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Ich und mein Froschkönig
Das ist doch nicht normal.
Ich stöhne, kratze, rutsche an seinem ganzen Körper rauf und runter, und er bleibt stumm wie ein Fisch. Ich sitze auf ihm, fahre den grünen Rücken mit meinem Becken ab, reibe ihn mit beiden Händen, aber meine Hitze reicht nicht, er seufzt nur einmal zwischen meinen Beinen.
Quaken sollst du, verdammt, quaken!
Vielleicht habe ich mich geirrt. Vielleicht bin ich einer Mischehe doch nicht gewachsen. Es ist ja nicht so, als hätte die xenobiologische Beratungsstelle mich nicht vorgewarnt.
„Ich will ehrlich mit Ihnen sein, die meisten Frauen stellen sich das zu einfach vor, Tentakelsex. Nur um nach ein paar Monaten festzustellen, dass ihr Sexualtrieb auf Dauer nicht stark genug ist.“
Die Beraterin lächelte aus ihrem beigefarbenen Kostümchen. Ich hatte sie sofort gefressen.
„Wissen Sie denn, wie es ist, mit einem Wechselwarmen Sex zu haben? Sind Sie bereit dafür?“
Ich hoffte, mein Lächeln war so dünn wie sie, als ich mich über den Tisch beugte und antwortete: „Wissen Sie, ich reduziere meinen Verlobten nicht auf seine Tentakel.“
„Natürlich nicht. Das tun wir nicht. Das tut ja niemand.“
Jott sagt im Bett keinen Ton, aber erwartet es von mir. Ich nenne es albern, er nennt es Dirty Talk. Angeblich machten das die Frauen auf seinem Planeten stundenlang, sich und die Männer in Rage reden. Wenn die Temperatur nicht reichte, wenn die schnellen Bewegungen zur Qual wurden. „Und ihr Menschen seid doch so gut darin.“
Wo hat er das her? Wie viele Menschen hatte er denn vor mir? Was konnten die alle, was ich nicht kann?
Dirty Talk ist sowas wie „mach mir den Hengst, du geile Sau“? Brrr. Ich logge mich ins Netz, während Jott im Bad ist, um eine heiße Dusche zu nehmen. Es wärmt ihn kurz vor, immerhin. Was ist falsch an meinem „oh ja“, „mach weiter“, „fester“ und „fick mich“? Was WILL er bloß von mir? Schmutzige Worte in der richtigen Tonlage, lese ich. Teilweise echt heftiges Zeug, was ganz bestimmt nicht meins wird. Möchte ich einen Beispielsoundtrack herunterladen für 14,95? Nein, vielen Dank. Und tatsächlich, wenn auch eher ein Außenseiter: geraunte Tiernamen. Der Teufel soll mich holen, bevor ich Jott Tiernamen gebe. Als Anfängertipp, beschreiben, was man als nächstes tun wird. Das klingt umsetzbar. Ich schmiege mich an ihn, sobald er zu mir ins Bett kommt, nehme ihn in den Arm, küsse seine feuchte Haut, steige rittlings auf.
„Heute …“ - Tiernamen – „Heute Abend will ich dich heiß machen, ich will dir in die Augen schauen, wenn du kommst, ich“ – Tier – „ich, ich werde dich ganz heiß machen, ich“ – Frosch! – „heiß …“ – froschfroschfroschfrosch – „ich … ich werde mich jetzt auf deinen eiskalten Körper …“ und dann breche ich in Lachen aus. Schallendes Gelächter, das mich so schüttelt, dass ich von ihm runterkugele und auch noch aus dem Bett gefallen wäre, hätte er mich nicht festgehalten.
Ich lache, als Jott wortlos aufsteht und in die Küche geht, und ich gluckse noch immer, als er mit zwei Bier zurückkommt. „Gucken wir Fernsehen?“, schlägt er vor, als wir mit den Flaschen anstoßen. Damit war das Thema Dirty Talk so ziemlich vom Tisch.
Das Irritierende an ihnen ist, dass die Tentakel immer im Freien hängen. Sie sind beim Gehen und aufrechten Sitzen für die Balance wichtig, deswegen können sie nicht unter einer Hose versteckt werden, auch nicht ausnahmsweise und auch nicht mir zuliebe, wenn ich Jott meinen Eltern vorstelle. Außerdem werden sie gebraucht wie zwei zusätzliche Armpaare, zum Beispiel um meiner Mutter einen Blumenstrauß zu schenken, eine Untertasse und einen Kuchenteller zu halten oder meinem Vater die Zuckerdose über den Tisch zu reichen. Meine Eltern nahmen Blumen und Zucker entgegen, ohne die Tentakel zu berühren, als könnten sie sich an Jott verbrennen.
„Ach“, sagt meine Mutter in der Küche zu mir, „ach Kind, ach Kind“, während sie über meine Schulter ins Wohnzimmer starrt, wo Jott mit meinem Vater und allen Tentakeln auf der Couch sitzt. „Ich bin ja glücklich, wenn du glücklich bist, aber bist du dir ganz sicher?“
„Ach Mama“, seufze ich.
„Nein, nein, du hast ja Recht, es geht mich nichts an.“
„Du, eine Sache vielleicht, ich-“
„Und ich will auch nichts davon hören.“ Sie trägt das vollbeladene Kaffeetablett an mir vorbei.
Ich sehe im Küchenschrank nach, ob wenigstens Ingwerkekse da sind. Meine Mutter hat einen Sandkuchen nach vom xenobiologischen Institut veröffentlichten Vorgaben gebacken – perfekt für Jott, aber für mich unglaublich öde. Irgendwie hatte ich gehofft, sie würde einen zweiten richtigen Kuchen nachschieben, schokoliert und mit Rum, aber die Zeit hat sie wohl nicht gehabt.
Während ich an den faden Kuchenkrümeln schlucke und das Gespräch sich schleppt, beobachte ich meine Eltern. Mir wird bewusst, dass sie ganz genau nachgelesen haben müssen, wie Jotts Art sich fortpflanzt. Sie haben beide den Haupttentakel identifiziert. Bei jeder Geste, die Jott damit macht, verfolgen ihn vier Augen. Mit meinen sechs. Ich versuche Jott so zu sehen, wie meine Eltern ihn sehen, aber es gelingt nicht und ich bin froh drum. Da ist nichts zu machen, Jott und ich, das ist mir nicht peinlich.
Geschämt habe ich mich dann doch noch, aber das war später, auf dem Verdauungsspaziergang durchs Dorf. Ich hatte mich schon gewundert, warum meine Eltern nicht mitwollten. Meine Eltern sind die Erfinder des Verdauungsspaziergangs. Als die Nachbarn mit offenen Mündern über ihre Gartenzäune gafften, verstand ich es. Ich probierte es mit einem Lächeln, dann mit Zurückstarren, dann winkte ich ihnen zu, irgendwann schnitt ich Grimassen und streckte die Zunge raus. Ich wurde gar nicht gesehen. Die Gaffer starrten Jott an wie man niemanden anstarren sollte, auch einen Alien nicht. Ich schämte mich in Grund und Boden, aber Jott ignorierte es tapfer, oder vielleicht bemerkte er tatsächlich nichts. Ich habe ihn nie gefragt.
Am nächsten Morgen wurde ich an der Schulter wachgerüttelt und erschrak furchtbar, als ich meinen Vater über mir stehen sah. „Papa, spinnst du“, zischte ich und zog die Bettdecke über Jott und mir nach oben.
„Du kommst besser nach draußen“, sagte er grimmig. „Und … ohne ihn.“
Ich war verwirrt. Jott schlief noch. Ich wartete, bis mein Vater aus dem Zimmer war, rollte vorsichtig aus der feuchtkalten Umarmung meines Verlobten und zog mich an.
Sie hatten die Garagenwand beschmiert, mit matschgrüner Farbe, zwei Meter hohe Buchstaben, „Froschlutscher“. Ich stand davor und konnte mich einen Moment nicht bewegen. Mein Vater drückte mir einen Farbtopf und einen Pinsel in die Hand. „Fang du auf der Seite an, ich nehm die andere.“
„Oh, ihr habt die Garage ja ganz frisch gestrichen“, sagte Jott, als er aufgestanden war und nach draußen kam. „Warum hast du mich nicht geweckt, ich hätte doch geholfen.“
„Ach was, es ging schnell.“
Seitdem waren wir meine Eltern nicht mehr besuchen.
Ich konnte damit leben, von Kollegen und Nachbarn komisch beäugt zu werden, und es war okay, dass zwei meiner Sandkastenfreundinnen nicht mehr zurückriefen und angeblich nie Zeit hatten. Ich lernte über Jott neue Leute kennen. Wir fingen an, uns mit anderen gemischten Paaren zu treffen. Mit Paaren wie Melanie und Ix. „Sag ihm doch, was dich stört“, meint Melanie. Wir kochen zusammen, nur für uns, eine Orgie aus allen Sachen, die unsere Männer nicht essen können. Scharf gewürztes Fleisch, in Essig eingelegtes Gemüse und haufenweise Zuckriges, so übersüßt, dass es mir unter anderen Umständen Übelkeit bereitet hätte. Melanie und ich mästen uns zweimal die Woche. „Früher konnte ich das nicht“, sagt sie und lutscht die Sahnefüllung aus einem Orangentörtchen, „diese hemmungslose Fresserei. Mit Ix, das ist wie Hochleistungssport.“
Hochleistung, das trifft es ganz gut. Ich starre bekümmert nach den warzigen Salzgurken auf meinem Teller und fühle mich ungenügend.
„Rede halt mit ihm“, drängt Melanie, als sie meinen Blick bemerkt.
„Ich will ihm nicht sagen müssen, dass er stöhnen soll. Ich will, dass er stöhnen muss.“
„Da hast du dir was vorgenommen.“ Sie sieht mitleidig zu mir über den Tisch.
„Wieso? Wird Ix auch nicht laut?“, frage ich hoffnungsvoll.
„Doch natürlich. Immer, wenn er so richtig geil ist, dann brüllt er.“
Der Tritt in die Eizellen, ich knicke ein und gehe zu Boden. Und nehme mir vor, Melanie in die Waden zu beißen, sobald sich von dort aus die Gelegenheit ergibt.
„Ich weiß sowieso nicht, wie ihr das ohne Badewanne macht“, fährt Melanie fort und saugt ein Himbeertörchen aus. „Wir treiben es fast ausschließlich im Whirlpool. Vierzig Grad, und höher, bis dir schwindlig wird.“
Ich werfe ihr einen scharfen Blick zu. Melanies Whirlpool ist so groß wie unser Wohnzimmer. Nicht unsere Liga, das weiß sie ganz genau. Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern und leckt sich Crème von den Fingern.
Ich schlüpfe zu Jott unter die Dusche und wir versuchen vierzig Grad, und höher, bis mir schwindlig wird. Es ist eng und es ist im Stehen, macht schon Spaß, aber es ist was anderes. Wir rutschen aus, wir kaufen eine Duschmatte, wir reißen die Seifenschale ab, wir stützen uns an die Wände, wir brechen durch den Duschvorhang, wir knien uns hin. Ich entlocke ihm ein Stöhnen, ein zaghaftes, als ich unter ihm hocke und zwischen seinen Beinen massiere, die glühendheiße Brause auf seinen Nacken regnet und mir den Rücken verbrüht. Das Badezimmer ist so dick mit Wasserdampf gefüllt, dass ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen kann. Ein ganz leises Stöhnen, und für mich ist nichts drin. Es macht Spaß, aber es ist unvollständig.
Die verbrannte Haut auf meinem Rücken fühlt sich rauh und erhaben an. Sie reibt schmerzhaft gegen den Blusenstoff, als ich mich anziehe und die Wirbelsäule durchdrücke.
Langfristig ist Duschen keine Lösung.
Ich glaube, Jott wichst heimlich, nachdem wir miteinander geschlafen haben. Es ist schwer zu sagen, denn ohne mich ist er noch leiser als mit mir. Immerhin das. Ich bin einmal reingeplatzt, als ich auf die Toilette musste. Seitdem quält es mich, wenn er nochmal aufsteht, ins Badezimmer geht und es länger dauert, als es meiner Meinung nach müsste. Wie jetzt zum Beispiel. Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben. Ich massiere meine Oberschenkelmuskeln. Morgen wird sich der Sex von heute anfühlen wie ein 25km Lauf.
„Du rufst an, um mir DAS zu sagen?“, fragt Susanne ungläubig. Susanne ist seit der Uni so untervögelt, ich hätte nicht mit diesem gelangweilten Unterton gerechnet. Ich wollte gar nicht mit ihr reden, sondern mit Melanie, aber Melanie hätte womöglich gesagt „Uuuh, Ix hat keine Kraft mehr zu wichsen, wenn ich mit ihm fertig bin“, und sowieso bin ich dran Susanne zurückzurufen. Susanne ist kein Stück dankbar. „Nein, ich glaube nicht, dass du dir einen Muskelfaserriss geholt hast. Nein, ich weiß nicht, was dein Freund im Badezimmer macht. Lass ihn doch wichsen, wenn er will. Du hattest doch deinen Spaß, oder?“
„Du verstehst das Problem nicht!“
„Nö.“
Ach, man kann überhaupt nicht mit ihr reden. Man kann mit überhaupt niemandem reden.
„Habt ihr es schon draußen ausprobiert? In der Sonne? Da werden sie heiß, wörtlich.“
Das war Melanies nächster Tipp und brachte uns beinahe eine Ordnungsstrafe ein. Oder was immer man dafür kriegt, wenn man den Stadtpark so missbraucht, wie wir es vorgehabt hatten.
Drei Stunden lang sind wir kreuz und quergelaufen, bis wir uns auf eine Stelle einigen konnten, um die Decke auszubreiten. Mir war von Anfang an nicht wohl bei der Sache, wir sind drei Stunden lang über versteckspielende Kinder gestolpert.
Ich verbiete Jott die Hose auszuziehen und bleibe selbst vollständig bekleidet bis auf den Slip, den ich ängstlich um mich schauend unter dem Rock hervorzerre.
„Hör mal, wenn dich das so stresst …“, fängt Jott an.
„Scht. Ist der Wein kühl geblieben?“
Er befühlt die Flasche im Picknickkorb. „Lauwarm, glaube ich.“
Jott hat Schwierigkeiten, Temperaturen einzuschätzen, das vergesse ich immer.
„Gieß mir was ein. Dann sehen wir mal.“
Melanie findet es wahrscheinlich aufregend, wenn jemand sie und Ix erwischen könnte. Wahrscheinlich macht sie das erst so richtig spitz.
Ein Liter warmer Wein reicht nicht, ich sehe trotzdem in jedem Busch kleine Kinder und herumschnüffelnde Hunde und fühle mich verfolgt. Der weiche Waldboden ist auch gar nicht mehr weich, überall drücken kleine Hubbel unter meinem Rücken, und nebenan ist wie immer das Ameisennest. Ameisen nerven mich schon bei einem normalen Picknick, weil alle in meinen Becher fallen und ich das erst merke, wenn ich ausgetrunken habe. Heute sind mir die Ameisen noch viel unsympathischer.
Aber die Sonne kommt raus, bescheint Jotts nackten Oberkörper, und Melanie hat recht, da tut sich was, das merke ich bei jeder seiner Bewegungen. Nur ich muss an Zecken und Borreliose denken und bin so verklemmt wie zu meinen schlimmsten Teenagerzeiten. Weit und weich, weit und weich, wiederhole ich das Mantra von damals, drehe zufällig den Kopf zur Seite und bekomme fast einen Herzinfarkt, weil die Uniform auf uns zukommt.
„Was machen Sie da mit der Frau?“
Wir sind so schnell auseinander und mein Rock so schnell runtergekrempelt, ich glaube nicht, dass er was gesehen hat.
„Was machen Sie da?“
Wir setzen uns auf.
„Gar nichts.“ Gar nichts, Herr Wachtmeister, hätte ich beinahe gesagt, aber dann kommt es mir vor wie eine Zeile aus einem Porno und ich sage: „Gar nichts, nur ein Picknick“.
„Gibt es ein Problem?“, fragt Jott freundlich.
Die Uniform (ein Parkwächter? Polizist? Pfadfinder? was ist er überhaupt?) tritt zu uns auf die Lichtung und sieht sich misstrauisch um. Ich gratuliere mir dazu, den Picknickkorb halb ausgepackt zu haben. Inoffiziell hatte ich den Korkenzieher nicht gefunden, offiziell ist es jetzt Tarnung, ein Picknick im vollen Gange.
„Nein, wohl kein Problem. Das ist Ihr …?“, fragt er mich und nickt in Jotts Richtung.
„Mein Freund, ja.“
„Und warum verstecken Sie sich im Gebüsch?“
Warum wohl, denken wir zu dritt.
„Hier sind viele Kinder unterwegs, wenn Sie von einem Kind gesehen werden, kann das problematisch werden. Gefängnisstrafen-problematisch, ist Ihnen das bewusst?“
Jott und ich wechseln einen Blick. So bewusst war mir das jetzt nicht.
„Na gut, ich will Ihnen beiden keinen Ärger machen. Ich schlage vor, sie räumen Ihre Sachen ein und setzen Ihr Picknick drüben auf der offiziellen Liegefläche fort. Das da,“ er zeigt auf den Boden, „ist Gift-Efeu.“
„Danke“, sage ich demütig. Und schimpfe irgendwas von Polizeistaat, sobald er außer Hörweite ist. Jott stößt mir in die Rippen. „Du darfst nach Hause ins Bett. Gib wenigstens zu, dass du erleichtert bist.“
„Im Stadtpark?“ Melanie prustet vor Lachen. „Liebes, das meinte ich doch nicht. Ich hatte an Ix und meine Flitterwochen gedacht, in der Wüste. Unter der sengenden Sonne, da war Ix der heißeste Liebhaber meines Lebens, der wusste gar nicht wohin mit der ganzen Energie und mich hat es fast zerrissen …“
„In der Wüste?“, brülle ich sie an.
„Ja, natürlich. Es muss schon etwas abgeschieden sein. Sonst könnte ich mich nicht so entspannen. Hattest du im Stadtpark denn gar keine Angst wegen der Kinder? Die erschrecken sich ja auch …“
„Du schlägst vor, ich soll mit Jott draußen schlafen und dachtest allen Ernstes, wir finden hier eine einsame Wüste?!“
„Oder einen anderen ungestörten Platz in der Sonne, beiß dich doch nicht an der Wüste fest.“
„Und wo krieg ich das her, meinen ungestörten Platz in der Sonne, hä?“
Melanie rollt die Augen. „Das weiß ich doch nicht, wo ihr hinwollt. Ix und ich gehen immer auf unsere Dachterrasse, volle Sonne und garantiert sichtgeschützt.“
Mir fällt wieder ein, dass ich Melanie noch in die Waden beißen muss. Im Moment würde ich ihr auch in die Schuhe pinkeln oder die Autoreifen zerstechen.
Es muss doch möglich sein, guten Sex auf altmodische Art zu haben, gemütlich und im Bett, ohne einen Riesenwhirlpool, ohne eine Dachterrasse, ohne komplizierte Duschtechnik, ohne Ameisen in der Poritze und vor allem ohne Scheißwüste.
„Du kommst doch auf deine Kosten, oder? Ich meine, trotz allem ist der Sex gigantisch.“
Ich nicke. Ich meine, wenn ich an Jotts menschliche Vorgänger zurückdenke, die mir alle irgendwann Kopfschmerzen gemacht haben, dann nur mit Häme. Ich will ja nicht zurück, das ist es nicht.
„Was willst du denn?“
Ich balle beide Hände und schlage auf den Tisch. „Es ist asymmetrisch!“, schreie ich Melanie und ihren brüllenden Ix und die gelassene Susanne und meine Mutter und die Frau in Beige an, aber nur Melanie hört und antwortet.
„Gott“, sagt sie, „du bist immer so überspannt.“
Nachdem Jott zur Arbeit gegangen ist, sitze ich am Küchentisch und trinke noch eine Tasse Kaffee, grübelnd. Schließlich mache ich zwei Anrufe. Den ersten im Büro, um mich krankzumelden. Den zweiten bei einem Großhandel für Terraristik. Noch am selben Nachmittag wird die Wärmelampe nach meinen Anweisungen an der Schlafzimmerdecke installiert.
Als Jott nach Hause kommt, kocht das Abendessen und ich stehe an der Spüle und mache den Abwasch. Er tritt von hinten an mich heran und umarmt mich. Ich erschauere am ganzen Körper, werde so kalt, dass meine Brustwarzen unangenehm gegen den BH stehen, dann lehne ich mich an und lasse mich von der marmornen Umarmung stützen. So bleiben wir eine Weile stehen, verschmelzen an den Stellen, an denen sich nackte Haut berührt. Er absorbiert meine Hitze und wird dabei selbst immer wärmer. Ich kühle aus, heize nach, kühle ab, heize neu.
„Du riechst gut“, sagt er, die Nase in meinem Haar.
„Ich habe eine Überraschung.“
Er versteht nicht, als ich ihn ins Schlafzimmer schubse und ihm befehle, sich auszuziehen. Er versteht noch immer nicht, als ich ihn aufs Bettlaken stoße. Vielleicht ist ihm der rechteckige Schatten an der Decke aufgefallen, ich weiß nicht, vielleicht hat er die Schmarren in der Tapete gesehen, bestimmt hat er den zwei mal zwei Meter Karton im Treppenhaus bemerkt. Nichts davon spielt eine Rolle, als ich das Licht aus- und das Wärmelicht anschalte.
„Oh … wow“, sagt Jott, und das ist auch alles, was man dazu sagen kann.
Die Lampe taucht unser Schlafzimmer in ein intensives Hellrot. Schatten verfärben sich dunkelgrün, Schränke und Polster bilden ein gespenstisches Gebirge aus vorspringenden Flächen und fortkippenden Spalten, plastischer, als ich es je zuvor gesehen habe. Und augenblicklich wird das Zimmer warm. Jott, kohlschwarz in einem blutigen Meer, richtet sich im Bett auf und streckt sich der Lampe entgegen. Er verharrt völlig reglos in dieser Position, und für einen Moment warte ich ab, will ihn nicht unterbrechen, während er Wärme aufnimmt. Ich nutze die Zeit, um mich selbst auszuziehen. Dann steige ich auf ihn, nehme den Haupttentakel zwischen die Beine, stoße nieder, stütze mich auf seinen klobigen Schultern ab, lecke eine Linie über seiner Längsachse, packe seine Handgelenke und presse sie nach unten, spüre, wie der Tentakel sich versteift, gebe widerwillig eine Hand frei, um nach ihm zu greifen und ihn zu führen. Mit Jott in mir bewege ich mich behutsam, bis er den langsamen Rhythmus aufnimmt und ich sicher bin, dass er ihn halten kann. Allmählich werden wir schneller, und allmählich zerrt die Hitze an meinen Nerven. Ich bin schweißgebadet, aber ich schwitze anders als jemals zuvor, keine Bäche sondern Ströme, die über Jotts Körper laufen, bevor sie in der Matratze versickern. Salz tut ihm weh, das weiß ich, zuviel Salz kann ihn töten, aber das ist mir egal, ich muss ihn schreien hören, nur ein einziges Mal, auch aus einem falschen Grund.
Jott das Amphibium verdampft, und Jott das Reptil erwacht so brutal zum Leben, dass er mich fast abgeworfen hätte, so bäumt er hoch. Er zieht mich dicht zu sich heran und wir tauschen Positionen. Sein Körper ist heiß und fest wie ein Stein, der in der Sonne gelegen hat. Zwei harte Tentakel kleben sich an meine Brüste, der dritte fährt mir in den Mund, während der vierte noch immer zwischen meinen Beinen arbeitet, hineinfährt, sich zurückzieht, wieder zustößt und sich in meinem Inneren krümmt und … festsaugt? Mit beiden Händen fährt Jott über meine Hüften, packt mein Becken und hebt meinen ganzen Körper auf und ab, ihm entgegen und in die Matratze hinein.
Aber mitten in dem Rauf und Runter, dem Stöhnen (endlich dem Stöhnen!), der springenden Matratze und den peitschenden Tentakeln, als sich das Ziehen zwischen meinen Oberschenkeln gerade ankündigt, da ist dieses schlürfende Gefühl. Und der seltsame Eindruck, Wasser zu vermissen. Meine Vorfreude weicht Verwunderung, als Jotts Körper fortfährt meinem Feuchtigkeit zu entziehen, bis meine Zunge Pelz ansetzt. Der Verwunderung folgt Verstehen, dem Verstehen folgt Bestürzung. Jott trinkt mich von innen aus. Während der Schweiß in Sekunden an meine Haut antrocknet und salzige Ränder hinterlässt, Jott jeden Tropfen Saft aufnimmt, schneller und schneller stößt, schrumpfe ich zusammen, welke und werfe Falten, verdorre und werde runzlig.
Die Wüstenhitze ist kaum mehr auszuhalten, es ist soweit, ich bin durchgebacken. Ich spüre, wie ich durch und durch spröde werde, wie alles knistert, trocken wie Lehm im Ofen. Jott ist in mir und es scheuert, scheuert schmerzhaft, scheuert wie eine rostige Reibe, scheuert hart und rauh und viel zu eng, und ich bin diejenige, die schreit, aus einem falschen Grund schreit, was er nicht hören kann. Denn jetzt kommt Jott, kommt gewaltig, dass ich beschämt einsehen muss, es ist das erste Mal, dass ich das überhaupt erlebe. Gallerte spritzt nicht nur aus dem Haupttentakel, nein, Jott spritzt aus allen vier Tentakeln gleichzeitig, öffnet an den Halsseiten Kiemen, stellt einen Flossenkamm hoch, von dessen Existenz ich bisher gar nichts wusste, sprengt seinen Brustkorb auf und lässt einen violetten Klumpen Laich auf meinen Bauch fallen, brüllt und trompetet und bricht endlich über mir zusammen und ist fertig.
Rote Stille und schwarze Stille.
Ich krieche auf allen Vieren ins Badezimmer und trinke aus dem Wasserhahn. Aus dem Spiegel sieht mir ein braunes Rosinengesicht dabei zu. Am ganzen Körper ist die Haut am Knistern, Flüstern und Brechen. Es fühlt sich an wie uraltes Pergament. Als ich den glibschigen Laich abziehe und mit beiden Händen in die Kloschüssel schaufle, gibt mein Bauch nach. Der Laichklumpen hinterlässt überall winzige blutige Risse. Ich habe schuppige Flecken am Rücken und an den Beinen. Meine Lippen sind aufgesprungen und fangen an zäh zu bluten, als ich sie betaste. Ich überlege, mich von Jott ins Krankenhaus fahren zu lassen, falls ich professionell rehydriert werden muss. Als ich zurück ins Schlafzimmer wanke, ist Jott eingeschlafen. Ich betrachte seinen grünen Hinterkopf, die Stelle, wo er heimlich eine Flossenkrone hat, der Herr Froschkönig.
Morgen werde ich ihn an die Wand werfen.