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Ich bin nicht mehr allein
Gebaut wurde ich 1970. Also, zuerst wurde ich natürlich ausgehoben. Zwei Tage lang wurde ich ausgebaggert. Dann wurde ich verschalt und mein Fundament entstand. Ein halbes Jahr hatte es gedauert, dann waren sie endlich fertig mit mir.
Meine erste Familie zog am 13. Juni 1970 ein. So einen Tag vergisst man nicht, deine erste Familie ist etwas ganz besonderes. Ich wusste nicht, was mich erwartete, hatte keine Ahnung von meiner Aufgabe, meiner Bestimmung. Fünf Jahre lang habe ich geglaubt, ich wäre dafür da auf Kisten und Flaschen, auf Werkzeug und Sportsachen aufzupassen. In mir wurde gearbeitet, an der Werkbank, manchmal wurde in mir auch gefeiert. Ja, es gab einiges, das ich zu bieten hatte: Ich passte auf die Heizung auf, ich hatte eine richtig schöne Partyecke und im fünften Jahr hatte mir meine Familie sogar eine Sauna eingebaut. Und damit fing alles an, rückblickend kann ich sagen, dass ich so von meiner Bestimmung erfuhr...
Die Sauna war seit zwei Wochen aufgebaut und von meiner Familie heiß und innig benutzt worden. Fast täglich kamen die Eltern, Hans und Tascha, zu mir, eingehüllt in ihre Frotteebademäntel und verschwanden in der Holzkabine. Ich wusste nicht, warum sie das taten, von den Menschen verstand ich sowieso nicht viel. Aber es schien ihnen zu gefallen, in einem kleinen, geschlossenen Raum zu verschwinden, in dem es fürchterlich heiß war. Ich mochte die Kälte lieber, war es gewohnt die kühle, nasse Erde um mich herum zu spüren. Für mich war es schon eine Qual, den Heizkessel auszuhalten. Deshalb war ich auch immer sehr froh, wenn meine Menschen mit ihrer Sauna fertig waren und die Hitze nachließ.
An einem Nachmittag kam Björn die Treppe zu mir hinunter. Er war genauso alt wie ich, wir waren im selben Jahr geboren. Ich habe ihn als Baby gesehen und beobachtet wie er größer wurde. Ich konnte nicht wachsen, Björn schon. Als er die Treppe runterkam, wurde mir bewusst, wie neidisch ich auf ihn war. Natürlich gehörte er zur Familie, genau wie ich. Aber ich hatte das Gefühl, dass er viel wichtiger für Hans und Tascha war, als ich für sie. Es gab Tage, da machte mich das rasend.
Er ging bis zur Sauna und blieb vor der Holztür stehen. Ich bemerkte, wie er sich verstohlen nach allen Seiten umsah und mir wurde klar, dass dieser kleine Mensch gleich etwas Verbotenes tun wollte. Björn schaltete die Sauna ein, öffnete die Holztür und ging hinein. Warum tat er das? Er war doch noch nie in der Sauna. Ich bemerkte, wie langsam die Hitze in der Kabine anstieg. Lange würde der kleine Mann das bestimmt nicht aushalten, da war ich mir sicher. Bald würde er wieder herauskommen, schwitzend, keuchend. Aber Björn kam nicht raus, er klopfte und schrie dort drinnen.
Ob er die Tür nicht aufkriegt? Vielleicht sollte ich ihm helfen? Ich...
In diesem Moment geschah es. Mir wurde klar, dass ich ihm nicht helfen durfte! Er tat doch etwas Verbotenes, und nun wurde er dafür bestraft!
Ich erkannte, dass es für Björn zu einem Ende kommen musste, hier und jetzt, in mir. Ich war für ihn verantwortlich, denn er war zu mir gekommen. Die Stromleitungen, die zu der Sauna gingen waren durch mein Fundament gezogen. Mit all meiner Kraft konzentrierte ich mich und zog immer mehr Energie aus dem Netz und leitete es der Sauna zu. Je heißer es da drin wurde, desto schwächer wurde das Schreien und Pochen des Jungen. Dann versiegten seine Kräfte und ich spürte wie das Leben aus ihm wich.
Ich hatte das getan! Jetzt wusste ich was Macht war, was es bedeutete für einen Menschen da zu sein, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen.
Was würden seine Eltern sagen, wenn sie den toten Jungen fanden? Würden Sie mir danken? Vielleicht würden Sie endlich erkennen, wie viel sie an mir haben und welche wichtige Stellung ich in unserer Familie habe.
Ich begann, mir eine rosige Zukunft auszumalen, geprägt von Respekt und Achtung mir gegenüber. Doch ich hatte mich bitter getäuscht. Statt mich zu loben, weinten und schrieen sie! Grässliche Sirenen ertönten, Männer rannten hektisch in mich hinein und untersuchten alles stundenlang! Doch das Schlimmste war, dass ab diesem Tag keiner mehr zu mir kam. Sie mieden mich, ganz so als würden mir übel nehmen, was passiert war.
So waren also die Menschen, jetzt hatten sie mir ihre wahre Natur gezeigt. Dafür hatten sie mich also gebaut, um mich zu vergessen und zu ignorieren, wenn man einmal etwas für die Familie tat. Ich wurde rasend vor Wut!
Irgendwann mussten sie ja wieder zu mir kommen, es war nur eine Frage der Zeit. Und ich war darauf vorbereitet, hatte die Stromleitungen präpariert und die Stufen zu mir gelockert.
Nach drei Wochen war es soweit. Hans kam zu mir. Stockend und langsam ging er die Treppe hinunter.
Du tust gut daran ein schlechtes Gewissen zu haben! Aber es wird dir nichts nützen, kann dich nicht mehr retten, dachte ich.
Die Treppe ließ ich ihn noch ungehindert passieren. Ich musste mir ja auch noch was für Tascha aufheben. Als er am Heizungsraum vorbeiging, ließ ich es geschehen. Die Stromleitung wurde von mir unterbrochen und Hans konnte nichts mehr sehen. Ich spürte seine Hände unruhig an mir entlang streifen. Bevor er wieder aus mir hätte herausfinden können, ließ ich die Heißwasserleitung zerplatzen und der Strahl, der aus den Rohren schoss, erwischte den Mensch mitten im Gesicht. Er schrie und jammerte, ließ sich auf die Knie fallen und wälzte sich dann vor Schmerzen auf meinem Boden. Ich genoss sein Gekreische, sein Wimmern. Dann ließ ich das schwere Eisenregal mit voller Wucht auf ihn fallen und verschlang gierig das Geräusch berstender Knochen.
Natürlich hatte der Höllenlärm, den wir veranstalteten, mittlerweile seine Frau angelockt. Genau wie geplant. Tascha erledigte ich mit der Treppe, mit voller Wucht knallte sie auf meinem Boden auf, dann flog ihr auch schon die Werkbank entgegen. Die Kreissäge hatte ich vorher eingeschaltet und mit einem kurzen Aufjaulen bohrten sich die Sägeblätter durch ihre Brust. Ihr warmes Blut strömte auf meinen Boden und ich genoss das Gefühl. Zum erstenmal mochte ich die Wärme und wusste, dass ich danach süchtig werden würde.
Heute ist ein schöner Tag. Vier weitere Familien hatten in mir gewohnt, alle mit Kindern. Ich hasste Kinder und so beseitigte ich alle im Laufe der Jahre. Doch immer wieder zog eine neue Familie in mich ein. Bei der letzten zog ich alle Register, ich schlachtete die Zinkens so bestialisch ab, dass sogar den Polizisten und Sanitätern in mir kotzschlecht wurde. Danach stand ich für viele Jahre leer. Ich genoss die Ruhe, aber ich wurde auch einsam. Bis heute.
Seit heute bin ich nicht mehr allein. Es ist jemand besonderes eingezogen, jemand der zu mir wollte. Jemand der mit mir spricht. Jemand der weiß, was ich bin und was ich kann. Jemand, der wie ich das Blut mag, wenn es noch warm aus den Menschen läuft. Ein Schauer vor Glück und vor Freude lief mir heute morgen über das Fundament, als er zu mir sagte: "Ich weiß alles über dich, alles was du mit deinen Bewohnern gemacht hast. Hast sie gekillt. Gegrillt und gekillt! Du hast mich gerufen, Süße, und hier bin ich. Auch ich habe getötet, oft sogar. Ich werde nun in dir töten, sie fangen, foltern und zerstückeln. Das gefällt dir, nicht wahr? Ich kann es spüren!"
Heute ist der Tag, an dem ich neu geboren wurde. Ich werde alles für ihn tun, alles! Er bringt gerade eine große Kiste in mich hinein, ich kann hören dass dort drinnen etwas lebt und atmet. Heute Abend werden wir feiern.