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Ich mit mir
Kaum geht die Arbeit wieder los, scheint draußen die Sonne. Es wird Herbst und vielleicht zur Vorbereitung auf den Winter sind die Lampen an. Steriles Neonlicht. Es macht müde. Der Cursor auf dem Bildschirm blinkt mich nervend und mit konstanter Boshaftigkeit an, während ich versuche, mich zu überwinden endlich zu arbeiten. Es geht nicht - so gar nicht! Ich drehe mich nach hinten gelehnt mit meinem Stuhl hin und her, die Arme hinterm Kopf, nach oben und nirgends schauend. Von den vier Leuchtstoffröhren pro Einheit leuchten jeweils nur zwei. Die beiden äußeren.
Es ist die letzte Woche vom Werksurlaub und wo sonst eine ganze Kleinstadt arbeiten kommt, geben sich eine Notbesetzung, Workaholics, Servicekräfte und Putzfrauen die Klinke in die Hand. Der zweiten Putzfrau am heutigen Morgen habe ich den Gefallen getan und vorher in den frischen Müllbeutel meine Müsliriegelverpackung gelegt. Sie sah glücklich aus als sie den Beutel mitnahm.
Ich höre mit dem Stuhlgewackel auf. Alles andere bleibt so. Mit der Lehne voran tippele ich ganz langsam vom Schreibtisch weg, mit dem Kopf ein kleines Stück weit am Schrank vorbei und lucke nach rechts: keiner da, alles ruhig. Zehn Rechner surren vor sich hin - meiner ganz besonders penetrant. Also gehe ich erstmal Kaffe kochen. Mit der Kanne voll Wasser aus der Teeküche in der Hand stoße ich die Tür auf:
„Keiner bewegt sich! Das ist ein Überfall!",
Die Tür fällt gegen die Wand, Rechnergesurre und leises Wassergeplämper aus der Kanne. Immer noch keiner da. Ich griene in mich hinein, besonders über die Tatsache, daß ich mir irgendwie gerade selber einen Witz erzählt hab. Bei der Vorstellung daran, daß in der Zwischenzeit jemand gekommen sein könnte und mich wohl für komplett bescheuert gehalten hätte, schäme ich mich ein bißchen. Ich hasse dieses Schamgefühl und denke schnell an was anderes.
Da nur ein Teelöffel, statt wie gewohnt ein richtiger Kaffeelöffel, zum Befüllen der Maschine da war, bleibe ich am Platz und beaufsichtige das Experiment. In Haushaltsfragen zeichne ich mich nicht gerade durch allumfassende Flexibilität aus. Ein halb- etwa brusthoher Schrank dient als Abgrenzung zum Arbeitsplatz mit Panoramablick auf das schwarze Kaffeegold. Darauf die ‚neue’ Autobild. Ich blättere ein wenig, während die Maschine gemächlich vor sich hinzischend und -blubbernd das Wasser aufs Pulver pumpt. Das Aroma steigt mir sanft in die Nase. Herrlich! Ich muß an diese „Wir haben uns alle furchtbar lieb Jacobs Werbung“ denken: Lichtüberflutet, grüne Vorhänge, eigentlich ist alles (Produkt-)grün, und stinkend vor Harmonie, Frieden und Einigkeit. Aber offenkundig scheint sie ja zu funktionieren.
„Ihr seid in mein Unterbewußtsein eingebrochen.“, sage ich leise und natürlich ein bißchen ironisch überspitzt: „Ihr Produktfaschisten!“
Ich muß schon wieder schmunzeln. Plötzlich geht die Tür auf. Es ist die nette ältere Dame aus dem Büro gegenüber. Ich kenne sie kaum; aber wir geben uns die Hand und sagen guten Morgen. Sie lächelt immer, wenn sie mich sieht und scheint von innen heraus zu strahlen und glücklich zu sein. Ich mag sie. Bei ihr scheint wohl der Aromatrick auch zu funktionieren. Sie macht einen Schritt weiter in den Raum, streckt den Hals und schaut sich um:
„Ist gar keiner da?“
Ich gucke von der Zeitung hoch, immer noch lächelnd aber jetzt höflicher und mehr wegen ihrer lieben Person, und zähle auf, wen ich heute zumindest schon gesehen habe und auf wessen Anwesenheit man auf Grund gesperrter Rechner oder Aktentaschen und Pausenbroten auf dem Tisch schließen kann. Sie schaut immer noch ein bißchen erwartend. Ich hätte gerne länger mit ihr gesprochen, aber was soll ich schon auf eine halb rhetorisch gestellte Frage antworten. Was soll ich ihr noch erzählen, was sie nicht selber weiß? Immerhin ist sie gute 25 Jahre älter. Sie geht mit einem freundlichen „Naja“. Ich ziehe die Mundwinkel breit, zucke mit den Schultern und atme etwas tiefer durch. Schade.
Viel zu spät höre ich die Schritte auf dem Gang. Das ganze Büro und selbst der Flur sind mit robustem, grau-blauem Gewerbeteppich ausgelegt. Vielleicht deswegen. Mit bleiben noch ein paar Sekunden bevor die Tür aufgeht und ich denke mir:
„Super! Zeitung lesend und Kaffee trinkend! Der beste erste Eindruck am Morgen überhaupt!“
Aber was soll’s. Bis zum Schreibtisch in der Ecke ist es zu weit, zumal die Kaffeetasse noch fast voll ist. Mit Papiertüchern vom Klo zu versuchen, Kaffeeflecken aus dem Boden zu reiben, würde vermutlich nicht besser aussehen und ohnehin hab ich das Gefühl, daß man mich sowieso schon für verrückt hält.
Es ist der komische Typ vom anderen Ende des Büros. Er wirkt in Eile und bringt im Vorbeigehen ein außer Atem geratenes „Guten Morgen“ heraus. Ich trinke gerade und nicke zurück. Er stellt seine schwule Umhängetasche ab und lockt sich in seinen Rechner ein. So ein ledernes Brottäschchen hatte ich im Kindergarten auch. Nur eben ein bißchen kleiner. Mit dem Rücken zu mir und immer noch stehend, über seinen Rechner und Tastatur gebeugt, fragt er beinahe überrascht:
„Sie auch hier?“
„Tja, ließ sich leider nicht vermeiden!“
Ich bin ein wenig überrascht über die schlagfertige Reaktion und die offenkundige Ehrlichkeit meiner Antwort. Er dreht seinen Kopf so weit es geht beiseite und lacht. Ich weiß, er versucht nicht einmal mich anzuschauen.
Gestern noch habe ich ihn in der Stadt gesehen und von weitem schon erkannt. Bei der Tasche kein Wunder. Auch er hat mich erkannt. Ganz sicher! Ich bin sogar von der gegenüberliegenden Seite ein wenig weiter in die Mitte geschlendert, ein Stück weit rüber zu ihm. Beinahe auf gleicher Höhe hab ich gegrüßt, mit dem Kopf genickt und ihn dabei freundlich angesehen. Doch er hatte sich schon weggedreht und in ein Schaufenster geblickt. Ein Laden für Damenunterwäsche, in dem eine Verkäuferin gerade ruppig die Schaufensterpuppe zu Recht rückte. Er wie sie wirkten immer noch steif und gestellt, aber bei der Puppe bestand immerhin Hoffnung auf Besserung.
Das ganze war mir peinlich. Ich drehte mich kurz um und schaute, ob mich jemand bei diesem gesellschaftlichen Fauxpas beobachtet hatte. Als wäre es nicht schon schlimm genug, daß in dieser Gegend Ignoranz und Anonymität im Allgemeinen das höchste Maß an erreichbarer Integration zu sein scheint, hatte ich in diesem Moment das Gefühl, durch eine schmale Gasse starrender Leute gehen zu müssen. Sie tuscheln mit vorgehaltener Hand. Die andere haben sie auf die Hüfte gestützt oder zeigen auf mich. Ich nahm den kürzesten Weg aus dieser Hölle, auch wenn es einen Umweg bedeutete.
Etwas weiter ab in der nächsten Seitenstraße wird aus der Flucht ein wütender Marsch und aus Scham Haß. Haß auf diese viel zu enge Welt und furchtbare Kulisse und ganz viel auf mich selbst.
Mein Hals tut weh und das Schlucken fällt mir schwer.
Es ist die letzte Woche vom Werksurlaub und wo sonst eine ganze Kleinstadt arbeiten kommt, geben sich eine Notbesetzung, Workaholics, Servicekräfte und Putzfrauen die Klinke in die Hand. Der zweiten Putzfrau am heutigen Morgen habe ich den Gefallen getan und vorher in den frischen Müllbeutel meine Müsliriegelverpackung gelegt. Sie sah glücklich aus als sie den Beutel mitnahm.
Ich höre mit dem Stuhlgewackel auf. Alles andere bleibt so. Mit der Lehne voran tippele ich ganz langsam vom Schreibtisch weg, mit dem Kopf ein kleines Stück weit am Schrank vorbei und lucke nach rechts: keiner da, alles ruhig. Zehn Rechner surren vor sich hin - meiner ganz besonders penetrant. Also gehe ich erstmal Kaffe kochen. Mit der Kanne voll Wasser aus der Teeküche in der Hand stoße ich die Tür auf:
„Keiner bewegt sich! Das ist ein Überfall!",
Die Tür fällt gegen die Wand, Rechnergesurre und leises Wassergeplämper aus der Kanne. Immer noch keiner da. Ich griene in mich hinein, besonders über die Tatsache, daß ich mir irgendwie gerade selber einen Witz erzählt hab. Bei der Vorstellung daran, daß in der Zwischenzeit jemand gekommen sein könnte und mich wohl für komplett bescheuert gehalten hätte, schäme ich mich ein bißchen. Ich hasse dieses Schamgefühl und denke schnell an was anderes.
Da nur ein Teelöffel, statt wie gewohnt ein richtiger Kaffeelöffel, zum Befüllen der Maschine da war, bleibe ich am Platz und beaufsichtige das Experiment. In Haushaltsfragen zeichne ich mich nicht gerade durch allumfassende Flexibilität aus. Ein halb- etwa brusthoher Schrank dient als Abgrenzung zum Arbeitsplatz mit Panoramablick auf das schwarze Kaffeegold. Darauf die ‚neue’ Autobild. Ich blättere ein wenig, während die Maschine gemächlich vor sich hinzischend und -blubbernd das Wasser aufs Pulver pumpt. Das Aroma steigt mir sanft in die Nase. Herrlich! Ich muß an diese „Wir haben uns alle furchtbar lieb Jacobs Werbung“ denken: Lichtüberflutet, grüne Vorhänge, eigentlich ist alles (Produkt-)grün, und stinkend vor Harmonie, Frieden und Einigkeit. Aber offenkundig scheint sie ja zu funktionieren.
„Ihr seid in mein Unterbewußtsein eingebrochen.“, sage ich leise und natürlich ein bißchen ironisch überspitzt: „Ihr Produktfaschisten!“
Ich muß schon wieder schmunzeln. Plötzlich geht die Tür auf. Es ist die nette ältere Dame aus dem Büro gegenüber. Ich kenne sie kaum; aber wir geben uns die Hand und sagen guten Morgen. Sie lächelt immer, wenn sie mich sieht und scheint von innen heraus zu strahlen und glücklich zu sein. Ich mag sie. Bei ihr scheint wohl der Aromatrick auch zu funktionieren. Sie macht einen Schritt weiter in den Raum, streckt den Hals und schaut sich um:
„Ist gar keiner da?“
Ich gucke von der Zeitung hoch, immer noch lächelnd aber jetzt höflicher und mehr wegen ihrer lieben Person, und zähle auf, wen ich heute zumindest schon gesehen habe und auf wessen Anwesenheit man auf Grund gesperrter Rechner oder Aktentaschen und Pausenbroten auf dem Tisch schließen kann. Sie schaut immer noch ein bißchen erwartend. Ich hätte gerne länger mit ihr gesprochen, aber was soll ich schon auf eine halb rhetorisch gestellte Frage antworten. Was soll ich ihr noch erzählen, was sie nicht selber weiß? Immerhin ist sie gute 25 Jahre älter. Sie geht mit einem freundlichen „Naja“. Ich ziehe die Mundwinkel breit, zucke mit den Schultern und atme etwas tiefer durch. Schade.
Viel zu spät höre ich die Schritte auf dem Gang. Das ganze Büro und selbst der Flur sind mit robustem, grau-blauem Gewerbeteppich ausgelegt. Vielleicht deswegen. Mit bleiben noch ein paar Sekunden bevor die Tür aufgeht und ich denke mir:
„Super! Zeitung lesend und Kaffee trinkend! Der beste erste Eindruck am Morgen überhaupt!“
Aber was soll’s. Bis zum Schreibtisch in der Ecke ist es zu weit, zumal die Kaffeetasse noch fast voll ist. Mit Papiertüchern vom Klo zu versuchen, Kaffeeflecken aus dem Boden zu reiben, würde vermutlich nicht besser aussehen und ohnehin hab ich das Gefühl, daß man mich sowieso schon für verrückt hält.
Es ist der komische Typ vom anderen Ende des Büros. Er wirkt in Eile und bringt im Vorbeigehen ein außer Atem geratenes „Guten Morgen“ heraus. Ich trinke gerade und nicke zurück. Er stellt seine schwule Umhängetasche ab und lockt sich in seinen Rechner ein. So ein ledernes Brottäschchen hatte ich im Kindergarten auch. Nur eben ein bißchen kleiner. Mit dem Rücken zu mir und immer noch stehend, über seinen Rechner und Tastatur gebeugt, fragt er beinahe überrascht:
„Sie auch hier?“
„Tja, ließ sich leider nicht vermeiden!“
Ich bin ein wenig überrascht über die schlagfertige Reaktion und die offenkundige Ehrlichkeit meiner Antwort. Er dreht seinen Kopf so weit es geht beiseite und lacht. Ich weiß, er versucht nicht einmal mich anzuschauen.
Gestern noch habe ich ihn in der Stadt gesehen und von weitem schon erkannt. Bei der Tasche kein Wunder. Auch er hat mich erkannt. Ganz sicher! Ich bin sogar von der gegenüberliegenden Seite ein wenig weiter in die Mitte geschlendert, ein Stück weit rüber zu ihm. Beinahe auf gleicher Höhe hab ich gegrüßt, mit dem Kopf genickt und ihn dabei freundlich angesehen. Doch er hatte sich schon weggedreht und in ein Schaufenster geblickt. Ein Laden für Damenunterwäsche, in dem eine Verkäuferin gerade ruppig die Schaufensterpuppe zu Recht rückte. Er wie sie wirkten immer noch steif und gestellt, aber bei der Puppe bestand immerhin Hoffnung auf Besserung.
Das ganze war mir peinlich. Ich drehte mich kurz um und schaute, ob mich jemand bei diesem gesellschaftlichen Fauxpas beobachtet hatte. Als wäre es nicht schon schlimm genug, daß in dieser Gegend Ignoranz und Anonymität im Allgemeinen das höchste Maß an erreichbarer Integration zu sein scheint, hatte ich in diesem Moment das Gefühl, durch eine schmale Gasse starrender Leute gehen zu müssen. Sie tuscheln mit vorgehaltener Hand. Die andere haben sie auf die Hüfte gestützt oder zeigen auf mich. Ich nahm den kürzesten Weg aus dieser Hölle, auch wenn es einen Umweg bedeutete.
Etwas weiter ab in der nächsten Seitenstraße wird aus der Flucht ein wütender Marsch und aus Scham Haß. Haß auf diese viel zu enge Welt und furchtbare Kulisse und ganz viel auf mich selbst.
Mein Hals tut weh und das Schlucken fällt mir schwer.