbar abgründig, verdientermaßen empfohlen.
Und nochmal freu ich mich, weil - das find ich gut. Ich sehe das nämlich auch so. Ich hab nämlich eine große Menge anderer abgründiger storys geschrieben. Selbstlob klingt klasse. Aber jetzt schalte ich es wieder aus.
Also was ich sagen will, ich hab jetzt bei meinen Geschichten keine Favoritenliste oder so. Und manchmal wundere ich mich auch darüber, und frage mich, wie das manchmal kommt, dass eine Geschichte sehr angenommen wird, eine andere nicht. Ich kann das schwer einschätzen. ich glaube oft, das liegt nicht nur an der puren Qualität einer Geschichte, sondern auch daran, das ein Thema reif oder dran ist oder so eine gewissen Stimmung dafür zufällig da ist. Dinge eben, die manchmal auch nicht so beeinflussbar sind.
Bei der hier war ich mir fürchterlich unsicher, und ich wollte sie dann auch einfach mal den Leuten zum Lesen geben, ein Feedback kriegen. Damit sie mir aus dem Kopf kommt. Hilfe haben. Ich mit meiner unverbesserlich perfektionistischen Art hätte heute noch gesessen und an ihr rumgezupft.

Aber was schwätze ich. Ich finde das wirklich gut, dass du das schreibst, ich habe viele andere Geschichten, die mir persönlich sehr am Herzen liegen. Dass dem einen mal diese Geschichte gefällt, dem anderen eher jene, das ist Realität. Und die ist wichtig. Sonst nichts. Das ordnet die Geschichten auch so ein bisschen bodenständig ein. Das brauchen diese kleinen Biester auch, sonst drängeln die nur immer in der Gegend rum.


Es gibt drei Punkte, die ich gerne dazu loswerden will, die ersten beiden sind großes Lob, der dritte eine kleine Kritik.
Nur zu.

Punkt eins: Ich finde die Geschichte ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass kein Thema tabu sein muss, wenn man genügend Fingerspitzengefühl hat.
:susp:

Die ... ich sage mal "Tradition" in Horrorgeschichten, Menschen mit psychischen Störungen zu einer Angstfigur zu machen, ist nicht grade unproblematisch.
:sconf:

Was natürlich nicht bedeutet, dass man das nicht darf, weil sonst die Political Correctness-Polizei kommt, oder dass man ein schlechter Mensch ist, wenn man das macht.
Aber halt schon, dass wenn man es ungeschickt oder gedankenlos macht, meistens Mist herauskommt, der durchaus Schaden in der echten Welt anrichten kann (in der Menschen mit psychischen Problemen in der Regel nicht als Kettensägenmörder in Erscheinung treten, dafür aber häufiger als der Durchschnitt Opfer von Gewalt werden).
Ach du scheiße.

Ich hab dir das mal so smileymäßig hingepostet, weil es echt meine Reaktionen waren. Ich war echt geschockt für einen kurzen Moment und hab dann gedacht, okay, ja, sie hat ja Recht. Zum Glück hatte ich mir das beim oder vor dem Schreiben nicht so überlegt. Und zum Glück ist es letztendlich gut ausgegangen und man kann in Theo eben nicht nur das Monster sehen, sondern auch das Kind. Und vielleicht sieht man an und in der Geschichte auch, dass es manchmal nur ein Fingerschnips ist, der den Liebenswerten vom Monster trennt. Ich habe das in Kommentaren vorher versucht zu erklären, mir ist das immer wieder mal ein großes Anliegen. Nicht in der Teenystory natürlich, aber zum Beispiel auch in der Geschichte von dem Handy.
Mich interessiert einfach dieses nah beieinander liegende Gut-Böse. Das Verschwimmen der Bewertungen.

Wenn man die im Haus hat, weiß man, irgendwas ist nicht in Ordnung, irgendwo rottet etwas vor sich hin. Die mit Gift vollzusprühen ist die Bekämpfung eines Symptoms, die wird man nicht los, wenn man nicht bereit ist, sich mit der tieferliegenden Ursache auseinanderzusetzen. Menschen, die besonders viel Wert darauf legen, alles unter Kontrolle zu haben, haben oft Angst vor Insekten und Spinnen. Kein Wunder, die krabbeln überall herum und haben viel mehr Beine, als man es von anständigen Tieren gewohnt ist. :)
Ich fand das sehr spannend, deine Lesart mitzukriegen. Ist wirklich ein gänzlich neuer Aspekt, den du da reinbringst. Die Käfer und die Art, wie die Mutter sie bekämpft, das kann man tatsächlich sehr symbolisch sehen. ich hatte/habe das nicht so bewusst geplant, aber klar, habe ich schon wert darauf gelegt, dass die Käfer eben erst in der Fülle auftauchen, nachdem der Bruder gestorben ist.
Ich finde das übrigens total interessant, wie sich beim Schreiben von einem bestimmten Ausgangspunkt aus, in meinem Fall ein düsteres, verschachteltes Ferienhaus voller krabbelnder Mitbewohner und meinen nächtlichen Fantasien dazu, ein ganz eigener Kosmos entwickelt mit symbolischen Übertragungsmöglichkeiten.

Und deshalb reichen so ein paar kleine Tierchen schon aus, um ganz viel über die Mutter und über Theo und das Verhältnis der beiden untereinander ans Licht zu bringen.
Ja und von daher kann ich auch nur eifrig mit dem Kopf nicken bei dem Satz danach, die Käfer haben tatsächlich verschiedene Bedeutungsebenen.

Punkt drei: Es war mir diesmal an ein paar Stellen zu dick aufgetragen.
Oh weh. Das ist scheiße.
Was die Stelle mit der Tante betrifft, da wird dein Rat im Herzen und im Kopf getragen und gut vom Gehirn geknetet. Im Moment sage ich mir, alle beiden Stellen finde ich schon gut und auch rund und passend. Von daher sollen sie mal bleiben. Aber ich mach eh noch mal eine kleine Runde durch den Text. Dann wird man sehen.
Nur zu dem Kükenflaum, da bin ich mir sicherer, dass es bleiben soll. Weißt schon, die Haare an den Beinen. Du meinst, ich wollte da nur originell sein. Aber das stimmt nicht. Kann es sein, du bist dunkelhaarig?
Wenn blonde Frauen mit dünnen Haare an den Beinen haben (das gibt es sogar bei Männern) dann haben die keine schwarzen Stippsel, sondern blonde, zum teil sehr weiche Härchen. Kenn ich halt so und sehe ich so.
Und der Theo will seine Mutter ja eigentlich gern haben, hat er sogar, sonst würde es ihn nicht so interessieren und quälen, dass die ihn nicht mehr lieb hat. Und dieses Gefühl bringt ihn dazu, diese weichen Härchen als Kükenflaum zu sehen. Also ich finde gerade, das bleibt. :)

Liebe Perdita, du hast einen Haufen neuer und für mich sehr spannender Gedankengänge bei deinem Besuch mitgebracht. ich finde das wirklich ein bisschen aufregend, ich habe/hatte gedacht, jetzt kann echt nichts Neues mehr kommen, da ist alles kommentiert und durchgegangen. Aber das stimmt dann doch immer nicht. Jeder hat eine andere Lesart und jeder kommt beim Nachdenken über den Text auf wieder neue Gesichtspunkte.
Ich finde das kommt oft gerade dann zustande, wenn man keine Kommentare gelesen hat.

Liebe Perdita, vielen vielen Dank für deinen Besuch.
Viele Grüße von Novak


Liebe Jana Retlow

auch für deinen Besuch bedanke ich mich sehr. Und natürlich für dein Lob.

Es stimmt: Kinder können grausam sein. Aber Kinder sind eben auch noch sehr unschuldig in vielen Dingen. Und was passiert, wenn man "Grausamkeit" mit kindlicher Unschuld kombiniert, das hast du ganz wundervoll dargestellt.
Ich glaube das ist es auch, was die story wiederum leicht macht. Der Theo als Kind mit seinen kleinen Marotten, die dann samt Puppenfläschchen ins etwas Abgründige abdriften, ist auch durch sein Kindsein in einer Position, die es leicht macht, das Schwarz-Weiß seines Verhaltens glaubhaft zu machen. Ob ich das bei einem Erwachsenen hinkriegen würde?

Dir liebe Grüße zurück
Novak

 

Liebe Novak,

schön, dass du mit dem Kommentar was anfangen konntest, und im Gegenzug habe ich dann auch was gelernt. :)

Ich hab dir das mal so smileymäßig hingepostet, weil es echt meine Reaktionen waren. Ich war echt geschockt für einen kurzen Moment und hab dann gedacht, okay, ja, sie hat ja Recht.
Oh je, ich wollte damit gar nicht schocken! Es ist mir nur beim Lesen der Geschichte irgendwann klar geworden, dass das eine Horrorgeschichte ist, wo die Gefahr von einer Figur mit einer psychischen Krankheit ausgeht, was mir am Anfang vor lauter Begeisterung über die Käfer eigentlich gar nicht aufgefallen war. Aber im Gegensatz zu anderen Geschichten dieser Art hatte ich hier halt nie das Gefühl, dass die Geschichte die Krankheit dämonisiert und das fand ich besonders hervorhebenswert.

Es gibt inzwischen immer mehr Diskussion darüber, dass bestimmte Muster, die in Geschichten immer wiederkehren, oft Botschaften über gesellschaftliche Minderheiten transportieren, und wie sich das auf unsere Wahrnehmung und unser Sozialverhalten auswirkt. Es gibt einige praktisch auf dieses Thema spezialisierte Blogs, die mit literarischen oder Filmklassikern teilweise hart ins Gericht gehen, weil da viel Rassismus, Seximus und sonstige Vorurteile drin stecken, die einem auf den ersten Blick gar nicht auffallen, wenn man nicht dafür sensibilisiert ist. Ich finde, das sind spannende und wichtige Diskussionen, und es ist gut, sich solche Sachen bewusst zu machen.
Aber ich finde auch, man sollte sich als Autor von solchen Überlegungen nie, nie, nie davon abhalten lassen, ein bestimmtes Thema literarisch zu verarbeiten oder eine bestimmte Art von Geschichte zu schreiben. Schon gar nicht, wenn man sowieso so feinfühlig schreiben kann wie du. :)

Im Moment sage ich mir, alle beiden Stellen finde ich schon gut und auch rund und passend. Von daher sollen sie mal bleiben.
Das ist voll in Ordnung, wie gesagt, das waren nur so Bauchgefühle.

Nur zu dem Kükenflaum, da bin ich mir sicherer, dass es bleiben soll. Weißt schon, die Haare an den Beinen. Du meinst, ich wollte da nur originell sein. Aber das stimmt nicht. Kann es sein, du bist dunkelhaarig?
Ja, wo wir grade beim Thema Bewusstmachen von Vorurteilen sind ... Da habe ich wirklich voll von mir auf andere geschlossen. :Pfeif:

Ich hätte glaube ich gern einen Vergleich mit Käferbeinchen drin gehabt, weil er ja zu den Käfern so eine besondere Beziehung hat und Küken in der Geschichte gar nicht vor kommen. Aber dass der Vergleich bei blonden Haaren exzellent passt, ist mir echt gar nicht in den Sinn gekommen. Also jetzt leuchtet es mir schon ein. :)

Jeder hat eine andere Lesart und jeder kommt beim Nachdenken über den Text auf wieder neue Gesichtspunkte.
Ich finde das kommt oft gerade dann zustande, wenn man keine Kommentare gelesen hat.
Das freut mich, dass ich noch etwas neues beitragen konnte. Aber ich werde trotzdem versuchen, mir den Thread noch durchzulesen, weil ich auch sehr gespannt bin, was andere zur Geschichte gesagt haben.

Liebe Grüße und schöne Fahrt (Urlaub?) :)

 

Liebe Novak:

Hab gerade deine Geschichte gelesen: bezaubernd (von der Sprache!), verstörend, berührend (tolle Figurencharakterisierungen!), spannend, sehr gelungen. Ein kleines Meisterwerk. Du hast dich noch mal gesteigert. In einer Horror-Anthologie hätte mir die Geschichte überdurchschnittlich gut gefallen.

lieben Gruß von petdays

 

Hallo Novak,

auch von mir an dieser Stelle noch ein großes Lob!
Die Geschichte kommt wirklich klasse daher! :thumbsup:

Da schon zwei Monate alt und auch reichlich kommentiert, erübrigt sich ein ausführlicher Kommentar.
Es wurde schon so viel dazu gesagt ...
Eine bisher nicht genannte Kleinigkeit stört mich jedoch am Ende:

Depressiv. Zu viele Es.

Das habe ich erst nicht verstanden.
Ich glaube, es müsste "Depressiv. Zu viele s." heißen, oder nicht?

Die Szene, wo Theo seine Mutter in die "Höhle" stößt, kommt zwar insgesamt etwas komisch rüber
(Ist der Junge so stark?), ist aber für das Gesamtbild egal!

SUPER!
Und Danke für den Grusel (nicht Horror!)

Pinkbaerbel

 

Vorweg:
Hallo petdays und pinkbaerbel
Ich war leider sehr verpeilt und habe die ganze Zeit eure Kommentare übersehen bzw vergessen, sie zu beantworten. Dafür entschuldige ich mich. Vielleicht lag es an meiner langen Abwesenheit.

Jetzt will ich das nachholen, auch wenn ich dadurch die alte Geschichte wieder hochbeame. Aber Antworten müssen einfach sein, auch wenn sie spät kommen.

In dem Zusammenhang auch noch mal einen ganz herzlichen Dank an dich Perdita für die erneute Rückmeldung. Ja kar, Diskussionen darüber, welche Nachhaltigkeit bestimmte literarische Muster haben, müssen sein. Ich kann mir übrigens vorstellen, dass es da auch eine umgedrehte Wirkungsfolge gibt. Nicht nur, dass Literatur Vorurteile bestätigen und verfestigen kann, sondern dass sie existierende Denkmechanismen spiegeln. Existierender Zeitgeist eben. Und manchmal weiß ich da auch nicht, was durch was und in der Folge was bewirkt.
Aber lieben Dank nochmal für die Gegenantwort.


Liebe petdays,
vielen dank für deinen Besuch. Irgendwie bedeutet mir ein Kompliment von dir noch immer besonders viel. ich weiß gar nicht so genau, woran das liegt. Vielleicht, weil ich dich schon so lange virtuell kenne?
Dein Lob hat mich wahnsinnig gefreut.
Lieben Gruß zurück an dich.


Hallo pinkbaerbel,
auch dir danke ich für dein Lob und das Lesen überhaupt. Das ist ja nichts Selbstverständliches, bei so vielen Geschichten, die hier immer eingestellt werden, schon gleich, wenn die Geschichte schon ein wenig älter ist.

Zu dem Ende der Geschichte sag ich jetzt nichts mehr, wirst du verstehen, da sind die Finger schon wund geschrieben. Außerdem habe ich dich so verstanden, dass du es lediglich anmerken wolltest. Aber zu deiner anderen Frage kann ich eine Antwort liefern.

Depressiv. Zu viele Es.
Das habe ich erst nicht verstanden.
Ich glaube, es müsste "Depressiv. Zu viele s." heißen, oder nicht?
Doch es soll und muss zu viel "e" heißen, nicht s. Wahrscheinlich ist das durch das "Es" unverständlich. Der Junge stört sich an dem Vokal e. Den mag er einfach nicht. Das kommt in der Geschichte vorher schon mal vor.
Diese Stelle hier verdeutliche ich dann wohl noch mal durch eine andere Schreibweise. Danke für den Hinweis.

Vielen Dank euch allen noch einmal für die Auseinandersetzung mit meiner Geschichte und überhaupt für das Lesen und Kommentieren.

 

Es gibt finde ich so viele Romane oder Geschichten des Genres, in denen dem Monster ein sehr menschlicher Zug gegeben wird.

Tragische Monster wie Frankensteins Kreatur und solche, die faszinieren, weil man ihr Handeln überhaupt nicht nachvollziehen kann (Hannibal Lecter, zumindest bis er seine Hintergrundgeschichte bekam), haben beide was für sich. Mir ging es nicht darum, dass man sich im Käferjungen wiederfinden soll, schon gar nicht muss, sondern dass es die Geschichte einem nicht leicht macht, sich überhaupt in irgendwem wiederzufinden. Das kann es dann anspruchsvoller machen - ich habe mal jemanden Full Metal Jacket loben hören, weil der keine Identifikationsfigur böte -, aber anspruchsvoller kann eben auch kälter bedeuten, schwerer zugänglich.

kann nur immer wieder sagen, dass mich gerade das Abgründige in solchen Figuren fasziniert

Meinst du mit abgründig Negatives oder allgemein alles, was nicht auf den ersten Blick sichtbar oder nach einem kurzen Gespräch offensichtlich ist? Du musst ja die King-Geschichte lieben, die von einem wahren Fall inspiriert ist, wo die Ehefrau jahrelang nicht bemerkt hat (haben will), dass ihr Mann ein Serienkiller mit Faible für übelste Gewaltpornografie ist.

Lass die Sprache, wie sie ist. Jedem fällt immer irgendwas auf.

Ein Arbeitskollege, der um meinen Horrorfetisch weiß, fragte mich neulich, ob ich den Film "Kreaturen" kenne. Als er den Inhalt beschrieb, habe ich "Freaks" erkannt. Ich denke bei der Altersklasse dann halt an meine Eltern, die würden das Wort so nicht benutzen. Brownings Film ist meine ich erst Jahrzehnte später nach Deutschland gekommen, weil Goebbels nur Komödien und Heimatfilme ins Kino gelassen hat und Deutschland nach dem Krieg erstmal andere Sorgen hatte. Ich kann's bei Google nicht finden, aber ich weiß noch, dass ich den Kind mal im Spätprogramm mit Untertiteln gesehen habe, und der Grund war meine ich, dass der eben nie so synchronisiert worden war.

Aber ich mutmaße. Ist ja schön, wenn einen eine Geschichte so ins Quaken bringt. :)

Grüße
JC

 
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Lieber Proof, schön, dass du dich noch mal gemeldet hast.

Mir ging es nicht darum, dass man sich im Käferjungen wiederfinden soll, schon gar nicht muss, sondern dass es die Geschichte einem nicht leicht macht, sich überhaupt in irgendwem wiederzufinden. Das kann es dann anspruchsvoller machen - ich habe mal jemanden Full Metal Jacket loben hören, weil der keine Identifikationsfigur böte -, aber anspruchsvoller kann eben auch kälter bedeuten, schwerer zugänglich.
Achso, jetzt verstehe ich dich erst richtig. Ich dachte, du meinst, man MÜSSTE ganz unbedingt eine unmittelbare Identifikation erreichen. So als Genre-Anforderung. Aber jetzt verstehe ich dich besser. Und ja klar, Figuren, die einem dies erschweren, haben ihre Berechtigung, sind aber schwerer zugänglich. Leuchtet mir ein. Hier beim Käferkönig ist mir aufgefallen, dass es Leser gibt, denen der Zugang gelang. Aber wohl eben nur etappenweise. Weil die Figur aus meiner Sicht halt auch kindliche Züge hat. Aber das wird dann durch andere Punkte, seine Obsessionen zum Beispiel wieder rausgerissen. Also schwerer zugänglich definitiv, da hast du Recht.

Meinst du mit abgründig Negatives oder allgemein alles, was nicht auf den ersten Blick sichtbar oder nach einem kurzen Gespräch offensichtlich ist?
Ich hatte Negatives gemeint.
Aber so ganz generell denke ich, Figuren sind erst dann interessant, wenn sie nicht auf den allerersten Blick alles offenbaren. Ob das nun Negatives ist oder einfach eine zweite Problemebene. Das hinzukriegen ist allerdings manchmal nicht so ganz einfach.

Du musst ja die King-Geschichte lieben, die von einem wahren Fall inspiriert ist, wo die Ehefrau jahrelang nicht bemerkt hat (haben will), dass ihr Mann ein Serienkiller mit Faible für übelste Gewaltpornografie ist.
He, ich kenn die nicht. Und ich kenn eigentlich fast alle bis auf diese Turm-Bände, die mocht ich nicht so.

Und ja, die Sprache lass ich so, ist manchmal sehr Geschmackssache. Ich mach halt gerne alle groben Schnitzer raus, und natürlich das, was mir so alles einleuchtet, aber klar, man muss ja seinen Weg gehen. Ich bin mit dieser Geschichte immer noch nicht fertig. Also Kleinigkeiten halt nur, da kann duchaus sein, dass ich für mich zuhause doch noch mal was verändere.

Brownings Film ist meine ich erst Jahrzehnte später nach Deutschland gekommen, weil Goebbels nur Komödien und Heimatfilme ins Kino gelassen hat und Deutschland nach dem Krieg erstmal andere Sorgen hatte. Ich kann's bei Google nicht finden, aber ich weiß noch, dass ich den Kind mal im Spätprogramm mit Untertiteln gesehen habe, und der Grund war meine ich, dass der eben nie so synchronisiert worden war.
Ja, der kam erst viel später nach Deutschland. In der NS-Zeit wäre der hier als entartet verboten worden. Ich glaub, der hatte auch in den USA große Schwierigkeiten. Aber das müsste ich noch mal nachlesen. Ich les für sowas immer in irgendwelchen online verfügbaren Filmlexika, da steht dann mehr als in der Wikipedia.
Ich hab den Film damals gesehen, da war ich was zwischen 25 und 35. Genau weiß ich das nicht mehr. Ist schon so lang her. :D Aber bestimmt mit Untertiteln. War oft so damals.

Vielen Dank nochmal für deine Gedanken. Ich freu mich immer total, wenn du aufkreuzt.

Viele Grüße von Novak, die an einem Bahnhof im Norden gestrandet ist und die Zeit zum Antworten nutzen kann. :)

 

Ich arbeite und lebe in der Nähe von Hannover, falls du nachher 'n Sofa brauchst. Aber im Moment scheint es sich ja wieder zu beruhigen. Ich drück dir die Daumen. Mehr die Woche, muss gleich zur Arbeit!

 

Hey, du bist goldig. Hab grad Hotel gebucht. Aber einfach saunett von dir. Geb dir ein Bier aus auf die Ferne nach dem Job.

 
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Klar, Figuren sollte man Schicht für Schicht kennenlernen. Ist ja im Leben auch so.

Ich hab die Türme gelesen, messe denen aber weniger Bedeutung bei als viele Fans und King selbst. Diese Versuche, eigene Idiome und Redensarten zu kreieren, und dieses Revolvermanngebet, da zieht sich bei mir immer alles zusammen, ich find das eher recht peinlich. Also die Saga ansich finde ich schon cool, aber dieses "Ich schieße mit dem Herzen" und so, brr, so'n Quatsch. :)

Die Geschichte heißt A Good Marriage und steht in Full Dark, No Stars. Sie ist wie gesagt inspiriert von einem wahren Fall, die Frau hat eben vor Gericht behauptet, von alledem nichts gewusst zu haben. King hat in der Anthologie wieder zu jeder Geschichte einen kurzen Non-Fiction-Text, da sagt er, er war damals wohl einer von drei oder vier Leuten in den USA, die ihr geglaubt haben. AGM wurde vor drei Jahren auch von Netflix verfilmt. Zum Thema "nicht auf den ersten Blick alles preisgeben" könnte dich das interessieren.

Hoffe, du bist gut nach Hause gekommen.

 

Ich hab die Türme gelesen, messe denen aber weniger Bedeutung bei als viele Fans und King selbst. Diese Versuche, eigene Idiome und Redensarten zu kreieren, und dieses Revolvermanngebet, da zieht sich bei mir immer alles zusammen, ich find das eher recht peinlich. Also die Saga ansich finde ich schon cool, aber dieses "Ich schieße mit dem Herzen" und so, brr, so'n Quatsch.
Ja, begonnen hatte ich auch. Aber mir gings ähnlich. "Schwarz" hatte ich noch gelesen, aber auch das fiel mir schon schwer und bei "Drei" bin ich dann ausgestiegen. War eines der wenigen Bücher überhaupt, das ich nicht fertig gekriegt habe. Und dann noch von King. Also so ganz kapiere ich es immer noch nicht, was mich so abge"schreckt" hat. Genauso wenig verstehe ich aber auch, warum King diesen Zyklus als sein wichtigstes Werk bezeichnet.

Die Geschichte heißt A Good Marriage und steht in Full Dark, No Stars. Sie ist wie gesagt inspiriert von einem wahren Fall, die Frau hat eben vor Gericht behauptet, von alledem nichts gewusst zu haben. King hat in der Anthologie wieder zu jeder Geschichte einen kurzen Non-Fiction-Text, da sagt er, er war damals wohl einer von drei oder vier Leuten in den USA, die ihr geglaubt haben. AGM wurde vor drei Jahren auch von Netflix verfilmt. Zum Thema "nicht auf den ersten Blick alles preisgeben" könnte dich das interessieren.
Das schau ich mir an. Ich hab eben nachgeguckt, das gibt es auch auf Deutsch. Ist tatsächlich an mir vorbei gegangen bisher. Danke für den Tipp.

Hoffe, du bist gut nach Hause gekommen.
Klar.
Bis die Tage
Novak

 

Erzählerisch ist das so, wenn ich’s verstanden habe: Im Zentrum steht der Turm. Von dem gehen Balken aus. Die stehen im Grunde für die Universen, in denen Kings Geschichten spielen. Ein Multiversum. Geht der Turm kaputt, geht alles kaputt.

Außerdem hat er im College damit angefangen und ist mit 70 immer noch nicht durch, ich meine gelesen zu haben, dass er demnächst nochmal eins nachschiebt.

 

Oh, vielen Dank, so spät kommt da noch ein Kommentar. Vielen Dank für das Lob, @sunshine49, das nehme ich als Weihnachtsgeschenk.
Alles Gute dir wünscht Novak

 

Dann schiebe ich gerne noch ein Geschenk nach, schön, deine Geschichte entdeckt zu haben. Das ist der feine, sich steigernde Grusel, den sehr gerne lese. Ein Sog. Danke.

 

Auch dir ein ganz herzliches Dankeschön. Freut mich, wenn die Geschichte einen Sog entfalten konnte.
Alles Gute und bis demnächst.
Novak

 

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