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Ich und Batman
Batman hat gesagt: »Du bist kein Baby mehr - wehr dich, wenn dich was nervt!« Dann hat er so seltsame Bewegungen gemacht. Wahrscheinlich sollten das irgendwelche Kung-Bat-Fu-Moves sein oder so. Sah ulkig aus, ganz besonders, als Batman sich in seinem Cape verhedderte und hinknallte.
Als ich ihn aufheben und zurück ins Regal stellen will, tobt er furchtbar. »Lass das, Batman braucht keine Hilfe!« Er bläht seine Brust auf. »Batman ist ein Synoknym für Hilfe! Und heute« - das Grinsen unter seiner Plastikmaske lässt mich schlagartig verstehen, weswegen Batman auch der Dunkle Rächer genannt wird - »helfe ich dir!«
»Das ist ja ... öhm super!« Ich verkneife mir die Bedenken, ob denn eine Actionfigur die Art Hilfe sein kann, die ich benötige. So recht weiß ich auch noch nicht, was denn eigentlich mein Problem ist, von dem mich Batman befreien will.
»Sag nie wieder super!«, keift Batman. »Super hier, super da, das geht mir echt aufs Cape. Ein bisschen Kryptonit und schon kippt der Kerl um. Pah! Eigentlich hätte ich Superman heißen sollen, aber Clark wollte nicht mit mir tauschen.«
»Nicht?«, frage ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen könnte.
»Erst hat er ja gesagt, aber dann ist er durcheinander gekommen mit dem hin- und her maskieren. Weißt schon, er maskiert sich, wenn er Clark wird, ich maskiere mich, wenn ich Batman werde. Der macht das falsch rum. Man maskiert sich, um Superheld zu sein, nicht anders rum. Das wissen doch alle, frag Spidey, frag Dare Devil, frag das Phantom - nur Superman hat's nicht kapiert.«
»Ah.«
»Genau, also sprich nicht von ihm, der ist ne Niete, überhaupt dieses lächerliche Kostüm. Blau, gelb und nicht zu vergessen - dieses entzückende Rot. Violett ist die Farbe der Zukunft, das sage ich dir!«
»Su ... Okay, dann hilfst du mir jetzt also.«
Batman nickt.
Ich warte, Batman nickt weiter, tippt sich mit dem Daumen auf die Brust. Ich warte noch ein bisschen, Batman tippt und nickt weiter. Schließlich halte ich es nicht länger aus und frage: »Du sag mal ... Wobei hilfst du mir eigentlich?«
Batman macht unter seiner Maske große Augen. »Wobei?«, kreischt er. »Du fragst wobei?«
Ich nicke, leicht eingeschüchtert.
»Er fragt wobei, er fragt wobei.« Batman schüttelt tadelnd den Kopf, aber mir entgeht nicht, dass er sich dabei Hilfe suchend umsieht.
»Na bei ... bei ... ähm ... «
Da wird plötzlich die Tür aufgerissen und mein Bruder Markus stürmt herein.
»Du musst anklopf-«, begehre ich auf, aber Markus unterbricht mich sofort.
»Na, spielst du wieder mit deinen Puppen?« Er wirft mir einen verächtlichen Blick zu, rauscht an mir vorbei und greift sich mein Skateboard.
»Hey!«
»Kriegste nachher wieder, Kleiner!«
Er macht etwas, dass er Mama als durch-die-Haare-Wuscheln verkauft, aber in Wirklichkeit ist es ein unliebsamer Knuff auf den Schädel, der mich daran erinnern soll, dass Markus drei Jahre älter und drei Jahre stärker ist - und dass er drei Jahre mehr Erfahrung mit Mama hat. Dann knallt die Tür erneut und Markus poltert die Treppen runter. Ich schlurfe zum Fenster und sehe, wie Markus aus der Wohnungstür geschossen kommt. Er hebt ab, glidet auf dem Geländer, das die fünf Stufen zu unserer Haustür flankiert und landet gekonnt auf der Strasse - inmitten seiner Kumpels, die auseinandersprengen, um nicht umgefahren zu werden. Schon ein beeindruckender Stunt, den er da hinlegt. So beeindruckend, dass er beim Üben desselben sein eigenes Skateboard zerschreddert hat. Weswegen er jetzt immer meins borgt. (Mama: »Nun sei doch nicht so, du kannst deinem großem Bruder ruhig mal dein Skateboard leihen, er passt doch auch immer auf dich auf.«)
Ich hasse diesen Stunt, ich hasse die ehrfürchtigen Blicke seiner Kumpels, ich hasse, dass er mir das Skateboard jedes Mal zerkratzter zurückbringt und am meisten hasse ich, dass ich den Stunt selbst nicht kann.
Ich wende mich vom Fenster ab und starre Batman an, als wäre er Schuld an der Ungerechtigkeit der Welt.
»Dabei werde ich dir helfen!«, ruft Batman triumphierend aus. »Du darfst dir nicht alles von deinem Bruder gefallen lassen!«
Ich massiere mir die gewuschelte Stelle am Kopf. »Markus eins auszuwischen, ist keine gute Idee. Er ist älter und stärker.«
»Nanana, Superman würde vielleicht auf plumpe Muskelkraft setzen. Batman benutzt hingegen sein Köpfchen.« Er tippt sich demonstrativ an die Stirn. »Ist dein Gegner zu stark, dann ... dann ...« Aus dem Tippen wird ein Kopfkratzen. »Ähm … Schauen wir doch mal nach, was sich alles so in meinem Batgürtel verbirgt.«
Ich sehe zu, wie er seinen Gürtel ausräumt. Baterang, Bat-Seil, Bat-Spray, irgendwas, das ich mal angesengt habe, Bat-Schellen, Bat-Knarilen, Bat-Rattatazonks und weiteren Bat-Kram, für die mir keine passenden Namen einfallen.
Alles vor sich ausgelegt, unterzieht Batman der Ausrüstung einer eingehenden Untersuchung.
Dabei murmelt er Unverständliches vor sich hin. Einmal klingt es wie: »Ach da habe ich meinen Bat-Gum.« Er zieht etwas Gummiartiges von einem anderen Etwas, das aussieht wie eine Vorrichtung zum Seifenblasen, steckt es sich in den Mund, verzieht das Gesicht, spuckt es wieder aus und schmiert es an ein anderes Bat-Teil. Als mich ein verstohlener Seitenblick trifft, tue ich so, als hätte ich nichts gesehen.
Plötzlich schnippt Batman mit den Fingern. Dann noch einmal. Beim dritten Mal schnalzt es sogar ansatzweise und er erklärt mir stolzem Blick seinen Plan: »Wir werden uns die Frigrugalkraft zu nutze machen, wenn Markus die Klinke betätigt. Über einen Dynamo, aufgeladen mit 20.000 Kilo-Ohm, bekommt er einen pysischen Schock, der ihn in das Zimmer schleudert. Gleichzeitig wird er magnetonisch aufgeladen, sodass die Batnadeln - die wir hier, hier und hier platzieren - auf ihn zuschießen und ihn grässlich pieken. Ohnmächtig wie er sein wird, dringt dieser Schmerz in sein Unterbewusstsein und belegt ihn auf ewig mit Angst, sobald er nur in die Nähe deines Zimmers kommt!«
Batman rammt seine Fäuste in die Hüften und starrt mich erwartungsvoll an.
»Ähm ... das klingt super, nur ...«
Batmans Augen verengen sich gefährlich.
»Ich meine, das klingt klasse, aber ...«
»Verdammt«, Batman klatscht sich an die Stirn, »du hast recht: Uns fehlt der Bat-Generator.«
Einen Moment herrscht hochkonzentrierte Stille, die nur von dem quietschenden Unterfangen gestört ist, als Batman sich müht, die Maske wieder zurechtzurücken.
»Dann eben Plan B: Wir spannen das Bat-Seil vor der Tür und Markus wird sich mordsmäßig auf die Fresse legen, wenn er wieder ins Zimmer stürmt!«
Wohl auch aus Angst, dass Batman einen noch komplizierteren Plan entwerfen könnte, in dem vielleicht diesmal kein Generator gebraucht wird, stimme ich schnell zu. Und was soll schon groß passieren? Einfache Pläne sind deshalb so gut, weil nicht so viele Vari ... Varikablen drin auftauchen, die ...
»Unklakultierbar sind«, hilft Batman mit erhobenem Zeigefinger aus.
Weder dauerte die Vorbereitung sehr lange (ich hocke auf der einen Seite des Türrahmens mit dem Seilende in der Hand, Batman hält mir gegenüber das andere Ende umklammert - seine Augen sind dabei zu Schlitzen verengt), noch müssen wir lange warten. Als die Tür aufgeht, reißt Batman das Seil in die Höhe.
»Bist du noch zu retten?«, herrscht Mama mich an, als sie wild mit den Armen rudernd ihr Gleichgewicht wiedergefunden hat. »Ich hätte die Treppe runterfliegen können.«
»Ich und Batman wollten doch nur...«
»Es heißt Batman und ich ... «, verbessert sie mich reflexartig, schüttelt dann den hochroten Kopf und faucht: »Du bist langsam zu alt, um dich hinter deinen Actionpuppen zu verstecken. Denk mal drüber nach - dafür hast du eine Woche Zeit: Stubenarrest!«
Die Tür knallt ein zweites Mal an diesem Tag.
»Oh wie großzügig«, spöttelt Batman.
Ich starre Batman böse an. »Ich sollte wirklich nicht mehr auf dich hören. Mama hat recht, ich bin allmählich zu alt für dich!« Ich will ihn packen und zurück in die Box zu Wolferine, Spidy und Superman (und meiner bescheidenen Playboysammlung) stopfen, doch Batman entschlüpft meiner zupackenden Hand.
»Nun lass mal nicht den Kopf hängen, deine Mutter hat mich auf die Idee gebracht.«
»Wieso bekomme ich dabei so ein flaues Gefühl im Magen?«
Batman lacht hämisch. »Das kommt vom Fliiiegen.« Er führt einen albernen kleinen Tanz auf, bei dem er sein Cape flattern lässt.
»Verstehst du nicht? Deine Mutter hat uns die Lösung vor die Füße geworfen. Fliegen, Mann – dein Bruder will mit dem Skateboard fliegen. Fein, helfen wir ihm dabei!«
Jetzt begreife auch ich und grinse zurück.
Als Markus mir das Skateboard nach oben bringt (Na, du Spinner, habe gehört, dass du mir dein Board die ganze nächste Woche überlassen willst, lach, wuschel) gebe ich mich verdrossen. Als die Tür wieder zukracht, zähle ich in aller Ruhe die neuen Schrammen im Board. Für jede Schramme löse ich die Schraube der Vorderachse um eine Vierteldrehung.
Batman sieht mir dabei zu und schweigt Zustimmung.
Am nächsten Morgen bin ich schon früh wach. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich es nicht erwarten kann, bis Markus endlich in mein Zimmer platzt. Als Markus schließlich die Treppe heraufpoltert, erwartet ihn Batman bereits auf dem Board. Gelassen blickt er dem Feind entgegen, die Arme lässig vor der Brust verschränkt. Dieser Anblick scheint Markus kurz zu irritieren, denn anstatt mir im Vorbeigehen den eigens für mich reservierten angewidert-mitleidigen-Blick entgegenzuspucken, verharrt er für einen Augenblick und bedenkt mich mit einem besonders dicken Willie dieser Art.
»Wenn du das Board nimmst, wird Batman dich bestrafen!«, warne ich meinen Bruder. Eine Warnung scheint mir angemessen, aber insgeheim bin ich froh, dass er sie ignoriert. Mit einem »Werd endlich erwachsen« fegt er die Actionfigur beiseite, schnappt sich mein Board und stürmt die Treppen runter. Ich eile zum Fenster und warte auf die Show. Genau wie Markus' Kumpels, die sich vor der Haustür versammelt haben.
Die Haustür ist offen. Markus, bereits im Wohnungsflur volle Fahrt aufgenommen, schießt heran, will in dem Moment abheben und auf das Geländer übersetzen, als die Vorderachse wegbricht, hebt ab, aber ohne Board, reißt im Flug in einer spastisch anmutenden Zuckung die Arme nach vorn, rammt Bauch und Gesicht voraus die Mittelstange des Geländers, macht vom eigenen Schwung eine halbe Rolle um die Stange und plumpst in einem verdrehten Knäuel auf die Stufen.
Ich stimme in den Chor des Gelächters ein.
»Sieh dir das an, Batman«, pruste ich. Doch Batman schweigt. Mit verdrehten Gelenken liegt er noch immer dort, wo Markus ihn hingeschmettert hat.
Ich wende mich vom Fenster ab und knie mich neben meinen treuen Begleiter, nehme ihn vorsichtig in den Arm. Steif und kalt fühlt er sich an.
In diesem Augenblick kreischt Mama von unten: »Was ist denn hier passiert?«
»Das war«, murmle ich, »des Dunklen Rächers letzter Auftrag.« Andächtig lege ich Batman in den Karton zu den anderen Actionfiguren.
Ich kann mich irren, aber als ich den Deckel schließe, meine ich zu sehen, wie Superman mir einmal kurz zuzwinkert.